Energie, Technik & Baustoffe
Zirkulär bauen im modernen Holzbau: circularWOOD
Text: Dr.-Ing. Sonja Geier, Dr.-Ing. Sandra Schuster | Foto (Header): © PIRMIN JUNG SCHWEIZ AG
Holz ist ein Baustoff mit hohem ökologischen Wert: Die DNA des Konstruktionscharakters des Holzbaus bietet optimale Voraussetzungen, Bauteile und Komponenten ohne Wertverlust zu lösen. Doch in der aktuellen Anwendung ist das nicht gängig. Das Forschungsprojekt circularWOOD beschäftigt sich damit, was heute bereits möglich ist und welche Entwicklungen in Zukunft notwendig sind.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 3.2024
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Inhalte des Beitrags
Der moderne Holzbau bietet durch seinen hohen Vorfertigungsgrad und die Erfahrung im Umgang mit großformatigen Elementen sowie seiner langjährigen Prämisse der Systemtrennung beste Voraussetzungen für Rückbaubarkeit und Wiederverwendung. Hier setzt das Projekt circularWOOD an: Dieses Potenzial soll für das zirkuläre Bauen genutzt werden. Die Forschungskooperation der Technischen Universität München und der Hochschule Luzern hat den notwendigen Handlungsbedarf dafür grenzüberschreitend analysiert.
Großes Potenzial liegt in den Grundprinzipien des Holzbaus: „trockene“ und geschraubte Verbindungen sowie Stecksysteme ermöglichen es im Gegensatz zu anderen Bauweisen, Bauteile leicht und ohne Wertverlust zu demontieren und zu trennen. Holzbauunternehmen haben mit temporären Bauten schon seit einiger Zeit Erfahrungen im Rück- und Wiederaufbau gesammelt. Raumzellen und flächige Bauteile aus Holz sind aufgrund ihres geringen Gewichts ideal für Logistik und Transport. Gemäß der Bewertung mithilfe des Urban Mining Index, der von Anja Rosen entwickelt wurde, schneiden Holzkonstruktionen grundsätzlich gut ab. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie so „natürlich” wie möglich belassen werden.
Trotz der steigenden Zahl kreislauffähiger Holzbauten beruht die Praxis noch immer auf Klammern, Kleben, Abdichten und dem Erstellen vielschichtiger Aufbauten. Wer Holzgebäude zurückbaut, ist mit diesen Herausforderungen konfrontiert, und es kommen noch immer neue dazu. Der Wandel hin zum kreislauforientierten Bauen ist noch lange nicht erreicht. Der Rückbau, auch im Holzbau, verursacht bislang einen unverhältnismäßig hohen Aufwand. Daher ist die energetische Verwertung ohne selektiven Rückbau nach wie vor gängige Praxis.
Im Bereich der Architektur gibt es bei der Umsetzung von Kreislaufprinzipien eine weitere Herausforderung. Entgegen der Erwartung belegen einschlägige Erfahrungsberichte aus circularWOOD, dass nicht primär die Kosten die Entscheidungen von Bauherren beeinflussen. Vielmehr sind es Vorstellungen von Ästhetik und kulturellen Normen, die eine zentrale Rolle spielen. Eine entscheidende Barriere liegt also in der gesellschaftlichen Wahrnehmung, dass Gebrauchtes ein Zeichen minderer Qualität oder Unattraktivität sei. Dieses Vorurteil beeinträchtigt die Bereitschaft, gebrauchte Materialien in die Architektur zu integrieren, selbst wenn dies ökologisch und ökonomisch sinnvoll wäre. Die Umsetzung zirkulärer Prinzipien erfordert daher nicht nur technische Innovationen, sondern auch eine grundlegende Veränderung kultureller Einstellungen und Werte hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ressourcennutzung.
