Energie, Technik & Baustoffe
IFT-Richtlinien für Planung und Ausführung: Fensterlüftung nach DIN 1946-6
Text: Michael Rossa | Foto (Header): © ES0LEX – stock.adobe.com
Bei lüftungstechnischen Maßnahmen in Wohngebäuden muss die DIN 1946-6 beachtet werden. Um den Umgang mit diesem komplexen Normenwerk zu vereinfachen, hat das ift Rosenheim die ift-Richtlinien LU‑01/2 „Fensterlüfter – Leistungseigenschaften“ und LU‑02/2 „Fensterlüfter – Einsatzempfehlung“ überarbeitet. Mit der ift-Richtlinie LU‑02/2 steht Planern, Fensterherstellern und Montagebetrieben ein einfaches und praxisnahes Planungsinstrument für die Lüftungsplanung im Wohnungsbau nach DIN 1946‑6 zur Verfügung und ist damit eine Alternative zu Softwareprogrammen.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 3.2022
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Inhalte des Beitrags
„Lüftung von Wohnungen“ hatten die Normer das Ziel, sie zu vereinfachen. Aus Sicht des Anwenders ist das aber nur bedingt gelungen. An der grundsätzlichen Vorgehensweise und dem Prinzip bei der Erstellung eines Lüftungskonzepts und der Auslegung der Nutzungseinheit (Wohnung) hat sich durch die Neufassung der Norm jedoch nichts Wesentliches geändert.
Die Ausgabe 2019 der DIN 1946-6:2019-12 „Raumlufttechnik – Teil 6: Lüftung von Wohnungen“ enthält – wie bisher – die vier Lüftungsstufen:
- Lüftung zum Feuchteschutz: notwendiger Luftvolumenstrom zur Sicherstellung des Bautenschutzes (Feuchte) bei zeitweiliger Abwesenheit des Nutzers ohne die Berücksichtigung von Wäschetrocknen in der Wohnung
- reduzierte Lüftung: notwendige Lüftung zur Sicherstellung der gesundheitlichen Mindestanforderungen sowie des Bautenschutzes (Feuchte) bei reduzierter Anwesenheit der Nutzer oder geringerer Raumluftqualität
- Nennlüftung: notwendige Lüftung zur Sicherstellung der gesundheitlichen Mindestanforderungen. Diese Lüftungsstufe stellt den „Normalbetrieb“ der Nutzungseinheit (Wohnung) dar.
- Intensivlüftung: Diese Lüftungsstufe dient dem zeitweiligen Abbau von Lastspitzen und kann durch das Öffnen der Fenster (Stoßlüftung) sichergestellt werden.
Alle vier Lüftungsstufen müssen in einer Wohnung realisiert werden. Bei der freien Lüftung wird die Lüftung zum Feuchteschutz nutzerunabhängig über dezentrale Lüftungseinrichtungen im oder am Fenster sichergestellt. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil im Rahmen der energetischen Gebäudesanierung. Die Realisierung der höheren Lüftungsstufen erfolgt durch das Öffnen der Fenster.
Die Berechnungsgrundlage hat sich jedoch in der Neufassung geändert, sodass eine Überarbeitung der ift-Richtlinie LU-02/1 „Fensterlüfter“ notwendig wurde. Grund sind die veränderten errechneten Luftvolumenströme aufgrund der veränderten Randbedingungen. In vielen Fällen wird für eingeschossige Wohnungen im Sanierungsfall und im Neubau eine lüftungstechnische Maßnahme erforderlich sein. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens wurden mit Unterstützung von Projektpartnern aus der Wirtschaft die beiden ift-Richtlinien überarbeitet und im Juni 2021 veröffentlicht.
Anwendung der ift-Richtlinie LU-02/2
Der bisherige bewährte Ansatz, dem Planer, Architekten und Fensterbauer durch Tabellen und Bemessungsdiagramme eine einfache und sichere Erstellung eines Lüftungskonzepts für die freie Lüftung über Fensterlüfter zu ermöglichen, wurde beibehalten. Im Rahmen des zu erstellenden Lüftungskonzepts ist zunächst zu prüfen, ob für die jeweilige Nutzungseinheit (Wohnung) eine lüftungstechnische Maßnahme erforderlich ist. Das ist immer der Fall, wenn der Luftvolumenstrom (angegeben in m³/h) der Infiltration qv, inf, Konzept über die Undichtigkeiten der Gebäudehülle kleiner ist als der Luftvolumenstrom zur Lüftungsstufe Feuchteschutz qv, ges, NE, FL. Für diesen Nachweis wurde neu der „Konzept“-Wert eingeführt, um diesen deutlich vom Infiltrationsluftvolumenstrom, der bei der späteren Auslegung der Nutzungseinheit zu berechnen ist, zu unterscheiden. Auch die Berechnung der Infiltration wurde in der neuen Norm verändert.
