Recht & Steuern
Auswirkungen des § 14 BauGB auf den Wohnungsbau: Veränderungssperre
Text: Felix Machts | Foto (Header): © hykoe – stock.adobe.com
Hat eine Gemeinde beschlossen, einen Bebauungsplan aufzustellen, zu ändern oder aufzuheben, so kann sie zur Sicherung der Planung durch Satzung eine Veränderungssperre beschließen. Diese bewirkt, dass bestimmte wertsteigernde Veränderungen der Grundstücke nicht vorgenommen oder genehmigungsbedürftige bauliche Anlagen nicht errichtet oder geändert werden dürfen – wie etwa Wohngebäude. Doch welche Voraussetzungen gelten und welche Spielräume können genutzt werden?
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 4.2020
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Alle Inhalte des Beitrags auf einen Blick:
- Veränderungssperre einfach erklärt
- Welche Voraussetzungen im Baurecht gibt es nach § 14 BauGB?
- Wann ist eine Veränderungssperre unwirksam?
- Ausnahme und Verlängerung im Prozess der Baugenehmigung
Der Bauherr bestimmt Zeit, Ort und Ausführung des Bauvorhabens. Ein rechtlicher Rahmen für die Zulässigkeit und Gestaltung des Bauvorhabens kann von der Gemeinde vorgegeben werden. In Fällen, in denen die Planung der Gemeinde noch nicht abgeschlossen ist, können Konflikte zwischen der Umsetzung des Projekts und einer nicht abgeschlossenen Planung der Gemeinde entstehen. In diesem Konfliktbereich greift die Gemeinde regelmäßig auf die in § 14 Abs. 1 BauGB geregelte „Veränderungssperre“ und die in § 15 BauGB geregelte „Zurückstellung von Baugesuchen“ zurück, um bis zum Abschluss der Planung das Baugeschehen für einen gewissen Zeitraum zu unterbrechen. Der folgende Beitrag beleuchtet das in §§ 14 und 15 BauGB abgebildete Spannungsfeld zwischen der in Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Baufreiheit des Grundstückseigentümers, sein Grundeigentum entsprechend den bauplanungsrechtlichen Regelungen über die Zulässigkeit von Bauvorhaben zu bebauen, und der in Art. 28 Abs. 2 GG verbürgten kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinde.
Ein Bauherr erwirbt vor dem Hintergrund einer staatlich gepriesenen Forcierung und Unterstützung des Baus neuer Wohnungen (Stichwort: Nachverdichtung) ein Grundstück, um dort auf Basis des geltenden Planrechts aus einem baufälligen Einfamilienhaus ein neues Mehrfamilienhaus entstehen zu lassen. Vorab hat er sich im Hinblick auf das geltende Planrecht beraten lassen. Die geplante Bebauung, so die fachkundige Einschätzung, sei zulässig. Was passiert nun, wenn die Gemeinde und/oder einzelne Bürger der Gemeinde sich der geplanten Verdichtung im Wohngebiet entgegenstellen?
Die Ursachen solcher Konflikte können vielschichtig sein. Oft sind es auf der einen Seite einzelne Nachbarn und Bürgerinitiativen, die sich dagegen wehren, dass gerade in ihrer Nachbarschaft deren bisheriger Charakter – Einzelhäuser mit großen Gärten, gewerblich genutzte oder der Erholung dienende Innenhöfe – verloren zu gehen drohe. Auf der anderen Seite des Konflikts steht ein kleinerer oder größerer Investor, der das Grundstück vielleicht aus einem Nachlass erworben hat oder dieses zur eigenen Alterssicherung größer bebauen, selbst bewohnen und teilweise vermieten möchte. Oftmals erweisen sich ältere Bebauungspläne bei einer gerichtlichen Klärung als unwirksam. Die Auslegung, wann es sich bspw. um ein Einzelhaus handelt, hat sich im Laufe der Zeit und aufgrund der Fortentwicklung der Rechtsprechung weiterentwickelt. Heute kann ein Einzelhaus aus mehreren verbundenen Gebäuden bestehen. Damit einhergehende Spielräume versuchen Bauwillige zu nutzen. Welche Möglichkeiten hat die Gemeinde, das Projekt noch zu verhindern? Welches Vorgehen ist dem Bauherrn zu empfehlen, um die geplante Bebauung zu sichern?
Für einen begrenzten Zeitraum kann die Gemeinde eine Veränderungssperre gemäß § 14 BauGB beschließen und dadurch festlegen, dass weder bauliche Anlagen errichtet oder beseitigt noch wertsteigernde nicht genehmigungspflichtige Veränderungen an Grundstücken und baulichen Anlagen vorgenommen werden dürfen.