Im Projekt circularWOOD wurden vier kreislauforientierte Pilotprojekte aus Holz als Fallstudien untersucht. Dabei zeigte sich, dass die für das zirkuläre Planen erforderlichen Prozesse im Allgemeinen und auch im Holzbau bislang kaum oder gar nicht etabliert sind. Auftraggebende, Planende sowie die ausführenden Unternehmen, die kreislauforientierte Gebäude realisieren, leisten derzeit Pionierarbeit. Die gesammelten Erfahrungsberichte machen deutlich, dass beim Planen und Bauen zukünftig neu gedacht werden muss. Die Motivation aller Projektbeteiligten ist entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung. Die EU-Taxonomie trägt dazu bei, dass Gebäude kreislauffähig geplant und gebaut werden müssen. Der Erfolg der Umsetzung eines kreislauffähigen Gebäudes hängt in weiterer Folge davon ab, dass alle Beteiligten von der zirkulären Zielsetzung überzeugt sind und entsprechend mitwirken. Wichtig ist dabei die klare Definition von Kreislauffähigkeit für das jeweilige Gebäude. Die spezifischen Teilziele müssen schon während der kollaborativen Erarbeitung der Projektziele (Bedarfsplanung) formuliert und verbindlich vereinbart werden. Dabei liegt die Initiative stets in den Händen und der Verantwortung der Auftraggebenden.
Es ist auch entscheidend, die Projektstruktur neu zu denken. Die Holzbaubranche fordert seit Langem holzbaugerechte Planungsprozesse und die frühzeitige Einbeziehung relevanter Disziplinen. Dies wurde insbesondere im Projekt leanWOOD untersucht. Dabei geht es um integrale Planungsansätze, besonders in Projektphasen wie dem Vorentwurf und dem Entwurf, also frühe Projektphasen, da hier wichtige Entscheidungen getroffen werden. Trotz vieler Argumente für dieses Vorgehen wird unter steigendem Zeit- und Ressourcendruck oft auf die Einbindung relevanter Kompetenzen verzichtet. Die Untersuchung der Fallstudien in circularWOOD zeigt auch, dass Planungsabläufe sich verändern. In Deutschland besteht die Prämisse der Trennung von Planung und Ausführung, was bedeutet, dass rückbaubare Konstruktionen und Aufbauten bereits im Planungsteam entwickelt werden müssen. Die Thematik der Rückbaubarkeit im Holzbau ist eng mit Fragen zur Fügetechnik, Verbindungsmethoden sowie dem Wissen über Produktion, Transport und Montage verknüpft. Gerade in diesem Kontext gewinnt dieses Wissen an Bedeutung, wie die Fallstudien verdeutlichen. Sie zeigen, dass für die Rückbaubarkeit Lösungen erforderlich sind, die über die herkömmlichen Standards im Holzbau hinausgehen.
Was heute entworfen wird, bildet das Material- und Bauteillager von morgen. Wiederverwendung, also die höchstmögliche Qualitätsstufe in der Nachnutzung, ist entscheidend für die Ressourcenschonung. Recycling oder nachrangige Verwertung sind demgegenüber zweitrangige Optionen. Die Diskussionen in circularWOOD verdeutlichen auch differenzierte Perspektiven. Recycling bietet oft mehr Möglichkeiten für die Nachnutzung von Baustoffen. Produkte und Bauteile aus Sekundärmaterialien eröffnen kommenden Generationen größere Gestaltungsspielräume. Dennoch wäre es kurzsichtig, dies als Entschuldigung für einen weniger sorgsamen Umgang im aktuellen Bauen zu betrachten. Der aktuelle Stand der Technik und die Praxis bezüglich Wiederverwendung und Wiederverwertung ist lediglich eine Momentaufnahme der gegenwärtig gängigen Verfahren. Fortschritte in Forschung und Entwicklung lassen darauf schließen, dass zukünftig weit mehr möglich sein wird. Verknappung fördert Ideen und Innovationskraft. Um den Gestaltungsspielraum zu erhalten, müssen Wiederverwendung und maximales Nachnutzungspotenzial heute die Grundlage für Entwurf und Gestaltung bilden.
