Realisierte Objekte
Nationen- und Generationenhäuser in Ulm: Moderner Hybrid
Text: Eva Mittner | Foto (Header): EVA MITTNER
Im Zentrum der Stadt Ulm zeigen zukünftig zwei fünfgeschossige Mehrfamilienhäuser in Holzbauweise beispielhaft die Vielseitigkeit des Naturbaustoffs für die Entwicklung nachhaltiger Wohnquartiere. Familienfreundliches und zukunftsorientiertes Wohnen standen weit vorne bei den Prioritäten für dieses Bauvorhaben – aber auch die Idee, ein Nationen- und Generationenhaus für viele Wohnbedürfnisse mit flexiblen Nutzungsmöglichkeiten zu gestalten.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2023
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In unmittelbarer Nähe zur Innenstadt Ulms und mit guter Infrastrukturanbindung punkten zukünftig zwei Neubauten mit einem überzeugenden ökologischen Ansatz: Geplant wurde das Ensemble von den Architekten Obermeier + Traub aus Ulm, umgesetzt von den Holzbauexperten der Firma Gapp Objektbau aus Öpfingen. In den beiden Häusern befinden sich jeweils neun Wohnungen mit zwei und drei Zimmern, ein Gemeinschaftsraum, eine Fahrradwerkstatt, ein Co-Working-Space sowie je eine Gewerbeeinheit im Erdgeschoss. Die Wohnflächen variieren zwischen 55 und 88 m², die Gewerbeeinheit weist eine Fläche von 79 m² auf.
Verschiedene Wohnbedürfnisse berücksichtigt
Die Planung der beiden energieeffizienten Wohngebäude berücksichtigt viele verschiedene Wohnbedürfnisse: Sowohl den geringeren Platzbedarf älterer Paare, Alleinerziehender oder alleinstehender Bewohner sowie den von Familien. Mit zwei und drei Zimmern sind die Wohnungen für heutige Baustandards im Stadtbereich clever durchdacht. Alle Wohnungen und auch die Tiefgarage sind barrierefrei durch einen zentral gelegenen Aufzug erreichbar. Funktional gegliederte Grundrisse und offene, helle Räume zeichnen die Wohnungen aus, die mit Fußbodenheizung, Parkettböden und dreifachverglasten Fenstern hochwertig ausgestattet sind. Die Wohnanlage verfügt zukünftig über 18 Tiefgaragenstellplätze.
Mit Baubeginn im Februar 2021 war der erste der beiden Fünfgeschosser nach nur elf Monaten Bauzeit bezugsfertig. Seit Frühsommer 2023 entsteht nun das zweite Gebäude auf dem Grundstück. Beide Bauten zeichnen sich durch zeitgemäße Architektur mit charakteristischen Flachdächern und besonders großen Loggia-Boxen aus.
Gut kombiniert: Holz und Stahlbeton
Durch die Kombination der Werkstoffe Holz und Beton werden die Mehrgeschosser zu Hybridbauten. Der für das Bauprojekt zuständige Projektleiter und Architekt Dipl.-Ing. Hans-Peter Obermeier hat die Vorteile der innovativen Hybridbauweise sinnvoll genutzt. Die Gebäude sind durch eine Tiefgarage und die Kellerräume miteinander verknüpft. Dieses Untergeschoss und die Treppenhauskerne wurden nach statischen Erfordernissen zur Gebäudeaussteifung in Stahlbetonbauweise ausgeführt. Die oberirdischen Bauteile dagegen sind vorrangig in Holzbauweise realisiert: Die Decken über dem Erdgeschoss als Stahlbetondecke (SB1), die Außenwände in Holztafelbauweise. Die Fassaden bestehen aus Putzfassaden und Holzfassaden-Elementen.
Für die Putzfassade wurde als langfristig wetterfeste Außenhaut 10 mm weiß durchgefärbter Mineralputz auf 80 mm Mineralfaserdämmung und 18 mm Gipsfaserplatten verwendet. Dahinter hat man eine 240 mm tiefe Holzständerebene angebracht – die Zwischenräume wurden mit Mineralfaserdämmung gefüllt. Richtung Innenräume gibt es eine weitere Mineralfaserdämmschicht, gefolgt von der inneren Bekleidung aus einer Lage 18 mm OSB-Platten und einer weiteren Lage 18 mm Gipsfaserplatten.
Die Holzfassaden-Elemente sind bis zur äußeren Mineralfaserdämmschicht identisch mit der Putzfassade. Anstelle der Gipsfaserplatten grenzt an diese Schicht jedoch eine 30 mm dicke Hinterlüftungsebene mit vertikaler Lattung an. Der Abschluss wurde mit einer 25 mm starken Holzschalung ausgeführt.
Die Wohnungstrennwände sind zweischalig in Holzbauweise realisiert. Alle nicht tragenden Innenwände wurden als Metallständerwände ausgeführt und zweilagig mit Gipskartonplatten beplankt. Die Geschossdecken bestehen aus einer Holzbetonverbundkonstruktion aus 120 mm Brettschichtholz. Die Holzoberflächen des flach liegenden Brettschichtholzes wurden in den Wohnungen sichtbar gestaltet, um eine warme Stimmung in die Wohnungen zu bringen.
Von oben wurde der Aufbau mit einer 140 mm Betonschicht und vollflächig mit 40 mm Trittschalldämmung aus Mineralfasermatten ergänzt. 70 mm Zementestrich inklusive Fußbodenheizung und ein Belag in Form von Parkett, Laminat oder Fliesen schließen den Bodenaufbau im Innenbereich ab.