Aufgabe der Veränderungssperre ist es, die planerischen Ziele der Gemeinde zu sichern.1 Da die Gemeinde gemäß § 36 BauGB im Baugenehmigungsverfahren zu beteiligen ist, hat sie regelmäßig die Möglichkeit, die Veränderungssperre als Sicherungsinstrument einzusetzen. Auf sie kann auch zur Sicherung der Planung für den Fall der Neuinkraftsetzung eines fehlerhaften Bebauungsplans zurückgegriffen werden, ggf. sogar mit Rückwirkung (§ 214 Abs. 4 BauGB).2 Die Veränderungssperre ermöglicht es der Gemeinde, während der Planaufstellung Baumaßnahmen, Nutzungsänderungen oder wertsteigernde Veränderungen des Grundstücks zu unterbinden. Die Sperrwirkung verhindert konkrete Bauvorhaben und ist in allen Genehmigungsverfahren zu beachten.
Zurückstellung von Baugesuchen
Die in § 15 BauGB geregelte Zurückstellung von Baugesuchen ermöglicht es der Gemeinde, die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben bereits in einer der Veränderungssperre vorgelagerten Phase auszusetzen. Auf diese Weise kann gegebenenfalls die Zeit bis zu einer Veränderungssperre überbrückt werden. Anders als bei der Veränderungssperre wird dann das laufende Genehmigungsverfahren höchstens für ein Jahr ausgesetzt, nicht ein Bauantrag abgelehnt.
Voraussetzung für den Erlass einer Veränderungssperre ist, dass die Gemeinde den Beschluss gefasst hat, einen Bebauungsplan aufzustellen, zu ändern, zu ergänzen oder aufzuheben. Ein vorheriger Aufstellungsbeschluss (§ 2 Abs. 1 BauGB) ist für die Wirksamkeit einer Veränderungssperre konstitutiv, d. h., eine trotz Fehlens eines Aufstellungsbeschlusses beschlossene und als Satzung bekannt gemachte Veränderungssperre ist nichtig.3 Wie auch der Bebauungsplan, wird die Veränderungssperre als Satzung beschlossen und ist zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 16 BauGB öffentlich bekannt zu machen. Als Reaktion auf die Coronakrise hat der Gesetzgeber am 20.05.2020 das Gesetz zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Genehmigungsverfahren während der COVID-19-Pandemie (Planungssicherstellungsgesetz – PlanSiG) verabschiedet. Danach reicht neben der Bekanntmachung in einem Druckerzeugnis aufgrund der befristeten Regelungen vorübergehend eine Bekanntmachung im Internet aus.4
Von der Veränderungssperre betroffene Grundstücke müssen bestimmt oder bestimmbar sein. Wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Veränderungssperre ist, dass diese zur Sicherung der Ziele des Planaufstellungsverfahrens aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist. Zum Zeitpunkt ihres Erlasses muss daher der Inhalt der beabsichtigten Planung bereits in einem Mindestmaß bestimmt und absehbar sein. Sie ist am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Unzulässig ist insbesondere die sog. reine „Verhinderungsplanung“. Eine Gemeinde darf jedoch nach der differenzierten Rechtsprechung „ein konkretes Bauvorhaben zum Anlass nehmen, Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung zu ergreifen, wenn sie mit der negativen Zielvorstellung zugleich hinreichend konkretisierte positive Planungsabsichten verbindet“5 (siehe Kasten unten).
Auch zur Sicherung der Aufhebung eines Bebauungsplans ist eine Veränderungssperre möglich.6 Die nachträgliche Heilung einer fehlerhaften Veränderungssperre ist nicht möglich, d. h., fehlen konkrete Planvorstellungen bei Erlass der Veränderungssperre, ist diese von Anfang an unwirksam.7
Als Sicherungsinstrument scheidet eine Veränderungssperre aus, wenn sich das aus dem Aufstellungsbeschluss ersichtliche Planungsziel im Wege planerischer Festsetzungen nicht erreichen lässt. So hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig eine Veränderungssperre für unwirksam erklärt, die anknüpfend an den Aufstellungsbeschluss eines sog. „Bürgerwindparks“ erlassen worden war, der ausschließlich Windkraftanlagen zulassen sollte, die durch eine Gesellschaft betrieben werden, an der die Gemeinde beteiligt ist und die allen Bürgern der Gemeinde zur Beteiligung offen stehe. Reine „Investoren-Modelle“ ohne Einbeziehung der örtlichen Bevölkerung sollten dadurch ausgeschlossen werden. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig entschied, eine subjektive Beschränkung des potenziellen Vorhabenträgers sei mangels „bodenrechtlicher und damit städtebaulicher Relevanz“ nicht zulässig; die einhergehende Veränderungssperre sei daher unwirksam.8
Gemäß § 17 BauGB tritt die Veränderungssperre nach zwei Jahren außer Kraft. Die Gemeinde kann sie um ein Jahr und unter gewissen Voraussetzungen ein weiteres Jahr verlängern oder nach Außerkrafttreten neu beschließen. Bei längerer Dauer als vier Jahren ist der Betroffene für entstandene Vermögensnachteile angemessen in Geld zu entschädigen.
