Städtebau & Quartiersentwicklung
Zukunftsorientierte Stadtentwicklung in Bochum: Unterwegs in der Ermöglicherstadt
Text: Tobias Appelt | Foto (Header): © BOCHUM MARKETING GMBH, ANDREAS MOLATTA
Das Ende des Bergbaus, die Abschiede von Nokia und Opel: Bochum musste sich in der Vergangenheit schon mehrfach neu erfinden. Jetzt ist die Stadt mit der Formel „Wissen, Wandel, Wir-Gefühl“ auf dem Weg in die Zukunft.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 1.2025
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Im Ruhrgebiet ist der Strukturwandel ein Dauerthema. Auch Bochum musste sich in der Vergangenheit mehrfach neu erfinden. 1973 schloss die letzte Zeche, 2008 stellte der Handy-Konzern Nokia seine Produktion ein und 2014 rollte bei Opel der letzte „Zafira Tourer“ vom Band. Jedes Mal waren Tausende Arbeitsplätze betroffen. Heute präsentiert sich Bochum als Ermöglicherstadt, und es herrscht Aufbruchstimmung.
Besonders deutlich wird dies in der Innenstadt. Hier ist der Umbau eines alten, seit Jahren verwaisten Backsteinbaus in vollem Gang. Das „Haus des Wissens“ wird es genannt. Dieser verwandelt sich in einen Leuchtturm. An den Bauzäunen sind große Plakate angebracht: „Hey, altes Haus“, steht darauf, „du wirst der neue Treffpunkt.“
Ein Wohlfühlort, mitten in der City
Beherbergen soll das unmittelbar am Rathaus gelegene Objekt künftig Institutionen wie die Volkshochschule, die Stadtbücherei, den Wissensverbund UniverCity und eine Markthalle, in der nicht nur Lebensmittel verkauft werden sollen, sondern auch Kulturund Freizeitveranstaltungen über die Bühne gehen. Für die Menschen entsteht ein Erlebnis-Ort, an dem sie Verweilen können und miteinander ins Gespräch kommen, kurz: ein Wohlfühlort, mitten in der Stadt. Dass die Verantwortlichen bei der Planung des „Haus des Wissens“ das Thema Bildung in den Fokus gerückt haben, hat einen guten Grund: Mit fast 60.000 Studierenden an sieben Hochschulen im UniverCity-Netzwerk gehört Bochum der größte Hochschulstandort im Ruhrgebiet und zu den zehn größten Hochschulstädten in Deutschland. Nun gilt es, die universitäre und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit noch stärker miteinander zu verknüpfen – das dürfte sich in der Folge positiv auf die gesamte Stadt auswirken. Mit einer florierenden Wirtschaft würde schließlich auch die Kaufkraft der Menschen vor Ort steigen.
Seit Anfang des Jahres 2022 wird die Fläche des Gebäudes von eingangs 6.000 m² auf 11.500 m² nahezu verdoppelt – verteilt auf fünf Etagen. In den derzeit noch vollversiegelten Innenhof kommt ein Neubau. Dessen begehbare, 2.000 m² große Dachlandschaft wird parkähnlich gestaltet und mit einer Sky-Bar ausgestattet. So entsteht eine grüne Oase im Großstadtdschungel. Im Sommer 2027 soll alles fertig sein.
Das „Haus des Wissens“ ist ein Projekt der „Mission Innenstadt“, welche wiederum ein zentraler Baustein der „Bochum Strategie“ ist. Der Rat der Stadt hatte sie 2017 beschlossen. Somit hat dieser einen gesamtstädtischen Handlungsrahmen für die Zeit bis zum Jahr 2030 geschaffen. Im Rathaus spricht man von einem „Kompass, der den Weg zu einer positiven sozialen, wirtschaftlichen, demografischen und ökologischen Entwicklung Bochums weisen soll“.
Städtische Investitionen locken private Geldgeber
Damit dieser Kompass richtig ausschlägt, sind die Verantwortlichen an der Ruhr auch bereit, Geld in die Hand zu nehmen: Allein in die City investierten die Stadt Bochum und Akteure der freien Wirtschaft in den vergangenen Jahren mehr als 600 Mio. Euro.
Bochum hat einige Alleinstellungsmerkmale, mit denen die Stadt bereits seit langer Zeit punkten kann. Das bekannte Ausgehviertel „Bermuda3Eck“ und das beliebte Musik- und Kultur-Festival „Bochum Total“ sind Beispiele dafür.
Wer Ende 2024 durch die Bochumer Innenstadt spaziert ist, sah auch, dass es in Bochum vergleichsweise wenig Leerstand gibt. Man kommt an einigen Neubauten vorbei, wie dem Konzerthaus „Anneliese Brost Musikforum Ruhr“ oder dem zentral gelegenen Mixed-Use-Quartier „Husemann Karree“. Zu sehen gibt es aber auch weitere Orte in Entstehung, die den City-Mix aus Handel, Gastronomie, Wohnen und Kultur noch lebendiger machen sollen.
