Kooperatives Wohnprojekt in Holz-Hybrid-Bauweise: OurHaus

Kooperatives Wohnprojekt in Holz-Hybrid-Bauweise: OurHaus

Realisierte Objekte

Kooperatives Wohnprojekt in Holz-Hybrid-Bauweise: OurHaus

Text: Dix Tannhäuser Architekten | Foto (Header): © Christian Rothe

Für eine Wohngenossenschaft haben Dix Tannhäuser Architekten am Lindenauer Hafen im Leipziger Westen ein Gebäude in Holz-Hybrid-Bauweise geplant. Um dabei alle sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekte gleichermaßen und gut zu berücksichtigen, reichen die Maßnahmen von guten Konzepten für die Gemeinschaftsflächen bis hin zur passenden Materialverwendung und Eigenleistung der Bewohnerschaft.

Auszug aus:

Der Ende 2020 fertiggestellte Neubau wurde für eine Baugemeinschaft gebaut, die solidarisch, selbstorganisiert und engagiert zusammenlebt und sich als Akteurin des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens in die Leipziger Stadtgesellschaft einbringt. Nach Anhandgabe eines kommunalen Grundstücks im Rahmen eines Architekturwettbewerbs im Jahre 2016 wurden die Zielvorstellungen des Zusammenlebens der Gemeinschaft über einen partizipativen, eng an den zukünftigen Nutzer orientierten Planungs- und Bauprozess in eine zeitgenössische, offene Architektur im urbanen Raum übersetzt. Als Wohn‑, Arbeits- und Lebensort für fast 50 Menschen unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Lebensalters bietet das Haus nun Platz für eine selbstbestimmte und in demokratischen Prozessen organisierte Gemeinschaft.

Genossenschaftsgründung

Träger der Idee vom gemeinschaftlichen Wohnen ist eine eigens für das Projekt gegründete Genossenschaft, die das kollektive Eigentum am Haus und Grundstück hält. Das Projekt bleibt durch die gemeinwohlorientierte und renditefreie Kostenmiete langfristig für die Bewohner bezahlbar und vor Immobilienspekulation gesichert. Es bietet zudem eine hohe Flexibilität für die mietenden Genossenschaftsmitglieder und ermöglicht unterschiedliche gemeinschaftlich genutzte Räume und Bereiche. So findet die bewährte Idee der Wohngenossenschaft mit diesem Haus einen adäquaten und auf die Gegenwart übertragenen Ausdruck.

Gemeinschaft und Vernetzung

Ein zentrales Anliegen des architektonischen Entwurfs ist die enge Verschränkung der privaten Wohneinheiten mit den gemeinschaftlich genutzten Räumen und Flächen sowie dem Quartier. Das Erdgeschoss stellt die Verbindung zwischen Garten, Hausgemeinschaft und Stadt her. Über die großzügige, einladende Verglasung des zweigeschossigen Entrées öffnet sich das Gebäude zum Stadtraum und ermöglicht den direkten Durchblick in den rückwärtigen Garten. Auf kurzem Weg wird von hier aus der im Erdgeschoss platzierte große Gemeinschaftsraum mit Gartenterrasse erreicht. Hier finden sowohl interne Veranstaltungen, wie z. B. Plena, sportliche Aktivitäten oder Feste als auch externe Workshops oder Seminare statt.

Das Gebäude hat fünf oberirdische Wohngeschosse und ein Kellergeschoss mit Tiefgarage. Der von Süden her belichtete Treppenraum schafft eine freundliche Atmosphäre und stellt zusammen mit dem Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss den zentralen und alltäglichen Begegnungsort der Bewohner dar. Darüber hinaus findet das gemeinschaftliche Leben auch auf den durchlaufenden, vom Treppenraum her betretbaren Balkonen, im Garten, im Musikraum, in der Werkstatt, der Sauna, im Waschraum sowie in den vier funktionsvariablen Jokerräumen in den Obergeschossen statt. Der Anteil der gemeinschaftlich nutzbaren Räume ist mit ca. 13 % der vermietbaren Fläche auch für eine Wohnungsgenossenschaft außerordentlich hoch.

