Im Gespräch mit Dr. Habermann-Nisse
Soziale Vielfalt
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FOTO: PLAN ZWEI
Ein Projekt des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (ExWoSt) des Bundes hat die soziale Vielfalt in Stadtquartieren unter starkem Nachfragedruck untersucht. Wir sprechen darüber mit Dr. Habermann-Nieße von plan zwei, einem Stadtplanungs- und Stadtforschungsbüro aus Hannover, das die Untersuchung in Kooperation mit der Forschungsgruppe agis e. V. im Auftrag von BBSR und dem Bauministerium durchgeführt hat.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 1.2020
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Herr Dr. Habermann-Nieße, die Studie zeigt auf, wie sich Maßnahmen zur Attraktivierung von Stadtteilen und eine dementsprechend steigende Nachfrage auf die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung auswirken. Auf welchen Ebenen kommt es dort zu Veränderungen?
Der Rückzug von Investoren, Substanzschwächen im Gebäudebestand sowie soziale Benachteiligung mit einer hohen Zahl von Arbeitslosen, Alten und Auszubildenden haben viele Städte seit den 1980ern bewogen, in diesen Stadtteilen Aufwertungsstrategien zu entwickeln. Diese sind dem Leitbild einer behutsamen Stadterneuerung gefolgt. Mithilfe von Sozialplänen und Einsatz des besonderen Städtebaurechts wurden nicht nur Industriebrachen umgewandelt, sondern es wurde auch eine sozial verträgliche Modernisierung gefördert. Lange hat sich gerade in diesen Stadtteilen eine soziale Vielfalt herausgebildet, die heute deren Attraktivität auch für höhere Einkommensgruppen ausmacht. Diese Quartiere werden von hohem Nachfragedruck geprägt. Das Resultat ist eine stärkere soziale Entmischung und vor allem der Verlust des dort noch vorhandenen preisgünstigen Wohnungsbestands.
Welche Folgen kann das haben?
Die soziale und soziokulturelle Entmischung ist, so formuliert es der englische Soziologe Peter Marcuse, auf verschiedene Formen der Verdrängung zurückzuführen: Die direkte Verdrängung, die sowohl als physische (z. B. Abstellen der Heizung), als auch ökonomische (Mietsteigerungen) Verdrängung initiiert von den Vermietern auftritt. Die kulturelle Verdrängung, bei der sich Langzeitbewohner in ihren aufgewerteten Quartieren nicht mehr „zu Hause“ fühlen, da ihre sozialen Netze aufgrund von Fortzügen aufgelöst wurden und womöglich ein anderes Milieu mit seinem Lebensstil das Quartier dominiert (Entfremdungseffekt). Und die indirekte Verdrängung, bei der sich nach Auszügen einkommensschwächerer Haushalte der Wohnungsmarkt aufgrund der Steigerung der Neuvermietungsmieten für diese Wohnungsbewerber schließt.
In den Quartieren drohen die steigende Attraktivität und der Zuzug von Haushalten mit höherem Durchschnittseinkommen für Haushalte mit niedrigen Einkommen zum Problem zu werden, wenn z. B. nach umfassender Modernisierung die Mieten steigen bzw. Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden und damit die bestehende Zusammensetzung der Wohnbevölkerung infrage gestellt wird („Gentrifizierung“).
Wie kann man die Veränderungen rechtzeitig erkennen?