Das Dach ist bei beiden Wohnbauten eine Holzbetonverbundkonstruktion. Die Aufbauten variieren in der Stärke von Holz und Beton zu den Geschosstrenndecken. Die Holzbauelemente wurden vom Holzbau-Unternehmen in der Produktionshalle vorgefertigt. Durch die sehr genaue Vorplanung und den hohen Vorfertigungsgrad war eine reibungslose Abwicklung auf der Baustelle gesichert.
Ein individuelles Brandschutzkonzept zeigt, dass die baulichen und anlagentechnischen Vorkehrungen sowie getroffenen Kompensationsmaßnahmen die bauaufsichtlichen Schutzziele der baden-württembergischen Landesbauordnung erreichen. In der Praxis heißt dies: Mehrgeschossige Holzbauten – besonders in den Gebäudeklassen 4 und 5 – weisen hinsichtlich ihres brandschutztechnischen Sicherheitsniveaus keine Unterschiede zu Bauten aus Stahlbeton oder Mauerwerk auf. Mit der Fachplanung für Tragwerk, Bauphysik, Schall- und Brandschutz betraute man das Planungs-Team Pirmin Jung Deutschland. Dieses übernahm auch die gesamte Werkstattplanung sowie die Arbeitsvorbereitung für das Holzbau-Unternehmen.
Da durch die dämmstarke Gebäudehülle bei der Beheizung der Wohneinheiten nur ein sehr geringer Restenergiebedarf erforderlich ist, übertreffen die beiden Effizienzhäuser die strengen Anforderungen des Standards „Effizienzhaus 40“.
Die Wohnhäuser sind mit einer dezentralen Lüftungsanlage samt Wärmerückgewinnung von bis zu 85% und einer Photovoltaikanlage mit Energiespeicher ausgestattet. Die Holzbetonverbunddecken sowie der aussteifende Stahlbeton-Treppenhauskern verbessern die Wärmespeicherkraft gegenüber einem reinen Holzbau.
Projektdetails
Bauaufgabe Fünfgeschossige Mehrfamilienhäuser in Ulm, Wielandstraße 15 |
Architektur Architektur und Städtebau Obermeier + Traub, Ulm www.obermeier-traub.de |
Bauweise Holztafelbauweise |
Statik, Tragwerksplanung, Bauphysik, Brandschutz, Schallschutz, Werkstattplanung Pirmin Jung Deutschland GmbH, Remagen www.pirminjung.de |
Wohnfläche Zwei Gebäude: 18 Wohnungen mit 55 bis 88 m², je eine Gewerbeeinheit mit 79 m² |
Energiestandard KfW 40 mit Fernwärmeanschluss, dezentraler Lüftungsanlage + Wärmerückgewinnung und Photovoltaikanlage |
Holzbau Gapp Holzbau GmbH & Co. KG, Öpfingen www.gappholzbau.de |
Der baulich umgesetzte Energiestandard eines KfW-Effizienzhaus 40 Plus wurde von der KfW-Bank gefördert – durch vergünstigte Kredite für Wohnungskäufer und durch Tilgungszuschüsse. Zudem sparen Wohnungseigentümer durch den hohen Energiestandard ihrer Immobilie langfristig Energie und somit Kosten. „Das Konzept für das gesamte Areal ist besonders auf zukünftige soziale, aber auch energetische Anforderungen ausgerichtet“, berichtet Architekt Hans-Peter Obermeier. „Wir setzen seit Jahrzehnten auf den mehrgeschossigen Holzbau und stellen immer wieder fest, wie stark die Hybridbauweise weiterhin an Beliebtheit gewinnt. Bei allen Vorteilen sind diese Gebäude zudem nicht wesentlich teurer als konventionelle Bauten.“ Dem von der Bundesregierung angestrebten Ziel, den Energiebedarf von Gebäuden erheblich zu reduzieren, kommt man damit schon heute nach.
Nationen und Generationen in aktiver Nachbarschaft
Im Fokus des Bauvorhabens standen sowohl hohe ökologische als auch soziale Ansprüche und Anforderungen. Viele Menschen wollen möglichst stadtnah und zugleich in aktiver Nachbarschaft leben. Hier wohnen Menschen, die ein selbstbestimmtes Zusammenleben in einem sich gegenseitig helfenden und unterstützenden Miteinander als geeignete Wohnform wählen. Die vielen Synergieeffekte der sozialen Gemeinschaft – wie gegenseitiger Einsatz bei Kinderbetreuung, Nachbarschaftshilfe oder Handwerksleistungen – begeistern viele junge Familien, aber auch ältere Menschen für das gemeinschaftliche Wohnen.
Im Vergleich zur klassischen Hausgemeinschaft setzt das Wohnen im Nationen-Generationen-Haus ein größeres Maß an eigenem Engagement, Zeitaufwand und auch mehr Geduld voraus. Neue Mitbewohner lernen vor dem Einzug den Vertreter der Hausgemeinschaft kennen und informieren sich über das Zusammenleben, um dieses gemäß dem Hausstatut zu unterstützen.
Im Hausstatut sind die jeweiligen Bereiche wie z.B. Gemeinschaftsraum, Dienstleistungen oder Fahrradwerkstatt festgelegt und mit weiteren Vorschlägen versehen. Die Gemeinschaft erhält so einen Rahmen, in den sich jeder Mitbewohner einbringen kann.
Viele Städte fördern inzwischen die neuen Wohngemeinschaften. In Ulm wurde das Bauvorhaben in der Wielandstraße unter die Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters Gunter Czisch genommen.
Die Autorin
Eva Mittner
Eva Mittner ist Autorin und lebt im Raum München. Nach Festanstellungen als Redakteurin und Pressesprecherin schreibt sie freiberuflich für verschiedene Architekturmedien. Sie hat sich zudem auf Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Architekten und Ingenieure spezialisiert