Im Gespräch mit Prof. Stefan Schäfer
Variabler Textil-Sonnenschutz
Text: Julia Ciriacy-Wantrup | Foto (Header): © tl6781 – stock.adobe.com
FOTO: PROF. STEFAN SCHÄFER
Die TU Darmstadt entwickelt im Rahmen eines Forschungsvorhabens ein Sonnenschutzsystem, das eine hohe Anpassbarkeit bei gleichzeitig geringen Herstellungs- und Wartungskosten verspricht und sich dabei an Vorbildern aus der Natur orientiert. Wir erfahren von Prof. Stefan Schäfer, Leiter des Instituts für Konstruktives Gestalten und Baukonstruktion (KGBauko), mehr über die Funktionsweise und den aktuellen Stand des Projekts.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 1.2023
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Herr Prof. Schäfer, wie kam es zum Start des Forschungsvorhabens und zu Ihrer Beteiligung daran?
Wir haben in kleinen Gruppen mit verschiedenen Methoden nach anwendbaren Phänomenen in der Natur gesucht – und machen das immer noch. Dabei sind wir auf die reibungslosen Gelenkmechanismen von bestimmten Orchideenblättern gestoßen. Bei der anschließenden Recherche nach Übertragungspotenzialen auf das Bauwesen kamen wir vergleichsweise schnell auf die Möglichkeit von variablen, textilen Sonnenschutzflächen. Sonnenschutz, überhaupt die Fähigkeit zur Adaption von Gebäudefassaden und das Reagieren auf sich ändernde Wetterbedingungen, ist eine zunehmend wichtiger werdende Bauaufgabe in der Ausstattung moderner Bauwerke.
Was zeichnet die Funktionsweise des Sonnenschutzsystems aus?
Das ist die Fähigkeit von gezielt perforierten Textilien, bei variierender Flächenspannung verschieden große Öffnungen für den ungehinderten Lichtenergiedurchgang auszubilden und stetig anzupassen. Ein spezielles Schnittmuster im Textil ermöglicht bei Längsdehnung eine 3D-Verformung des Materials: Teile des Textils agieren als textiles Gelenk. Die Perforierung des Textils erfolgt durch standardisierten Laserschnitt. Der Prozess erfolgt nahezu reibungslos und ist damit sehr wartungsarm.
Welche Vorteile bietet die neue Technologie im Vergleich zu herkömmlichen Textilrollos oder Lamellenjalousien?
Lamellenjalousien, die meistens metallisch aufgebaut sind, weisen eine hohe mechanische Aufbauquote auf. Diese erfordert eine regelmäßige Wartung und Reparatur. Textilrollos sind in verschiedenen Transparenzqualitäten erhältlich, aber die einmal gewählte Qualität ist erstens konstant und zweitens nicht veränderlich über die Fläche verteilt. Beide zuvor beschriebenen Nachteile können wir mit unserem Konzept überwinden. Zudem eignet sich der variable, textile Sonnenschutz für eine Verwendung vor der Gebäudehülle und ist damit energetisch deutlich wirksamer.
Besteht die Möglichkeit zur Automatisierung?
Sowohl bei der Herstellung, aber auch der Steuerung ist das sehr gut möglich. Darüber hinaus können wir uns sogar vorstellen, dass durch den richtigen Einsatz von BIM und digitaler Fertigung das Erscheinungsbild des Sonnenschutzes bei gleichem Grundwerkstoff über eine Gebäudefassade verteilt – in die verschiedenen Himmelsrichtungen und damit unterschiedlichen Strahlungseinflüssen – unterschiedlich ist und damit optisch variabel.
Sie möchten den Sonnenschutz in eine breite Anwendung bringen. Wie ist der aktuelle Stand und welche weiteren Schritte sind geplant?
Das Konzept ist mit Unterstützung der TU Darmstadt bereits als Patent angemeldet. Zurzeit arbeiten wir mit einer kleinen Auswahl von Forschungspartnern sowohl forschungsseitig als auch industrieseitig am Bauen und Verbessern der Prototypen und der Erschließung von Finanzmitteln. Mit einem geeigneten Budget können wir dann die nötigen anstehenden Untersuchungen und Tests zeitnah ausführen, die Prototypen weiterentwickeln und die Technologie zur Marktreife führen.
Das Gespräch führte Julia Ciriacy-Wantrup.