Der Nachweis der Notwendigkeit einer lüftungstechnischen Maßnahme kann noch mit dem Taschenrechner und mit den Randbedingungen der Norm geführt werden. Der normenkonforme Nachweis über Tabelle 3 „Modernisierung“ und Tabelle 4 „Neubau“ der ift-Richtlinie ist wesentlich schneller und in der Anwendung auch sicherer. Die Norm selbst wird weder für diesen Nachweis noch für die weitere Erstellung des Lüftungskonzepts mit der ift-Richtlinie benötigt. Das Beispiel in der Tabelle unten für den Fall einer Komplettmodernisierung einer eingeschossigen Etagenwohnung in einem Mehrfamilienhaus zeigt die einfache Anwendung der Tabelle 3 „Notwendigkeit einer lüftungstechnischen Maßnahme (LtM) – Modernisierung“ aus der ift-Richtlinie. In unserem Beispiel handelt es sich um den Fall einer Wohnung in Rosenheim (windschwach) mit hoher Belegung (3 Personen) auf 95 m². Die Zuordnung zum Gebäudestandort (Landkreis) windschwach bzw. windstark erfolgt über die Windkarte im Anhang A, Bild A.1 der ift-Richtlinie.
Als neues Kriterium wurde in DIN 1946-6: 2019 die Belegungsdichte „hoch“ bzw. „gering“ eingeführt. Von einer hohen Belegung ist auszugehen, wenn pro Person eine Fläche von weniger als 40 m² in der Nutzungseinheit zur Verfügung steht. Entsprechend liegt eine geringe Belegungsdichte vor, wenn bei planmäßiger Nutzung mehr oder gleich 40 m² pro Person zu Verfügung stehen. Typischerweise ist bei selbst genutztem Wohnungseigentum von einer geringen Belegung auszugehen. Die Tabellen 3 und 4 der ift-Richtlinie für den Fall der Modernisierung und des Neubaus gestatten dem Planer die Auslegung für beide Fälle.
Mithilfe von nur zwei Tabellen der Richtlinie hat der Anwender eine Aussage, ob eine lüftungstechnische Maßnahme erforderlich ist. Das ist auch im Hinblick auf die Hinweispflicht des Fachbetriebs auf die Notwendigkeit zur Erstellung eines Lüftungskonzepts nach DIN 1946-6 eine nicht zu unterschätzende Hilfestellung. Das gilt sowohl für den Fachbetrieb, der die Fenstermontage ausführt, als auch für den anbietenden Fensterhersteller. Für den Fall, dass eine lüftungstechnische Maßnahme erforderlich ist (wie in unserem Beispiel), erfolgt die weitere Planung der lüftungstechnischen Maßnahme für die freie Lüftung mit den Tabellen 5 und 6 der ift-Richtlinie. Die Tabellen erlauben es dem Anwender, in Abhängigkeit von dem Wärmeschutzniveau der Gebäudehülle, der Belegung und dem Gebäudestandort das zu verwendende Diagramm zur Bestimmung des Luftvolumenstroms über alle Fensterlüfter für den Fall Modernisierung und den Fall Neubau zu ermitteln.
Diagramm B.3: Notwendiger Volumenstrom über alle Fensterlüfter für Lüftung zum Feuchteschutz in Abhängigkeit von der Fläche der Nutzungseinheit und Anzahl der Räume: — eingeschossige Nutzungseinheit, Etagenwohnung im Mehrfamilienhaus — hoher Wärmeschutz, Neubau oder Komplett-Modernisierung — windschwacher Gebäudestandort — hohe Belegung (< 40 m²/Person)
ABBILDUNG: IFT ROSENHEIM
In unserem Beispiel ist das Diagramm B.3 aus dem Anhang der ift-Richtlinie LU-02/2 zu verwenden (Abb. oben). Bei einer Wohnfläche von 95 m² liefert das Diagramm B.3 bei vier Räumen einen notwendigen Luftvolumenstrom über alle Fensterlüfter zur Lüftungsstufe Feuchteschutz von etwa 25 m³/h. Die in den Diagrammen B.1 bis B.6 der Richtlinie dargestellten Luftvolumenströme sind die Summe aus der Zu- und Abluft über alle Fensterlüfter. Die Überarbeitung der Norm machte es notwendig, die Diagramme als Kombination der flächenbezogenen Anforderung (schwarze Kurve) und der raumbezogenen Anforderungen (farbige Kurve) darzustellen. Der sehr praktische Ansatz in der alten Fassung der ift-Richtlinie LU-02/1, ausschließlich den Luftvolumenstrom für die Fensterlüfter in Abhängigkeit von der Fläche der Wohnungen zu dimensionieren, konnte nicht beibehalten werden, da er zu unwirtschaftlichen Lösungen geführt hätte.
