Recht & Steuern
Kommunale Grundstücksvergabe: Offene Konzeptvergabe in der Stadtentwicklung
Text: Thomas Gauggel & Matthias Gütschow | Foto (Header): © ah_fotobox – stock.adobe.com
Anstelle eines Höchstbieterverfahrens ermöglicht eine Vergabe der Grundstücke nach Konzeptqualität, langfristig lebendige und vielfältige Quartiere zu schaffen. Doch wie kann diese positiven Einfluss auf die Architekturqualität und die Stadtentwicklung nehmen?
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2022
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In Großstädten, Ballungsräumen und bereits inzwischen auch in attraktiven Mittel- und Kleinstädten wird die Realisierung von bedarfsgerechtem und kostengünstigem Wohnraum zu einer großen und schwierigen Aufgabe der Stadtentwicklung. Werden die Grundstückspreise dem freien Markt überlassen, entwickelt sich eine immer schneller drehende Preisspirale, die zu einer Dominanz des hochpreisigen Wohnungsbaus und zu einer Segregation der Bevölkerung führt. Frei finanzierter Wohnungsbau mit bezahlbaren Mieten und das Angebot von Wohneigentum für mittlere Einkommensschichten werden vielerorts immer schwieriger zu realisieren.
Eine naheliegende Reaktion ist die Einführung einer „Sozialquote“ bei der Vergabe von Grundstücken verbunden mit einer hohen Ausnutzung der Flächen im Geschosswohnungsbau. Ganze Baufelder werden durch einen Akteur – eine Wohnungsbaugesellschaft oder einen Bauträger – realisiert. Dies erzeugt ein gleichförmiges Stadtbild mit gleichartigen Wohnungstypen. Oftmals findet keine Nutzerbeteiligung statt, daher fehlt diesen Quartieren in der Regel eine eigene Identität. Durch den hohen Druck in einem engen Wohnungsmarkt besteht so die Gefahr, dass durch zu großmaßstäbliche und zu schnelle Planungen neue Stadtviertel entstehen, die nicht den vielfältigen Anforderungen der modernen Stadtgesellschaft entsprechen. Sie können zu den Problemgebieten der Zukunft werden.
Ein anderer Weg ist die offene Konzeptvergabe: Die Grundstücksvergabe erfolgt mit der Zielsetzung, langfristig ein lebendiges und stabiles Quartier für möglichst viele Bevölkerungsschichten mit Angeboten des täglichen Bedarfs entstehen zu lassen. Hierfür werden die Grundstücke nicht an den Meistbietenden vergeben, sondern es findet ein „Wettbewerb der Ideen“ statt, an dem sich verschiedenste Akteure, wie Bauträger und Investoren, Baugemeinschaften und Privatpersonen, beteiligen können und bei dem die besten und passendsten Projektkonzepte realisiert werden sollen. Bei der Auswahl der Bewerbungen können auch Projektkonzepte bevorzugt werden, die preisgebundenen Mietwohnraum herstellen oder Eigentum für mittlere Einkommensschichten anbieten. Die Nutzung und auch Gestaltung der Gebäude sollen Vielfalt erzeugen, daher wird eine Kleinteiligkeit angestrebt.
Bei der offenen Konzeptvergabe werden vonseiten des Grundstückseigentümers inhaltliche Kriterien zur Grundstücksvergabe definiert, und es wird ein Verfahren entwickelt, wie und von welchen Beteiligten die Vergabeentscheidungen getroffen werden. Zudem werden die Grundstückskosten vor Beginn des Verfahrens gutachterlich ermittelt und auf dieser Basis fixiert.
Der Zuschnitt der Grundstücke – sofern es sich nicht um Einzelgrundstücke handelt – wird nicht vorgegeben. Die Parzellierung entwickelt sich im Zuge der Vergabe aus dem Bedarf der verschiedenen Bewerbungen. Erst bei einem „Vergabepuzzle“ werden die Parzellengrenzen festgelegt.
Um den Entwicklungsprozess auf eine breite Basis zu stellen, werden im Vorfeld verschiedene Informationsgespräche und -veranstaltungen mit Akteuren aus Politik und Verwaltung, Notaren und Banken sowie mit Architekten, Bauträgern und Bauinteressenten durchgeführt.
Bei Vermarktungsveranstaltungen wird kommuniziert, dass die Erzeugung einer sozialen Mischung mit unterschiedlichen Wohnangeboten vergaberelevante Kriterien sind, die sowohl in den einzelnen Gebäuden als auch im Quartier angestrebt werden. Dazu gehört beispielsweise die Realisierung von gefördertem Mietwohnraum, Angebote für Menschen mit Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt oder die Inklusion von Menschen mit Behinderung.
