Energie, Technik & Baustoffe
Mediatektur für einen demokratischen Stadtraum: Integration von Medien in die Architektur
Text: Prof. Nikolaus Hafermaas | Foto (Header): © Henri Koskinen – stock.adobe.com
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, in der sich unsere physischen Erfahrungen immer enger mit digitalen Werkzeugen verknüpfen. In einer Welt, die zunehmend von digitalen Technologien geprägt ist, müssen wir daher auch unsere urbanen Räume neu denken. Mediatektur, die Integration von Medien in die Architektur, bietet eine transformative Möglichkeit, den urbanen Raum demokratischer und inklusiver zu gestalten.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 1.2024
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Doch warum sehen wir – abgesehen von digitalen Billboards à la Times Square – noch nicht häufiger eine mediale Gestaltung von Fassaden, die die Gemeinschaft stärkt? Die Antwort liegt häufig in der fehlenden Monetarisierbarkeit. Dieser Gastbeitrag untersucht, wie gemeinnützige Unternehmen und die Stadt selbst eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Mediatektur zum Wohle der Gemeinschaft spielen können.
Technologie, Architektur und Interaktion
Mediatektur ist mehr als die Integration von Bildschirmen in Gebäudefassaden. Sie steht für die Verschmelzung von Architektur, Technologie und sozialer Interaktion. Dabei bieten innovative dynamische Materialien revolutionäre Gestaltungsmöglichkeiten für energieeffiziente Medienfassaden, die nahtlos mit der Architektur verschmelzen.
Durch den Einsatz von Medien wird der öffentliche Raum zu einer dynamischen Plattform, die die Bedürfnisse und Werte der Gemeinschaft widerspiegelt. Bisher haben künstlerische und kulturelle Projekte in diesem Bereich eine Vorreiterrolle gespielt, da sie weniger kommerziellen Zwängen unterliegen.
Mediatektur bietet nicht nur die Möglichkeit, Städte ästhetisch zu verbessern, sondern auch die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, zu revolutionieren. Durch transparente Kommunikation im urbanen Raum können Städte zu offenen, inklusiven und informierten Gemeinschaften werden. Dies erfordert nicht nur technologische Innovation, sondern auch eine proaktive Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltungen und Entwicklern, Technologieexperten und Architekten, Bürgern und Kulturschaffenden.
Die Einführung von Mediatektur als Werkzeug für transparente Kommunikation eröffnet eine aufregende Ära der Bürgerbeteiligung und informierten Entscheidungsfindung. Städte, die sich auf diesen Weg begeben, werden nicht nur ihre eigene Geschichte und Kultur präsentieren, sondern auch eine Plattform schaffen, auf der Gemeinschaften wachsen, lernen und sich austauschen können. Mediatektur ist daher nicht nur eine architektonische Innovation, sondern ein Schlüssel zur Schaffung lebendiger, offener und transparenter städtischer Räume.
Visuelles Storytelling: Mediatektur bietet die Möglichkeit, visuelle Geschichten zu erzählen. Städte können mit Licht, Grafik und Animation ihre Identität präsentieren und kulturelle, historische oder soziale Inhalte auf innovative Weise vermitteln.
Information in Echtzeit: Die Integration digitaler Medien in die Architektur ermöglicht die Bereitstellung von Echtzeitinformationen. Von Informationen zum öffentlichen Nahverkehr über Veranstaltungshinweise bis hin zu aktuellen Nachrichten können Bürgerinnen und Bürger auf dem Laufenden gehalten werden, ohne auf traditionelle Infrastrukturen angewiesen zu sein.
Partizipation und Feedback: Mediatektur eröffnet einen Dialog zwischen Bürgern und der Stadt. Interaktive Elemente können genutzt werden, um Meinungen einzuholen, Feedback zu sammeln oder Ideen für städtische Entwicklungen zu teilen, was zu einer aktiven Beteiligung der Gemeinschaft führt.
Wie lässt sich Mediatektur finanzieren?
Die Entwicklung technologisch innovativer, maßgeschneiderter Mediatekturen ist bislang ein aufwendiges Unterfangen. Obwohl Schlüsseltechnologien in der Displaytechnik in den letzten Jahren deutlich leistungsfähiger und kostengünstiger geworden sind, gibt es bislang nur wenige Architekturprojekte, die ein nennenswertes Budget für Mediatektur vorsehen. Da Mediatektur im Stadtraum aber immer einen Außenbezug und eine Strahlkraft hat, gibt es auch entsprechend viele Akteure, die sich hier zusammenfinden.