Rückblick: Ab 1960 entstand auf dem Gelände der ehemaligen Steinkohlenzeche „Dannenbaum“ im Stadtteil Laer ein riesiges Opel-Werk. Zu Hochzeiten arbeiteten an dem Standort 22.000 Beschäftigte. 52 Jahre lang haben sie Autos gebaut, insgesamt waren es 13 Millionen Fahrzeuge. 2014 fand die Produktion ein Ende. „Stirbt Opel, dann stirbt Bochum“, pflegte man lange Zeit zu sagen. Doch die Stadtverantwortlichen steckten nicht den Kopf in den Sand, sondern arbeiteten an einer Lösung. Und die hieß hier: MARK 51°7.
Heimat für Start-ups und DAX-Unternehmen
70 ha standen zur Verfügung. Eine solche Fläche für 10, 15 oder 20 Jahre brachliegen zu lassen, konnte man sich in Bochum nicht leisten. Im Rathaus formulierte man ein Ziel: Das frühere Werksgelände sollte zu einem Ort werden, an dem jungen Talenten und Hochschulabsolventen eine Perspektive in der Stadt geboten wird. Das ehemalige Opel-Werk sollte dabei ein Innovationsquartier mit Raum für Forschung, Gewerbe und Industrie werden. Im Juli 2015 übernahm die „Entwicklungsgesellschaft Bochum Perspektive GmbH“ das Gelände und begann mit der Sanierung des Industrieareals zu baureifen Grundstücken. Stadt, Universität und Unternehmen rückten zusammen und verfolgten ein gemeinsames Ziel. Die Arbeiten gingen mit beindruckender Geschwindigkeit voran. Bis Ende 2025, so sehen es die Förderrichtlinien vor, sollen alle Flächen entwickelt zur Verfügung stehen.
Großes Interesse bei Investoren
Als die Vermarktung der innenstadt- und universitätsnahen Flächen begann, zeigte sich schnell großes Interesse bei Investoren. Es war so groß, dass die Stadt lernen musste, auch einmal Nein zu sagen. Qualität statt Quantität war das Motto bei der Entwicklung. Mit Erfolg. Inzwischen zeichnet sich ab, dass 2026/2027, nach Abschluss aller Maßnahmen auf der Fläche, statt der zuletzt etwa 3.000 nun bis zu 13.000 Menschen arbeiten werden.
Auch der neue Name, MARK 51°7, kam bei den Bochumern gut an. Er leitet sich von den geografischen Koordinaten 51° nördliche Breite und 7° Grad östliche Länge ab. Des Weiteren von den Grafen von der Mark, die einst in Westfalen herrschten.
Zukunftsorientierter Branchenmix
Ende 2024 hatten sich in dem Quartier bereits fünf Forschungsinstitute und 28 Unternehmen angesiedelt. Der Branchenmix kann als vielfältig und zukunftsorientiert beschrieben werden. Zudem dürfte er zur Steigerung der Wirtschaftskraft in der Region beitragen. Es entsteht Beschäftigung und Arbeit in einem breiten Spektrum: von verarbeitender Industrie über Logistik und Dienstleistung bis hin zur Spitzenforschung. Zugleich stärkt das neue Innovationsquartier Bochums Ruf als Adresse für die Themen IT-Sicherheit und Automotive. Zwei Branchen, die hinsichtlich der Digitalisierung große Schnittstellen aufweisen und Synergien schaffen können.
Forschungszentren wie das Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre befinden sich in unmittelbarer Nähe zu international tätigen Unternehmen, wie der Bosch-Tochter ETAS, VW Infotainment und SCYSIS, einem IT-Dienstleister für Raumfahrttechnologie.
Im Gespräch mit Dr. Markus Bradtke
FOTO: Stadt Bochum
In jedem Wandel steckt eine Chance“, sagt Bochums Baudezernent Dr. Markus Bradtke. Im Interview spricht er u. a. über Leuchtturmprojekte der Stadtentwicklung, die Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung und Flexibilität beim Handeln.
Dr. Bradtke, Bochum ist eine Stadt im Wandel. Wie hat der Strukturwandel die Arbeitsweisen in der Stadtverwaltung verändert?
