Realisierte Objekte
Mehrgenerationenwohnen in Stuttgart: Baugruppenhäuser am Park
Text: Henning Ehrhardt | Foto (Header): © DAVID FRANCK
Der Killesberg gehört zu den schönsten Naherholungsgebieten Stuttgarts. Am Rande des Höhenparks haben Bottega + Ehrhardt Architekten im Zuge eines Bewerbungsverfahrens für Baugruppen mit einem architektonisch stimmigen Entwurfs- und dazugehörigem nachhaltigen Energiekonzept gemeinschaftliches Wohnen in insgesamt 12 Wohnungen realisiert.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 5.2019
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Die Wohnhäuser BF30 sind das Ergebnis einer selbst iniziierten Baugruppe, die am Killesberg im Stuttgarter Norden eine moderne und nachhaltige Form des Mehrgenerationenwohnens abbilden. Ausgangspunkt war eine größere städtebauliche Neustrukturierung des ehemaligen Messeareals der Stadt Stuttgart auf dem Killesberg, die aufgrund der sinnvollen Umsiedlung der Messe auf ein wesentlich größeres, ebenes Areal mit Expansionspotenzial auf den Fildern in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stuttgarter Flughafen möglich wurde. Nach drei städtischen Wettbewerbsverfahren entstanden auf den Flächen eines alten Kongresszentrums und der alten, zum Teil unterirdischen Messehallen neue Bebauungsstrukturen und Landschaftsräume. Zentrales Element bildet dabei ein neuer, mit seinen geschwungenen Wegen und erhöhten Rasenkissen konzeptionell überzeugend gestalteter Parkzugang von der Straße und der Stadtbahnhaltestelle aus zum bestehenden und beliebten Höhenpark Killesberg. Flankiert wird dieser von zwei neuen Baugebieten. Zum einen der Killesberghöhe im Osten, einem neuen Quartierszentrum mit Laden- und Gewerbeflächen sowie zahlreichen Wohnungsbauten. Dieses kann durch seine Architektursprache, die sich einem einheitlichen Material- und Farbkanon unterordnet, als homogenes, durchaus urbanes Stadtquartier mit eigener Identität überzeugen. Zum anderen durch ein neues Einfamilienhausgebiet im Westen, welches die lockere Bebauung der angrenzenden Wohngebiete weiterführen soll. Dieses soll mit 4-geschossigen Wohnungsbauten einen räumlichen Abschluss in Form einer starken baulichen Kante zum Park hin ausbilden und das Pendant zur gebauten Kante des gegenüberliegenden Quartierszentrums darstellen.
Im Bebauungsplan wurden dafür drei Grundstücke vorgesehen, in denen fünf mehrgeschossige Gebäude entstehen sollten. Diese sollten sich jeweils der Topografie folgend um einen Meter abstaffeln und aufgrund unterschiedlicher Bautiefen einseitig zueinander versetzen. Die Stadt Stuttgart reservierte 2010 diese drei Grundstücke für Baugruppen, welche in einem auch für die Stadt noch neu zu erprobenden Bewerbungsverfahren ermittelt wurden. Eine Bewertungskommission der Stadt mit Architekten und Stadtplanern beurteilte die Bewerbungsunterlagen nach drei Kriterien unterschiedlicher Wichtung, ehe sie dem Stuttgarter Gemeinderat eine Empfehlung aussprach, welche Baugruppe man für welches Grundstück favorisieren würde. Gefordert wurden in der Bewerbung ein architektonisch stimmiges Entwurfskonzept mit einem dazugehörigen, nachhaltigen Energiekonzept, ein soziales Gruppenkonzept über die Zusammensetzung der Baugruppenmitglieder sowie ein Kaufpreisgebot, basierend auf einem Mindestverkehrswert für das Grundstück.
Im Sommer 2011 wurde dann erfreulicherweise unsere Baugruppenbewerbung für das Baufeld Nr. 30 ausgewählt, und nachdem in nahezu unveränderter Zusammensetzung die Baugruppenmitglieder auf die 12 Wohnungen verteilt und die einzelnen Baufinanzierungen geklärt waren, konnte der Kaufvertrag mit der Stadt abgeschlossen werden. Zeitnah wurde der Bauantrag für die beiden Wohnhäuser BF30 eingereicht. Der Baustart der Häuser erfolgte im Juni 2012 und die Fertigstellung im Dezember 2013.
Die beiden Baukörper verfügen insgesamt über 12 unterschiedlich große Wohnungen, die individuell auf die einzelnen Baugruppenmitglieder zugeschnitten sind: von der fünfköpfigen Familie bis zum Single, zudem bei drei Familien in der jeweiligen Kombination mit der eigenen Elterngeneration, sodass ein real gelebtes Mehrgenerationenwohnen entstehen konnte.
