Realisierte Objekte
Baugemeinschaftsprojekt im Prinz-Eugen-Park in München: Dorf in der Stadt
Text: Marc Wilhelm Lennartz | Foto (Header): © ANDREAS KNOBLAUCH
In München wurde Deutschlands bis dato größte Holzbausiedlung errichtet. Dabei sticht ein Projekt hervor, das aus konventionellen Zeilenbebauungen und monotonen Reihenhausformationen ausgebrochen ist. Als „Dorf in der Stadt“ ist es dort gelungen, die ruralen Bezüge gelebter Nachbarschaften mit einem großstädtischen Lebensgefühl zu vereinen.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 4.2022
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Vorzug von Baugemeinschaften und Genossenschaften
Rund 40 % der Grundstücke im Prinz-Eugen-Park durften von Baugemeinschaften und Genossenschaften bebaut werden. Dies darf als Ausdruck einer Abkehr der öffentlichen Hand vom rein kommerziellen Investorenbau betrachtet werden, der mitverantwortlich für das Desaster auf dem Wohnungsmarkt der letzten Jahre in den Metropolen war und ist. Dank der sozialen und ökologischen Vergabekriterien seitens der Stadt München konnten die agmm Architekten + Stadtplaner um Patric F. C. Meier und Markus Borst für die Baugemeinschaft „gemeinsam größer II“ im Rahmen einer Konzeptvergabe einen Bauplatz in der ökologischen Mustersiedlung erwerben. Dabei erhielt die Baugemeinschaft eine Förderung von rund 900.000 Euro, resultierend aus den verbauten Nawaro-Mengen von bis zu 2 Euro/kg. Die Baugemeinschaft hatte sich bereits im Vorfeld konstituiert, um final die 39 Wohneinheiten mit Wohnflächen von 70 bis 120 m² unter sich aufzuteilen. Die Mitglieder vereinte der Wunsch nach Beteiligung an der Planung ebenso wie die Möglichkeit, dadurch die Baukosten im Vergleich zum konventionellen Bauträgergeschäft um bis zu 20 % zu senken. Des Weiteren haben sich die zukünftigen Nachbarn darauf verständigt, gewisse Teilbereiche gemeinschaftlich zu finanzieren, was den Zusammenhalt fördert und die räumlichen Möglichkeiten jeder einzelnen Baupartei erweitert hat. Diese Faktoren haben es auch jungen Familien und solchen, die es demnächst werden wollen, ermöglicht, Teil der Baugemeinschaft zu werden, die gleichwohl auch älteren Semestern und Singles neue Heimstatt geworden ist.
Holzrahmenbauten mit Biodiversitäts-Gründächern
Die zu rund 75 % unterkellerte Siedlung beherbergt zwei viergeschossige Gebäude links und rechts des Hauptzugangs mit 15 Wohneinheiten sowie im hinteren Bereich 12 zwei- bzw. dreigeschossige Wohnhäuser mit 24 weiteren Wohneinheiten. Die von den Südtiroler Zimmerern von LignoAlp vorproduzierten, 500 Holzrahmenbau-Außenwandelemente wurden mit einer Fläche von rund 4.500 m² just-in-time auf die Baustelle geliefert und sofort montiert. Die Vorfertigung inkludierte die Lärchenholzfassade, die Fenster- und Türelemente, außen liegenden Raffstores und die geschossweise umlaufenden Brandriegel sowie die eingeblasene Dämmung aus Holzfasern. Darüber hinaus verfügen die Gebäude über massivhölzerne Brettsperrholz-Decken (BSP) und BSP-Innenwände. Den Abschluss bilden Biodiversitäts-Gründächer, die in Teilen begehbar als Dachterrasse und Garten mit Hochbeeten genutzt werden und zugleich für die sommerliche Kühlung der Siedlungskomplexes sorgen.