2 | Grundriss EG
ABBILDUNG: DIX TANNHÄUSER ARCHITEKTEN

3 | Grundriss 1. OG
ABBILDUNG: DIX TANNHÄUSER ARCHITEKTEN

Wohnungen

Alle 13 Wohnungen sind individuell organisiert und bieten den Bewohnern lichtdurchflutete und zum Teil zweigeschossige Familienbereiche (Wohn-Ess-Bereiche) mit hoher räumlicher Qualität. Der Großteil der Individualräume ist zugunsten der Gemeinschafts- und Familienbereiche minimiert. Die realisierten Wohnungen lassen sich in drei Wohnungstypologien unterteilen: Split-Level‑, Geschoss- und Maisonettewohnungen. Die Wohnungsgrößen von 45 m² bis 125 m² bieten sowohl Single‑, Paar‑ als auch Familienhaushalten ein Zuhause. Sogenannte „Jokerräume“ sind optional und temporär anmietbar und ermöglichen es der Bewohnerschaft, Gäste zu beherbergen und bei Bedarf flexibel von zu Hause aus zu arbeiten.

FOTO: CHRISTIAN ROTHE

4 | Der von Süden belichtete Treppenraum ist einer der Begegnungsorte der Bewohner.
FOTO: CHRISTIAN ROTHE

5 | 3D-Ansicht der Räume und ihrer Funktionen
FOTO: CHRISTIAN ROTHE

6 | Die Wohnungen sind lichtdurchflutet mit zum Teil zweigeschossigen Wohn-Ess-Bereichen.
FOTO: CHRISTIAN ROTHE

Ausstattung und Eigenleistung

Der Standard für die Ausbauten und Oberflächen der Innenräume ist einfach und kostengünstig. Der komplette Innenausbau wurde unter Einsparung der Gewerke Putz- und Mauerarbeiten in Trockenbauweise realisiert. Die Wand- und Fußbodenoberflächen der Wohnungen und Gemeinschaftsräume wurden von den Bewohnern in Eigenleistung selbst ausgeführt. Die gebäudetechnische Installation wurde minimiert, um die Kosten während der Nutzungsphase zu optimieren. Im Sinne der Gebrauchstauglichkeit und Robustheit der Architektur über eine lange Nutzungsdauer kamen vor allem langlebige und dauerhafte Materialien zum Einsatz. Die gestalterische Detailentwicklung ist durch eine pragmatische, aber qualitätsvolle Einfachheit geprägt.

Bauweise und Energieversorgung

Das Gebäude ist ressourcensparend und flächenoptimiert als Holz-Hybrid-Bau errichtet. Es besteht aus einer Tragkonstruktion in Stahlbeton-Skelett-Bauweise und einer Fassade aus nichttragenden, vorgefertigten Holztafelelementen. Diese garantiert in Kombination mit den Holz-Aluminium-Fenstern und dem mineralisch gedämmten WDVS mit Glattputz einen hohen energetischen Standard (KfW 55) hinsichtlich des winterlichen als auch sommerlichen Wärmeschutzes. Das Energiekonzept beinhaltet neben der Nutzung von Fernwärme für die Fußbodenflächenheizungen solare Stromerzeugung auf dem Flachdach. Die Errichtung der Photovoltaik-Anlage erfolgte in Kooperation mit der Energiegenossenschaft Leipzig und dient als Basis für einen geplanten, gemeinschaftlich genutzten Fuhrpark an Elektrofahrzeugen.

Mobilität

Der größte Teil der baurechtlich vorgeschriebenen Kfz-Stellplätze in der Tiefgarage wird als komfortabler Abstellort für die mehr als fünfzig Fahrräder der Hausgemeinschaft genutzt, da nur noch eine Minderheit der Bewohner ein eigenes Auto besitzt. Damit hat die Verkehrswende bei der Mobilität der Hausgemeinschaft schon Einzug gehalten.