Die Rückbaufähigkeit von Gebäuden ist ein Gestaltungsansatz für die Kreislaufwirtschaft. Eine Alternative ist die Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden und deren Strukturen. Eine Ausdehnung der Nutzungsdauer, statt Rückbau und Wiederverwendung, führt ebenfalls zu einem sparsamen Umgang mit Ressourcen. Das Verständnis für eine „Open Architecture“ stellt Gebäude systemisch in den Kontext der gebauten Umwelt und nutzt Synergien. Auf konstruktiver Ebene bedeutet das anpassbare Gebäudestrukturen, die Nutzungsänderungen und neuen Anforderungen mit angemessenem Aufwand, Eingriffstiefe und Kosten gerecht werden können. Auf der strukturellen Ebene ist die Systemtrennung in Primär- und Sekundärkonstruktion sowie Fassaden etc. im Holzbau bereits systemimmanent. Pilotprojekte zeigen in der Detailausführung, wie mit einfachen Maßnahmen große Effekte erzielt werden können. Gleitende Anschlüsse ermöglichen z. B. die Flexibilität von Innenwänden, sodass sie bei einer Umnutzung demontiert werden können und der trockene Bodenaufbau lokal ergänzt werden kann.
Architekturschaffende, die bereits Sekundärmaterialien in ihre Projekte integrieren, prägen eine neue Ästhetik in der Architektursprache. Mit zunehmender Ressourcenknappheit beeinflussen der Umgang mit Bestand, Verfügbarkeit und die Wertung von „Gebraucht“ und „Neu“ immer stärker den architektonischen Gestaltungsund Planungsprozess. „Form follows availability“ könnte Teil eines sich wandelnden architektonischen Verständnisses sein.
Der moderne Holzbau bietet optimale Voraussetzungen für eine einfache Rückbaubarkeit und Wiederverwendung durch Vorfertigung, Systemtrennung und trockene Fügetechniken. Trotz zahlreicher Konzeptgebäude und Studien fehlen umfassende technische Konzepte für recyclinggerechte Holzgebäude, die technisch, ökologisch und ökonomisch umsetzbar sind. Die Planung von kreislauffähigen Gebäuden erfordert ein Umdenken in der Planungspraxis und eine frühe Einbindung relevanter Disziplinen, um rückbaufähige Gebäude zu konzipieren. Themen wie integrale Planung und frühe Entscheidungen werden noch wichtiger, um eine spätere Demontage, Wiederverwendung und Weiterverwertung zu gewährleisten. Ausführungs- und Montagewissen gewinnen bei der Umsetzung zirkulärer Projekte an Bedeutung. Während im Neubau Gestaltungsspielräume vorhanden sind, stellt der Umgang mit dem Bestand eine große Herausforderung dar.
Die Verwendung von Sekundärbaustoffen und gebrauchten Bauteilen sind vielversprechende Ansätze, die noch auf kulturelle Barrieren stoßen. Es ist daher weiterhin umfangreiche Aufklärungsarbeit und Forschung und Entwicklung erforderlich. Trotz dieser Herausforderungen stellen der Rückbau und die Wiederverwendung im Holzbau einen bedeutenden Fortschritt hin zu einer nachhaltigeren Bauweise und der Erreichung unserer Klimaziele dar. Gemeinsam mit der Innovationskraft der Architekturbranche können wir die Bauwende gestalten.
Das Forschungsprojekt circularWOOD wurde gefördert vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) aus Mitteln des Innovationsprogramms Zukunft Bau.
Zum Weiterlesen
Vorliegender Artikel basiert auf den Erkenntnissen des Projekts circularWOOD und dem Schlussbericht: Schuster und Geier (2023).
circularWOOD – Paradigmenwechsel für eine Kreislaufwirtschaft im Holzbau. BBSR-Online-Publikation 15/2023. Der Schlussbericht ist verfügbar unter:
www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2023/bbsr-online-15-2023.html
DOI-Link: doi:10.14459/2023md1725475
Die Autorinnen
Dr.-Ing. Sonja Geier
ist Architektin und stv. Leiterin des Kompetenzzentrums Typologie & Planung in Architektur (CCTP) an der Hochschule Luzern. Ihre Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind nachhaltige Entwicklung im Holzbau, digitale Planungsprozesse und Kreislaufwirtschaft.
www.hslu.ch/cctp
Dr.-Ing. Sandra Schuster
ist Architektin und Forschungsdirektorin am Lehrstuhl für Architektur und Holzbau, Technische Universität München, und leitet den Forschungsverbund TUM.wood. Ihre Forschung konzentriert sich auf den mehrgeschossigen, kreislaufgerechten Holzbau sowie auf soziokulturelle Fragestellungen in der Architektur.
www.arc.ed.tum.de/holz/forschung