Und zu einer zweiten wichtigen Zielsetzung wird informiert: Die Lebensqualität von Quartieren wird von unterschiedlichen Erdgeschossnutzungen mit Angeboten der täglichen Infrastruktur geprägt. Städtebaulich werden hierzu oftmals in zentralen Bereichen Gewerbeverpflichtungen für das Erdgeschoss gesetzt, mit dem Ziel, eine Interaktion zwischen der Nutzung hier und dem öffentlichen Raum zu erzielen. Für diese Grundstücke ist dann die Gewerbequalität ein wichtiges vergaberelevantes Kriterium innerhalb der Projektbewerbung.
Der Aufwand für die Erarbeitung der Bewerbungen soll überschaubar bleiben, um den finanziellen Einsatz für die Bewerber gering zu halten. So wird neben der Privatwirtschaft auch zivilgesellschaftlichen und sozialen Akteuren eine Teilnahme ermöglicht. Architekturplanungen werden in der Regel nicht gefordert. Neben der Beschreibung des inhaltlichen Projektkonzepts ist ein Bewerbungsbogen abzugeben, in dem – wenn die Parzellierung nicht festgelegt ist – Standortprioritäten und die gewünschte Baufenstergröße des Projekts angegeben werden müssen. Im Rahmen der Vorprüfung werden mit allen Bewerbern, die im Vorfeld definierte Mindestanforderungen erfüllen, Bewerbungsgespräche geführt.
Es kann eine Vergabekommission zur Vorbewertung der Bewerbungen berufen werden. Um sie auf eine breite politische Basis zu stellen, sollte deren Besetzung vom Gemeinderat bestimmt werden. Bewährt hat sich eine Zusammensetzung mit Vertretern aus Politik, Stadtverwaltung und externen Fachleuten. Die Vergabekommission empfiehlt die Grundstücksvergaben, die Entscheidungen erfolgen durch den Gemeinderat.
Eine zentrale Fragestellung bei der Prüfung der eingereichten Projektbewerbungen ist zumeist, welchen Nutzen das Projekt für sein Umfeld, das Quartier und darüber hinaus vielleicht sogar für die Stadtgesellschaft bringt. Die Bewertung wird jeweils im aktuellen Kontext erfolgen und auch im wertenden Vergleich mit anderen sich bewerbenden Projektkonzepten. Sie erfolgt – ähnlich einer Beurteilung von Arbeiten bei einem Architekturwettbewerb – im Diskurs der Vergabekommission auf Grundlage im Vorhinein bekannt gemachter Kriterien und Verfahrensweisen, die allerdings genügend Wertungsspielräume belassen, um Freiraum für innovative Konzepte zu schaffen. Starre und mathematisierte Punktematrizes vermögen dies nicht zu leisten.
Hat der Gemeinderat über die Vergabe der Grundstücke entschieden, erhalten die Projekte zunächst nur Reservierungszusagen. Im Sinne einer Qualitätssicherung werden die Projekte hierin verpflichtet, die für die Vergabeentscheidung relevanten Konzeptbestandteile umzusetzen. Während der Reservierungsphase überprüft die Stadtverwaltung dieses in Statusgesprächen. Der Grundstücksverkauf erfolgt erst, wenn die interne Projektentwicklung und die Bauantragsplanung abgeschlossen sind. Auch im Grundstückskaufvertrag werden die vergabeentscheidenden Bestandteile der Bewerbung aufgenommen und darüber hinaus – wenn möglich – im Grundbuch gesichert.
Durch die offene Konzeptvergabe mit einem Reservierungszeitraum vor dem Grundstückskauf werden neue Akteure wie gemeinwohlorientierte Institutionen, Baugemeinschaften und Wohnprojekte in die Lage versetzt, Projekte zu realisieren. Private Einzelbauherren werden ermutigt, ein Stadthaus zu bauen. Für Bauträger und Wohnungsbaugesellschaften stellen Projekte in einem kleinteiligen, gemischt genutzten Quartier eine Erweiterung des Portfolios und der Erfahrungen dar. Im Ergebnis wird so die Durchmischung der Bewohner und ein differenziertes und bedarfsgerechtes Angebot von Wohntypologien erreicht. Zudem findet eine Nutzerbeteiligung bereits am Beginn des Planungsprozesses statt, was eine hohe Identifikation mit dem Entwicklungsverfahren und dem entstehenden Quartier bewirkt. Beste Voraussetzungen also für eine langfristige Stabilität des Quartiers und seiner Nachbarschaften.
