Recht & Steuern
Interessenbekundungsverfahren: Baugemeinschaften in Hamburg-Wilhelmsburg
Text: Arne von Maydell | Foto (Header): © IBA HAMBURG GMBH / FREM 3
Die IBA Hamburg entwickelt als städtische Gesellschaft im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg u. a. das Spreehafenviertel, das Elbinselquartier sowie das Wilhelmsburger Rathausviertel in Hamburg Wilhelmsburg. In den nächsten zehn Jahren entstehen in den drei Quartieren auf rund 100 ha ca. 5.000 Wohneinheiten, von denen bis zu 20 % für Baugemeinschaften vorgesehen sind.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 2.2022
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Die IBA Hamburg setzt in Kooperation mit der Hamburger Agentur für Baugemeinschaften für die Vergabe der Grundstücke ein neu entwickeltes Verfahren um. Im November 2021 begann der Vergabeprozess für die ersten Baugemeinschaftsgrundstücke mit einem Interessenbekundungsverfahren, bei dem Basisdaten mit ersten Ideen abgegeben werden. Eine große Anzahl an qualifizierten Bewerbungen, besonders aus der direkten Nachbarschaft, überraschte und erfreute die Verantwortlichen für das Projekt gleichermaßen.
Quartiersentwicklung in Wilhelmsburg
In den drei Quartieren Wilhelmsburger Rathausviertel, Elbinselquartier und Spreehafenviertel werden in Zukunft mehr als 10.000 Menschen leben. Hier plant die IBA Hamburg als hundertprozentige Tochter der Freien und Hansestadt Hamburg neue, lebendige Nachbarschaften zum Wohnen und Arbeiten in direkter Nähe zur Hamburger Innenstadt. Diese Entwicklung wird durch die Verlegung der alten Wilhelmsburger Reichsstraße (ehemals Bundesstraße 75) möglich, die den Stadtteil in zwei Teile zerschnitt. Damit entstehen zusätzliche 100 ha Fläche für Wohnungsbau, neue Arbeitsplätze, Bildungsstätten, Parks, Plätze, Sport- und Freizeitangebote und viele weitere Nutzungen. Eine von Kanälen durchzogene grüne Achse lädt zukünftig zum Flanieren und Radfahren vom Inselpark im Süden bis hoch zum Spreehafen im Norden ein.
Karen Pein, Geschäftsführerin der IBA Hamburg: „Wir freuen uns sehr über die große Resonanz auf unsere Baugemeinschaftsgrundstücke und vor allem, dass sich auch so viele Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger beworben haben. Neben dem Angebot von langfristig bezahlbarem Wohnraum wollen wir die Menschen dabei unterstützen, sich ihr eigenes Zuhause in Wilhelmsburg zu schaffen und somit aktiv an der Mitgestaltung der eigenen Nachbarschaft in den Quartieren mitzuwirken.“
In den planerischen Verfahren zur Quartiersentwicklung in Wilhelmsburg spielte eine frühe und transparente öffentliche Beteiligung eine zentrale Rolle: So wurden verschiedene Formate der Bürgerbeteiligung eingesetzt, wie z. B. Gläserne Werkstatt, Online-Beteiligung und Bürgervotum. So sind Ideen und Anregungen der lokalen Bevölkerung gleich zu Beginn in die jeweiligen Planungsprozesse eingeflossen.
Auch bei der weiteren Entwicklung setzt die IBA Hamburg auf die Menschen auf der Elbinsel. Mit der lokalen Kampagne „Zusammen Zuhause in Wilhelmsburg“ wurden diese gezielt für das Format bzw. die Idee von Baugemeinschaften in Wilhelmsburg angesprochen. Somit wird ein hoher Anteil an gemeinschaftlichem Wohnraum zur Selbstnutzung im Quartier geschaffen.