Resumée

Das Projekt möchte eine bessere und realistische Alternative zu angebotenen Wohnkonzepten der renditeorientierten Akteure des Immobilienmarktes schaffen und die Möglichkeit einer durch die Bewohner initiierte und fokussierte Stadtentwicklung aufzeigen. Es werden dabei im Sinne einer umfassenden Nachhaltigkeit soziale, ökologische und ökonomische Aspekte berücksichtigt. Damit nimmt es insbesondere mit Blick auf den Neubaubereich des sächsischen Wohnungsmarkts eine Vorreiterrolle ein. Mangels geeigneter staatlicher Förderprogramme wurde das Projekt ohne Förderzuschüsse im Wesentlichen über Einlagen und Mittel der Genossenschaftsmitglieder sowie Fremdmittel von Banken frei finanziert.

Im Gespräch mit Gordon Tannhäuser:

Herr Tannhäuser, ein besonderer Schwerpunkt in Ihrem Architekturbüro ist die Bearbeitung von kooperativen, nachhaltigen und bezahlbaren Wohnungsbauprojekten. Hier die passende Schnittmenge zu finden stellt Sie bestimmt immer wieder vor große Herausforderungen. Welche Ihrer bisher gewonnenen Erfahrungen konnten beim Projekt OurHaus besonders zum Gelingen beitragen?

Projekte des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens, so auch das OurHaus, haben in den letzten Jahren ihr großes innovatives Potenzial in den Bereichen Wohn- und Architekturqualität, Partizipation und Bezahlbarkeit, Nachhaltigkeit und generationsübergreifendes Wohnen, Mobilität und Energieeffizienz gezeigt. Bei der Integration von Nutzungen außerhalb des Wohnens wie z. B. Homeoffice, Sharing-Angebote und gewerbliche Nutzungen gegenüber der renditeorientierten Immobilienwirtschaft setzen sie neue Maßstäbe. Als Architektenbüro waren wir in enger Zusammenarbeit mit der Gründungsinitiative schon bei der Projektentwicklung am Planungsprozess beteiligt. Das war eine wunderbare Chance und hat es uns als Gestaltende ermöglicht, diese Potenziale bedürfnisorientiert in der Architektur und ihrer sozialräumlichen Ausformung zu verankern. Darüber hinaus hat der Enthusiasmus aller Projektbeteiligten sehr viel Freude bereitet.

Der Anteil der Gemeinschaftsflächen im Haus und der für alle nutzbaren Flächen in den einzelnen Wohnungen ist sehr hoch. Welche Vorteile auf der einen, aber eventuell auch Schwierigkeiten auf der anderen Seite haben sich dadurch für Sie in der Planung ergeben?

Bei der Konzeption des Projekts spielten von Beginn an sowohl Qualität als auch Quantität von gemeinschaftlichen Räumen eine zentrale Rolle. Den Bewohnenden des Hauses war eine räumliche Entsprechung der Gemeinschaft sehr wichtig, auch, um damit einen konkreten Gegenentwurf zur Vereinzelung bzw. Individualisierung beim Wohnen im Einfamilienhaus oder in einer regulären Mietwohnung zu finden und den Gedanken des Teilens auf unterschiedlichen Ebenen lebendig werden zu lassen. So konnten zahlreiche Nutzungsformen wie Gruppenraum, Jokerräume, Gästezimmer, Musikraum, Werkstatt oder Wäscheraum ihren Platz im Haus finden. Konsequenterweise wurden auf der anderen Seite die individuellen Flächen der Wohnungen aufgrund des großen Angebots an gemeinschaftlichen Räumen reduziert. Selbstverständlich müssen diese Räume auch finanziert werden. Dies geschieht teilweise als Umlage auf die Miete, teilweise als längerfristige Vermietung an Mitglieder, teilweise als temporäre Vermietung an interne und externe Nutzer/-innen.

Die Hälfte der Wohnungen beinhaltet zweigeschossige Familienbereiche. Welche räumlichen Qualitäten bringt diese Anordnung mit sich?