Eine Ausnahme von der Veränderungssperre kann gemäß § 14 Abs. 2 BauGB nur zugelassen werden, wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Erst nach einer entsprechenden Interessenabwägung kann die Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde über eine Ausnahme im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens entscheiden.
Vor Inkrafttreten der Veränderungssperre baurechtlich genehmigte Vorhaben werden von der Veränderungssperre nicht berührt; eine vorher erteilte Baugenehmigung bleibt also wirksam. Damit wird der in Art. 14 GG verfassungsrechtlich gesicherte Bestandsschutz gewährleistet. Dazu zählen insbesondere auch die im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung sowie der Bauvorbescheid als vorweggenommener Teil der Baugenehmigung. Auch die Fortführung einer bisher ausgeübten Nutzung bleibt zulässig.
Infolge des Inkrafttretens einer wirksamen Veränderungssperre entfällt der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung. Ein entsprechender Antrag wäre abzulehnen.
Die Veränderungssperre kann im Wege der abstrakten Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO vor den Oberverwaltungsgerichten überprüft werden, ggf. auch im Eilverfahren. Daneben besteht die Möglichkeit einer inzidenten Überprüfung vor den Verwaltungsgerichten im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer beantragten und zuvor abgelehnten Baugenehmigung oder eines Bauvorbescheids.
Taktisches Vorgehen des Bauherrn
Bereits vor dem Erwerb von Grundeigentum besteht die Möglichkeit, mit Zustimmung des aktuellen Eigentümers einen Bauvorbescheid oder eine Baugenehmigung zu beantragen. Ergeht ein solcher Bescheid – in vielen Bundesländern gilt eine Baugenehmigung als erteilt, wenn die Behörde nicht innerhalb einer bestimmten Frist nach Eingang der vollständigen Unterlagen den Antrag beschieden hat –, so hat dieser wie ausgeführt „Bestandskraft“ und gilt auch dann fort, wenn später von der Gemeinde eine Veränderungssperre beschlossen wird. Der potenzielle Bauherr und Investor kann sich auf diesem Wege seine Rechte also frühzeitig sichern.
Beispiel OVG Lüneburg
In dem vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschiedenen Fall wendet sich die Bauherrin gegen die Zurückstellung ihres Antrags auf Genehmigung eines Wohnhauses mit fünf Wohneinheiten. Die Gemeinde hatte aufgrund des konkreten Vorhabens einen Beschluss über die Aufstellung einer Änderung des Bebauungsplans gefasst, da das von der Antragstellerin zur Genehmigung gestellte Gebäude nicht in die vorhandene Siedlungsstruktur passe und den städtebaulichen Zielen gänzlich widerspreche.
Der geltende Bebauungsplan lasse eine Grundflächenzahl von 0,4 sowie eine Geschossflächenzahl von 0,7 zu und enthalte keine Höhenbegrenzung. Daher sei es möglich „sehr großteilige Strukturen“ zu errichten. Dies entspreche weder den gewachsenen kleinteiligen Strukturen noch den städtebaulichen Entwicklungszielen für ein kleines
Stadtrandquartier. Aus diesem Grunde solle der Bebauungsplan geändert und ein verträgliches Maß erreicht werden, das eine behutsame Nachverdichtung ermögliche.
Das Oberverwaltungsgericht sah eine unzulässige Grenze zur reinen „Negativ-/Verhinderungsplanung“ nicht als überschritten an. Dies sei erst dann der Fall, wenn sich die Planungsabsichten darin erschöpften, ein Vorhaben ohne Interesse an der Umsetzung eines positiven Nutzungskonzepts zu torpedieren. Als positiv in diesem Sinne sei eine Planung auch dann noch einzustufen, wenn sie mehr auf Bewahrung denn auf Veränderung der vorhandenen Situation ziele. Die Gemeinde verfolge nicht allein die Absicht, das Vorhandene im Sinne eines Einfrierens des Status quo zu bewahren, sondern ziele darüber hinaus auf eine „behutsame Nachverdichtung“ ab.
Der Autor
Felix Machts
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Tätig in der in Hamburg-Blankenese ansässigen Kanzlei Hauenschild, Schütt, Wünsche & Machts. Spezialisiert auf das öffentliche Baurecht sowie das Recht der Schulen in freier Trägerschaft.