Mäandrierende Laubengangerschließung
Ein ganz wesentliches architektonisches Merkmal bildet die innovative Erschließung der Hofhäuser der Gemeinschaftssiedlung. Der mäandrierende Laubengang dockt im Wechselspiel jeweils punktgenau an den einzelnen Wohneinheiten des Obergeschosses an. Diese organische Erschließung verbindet die Parteien und ihre Wohnungen auf eine ebenso schöne wie pragmatische Form. Im Unterschied zu konventionellen Laubengängen, die beim Vorbeilaufen uneingeschränkte Blicke in die Wohnzimmer der Nachbarn ermöglichen, schützt das natürliche Mäander die Privatsphäre. Ferner führt das obige Wechselspiel auch zu geringeren Verschattungen der unteren Wohnbereiche. Und: Die „Schlange“, wie sie auch bezeichnet wird, erweckt Sympathien, macht neugierig, lädt zum Verweilen ein, sowohl oben als auch darunter. Für die Bewohner der Baugemeinschaft hat sie sich längst zu einem beliebten Spontan-Treffpunkt entwickelt, wobei die Kinder sich drumherum tummeln, spielen und die integrierte Rutsche nutzen. Die Verstetigung des Gemeinschaftlichen – sie findet hier statt, dank dieser sozial-integrativen Architekturlösung.
Mit dem Dorf in der Stadt ist es gelungen, die ruralen Bezüge gelebter Nachbarschaften mit einem großstädtischen Lebensgefühl zu vereinen. Dabei ermöglicht das aufgelockerte, unregelmäßige Siedlungsgefüge eine Vielfalt an vertikalen und horizontalen Verbindungsoptionen, ebenso wie Orte des privaten Rückzugs. Das oftmals durchdeklinierte „entweder-oder“ wird hier zu einem „sowohl-als auch“. Der gelungene Ausbruch aus konventionellen Zeilenbebauungen und monotonen Reihenhausformationen erinnert architektonisch an gewachsene Dorfstrukturen alter Zeit. Deren verbindliche Nachbarschaft speiste sich aus einander bedingenden, sozialökonomischen Bezügen, wie auch aus einer gemeinsamen Materialität, die lokalen Ursprungs war. Der Umkehrschluss ist den Bewohnern der Baugemeinschaft „gemeinsam größer II“ nun zur gebauten Realität geworden. Ihre Holzbauten entstammen ein- und derselben Quelle, deren Entwurfsplanung eine Einheit geschaffen hat, die zugleich Vielfalt und Identität ermöglicht.
Den privaten Wohnungen stehen im Erdgeschoss des westlichen Viergeschossers ein Gemeinschaftsraum und ein Gästeappartement zur Seite. Zudem wird quasi das gesamte Untergeschoss mit knapp 1.000 m² gemeinschaftlich genutzt. Hier befinden sich eine Werkstatt, ein Spiel- und ein Musikraum, eine Fahrradwerkstatt für die 3 Fahrradkeller mit Rampe, ein Wasch- und Trockenraum, je Wohneinheit ein Abstellkeller sowie 34 Pkw-Stellplätze und 3 Stellplätze für E-Carsharing nebst Ladestationen. Zudem verfügt jede Wohnung entweder über einen kleinen Garten, oder über einen Balkon.