Eine Tiefgarage mit 22 Stellplätzen, die am tiefsten Punkt des Grundstücks von der Reinhold-Nägele-Straße aus erschlossen wird, verbindet die beiden Baukörper unterirdisch und bindet barrierefrei an die beiden Treppenhäuser mit ihren Aufzügen an. Die natürlich belüftete Garage verfügt über einen großen Fahrradraum, und sämtliche Stellplätze wurden mit Starkstromsteckdosen für die E-Mobilität ausgestattet.
Neben den individuellen Kellerräumen entstanden zwei gemeinschaftliche Räume, die zum einen als Geräte- und Abstellraum für die gemeinschaftliche Dachterrasse und den gemeinschaftlichen Gartenbereich, zum anderen als ein Multifunktionsraum dienen. Dieser transitorische Raum wird derzeit als Werkstatt genutzt, kann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt auch zu einem Sauna- und Ruhebereich umgewandelt werden.
Das Angebot der Gemeinschaftsflächen setzt sich im Erdgeschoss fort. Dort gibt es eine zentrale, gemeinschaftliche Garten- und Spielzone mit angegliedertem Sandkasten und zusätzlich eine großzügige Dachterrasse mit angegliederter Außenküche, die im Baukörper über Schiebetüren integriert ist.
Die beiden Wohnhäuser besetzen die im Bebauungsplan exakt vorgegebenen Baufelder und bilden die harte, räumliche Kante zum angrenzenden Höhenpark Killesberg. Der nördlichere, größere Baukörper mit einer Kantenlänge von 12,80 m × 25,00 m beinhaltet sieben Wohnungen, der südlichere, kleinere Baukörper mit einer Kantenlänge von 14,75 m × 13,20 m fünf Wohnungen. Sämtliche Wohnungen orientieren sich mit ihren raumhoch verglasten Wohnräumen und ihren Balkonen und Terrassen nach Osten gen Park, während die Schlafräume mit Bandfenstern weitestgehend auf das angrenzende, leider in seiner architektonischen Qualität weniger erbauliche Einfamilienhausneubaugebiet orientiert sind. Unter Wahrung einer homogenen äußeren Gestalt, die die Zusammengehörigkeit beider Baukörper als ein Ganzes kennzeichnen sollte, wurden verschiedenste Wohnungstypen, zugeschnitten auf unterschiedliche Bedürfnisse und Lebenssituationen, entwickelt.
Großes Bauvolumen auf kleinem Grundstück
Die Grundfläche beider Baukörper von 515 m² entspricht der zulässigen GRZ (Grundflächenzahl) von 0,4 auf dem ca. 1.300 m² großen Grundstück. Die drei Vollgeschosse sowie die Dachgeschosse, welche maximal 75 % der darunterliegenden Geschossfläche einnehmen durften, ergaben eine gesamtheitliche Geschossfläche von 1.525 m², was der zulässigen GFZ (Geschossflächenzahl) von 1,2 entsprach. Diese baurechtlichen Festsetzungen, die ein vergleichsweise großes Bauvolumen auf einem kleinen Grundstück ermöglichten, trugen wesentlich dazu bei, ein für eine Baugruppe wirtschaftliches und finanzierbares Wohnen abbilden zu können. In Summe konnten ca. 1.500 m² Wohnfläche in beiden Gebäuden realisiert werden.
Während die Erdgeschosswohnungen jeweils über große Gartenterrassen verfügen, erhielten die Etagenwohnungen großzügige, markante Übereck-Loggien in Kombination mit auskragenden Balkonen. Großzügige Dachterrassen bilden die jeweiligen Außenräume der Penthauswohnungen, wobei die größte Dachterrasse der Gemeinschaft vorbehalten ist. Mit einer geschützten, kleinen Außenküche sowie einem extra WC, gemeinschaftlichem Grill und Mobiliar bietet es ausreichend Raum für Feste und Begegnungen.
Im Rahmen einer stringenten Grundrissplanung aller Wohnungen, insbesondere hinsichtlich der Positionierung von Sanitärzellen und Versorgungsschächten, konnten die Mitglieder der Baugruppe individuelle Modifikationen innerhalb der Wohnungen vornehmen. So war auch der Innenausbau hinsichtlich der Materialisierung den einzelnen Baugruppenmitgliedern freigestellt und trug im positiven Sinne zur Vielfalt der Wohnungen bei.