Die Veränderungen in unseren Untersuchungsgebieten waren durchgängig von Aufwertungsprozessen geprägt, die von im Vergleich statushöheren und jüngeren Nachfragegruppen sowie entsprechend höherpreisigen Angeboten getragen werden. Für die Feststellung negativer Entwicklungsprozesse sowie Entscheidungen zum Einsatz von Strategien und Maßnahmen zur Eindämmung von Entmischungsprozessen sind kleinräumige Daten erforderlich, die auf die benannten Entwicklungsdynamiken hinweisen. Mittlerweile haben mehrere Großstädte soziale Monitoringsysteme und Wohnungsmarktbeobachtungssysteme eingerichtet. Mit den in regelmäßigen Abständen erhobenen Daten des sozialen Monitorings werden positive sowie negative Entwicklungen und die sozialräumliche Benachteiligung von Gebieten auf kleinräumiger Ebene identifiziert und beobachtet. Kommunen erlangen kleinräumige Informationen über den Wohnungsbestand und können z. B. anhand von Neuvermietungsmieten, Umwandlungsquoten, aber auch Leerstands- und Nachfrageanalysen Frühwarnsysteme entwickeln, um schneller und angemessen reagieren zu können.
Welche städtebaulichen Instrumente gibt es, um Wohnungsangebote für unterschiedliche Einkommensgruppen in den Quartieren zu sichern?
Auf der Quartiersebene wird vor allem in Hamburg und München, teilweise schon seit über 25 Jahren, mit dem Instrument der sozialen Erhaltungssatzung die Modernisierung von Altbauten reguliert (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB auch „Milieuschutzsatzung“ genannt). In den Erhaltungssatzungsgebieten sind Modernisierungsmaßnahmen, die über die Herstellung eines zeitgemäßen Standards hinausgehen, genehmigungspflichtig und werden nur in Ausnahmen von der Kommune gestattet. Auf der Grundlage des mit der Satzung verbundenen gesetzlichen Vorkaufsrechts wird gewährleistet, dass die Bewohner bzw. die Gemeinde durch die Eigentümer über einen geplanten Verkauf der Wohnungen informiert werden müssen. Mit einer sogenannten Abwendungsvereinbarung können Käufer verpflichtet werden, in einem festgesetzten Zeitraum keine Umwandlungen in Eigentumswohnungen und unangemessene Modernisierungsmaßnahmen vorzunehmen. Wird keine Vereinbarung erreicht, tritt ein gemeindliches Vorkaufsrecht in Kraft. Da eine Erhaltungssatzung ein Instrument des Baurechts ist, werden mit der Satzung nicht direkt Mieterhöhungen, sondern nur bauliche Veränderungen beeinflusst. Gleichwohl ist mit den Satzungen eine entschleunigende Wirkung im Umwandlungsprozess zu beobachten.
Welche Empfehlungen für eine integrierte Stadtteilentwicklung würden Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Der Idealtypus der sogenannten Europäischen Stadt ist das Muster, nach dem wir beurteilen sollten, ob Stadtentwicklung gelingt. Das Ziel ist eine kompakte, funktional und soziokulturell durchmischte Stadt. Nur auf diese Weise kann die Integration und gesellschaftliche Teilhabe aller Bürger mit lokalen Arbeitsmärkten, sozialen Netzen und vor allem mit kultureller Heterogenität hergestellt werden. Viele Städte werden diesem Idealbild aber nicht mehr gerecht. In den gemischten Stadtquartieren geht das viel geforderte „Recht auf Stadt für Alle“ verloren. Städte haben eine Wohnungspolitik zu etablieren, die Verdrängungsprozesse aus den innenstadtnahen Wohnquartieren und die nachfolgende soziale Segregation unterbindet, Erhaltungssatzungen mit Umwandlungsverbot sind ein erster Schritt. Öffentlich geförderter Wohnungsbau und weniger hochpreisiger Wohnungsbau auf innerstädtischen Entwicklungsflächen sind ein zweiter Schritt. Dazu sind aber auch bodenrechtliche Instrumente zu nutzen, die preislimitierte Vorkaufsrechte und Erbbaurechtsvergaben in der inneren Stadt ermöglichen, um auch preiswerten Wohnungsbau realisieren zu können. Verdrängung aus Wohnmilieus ist keine vertretbare Stadtentwicklungsstrategie. Verbleib sichert soziale Vielfalt und nicht zuletzt soziale Integrationschancen
Das Gespräch führte Christina Blümel.