Finanzielle Unterstützung: Städte können Mediatektur-Projekte gezielt finanziell unterstützen. Dies kann in Form von Zuschüssen, Steueranreizen oder Partnerschaften mit privaten Unternehmen, Entwicklern und Investoren erfolgen, um die Umsetzung innovativer Medienprojekte zu fördern.
Städtebauliche Richtlinien: Die Stadt kann klare Richtlinien für die Integration von Mediatektur in den städtischen Raum entwickeln. Diese Richtlinien sollten die künstlerische und soziale Integrität wahren und sicherstellen, dass Mediatektur zur Vielfalt des Stadtbildes beiträgt.
Infrastrukturelle Integration: Städte können die notwendige Infrastruktur schaffen, um die technologische Umsetzung von Mediatektur zu erleichtern. Dies kann die Installation digitaler Schnittstellen, Breitband-Internetzugang und die Schaffung offener Datenplattformen umfassen.
Die Rolle gemeinnütziger Gesellschaften
Gemeinschaftsorientierte Finanzierung: Gemeinnützige Organisationen können Geld sammeln, um Mediatektur-Projekte zu finanzieren, die das städtische Umfeld positiv beeinflussen. Dies schafft Raum für kreative und soziale Projekte, die nicht rein kommerziell ausgerichtet sind.
Partizipation fördern: Gemeinnützige Gesellschaften können die Bürger aktiv in den Gestaltungsprozess einbinden. Workshops, Wettbewerbe und partizipative Entscheidungsfindung ermöglichen es der Gemeinschaft, ihre Ideen und Werte in die Gestaltung der Mediatektur einzubringen.
Bildung und Bewusstseinsbildung: Gemeinnützige Organisationen können Bildungsprogramme initiieren, um das Bewusstsein für die Vorteile der Mediatektur zu schärfen. Bildung und Bewusstseinsbildung erhöhen die Akzeptanz und Beteiligung der Bevölkerung an solchen Projekten.
Beispiele für integrative Mediatektur-Projekte
Integrative Mediatektur-Projekte zeichnen sich durch ihre Fähigkeit aus, die Gemeinschaft zu stärken, kulturelle Vielfalt zu betonen und den öffentlichen Raum zu einem inklusiven Ort zu machen. Hier sind einige Beispiele für integrative Mediatektur-Projekte:
„BIX“ Kunsthaus Graz, Österreich: Eine Matrix aus 930 Leuchtmitteln sind in die organisch geschwungene Fassade des Gebäudes integriert. Die Fassade als Screen erweitert den Wirkungsraum des Kunsthauses und wird mit wechselnden künstlerischen Auftragsarbeiten bespielt. Künstler können mit BIX kulturelle und gestalterische Prinzipien aufzeigen, deren Umsetzung auf den Flächen kommerziell genutzter Architekturfassaden weitgehend ausgeschlossen ist. BIX wurde 2001 von den Berliner Architekten realities:united initiiert und entwickelt.
„DAZZLE“ San Diego International Airport: Die erste Null-Energie-Medienfassade, bestehend aus Tausenden von solarbetriebenen, funkgesteuerten Kacheln, die auf E‑Paper-Technologie basieren. Sie wurde von Ueberall International erdacht und entwickelt von E Ink Corporation. Das über 250 m lange Kunstwerk zeigt dynamische Animationen, die an Naturphänomene erinnern. Die offene Animationsbibliothek bietet eine sich ständig weiterentwickelnde Reihe von Clips, die eine Vielzahl von Stimmungen und Umgebungsbedingungen wie Wetter, Verkehr und Flughafenaktivitäten zeigen.
Lichtfries Kunstmuseumm Basel, Schweiz: Mithilfe von Schatten und Licht lässt der Fries subtile Animationen auf der archaisch anmutenden Backsteinfassade des Gebäudes erscheinen. Ziegelmauerwerk und mediale Elemente bilden dabei eine perfekte Symbiose. Der Betrachter sieht Bilder aus Licht – oder vielmehr Schatten – die poetisch und flüchtig sind und gleichzeitig wie in Stein gemeißelt wirken. Das Ergebnis ist ein Fries, das mit der Fassade des Gebäudes verschmilzt und trotz der Verwendung von LEDs nicht wie ein Display wirkt, sondern eine neue Form der Medienfassade ermöglicht.
