Recht & Steuern
Nachhaltiges Bauen mit BIM: Normen und Standards als Leitplanken
Text: Philipp Albrecht | Foto (Header): © PARRADEE – stock.adobe.com
Klar ist, dass alle Branchen ihren Beitrag für mehr Ressourcenschutz und weniger CO₂-Emissionen leisten müssen. Dem Bausektor kommt als großer Ressourcenverbraucher und als eine der Schlüsselbranchen Deutschlands dabei eine wichtige Rolle zu. Die Methode Building Information Modeling (BIM) in Kombination mit Normen und Standards rund um wiederverwendbare Materialien kann hierzu einen Beitrag leisten.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 3.2024
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Inhalte des Beitrags
Mit gut 2,6 Mio. Erwerbstätigen im Jahr 2023, den 82.700 Unternehmen im Bauhauptgewerbe (2022) sowie vielen weiteren Betrieben im Ausbaugewerbe ist die Bauwirtschaft einer der größten Wirtschaftsbereiche Deutschlands. Dabei weist der Wohnungsbau nach Berechnungen des DIW Berlin den höchsten Anteil des Bauvolumens auf (58 % im Jahr 2022), gefolgt vom Wirtschaftsbau und dem öffentlichen Bau.
Wird der Bausektor nachhaltiger, kann das somit eine enorme Hebelwirkung haben. Das zeigt sich ebenfalls beim Blick auf die Bau- und Abbruchabfälle: Im Jahr 2021 machten diese hierzulande mit rund 222 Mio. Tonnen den Großteil (53,9 %) des Brutto-Abfallaufkommens aus. Dieser Abfallgruppe (einschließlich Straßenaufbruch) kommt laut Umweltbundesamt deshalb eine Schlüsselrolle für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft zu. Ein vielversprechender Ansatz ist das Denken in Kreisläufen: Das Gebäude von heute soll als Ressource für das Gebäude von morgen dienen – Fachleute sprechen vom Konzept der Zirkularität. Die Methode Building Information Modeling (BIM) in Kombination mit Normen und Standards rund um wiederverwendbare Materialien kann hierzu einen Beitrag leisten. Auch für die Erstellung von Ökobilanzen von Gebäuden spielt beides eine Rolle.
Um nachhaltiger zu bauen und dabei Rohstoffe im Kreis zu führen, braucht es Daten: Nur wenn bekannt ist, wo welche wiederverwendbaren Materialien in einem Gebäude verbaut sind, lassen sich diese nach Abbruch wiederverwenden. Für Architekten, Ingenieure und Planer stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie sich die dazu erforderlichen Daten ermitteln lassen. Hier kommt BIM ins Spiel: Die Methode unterstützt nicht nur bei der Planung von Gebäuden – ins BIM-Modell können auch umweltrelevante Informationen mit Bezug auf die Bauphase, Bewirtschaftung oder auf den Rückbau des Gebäudes einfließen. Das sind beispielsweise Daten zur Energieeffizienz der technischen Gebäudeausrüstung, aber ebenso Angaben zu den verwendeten Baustoffen wie Stahlbeton oder Holz. Informationen zu den verbauten Materialien sind wichtig, um die Stoffe beim Rückbau für die Wiederverwendung zu trennen. Relevant ist außerdem, wie viel CO₂ in den Baustoffen gebunden ist. Wer diese und weitere Daten zur Nachhaltigkeit direkt aus dem BIM Gebäudemodell abrufen kann, tut sich leichter damit, etwa Aussagen zur Energieeffizienz des Objekts zu generieren und im Sinne der EU-Taxonomie-Verordnung Gebäuderessourcenpässe und Ökobilanzen zu erstellen. So lässt sich schnell und transparent nachweisen, wie nachhaltig ein Gebäude ist – idealerweise entlang des kompletten Lebenszyklus von der Errichtung über die Bewirtschaftung bis zum Rückbau.