In der Anwendung ist der jeweils höhere Luftvolumenstrom aus dem Diagramm abzulesen und für die Auslegung der Fensterlüfter zu verwenden. Den Luftvolumenströmen und Diagrammen liegen eine typische Aufteilung der Wohnung sowie ein wesentlicher Unterschied in den Leckagen und den Fensterlüfter (ALD) zugrunde. Der ermittelte Luftvolumenstrom ist durch die Anzahl der Räume der Wohnung zu teilen, und die Fensterlüfter sind über alle dem Wind ausgesetzten Fassaden mit Fenster weitgehend gleichmäßig zu verteilen. Damit hat der Anwender das Lüftungskonzept bis auf die Dimensionierung der Überstromluftdurchlässe (ÜLD) fertiggestellt. Mit den Produktdatenblättern der Hersteller erfolgt die Auswahl geeigneter Fensterlüfter anhand der Druckdifferenz, die am Fensterlüfter anliegt, da diese den zu realisierenden Luftvolumenstrom beeinflusst. Es empfiehlt sich, hier auf von unabhängiger Stelle geprüfte Werte des Luftvolumenstroms zurückzugreifen und Produktlösungen zu bevorzugen, die verschließbar sind bzw. über eine Volumenstrombegrenzung verfügen, um im Fall von Starkwinden Zugerscheinungen zu vermeiden.
Wohnungen mit nur einer dem Wind ausgesetzten Fassade mit Fenstern (z. B. Studentenwohnung) können mit dem Verfahren der Richtlinie nicht ausgelegt werden. Hier sei auf die Norm verwiesen. Ventilatorgestützte Lösungen, z. B. Einzelraumlüftungsgeräte, können für diesen Anwendungsfall die bessere Lösung sein. Um eine Querlüftung – mindestens zwei Fassadenseiten mit Fenstern – sicherzustellen, müssen zwischen den Räumen der Wohnung Überströmöffnungen bzw. Überströmluftdurchlässe angebracht werden. Diese können in der Wand, aber auch in der Tür angebracht werden. Eine sehr günstige Variante ist die Nutzung des Luftspalts zwischen Fußboden und Türblatt, die sog. Bodenluft. Im Regelfall beträgt dieser 7 mm bei Innentüren und ist meistens im Fall der freien Lüftung völlig ausreichend. Die Richtlinie LU-02/2 stellt hierfür Tabellen zur Verfügung, mit denen die Auslegung der Überströmluftdurchlässe ohne Berechnung möglich ist.
Die ift-Richtlinie LU-02/2 „Fensterlüfter“ ist ein sicheres und zeitsparendes, analoges Planungstool für die freie Lüftung über dezentrale am/im Fenster angebrachte Lüftungseinrichtungen (Fensterlüfter). Wer dennoch nicht auf ein digitales Planungstool verzichten möchte, kann den kostenlosen und online verfügbaren Lüftungsplaner des ift Rosenheim unter www. ift-rosenheim.de/digitale-services nutzen.
Über das ift Rosenheim
Das ift Rosenheim ist eine Forschungs‑, Prüf‑, Überwachungsund Zertifizierungsstelle und international nach DIN EN ISO/IEC 17025 akkreditiert. Im Mittelpunkt steht die praxisnahe, ganzheitliche, schnelle Prüfung und Bewertung aller Eigenschaften von Fenstern, Fassaden, Türen, Toren, Glas und Baustoffen sowie persönlicher Sicherheitsausrüstungen. Ziel ist die nachhaltige Verbesserung von Produktqualität, Konstruktion und Technik sowie Normungsarbeit und Forschung. Die Zertifizierung durch das ift Rosenheim sichert eine europaweite Akzeptanz. Das ift ist der Wissensvermittlung verpflichtet und genießt als neutrale Institution deshalb bei den Medien einen besonderen Status. Die Publikationen dokumentieren den aktuellen Stand der Technik.
www.ift-rosenheim.de/wissen
Der Autor
Dipl.-Phys. Michael Rossa
ist seit vielen Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am ift Rosenheim und beschäftigt sich dort mit bauphysikalischen Themen und Schulungen im Bereich der ift Akademie.