Dr. Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen: „In Wilhelmsburg entstehen neue, bunte und lebendige Quartiere mit bezahlbarem Wohnraum im Hamburger Drittelmix. Baugemeinschaften haben schon an vielen Orten in Hamburg unter Beweis gestellt, dass sie mit ihrem Engagement große Beiträge zu einem guten sozialen Miteinander und lebendigen Nachbarschaften leisten.“
Mitglieder einer Baugemeinschaft sind direkt in den Planungs- und Bauprozess involviert und identifizieren sich dadurch in der Regel stärker mit ihrem Bauprojekt und engagieren sich meist im Quartier. Das stärkt Nachbarschaften und bringt oftmals innovative Impulse mit sich. Beispiele hierfür sind Projekte mit Konzepten für besondere Mobilitätsangebote, Projekte mit ökologischen Bauweisen, Projekte mit offenen Nachbarschaftsräumen, besonderen Dachgärten oder besonderen Wohnkonzepten. Baugemeinschaften bieten daher den richtigen Rahmen, um eigene Ideen zu verwirklichen, neue inhaltliche Konzepte zu entwickeln und mit Bekannten und Freunden in einer aktiven Gemeinschaft zu leben. In der Regel können Baugemeinschaften sowohl durch die eigenständige Umsetzung ihres Vorhabens als auch durch eine gemeinsame Beauftragung Bauträgerkosten einsparen. Die Hamburgische Investitions- und Förderbank unterstützt Baugemeinschaften zudem mit Förderprogrammen.
Auch von städtischer Seite wird der Prozess von Anfang an begleitet. Die Agentur für Baugemeinschaften, in der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW), ist seit 2003 die zentrale Anlaufstelle Hamburgs für alle, die sich für das Bauen und das nachbarschaftliche Wohnen in einer Baugemeinschaft interessieren. Bei den Projekten im Wilhelmsburger Rathausviertel und dem Elbinselquartier ist die Agentur mit ihrer Expertise involviert.
Die Mitarbeiter beraten Gruppen über die Verfahren für Baugemeinschaften, die verschiedenen Rechtsformen und auch Fördermöglichkeiten. Dabei wird besonders auf das inhaltliche Konzept der Bewerber und die Finanzierbarkeit des Projekts geachtet. Hamburg bietet ein eigenes Förderprogramm über die Investitions- und Förderbank (IFB) mit einem Schwerpunkt auf genossenschaftlichen Wohnformen an. Die Agentur kooperiert mit erfahrenen Architekten und Baubetreuern, die die jeweiligen Interessen der Gruppe wahrnehmen. Dazu gehört auch das Angebot einer regelmäßigen Kontaktbörse. Dort können sich zukünftige Bauherren kennenlernen und vernetzen. Es werden Angebote von bereits bestehenden Baugemeinschaften sowie Gesuche von interessierten Einzelpersonen oder Kleingruppen ausgetauscht. Die Agentur konnte schon im Vorfeld feststellen, dass ein reges Interesse für die IBA Hamburg Quartiere bestand.
Angela Hansen, Leiterin der Agentur für Baugemeinschaften: „In den neuen Quartieren der IBA Hamburg herrscht ein gewisser Pioniergeist wie vormals in der Schanze oder in Ottensen. Noch sind hier die Grundstückspreise moderater, dennoch ist Wilhelmsburg zentrumsnah und gleichzeitig grün. Dazu kommt, dass der Stadtteil total lebendig ist und damit das Interesse besonders bei jungen Leuten weckt.“
Das Wilhelmsburger Interessenbekundungsverfahren
Die IBA Hamburg vergibt die Grundstücke für Baugemeinschaften in den Projektgebieten Wilhelmsburger Rathausviertel, Elbinselquartier und Spreehafenviertel per Interessenbekundungsverfahren. Dafür war zunächst eine einfache Interessenbekundung mit Basisangaben zur geplanten Baugemeinschaft notwendig. Über einen Zeitraum von drei Monaten konnten diese eingereicht werden.
Das Interessenbekundungsverfahren hat zum Ziel, interessierte Baugemeinschaften frühzeitig über alle zur Verfügung stehenden Grundstücke mit ihren ndividuellen Rahmenbedingungen zu informieren und passende Grundstücke für interessierte Baugemeinschaften zu finden. Da das Flächenpotenzial in Wilhelmsburg groß ist, können voraussichtlich diverse Konzepte berücksichtigt und eine zielorientierte, konsensuale und zeitlich abgestimmte Verteilung der Baugemeinschaften ermöglicht werden.