Die Fassadengestaltung und Materialauswahl unterlag hingegen ausschließlich uns Architekten. Die klare kubische Formensprache und die Fassade aus Eternitplatten tragen entscheidend zur prägnanten Gestalt der Gebäude bei. Die homogenisierende Materialität verstärkt das Zusammenspiel der beiden Wohnhäuser einer Gemeinschaft und verleiht ihnen eine starke, eigene Identität. Die Haut aus geschliffenen, betongrauen Eternitplatten erzeugt mit ihren changierenden Oberflächen eine sich ständig wechselnde Lebendigkeit der kubischen Volumetrien, deren Plastizität zudem durch die tief eingeschnittenen Loggien in Kombination mit Balkonen und den allseitigen Dachterrasseneinschnitten verstärkt wird.
Die vorgehängte und hinterlüftete Eternitfassade ermöglichte das gewünschte, monolithische Erscheinungsbild der Baukörper, da sie die Integration funktionaler Elemente wie außen liegender Raffstoren, Lüftungsöffnungen und -auslässe erlaubt und zudem eine langlebige, robuste und somit nachhaltige Fassade darstellt.
Das Fugenbild und die Einteilung der Plattengrößen ergaben sich dabei aus den Anschlusshöhen der Fenster und der massiven Brüstungen. Dadurch entstanden konsequent umlaufende, horizontale Fugen und saubere Plattenzuschnitte. Die jeweiligen Vertikalfugen wurden versetzt gewählt, um ein flächigeres Erscheinungsbild zu erhalten. Um die Homogenität und Plastizität der Baukörper zu stärken, wurden sämtliche Brüstungen sowie die Untersichten der Loggien ebenfalls mit Eternit verkleidet. In den seitlichen Fassaden des kleineren Baukörpers thematisieren große, zweigeschossige Fenster mit textilem Sonnenschutz die erdgeschossigen Maisonettewohnungen und deren dahinterliegenden Lufträume. Ansonsten prägen horizontale Fensterbänder die seitlichen Ansichten, während die großflächigen, raumhohen Fenster die Parkfassaden charakterisieren.
Ein umlaufendes Heckenband aus immergrünem Liguster verbindet den Außenraum der Gebäude und markiert das rechteckige Grundstück. Formal darin eingebunden sind die Tiefgaragenabfahrt aus Sichtbeton sowie der gemeinsame Eingangsbereich am Vorplatz der Reinhold-Nägele-Straße. Eine Betonstele bildet die Hausnummern ab, und ein metallisches Gartentor bildet den Auftakt zu der mit großformatigen Betonplatten ausgeführten Erschließung der beiden Hauseingänge und Treppenhäuser. Eine metallische Einhausung am Eingang nimmt die Müllcontainer auf und sorgt dafür, dass diese sauber aufgeräumt sind und den öffentlichen Raum des Wohnquartiers nicht zergliedern und zustellen.
Beide Häuser werden über ein zentrales Biogas-Blockheizkraftwerk im Contractingverfahren versorgt. Sämtliche Wohnungen besitzen Fußbodenniedertemperaturheizungen und dezentral geregelte und kontrollierte Be- und Entlüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung. Die spätere Ausführung einer Photovoltaikanlage auf den extensiv begrünten Flachdächern ist bereits vorinstalliert.
Die Häuser entsprechen als Energieeffizienzhäuser dem Energiestandard KfW 40 und verpflichten sich in Energie- und aterialkonzept voll und ganz dem nachhaltigen Bauen.
Projektdetails
Bauherr Baugruppe Think Green |
Primärenergiebedarf 25,2 kWh/m²a |
Fertigstellung 2013 |
Spez. Transmissionswärmeverlust 0,262 W/(m²K) |
Anzahl der Wohnungen 12 Wohnungen von 70 bis 165 m² |
Energiebedarf 32,8 kWh/m²a |
Wohnfläche insgesamt 1.480 m² |
Energieversorgung Zentrales Blockheizkraftwerk im Contractingverfahren |
Geschossfläche (inkl. TG) 2.670 m² |
Der Autor
Henning Ehrhardt
Architekt
Das Architekturbüro Bottega + Ehrhardt Architekten wurde 1998 von Giorgio Bottega und Henning Ehrhardt (Bild re.) gegründet. Seitdem konnte das Büro mit engagierten Mitarbeitern, aufgeschlossenen Bauherren und guten Handwerkern zahlreiche qualitätsvolle architektonische Projekte realisieren, die immer wieder auch publiziert und prämiert wurden. In ihrem Loftbüro im Stuttgarter Westen arbeiten sie in der gesamten Bandbreite der Architektur: im Hochbau, im Interiordesign, im Messebau und im Möbeldesign.
www.be-arch.com