Reine Schlafsiedlungen versus möglicher Mischgebiete
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn in einer Millionenstadt ein derartig großes Quartier in klimafreundlicher Holzbauweise errichtet wird. Die Nawaro-Förderung durch die Stadt München in Zeiten sich verknappender, begrenzter Rohstoffe stellt ein wichtiges Signal dar. Gleichwohl hätte man mehr erwarten dürfen von der ökologischen Mustersiedlung: Mit einer Abkehr von der längst widerlegten, monokausalen Schlafstadt mit morgens aus- und abends einpendelnden Menschen hätte sich eine riesige Chance ergeben können. Das städtebauliche Werkzeug dazu, das urbane Gebiet, existiert. Damit hätte man Kleingewerbe, Büros, Praxen, Co-Working-Spaces, Kitas, Cafés, Restaurants, Büchereien u. v. m. in die Siedlung integrieren können – im Idealfall von den Siedlern selbst betrieben, mit eigenen Arbeitsplätzen. Doch dazu fehlte der Stadt wohl vor allem eines: Mut. Ferner muss auch das Energiekonzept kritisch betrachtet werden. Der Anschlusszwang an das Fernwärmenetz der Stadtwerke München hat die Baukosten signifikant nach oben getrieben. Die kilometerlangen Leitungssysteme, dazu Pumpen, Heizkreisverteiler, Übergabestationen, aufwendige Flächenheizungen etc. mussten die Bauparteien bezahlen. Und die Fernwärme des Heizkraftwerks Nord in Unterföhring, die stammt aus der Verbrennung von Müll und Steinkohle. Hier hätte man sich vielmehr in Eigenregie von den Genossenschaften und Baugemeinschaften betriebene, dezentrale Lösungen gewünscht, die auf Basis von erneuerbaren Energien emissionsfrei und auf Dauer kostengünstiger hätten betrieben werden können. Zumal die hochgedämmten Holzbauten nur noch ein Minimum an Heizwärme bedürfen. Last but not least sei auf die immer noch in Standardausschreibungen aufgeführten Pkw-Stellplätze hingewiesen, die nachzuweisen sind. Im Dorf in der Stadt wurde ein Stellplatzschlüssel von 0,8 angewandt. Berücksichtigt man den Trend, dass in den Städten die Menschen zunehmend auf eigene PKW verzichten, wäre ein Schlüssel von vielleicht 0,6 oder gar 0,4 möglich gewesen, sodass die teure Tiefgarage etwas kleiner hätte ausfallen können.
Projektdetails
Bauform Holzmischbauweise |
Betonbau Kreuzer GmbH & Co. Bauunternehmung, D-86825 Bad Wörishofen www.glass-bau.de |
Bauherr Baugemeinschaft „gemeinsam größer II“ am Prinz-Eugen-Park GbR, D-80469 München www.gemeinsam-groesser.de |
Geschossfläche (GF) oberirdisch 5.075 m² |
Architektur, Bauleitung agmm Architekten + Stadtplaner, D-80636 München www.agmm-architekten.de mit Hable Architekten (Leistungsphase II), D-81379 München www.hable-architekten.de |
Wohnfläche 3.912 m² |
Holzbau Vorfertigung, Montage LignoAlp Damiani-Holz & Ko AG, I-39042 Brixen, Italien www.lignoalp.com |
Anzahl Wohneinheiten 39 |
Tragwerksplanung, Bauphysik, Brandschutz Planungsgesellschaft Dittrich mbH, D-80636 München www.dittrich-pg.de |
Baukosten 12.725.000 Euro (KG 300 + KG 400 inkl. Tiefgarage) |
Schallschutz IG Bauphysik GmbH & Co. KG, D-85662 Hohenbrunn www.ig-bauphysik.de |
Nachwachsende Rohstoffe Hofhäuser: 251 kg/m² Wfl. Punkthäuser: 215 kg/m² Wfl. |
Landschaftsplanung Liebald + Aufermann Landschaftsarchitekten Part GmbB, D-81241 München www.liebald-aufermann.de |
EnEV 2014 Primärenergiebedarf: 10,5 kWh/(m²a) Endenergiebedarf: 58,5 kWh/(m²a) |
Der Autor
Marc Wilhelm Lennartz
Der Fachjournalist und Autor Marc Wilhelm Lennartz, Diplom-Geograph mit Schwerpunkt Städtebau + Siedlungswesen, lebt in der Eifel und publiziert seit über zwei Dekaden u. a. in den Fachbereichen Architektur, Holzbau, Gebäudetechnik, Wohnungswirtschaft, Baubiologie und Denkmalpflege.
www.mwl-sapere-aude.com