Ablauf des Interessenbekundungsverfahrens
- Interessenbekundungsphase (6 Monate)
- Konzeptphase (max. 18 Monate)
- Qualifizierungs- und Anhandgabephase (max. 24 Monate)
- Bauphase (max. 9 Monate bis Baubeginn und max. 24 Monate bis zur Fertigstellung)
Die Voraussetzungen, um an der Interessenbekundung teilzunehmen, sind – neben der Registrierung bei der Agentur für Baugemeinschaften – die Selbstnutzung des Vorhabens und Kooperationsbereitschaft mit der IBA Hamburg und anderen Baugemeinschaften innerhalb des Baufeldes sowie eine Mindestanzahl von sechs Wohneinheiten bzw. Haushalten.
Bei der Agentur für Baugemeinschaften registrierte Baugemeinschaften bekunden ihr Interesse mittels Formular zur Interessenbekundung an einem aktuell ausgeschriebenen Baufeld oder einem Teil-Baufeld gegenüber der IBA Hamburg, die in Zusammenarbeit mit der Agentur für Baugemeinschaften die Interessenbekundung prüft. Im Formular zur Interessenbekundung werden von den Baugemeinschaften u. a. Angaben zur Größe ihrer Baugemeinschaft, zu ihrem Nutzungskonzept oder den drei priorisierten Lagen gemacht. Bei einer Konkurrenzsituation werden die Vorhaben der konkurrierenden Baugemeinschaften anhand von Beurteilungskriterien bewertet und verglichen. Nach positiver Bewertung wird ein Grundstück für die Baugemeinschaft für maximal 18 Monate reserviert. Die Angaben im Formular zur Interessenbekundung sind Bestandteil der Reservierungsvereinbarung und somit verbindlich. Bei Nichteinhaltung kann ein Ausschluss aus dem Verfahren erfolgen. Eine erneute Beteiligung am Interessenbekundungsverfahren ist jedoch möglich.
Bei Baugemeinschaftsprojekten sind verschiedene Eigentumsformen möglich. Der Anteil an Wohneinheiten im Eigentum (WEG oder Stadthäuser mit eigenem Grundbuch) sind je Quartier auf maximal ein Drittel begrenzt. Unabhängig von der Eigentumsform dürfen die Wohnungen nur der Selbstnutzung dienen, um etwaige Spekulationen mit den Wohnungen zu verhindern.
In der Konzeptphase wird, aufbauend auf den Angaben aus der Interessenbekundung sowie unter Anwendung der Anforderungen der Quartiersentwicklung, das Vorhaben der Baugemeinschaft ausgearbeitet. In diesem Zusammenhang müssen Abstimmungen mit den anderen Baugemeinschaften innerhalb des Baufeldes geführt werden, um eine gesamtheitliche Planung für das Baufeld zu erzielen. In der Konzeptphase sind Baubetreuungs- sowie Architekturbüros zu dem Verfahren hinzuzuziehen und durch die Baugemeinschaften zu beauftragen.
Bei der IBA Hamburg sind bis Ende Januar 2022 weitaus mehr Interessenbekundungen eingetroffen als erwartet. Die ausgewählten Gruppen werden auf sieben Baufelder mit 68.000 m2 BGF verteilt. Noch in diesem Jahr soll ein weiteres Interessenbekundungsverfahren folgen. Parallel zur Auswahl der Baugemeinschaften stellt die IBA Hamburg als Alternative zur Durchführung eines Wettbewerbs nach RPW einen Pool an qualifizierten Architekten zusammen, um die Gruppen bei der Planung und baulichen Umsetzung ihrer Projekte in Wilhelmsburg zu unterstützen.
Um einerseits eine hohe Architekturqualität in der Planung und baulichen Realisierung abzusichern und andererseits den Baugemeinschaften eine optimale Planung an die Hand zu geben, sollen die Baugruppen mit dem Zuschlag für ein Grundstück verpflichtet werden, aus einem Pool an geeigneten Architekturbüros auszuwählen. Diese sollen mindestens mit den Leistungsphasen 1 bis 4 und Teilen der Leistungsphase 5 beauftragt werden. Somit wird eine hohe architektonische Qualität in der Planung und baulichen Realisierung gewährleistet. Gleichzeitig werden die Baugemeinschaften dabei unterstützt, ein verlässliches und geeignetes Architekturbüro für ihr Projekt zu finden.