Für BIM-Anwender stellt sich dabei die Frage: Wie lassen sich solche umweltbezogenen Daten schnell und einfach im BIM-Gebäudemodell hinterlegen? Das gelingt mit der DIN BIM Cloud, die das Deutsche Institut für Normung (DIN) entwickelt hat und die über www.din-bim-cloud.de nutzbar ist. Die am Bau beteiligten Akteure können die Informationen aus der DIN BIM Cloud während aller Lebensphasen eines Gebäudes als Wissensbasis nutzen. Die Online-Lösung verwendet die Daten von STLB-Bau (Standardleistungsbuch für das Bauwesen) als Grundlage. Die Informationen können direkt in der Software mit dem BIM-Modell verknüpft werden.
Normen und Standards sind an vielen weiteren Stellen rund um kreislaufgerechtes Bauen erforderlich. Grundsätzlich machen sie komplexe Themen und abstrakte Begriffe wie Nachhaltigkeit im Bauwesen greifbarer. Außerdem schaffen sie die Grundlage für das digitale BIM-Modell und verbessern die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure – z. B. Architekt, Fachplaner, Bauunternehmen – durch den einfachen Austausch von eindeutigen Informationen und durch strukturierte Prozesse. Um BIM einheitlich einsetzen zu können und in der Bau- und Immobilienbranche weltweit zu etablieren, sind daher nationale, europäische und internationale Normen unabdingbar. Darüber hinaus legen Normen und Standards Anforderungen an recyclingfähige Bauprodukte und eindeutige Materialklassifizierungen für Hersteller und Recycler fest. Normung trägt außerdem dazu bei, standardisierte Methoden zu etablieren, die Leistungen und Produkte im Bereich des zirkulären Bauens vergleichbar machen. Grundsätzlich steht in der Normung der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes im Fokus, von der Herstellung über den Bau und die Nutzungsphase bis zum Rückbau. Das lässt sich anhand einiger Beispiele veranschaulichen: DIN EN 15804 thematisiert die Deklaration der Umwelteigenschaften von Bauprodukten. Dagegen behandeln Produktnormen wie DIN EN 197-6, die sich mit Zement mit rezyklierten Baustoffen befasst, die technischen Eigenschaften von Bauprodukten aus rezyklierten Rohstoffen. Auch für rezyklierte Gesteinskörnung aus Altbeton, mit der sich wieder Beton herstellen lässt, gibt es mit der DIN EN 12620 eine entsprechende Norm, die Eigenschaften und Anforderungen an das Material festlegt – Altbeton wird vom Abfall zum Produkt.
Allerdings fehlen noch viele Regeln, insbesondere für den „Rücklauf“ im Kreislauf: für Rückbau und Verwertung, für Produkte aus Sekundärrohstoffen sowie entsprechende Bemessungsregeln. Die bisher genormten und standardisierten, und damit etablierten Produkte und Bauweisen, basieren zu einem Großteil auf linearem Wirtschaften und sind nicht auf eine Kreislaufwirtschaft ausgerichtet. Das haben die gut 550 Experten festgestellt, die die Deutsche Normungsroadmap Circular Economy im Auftrag von DIN, Deutscher Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE) und dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) erarbeitet haben. Auch wenn es hier noch einen gewissen Standardisierungsbedarf gibt, wurden bereits erste Schritte unternommen. Mit der DIN SPEC 91484 wurde ein DIN-Standard veröffentlicht, der ein Verfahren zur Erfassung von Bauprodukten als Grundlage für Bewertungen des Anschlussnutzungspotenzials vor Abbruch- und Renovierungsarbeiten (Pre-Demolition-Audit) beschreibt.