Auch die Entscheidung für die zweigeschossigen Bereiche wurde bereits zu einem sehr frühen Planungsstadium getroffen. Die Priorität lag für die Bauherrschaft und uns Architekten auf der entstehenden Raumqualität, auch wenn dies hinsichtlich der Flächen- und Kosteneffizienz auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint. Den zweigeschossigen Bereichen sind sowohl die interne Treppe der Wohnung als auch die Wohn- und Essbereiche zugeordnet. Das tägliche Durchschreiten, das intensive Benutzen und die familiäre Kommunikation innerhalb dieser geschossübergreifenden Raumzone führt im Alltag zu einer Raumerfahrung, die eine sehr hohe Qualität darstellt und den angrenzenden, flächenoptimierten Nutzungszonen eine wundervolle Großzügigkeit verleiht. Gleichzeitig haben wir für diesen Raumbereich große Fensterflächen mit fast verschwenderischer Belichtung vorgesehen, die für eine Wohnung des genossenschaftlichen Bauens eine ungeahnt leichte und transparent-moderne atmosphärische Wirkung erzeugt.

Durch welche Maßnahmen konnten Sie dem zentralen Anliegen der engen Verschränkung der privaten Wohneinheiten mit den gemeinschaftlich genutzten Räumen und Flächen sowie dem Quartier gerecht werden?

Grundlegend wichtig für die Ermöglichung der engen Verschränkung von privaten, gemeinschaftlichen und öffentlichen sozialen Räumen ist etwas, dass an der Architektur selbst nicht direkt sichtbar ist – nämlich die Rechtsform der Genossenschaft und das kollektive Eigentum der Bewohner/-innen an ihrem Haus. Diese erleichtern auf der konzeptionellen Ebene das frühe Mitdenken und Mitplanen von Räumen, denen mehrere hausinterne und -externe Nutzungen zugeordnet werden können und die über die Zeit flexibel bleiben. Wir haben die Räume so gestaltet, dass sie eine Offenheit mit sich bringen, nicht bis in den letzten Zentimeter vordefiniert sind und die Möglichkeit bieten, durch  die Bewohner nach und nach angeeignet zu werden. Den Kern dieses Entwurfsansatzes bildet der Treppenraum. Hier fällt der Blick von der Straße aus durch die großzügig verglasten Flächen bis tief in das Gebäudeinnere weiter bis in den rückwärtigen Garten. Diese einladende Geste wird durch das zweigeschossige Foyer und den schwellenlosen, zwischen außen und innen durchlaufenden Plattenboden verstärkt. Der bis in das vierte Oberschoss sehr geräumige und gut belichtete Erschließungsraum bietet eine Qualität, die zum Verweilen einlädt und informelle Gespräche zwischen den Hausbewohnern und -bewohnerinnen befördert.

Das Projekt OurHaus ist mit dem Architekturpreis der Stadt Leipzig 2021 ausgezeichnet worden, hat eine Anerkennung beim Sächsischen Staatspreis für Baukultur 2022 erhalten und ist nun für den DAM Preis 2023 nominiert. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Erfolg!

Projektdetails


Grundstücksgröße
1.330 m²
Wohnfläche
1.182 m² (13 Wohnungen)
Bruttogrundfläche
2.328 m²
Gemeinschaftliche Nutzungen
183 m² (Gemeinschaftsraum, 4 Jokerräume, Musikraum, Werkstatt, Waschmaschinenraum, 2 Gemeinschaftsbalkone, Sauna [geplant])
Vermietbare Fläche
1.365 m²

Über Dix Tannhäuser Architekten
Seit 2015 sind Dix Tannhäuser Architekten in Leipzig tätig. Im Wissen um die besonderen Bedürfnisse von Baugruppen, Hausprojektinitiativen oder kooperativ organisierten Baugemeinschaften sind sie in der Lage, diese von den ersten kreativen Projektvorstellungen bis hin zum lang ersehnten Einzug als professionelle Projektpartner zu begleiten. Der Fokus liegt dabei darauf, architektonische Lösungen zu finden, die konzeptionell sowohl den besonderen Anforderungen an das  kooperative, gemeinschaftliche Wohnen als auch an die Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit solcher Projekte gerecht werden.

www.dixtannhaeuser.de

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