Die Zusammenstellung des Architektenpools erfolgt im Rahmen eines zweistufigen Auswahlverfahrens durch die IBA Hamburg in Abstimmung mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Bezirk Hamburg-Mitte sowie externen beratenden Architekten sowie Fachleuten. Der Pool soll sich aus mindestens 20 geeigneten Architekturbüros zusammensetzen.
In der darauffolgenden Anhandgabephase arbeiten die Baugemeinschaften die Entwurfs- und Genehmigungsplanung für das Gebäude und die Freianlagen aus und stimmen sie mit der IBA Hamburg ab. Für das Gebäude ist das bereits über den Pool ausgewählte Architekturbüro zu beauftragen. Mit den anderen Baugemeinschaften ist gemeinsam ein Büro für Freiraumplanung für das gesamte Baufeld auszuwählen und mit der IBA Hamburg abzustimmen.
Durch diesen schrittweisen Vorgang kann die IBA Hamburg gewährleisten, dass ihre städtebaulichen, architektonischen und freiraumplanerischen Ansprüche, die in der Internationalen Bauausstellung 2006-2013 ihren Ursprung haben, gewährleistet werden und in Wilhelmsburg attraktive Wohnquartiere mit stabilen Nachbarschaften entstehen können.
Neue, lebenswerte und lebendige Nachbarschaften
Nachdem die große Sturmflut von 1962 hunderte Wilhelmsburger das Leben kostete, verließen viele Anwohner die verwüstete Elbinsel. In den Folgejahren wurde Wilhelmsburg zum „Problemstadtteil“, der Negativschlagzeilen produzierte. 2005 wurde vom Hamburger Senat das Leitbild „Sprung über die Elbe“ formuliert. Die südlichen Stadtteile sollten entwickelt und für das innere Wachstum der Metropole genutzt werden. Zwei Instrumente sollten dabei helfen: ie internationale gartenschau hamburg 2013 (igs) und die Internationale Bauausstellung IBA Hamburg 2006-2013. Insgesamt hat die IBA 70 Projekte realisiert oder auf den Weg gebracht. In den sieben Jahren von 2006 bis 2013 wurde rund eine Milliarde Euro investiert – davon ein Drittel aus Mitteln der öffentlichen Hand und zwei Drittel aus der Privatwirtschaft.
Ein Projekt war die erste Baugemeinschaft in Wilhelmsburg, die „Neuen Hamburger Terrassen“. Hier entstanden bis 2013 vier Gebäude mit 34 Wohnungen in einer innovativen Kombination aus Reihenhäusern und Eigentumswohnungen. Das Projekt setzte den Wunsch der Bewohner vom grünen Wohnen mitten in der Stadt um – und leistete einen Beitrag zur Quartiersentwicklung.
Karen Pein erläutert: „Dieser Pioniergeist war ein wichtiger Bestandteil für die künftige Entwicklung des Stadtteils. Da auch viele Interessensbekundungen für Baugemeinschaften von außerhalb eingegangen sind, hat es sich wohl positiv herumgesprochen, dass der Sprung über die Elbe wirklich attraktiv sein kann.“
Hinweis
Karen Pein
Geschäftsführerin der IBA Hamburg
Dr. Dorothee Stapelfeldt
Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen
Angela Hansen
Leiterin der Agentur für Baugemeinschaften
Der Autor
Arne von Maydell
Arne von Maydell, Jahrgang 1964, ist seit 2019 Pressesprecher der IBA Hamburg und kommuniziert zu den zehn Quartiersentwicklungen des städtischen Unternehmens. Der Autor arbeitete zuvor u. a. als Redakteur beim NDR-Fernsehen, als Pressesprecher in der Hamburger Wirtschaftsbehörde und leitete die Kommunikation für das Norddeutsche Bauunternehmen HC Hagemann.
Die IBA Hamburg entwickelt als städtisches Unternehmen in zehn Gebieten mit einem Flächenvolumen von über 440 ha neue Wohnquartiere in Hamburg.
www.iba-hamburg.de