Normungsroadmap BIM als Fahrplan
Um das Potenzial des modellbasierten Bauens – auch im Sinne einer nachhaltigeren Bauweise – voll ausschöpfen zu können, haben rund 70 Experten verschiedener Branchen zusammen mit DIN, VDI, buildingSMART Deutschland e. V. und BIM Deutschland die Normungsroadmap BIM erarbeitet. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat das Gemeinschaftsprojekt gefördert. Die Roadmap legt die künftige strategische Ausrichtung der Normung und Standardisierung im Bereich BIM fest, die erste Version des Dokuments wurde bereits im November 2021 veröffentlicht. Ziel der Roadmap ist es, Voraussetzungen für die breite Anwendung von BIM in der Praxis aufzuzeigen. Zudem gibt sie einen Überblick über bestehende BIM-Normen und -Standards und betrachtet, wie Baunormen „BIM-fähig“ werden. Das Dokument formuliert insbesondere Handlungsempfehlungen für die Normung und Standardisierung im Bereich BIM – derzeit werden diese Handlungsempfehlungen mit interessierten Experten umgesetzt. Die Roadmap wird als lebendes Dokument regelmäßig aktualisiert, um sich ändernde Anforderungen zu berücksichtigen. Sie fokussiert im Wesentlichen auf die folgenden Themenblöcke:
— Organisatorische Aspekte der BIM-Normung
— BIM-Anwendungsfälle
— Smart Standards
— Konzeptionelle Normungsstrategie und modulare Normungslandschaft
— Verknüpfung von BIM mit weiteren Bereichen der digitalen Transformation
Einige beispielhafte Handlungsempfehlungen: Unter anderem schlagen die beteiligten Experten eine umfassende Digitalisierung der Attribute und Merkmale in Baunormen sowie die Erstellung einer herstellerneutralen, elektronischen Bauteilobjektdatenbank vor. Mit der DIN BIM Cloud wurde bereits eine Informationsdatenbank veröffentlicht, die zumindest herstellerneutrale Merkmale und Attribute zu Bauteilen bereitstellt. Um aktuelle und kommende Normen und Standards BIMfähig zu machen, raten die Experten dazu, deren Inhalte künftig maschinenlesbar und maschinenausführbar zu gestalten. Darüber hinaus soll sich die BIM-Normung und -Standardisierung noch stärker an BIM-Anwendungsfällen orientieren, um neue Normungsthemen anhand von konkreten Prozessen und Abläufen zu identifizieren. So wird bereits vor Normenerstellung gewährleistet, dass praktische Relevanz für Anwender besteht.
Nachhaltigkeit ist in der Normungsroadmap ebenfalls Thema, so schreiben die Autoren: „Die Verknüpfung von geometrischen Objekten und semantischen Informationen in BIM mit Informationen und Daten der Nachhaltigkeit bietet ein großes Potenzial, um die nachhaltige Qualität von Bauwerken, z. B. die Umweltwirkung von Gebäuden, über alle Lebenszyklusphasen effizient zu ermitteln und transparent darzustellen.“ Die Roadmap thematisiert dieses Potenzial von der Konzeption und Planung über Errichtung und Nutzung bis zum Rückbau von Gebäuden. Das Fazit: „Dieses Potenzial lässt sich ideal für eine frühe, effiziente Optimierung der nachhaltigen Qualität von der Quartiers- bis hin zur Bauproduktebene nutzen.“ Wer den Kreis der Experten ergänzen will, die derzeit die Handlungsempfehlungen der Normungsroadmap BIM umsetzen, kann sich jederzeit an DIN wenden – auf der Plattform DIN.ONE finden Interessierte dazu alle Informationen. Dort lassen sich auch die aktuellen Fortschritte bei der Verstetigung der Handlungsempfehlungen einsehen.
Der Autor
Philipp Albrecht
Philipp Albrecht beschäftigt sich bereits seit zehn Jahren mit der Standardisierung von Innovationen. Seit 2020 verantwortet er das Strategische Themenfeld Building Information Management bei DIN. In dieser Funktion identifiziert er gemeinsam mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik neue Themen und Projekte für die Normung und Standardisierung. Hierbei ist die Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette wichtig – von der Initiierung eines neuen Themas über die Erstellung von Normen und Standards bis zu deren Anwendung. Philipp Albrecht hat Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Innovationsmanagement in Karlsruhe und Dresden studiert.
www.din.de/go/bim