Schnittstellen und Aufgabenverteilung
Werden urbane Stadtquartiere kleinteilig mit verschiedenen Akteuren entwickelt, sind innerhalb eines Baufelds verschiedene Schnittstellen und Aufgaben zwischen den Nachbarprojekten abzustimmen. Projekteigene Tiefgaragen scheiden aus wirtschaftlichen Gründen aus. Sie sind oftmals unter kleineren Projekten auch geometrisch nicht umsetzbar. Daher wird eine gemeinsame Tiefgarage für alle Bewohner eines Baufelds realisiert. Sie liegt unter den gemeinschaftlichen Freianlagen und kann bei dichten Bebauungen – oft in Hofstrukturen – die Hochbauten zum Teil unterbauen. Für diese Art der Quartiersentwicklung hat sich das sog. „Anker-/Anliegerverfahren“ bewährt. Innerhalb eines Hofs wird zwischen dem Ankerprojekt und mehren Anliegerprojekten unterschieden. Das Ankerprojekt erhält früher als die restlichen Projekte die Grundstücksreservierung. Sein Planungsteam übernimmt die Steuerung der zentralen Aufgaben im Hof und erarbeitet vor der Vergabe der restlichen Grundstücke an die Anliegerprojekte eine Konzeption für die räumlichen, technischen, juristischen und wirtschaftlichen Querschnittsthemen. Dies erfolgt in Abstimmung mit der Stadtverwaltung. Mit Kenntnis der Ankerkonzeption bewerben sich die Anliegerprojekte. Im weiteren Planungsprozess werden die Themen gemeinsam weiterentwickelt und in einer für alle verbindlichen Grundlagenvereinbarung festgeschrieben.
Gemeinschaftliche Freianlagen haben in dichten, urbanen Quartieren eine zentrale Bedeutung. In einem vom Planungsteam des Ankerprojekts gesteuerten partizipativen Gestaltungsprozess wird hier der Grundstein für eine gute Nachbarschaft im Hof gelegt. Oftmals sind auch sie der Grund, weshalb Familien eine Geschosswohnung als Alternative zum eigenen Haus mit Garten bevorzugen.
Steingauquartier in Kirchheim unter Teck
Ein aktuelles Praxisbeispiel stellt das Steingauquartier in Kirchheim unter Teck dar. In der schwäbischen Mittelstadt mit 40.000 Einwohnern wird es als ein kleinteiliges, gemischt genutztes Quartier im Rahmen einer offenen Konzeptvergabe entwickelt. Der Baubeginn ist erfolgt, und bis 2023 werden in voraussichtlich 45 unterschiedlichen Projekten fast 400 Wohnungen entstehen. Die Bandbreite der Projektkonzepte ist groß, ebenso wie die verschiedenen Akteure. Baugemeinschaften bauen neben Bauträgern, und dazwischen schiebt sich mancherorts das schmale Stadthaus einer einzelnen Familie. In den sieben Baufeldern wird nach dem „Anker-/Anliegerverfahren“ jeweils zweistufig vorgegangen. Der Abstimmungsprozess der Nachbarn untereinander konnte in fünf Baufeldern bereits erfolgreich abgeschlossen werden, die Gebäude befinden sich im Bau.
Alle Beteiligten sowie die Kommunalpolitik loben den Prozess und die entstehende hohe Qualität des neuen Stücks Stadt. Und auch bei den potenziellen Bewohnern steht das Steingauquartier hoch im Kurs. Die Anzahl der Bewerbungen in den einzelnen Vergabeabschnitten lag bisher immer dreifach über den zur Verfügung stehenden Grundstücken. So konnten wirklich die besten Projekte für das neue bunte Quartier ausgewählt und gefunden werden. Für die Stadtverwaltung und die Kommunalpolitik in Kirchheim unter Teck steht fest: Auch die zukünftigen städtebaulichen Projekte werden mit den Mitteln der Konzeptvergabe entwickelt und realisiert.
Eine kleinteilige Quartiersentwicklung mit dem Instrument „offene Konzeptvergabe“ ist ohne Zweifel aufwendiger als eine Vergabe größerer Einheiten an Akteure der Wohnungswirtschaft. Verschiedene laufende und abgeschlossene Entwicklungen zeigen aber: Es lohnt sich! Lebendige, vielfältige und robuste Stadtteile entstehen, mit einer typologischen Vielfalt von Wohnformen und unterschiedlichsten darin wohnende Menschen. Die Lebensqualität ist hoch, das Viertel bunt und auch auf die schon dagewesene Nachbarschaft des Quartiers erfolgt eine positive Ausstrahlung. Warum also sollen Kommunen das hohe kreative Potenzial bei den verschiedenen Akteursgruppen nicht nutzen?
Fortsetzung folgt!
In der nächsten Ausgabe von QUARTIER erfahren Sie mehr zu den rechtlichen Vorgaben, die im Zusammenhang mit offenen Konzeptvergaben zu beachten sind.
Der Autor
Thomas Gauggel und Matthias Gütschow
Thomas Gauggel und Matthias Gütschow sind freie Architekten und Projektsteuerer mit eigenständigen Büros in Tübingen. Sie realisieren seit 20 Jahren Baugemeinschaftsprojekte in Süddeutschland, seit 2010 beraten sie Kommunen zu den Themen „Bauen in Gemeinschaft“ und „Konzeptvergabe“. Matthias Gütschow führt zu diesen Themen Seminare für verschiedene Fortbildungsträger durch. Beide wohnen in Tübingen in gemischt genutzten Quartieren: Thomas Gauggel in einem schmalen Stadthaus in der Alten Weberei und Matthias Gütschow in einem Baugemeinschaftsprojekt im Französischen Viertel.