„The Bay Lights“ in San Francisco, USA: Dieses Projekt verwandelt die San Francisco-Oakland Bay Bridge in eine riesige Leinwand. Die Lichtinstallation betont die Schönheit der Brücke und wird oft für gemeinnützige Aktionen und kulturelle Events genutzt. Sie schafft eine visuell ansprechende Umgebung, die die lokale Gemeinschaft und Besucher gleichermaßen anspricht.
„Silo 468“ in Helsinki, Finland: Permanente Lichtkunstinstallation und ein neuer öffentlicher Raum für die Stadt Helsinki im ehemaligen Industriegebiet Kruunuvuori. Das Werk nutzt sowohl natürliches Licht als auch parametrisch gesteuerte weiße LED-Leuchten, um in Echtzeit eine Verbindung zur Umgebung herzustellen. Die Lichtkunstintervention markiert den Beginn einer groß angelegten städtebaulichen Umgestaltung des Gebiets zu einem modernen Wohngebiet für 11 000 Menschen.
„Lichtgrenze“ in Berlin, Deutschland: Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls wurde die „Lichtgrenze“ geschaffen. Tausende beleuchtete Ballons entlang des ehemaligen Mauerverlaufs symbolisierten die Überwindung von Barrieren und dienten als integratives Element für Berliner und Besucher.
Diese Beispiele zeigen, wie Mediatektur nicht nur als ästhetische Bereicherung des Stadtraums fungieren kann, sondern auch als Instrument zur Förderung von Gemeinschaftssinn, kultureller Vielfalt und sozialer Integration.
Digitale Technologie und physischer Raum werden bald nahtlos ineinander übergehen und es ist höchste Zeit, eine emphatische, nachhaltige und widerstandsfähige Mediatektur zu entwickeln. Oberstes Ziel ist es, einen Flow zwischen Menschen, Medien und der gebauten Umwelt zu schaffen, bei dem sich die Medien den Menschen anpassen – und nicht umgekehrt.
9 Thesen zu einer demokratischen Mediatektur
- Mediatektur als sozialer Kitt: Die Integration von Medien in die Architektur sollte als Mittel zur Förderung sozialer Bindungen und des Gemeinschaftssinns verstanden werden. Partizipation als Schlüssel: Die aktive Beteiligung der Gemeinschaft ist entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung von Mediatektur-Projekten.
- Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt: Mediatektur sollte die kulturelle Vielfalt einer Stadt widerspiegeln und dazu beitragen, kulturelle Barrieren abzubauen.
- Bildung als Grundstein: Die Förderung von Bildungsprogrammen über die Vorteile und Potenziale von Mediatektur ist unerlässlich.
- Öffentlich-private Partnerschaften stärken: Die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Institutionen, gemeinnützigen Organisationen und privaten Unternehmen ist entscheidend für den Erfolg von Mediatektur-Projekten.
- Nachhaltigkeit als Leitprinzip: Mediatektur sollte nachhaltig gestaltet werden, sowohl im Hinblick auf den Energieverbrauch als auch auf die Langlebigkeit der technischen Infrastruktur.
- Barrierefreiheit gewährleisten: Mediatektur muss so gestaltet sein, dass sie für alle Bürger zugänglich ist, unabhängig von Alter, Fähigkeiten oder sozialem Hintergrund.
- Datenschutz und Ethik respektieren: Die Integration von Medien in urbane Räume erfordert klare Richtlinien und Standards für Datenschutz und ethische Nutzung.
- Innovation fördern: Mediatektur-Projekte sollten Raum für künstlerische und technologische Innovation bieten, um eine kontinuierliche Weiterentwicklung zu ermöglichen.
- Langfristige Perspektive: Die Stadt und gemeinnützige Organisationen sollten eine Langzeitvision für Mediatektur-Projekte haben, um deren positiven Einfluss auf den städtischen Raum auf Dauer zu sichern.
Die Autorin
Prof. Nikolaus Hafermaas
Nik ist ein international anerkannter Designer, Künstler und pädagogischer Pionier.
Mit der Berliner Innovationsagentur Graft Brandlab gestalten Nik und sein Team die Beziehung zwischen bahnbrechender Technologie und dem Menschsein. Als Dekan des renommierten ArtCenter College of Design in Pasadena, Kalifornien, hat Nik das Fachgebiet Visuelle Kommunikation revolutioniert.
graftbrandlab.com