Markus Bradtke: Wir sind strukturierter, agiler und flexibler geworden, insbesondere mit Blick auf das interdisziplinäre Arbeiten. Da wir in Bochum in der Vergangenheit vielfältige Umbrüche erlebt haben, kann uns tatsächlich nicht mehr viel überraschen. Vor diesem Hintergrund ist die Fähigkeit, sich anzupassen, für uns gelebte Praxis, sie ist Teil unserer DNA geworden. Das manifestiert sich auch in unserer Marke: „Wissen, Wandel, Wir-Gefühl“. Und wenn wir nun sehen, wie sich Bochum in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat, dann sieht das sehr positiv aus. Das alles ist uns aber nicht zugefallen – das haben wir uns erarbeitet.
Konnten Sie bereits aus abgeschlossenen Projekten wertvolle Lehren für die Zukunft ziehen?
Ja. Dazu müssen Sie wissen: In Bochum haben wir eine enorme Gewerbeflächenknappheit, der Druck ist sehr groß. Wir haben also gelernt, dass man sich frühzeitig Gedanken über ein künftiges Nutzungskonzept machen muss, wenn sich abzeichnet, dass eine Fläche verfügbar wird. So haben wir es auch beim Abschied von Opel getan – und es hat sich wieder einmal bewahrheitet: Jeder Wandel ist eine Chance. Es hat sich ausgezahlt, dass wir bei der Entwicklung von „MARK 51°7“ sofort Vollgas gegeben hatten. So konnten wir hochkarätige Unternehmen und Forschungsinstitute vor allem aus der ITSecurity-Branche auf dem ehemaligen Opel-Gelände ansiedeln.
Wohin man auch hört, überall fällt der Satz: „Wir müssen die Bürger mit ins Boot holen.“ Blicken wir mal auf die Innenstadt: Welche Rolle hat die Bürgerbeteiligung beim Leuchtturmprojekt „Haus des Wissens“ gespielt?
Darauf hatten wir großen Wert gelegt. So gab es z. B. 2017 eine Bürgerkonferenz, zu der wir 371 Menschen eingeladen hatten – einen pro 1.000 Einwohner. Einen Tag lang haben wir diskutiert, wie es gelingt, Bochum weiter voranzubringen. Ein Resultat der Veranstaltung war, dass das „Haus des Wissens“ eine Markthalle bekommt. Auch bei weiteren Projekten lassen wir die Bürger mitreden, sowohl bei Veranstaltungen, aber auch im Internet. Es ist uns bewusst, dass wir trotz des Engagements manche Teile der Stadtgesellschaft nicht erreichen, dennoch helfen uns die Ergebnisse, ein möglichst breites Stimmungsbild zu entwickeln.
Die „Bochum Strategie“ ist für die Stadt „der Kompass ins Jahr 2030“. Inwiefern ist denn trotz dieser Strategie auch Flexibilität gefragt?
Die Grundzüge der „Bochum Strategie“ sind nach wie vor richtig, dennoch haben wir sie wiederholt moderat angepasst. Es ist ja so: In der Zeit von der Entwicklung einer Idee bis zu ihrer Umsetzung, dreht sich die Welt weiter. Aspekte wie die Anpassung der Stadt an die Folgen des Klimawandels, Nachhaltigkeitsthemen oder die Geschlechtergerechtigkeit haben wir daher im Laufe der Zeit stärker in den Fokus gerückt. So ist Bochum heute beispielsweise auch beim Umbau zur „Schwammstadt“ sehr fortschrittlich unterwegs.
Welche weiteren Maßnahmen sind angedacht, um Bochum auch über 2030 hinaus als lebenswerte und innovative Stadt zu positionieren?
Ideen sind mannigfach da. Die Wärmewende ist für uns z. B. ein wichtiges Thema. Wohnungswirtschaft, die Stadtwerke und die Stadtverwaltung ziehen dabei an einem Strang. Wir haben früh angefangen und sind nun schon in der konkreten Umsetzung. Zudem investieren wir viel Geld in den Ausbau des Radwegenetzes; um die Mobilitätswende voranzubringen, sind im Rathaus mehr als 20 Stellen zusätzlich geschaffen worden. Außerdem arbeiten wir an einer Steigerung der Aufenthaltsqualität in der Stadt. Dies gelingt u. a. mit der Sanierung und Neuanlage von Parks oder Spiel- und Sportplätzen. In den einzelnen Bezirken entstehen z. B. sogenannte „Pocket Parks“ – nachbarschaftliche Orte der Naturerfahrung. Dass das gut ankommt, zeigt sich auch daran, dass Bürger großes Interesse an diesen Projekten zeigen und sogar Patenschaften für diese Grünanlagen übernommen haben und sich um deren Pflege kümmern.
Das Gespräch führte Tobias Appelt.
Der Autor
Tobias Appelt
Tobias Appelt arbeitet als freier Journalist im Ruhrgebiet. Gemeinsam mit seinem Kollegen Denis de Haas führt er das „Redaktionsbüro Ruhr“ in Duisburg.