Realisierte Objekte
Mobility Hubs für Oberbillwerder: In Zukunft parken
Text: Sabine de Buhr | Foto (Header): © ADEPT MIT KARRES + BRANDS / IBA HAMBURG
Hamburg verzeichnet seit Jahren einen Bevölkerungszuwachs und steht als Stadtstaat vor der Herausforderung, das Wachstum nachhaltig zu organisieren. Sinnvolle und zukunftsweisende Mobilitätskonzepte sind dabei unerlässlich. Im neuen Stadtteil Oberbillwerder wird der ruhende Verkehr konsequent in sogenannten Mobility Hubs untergebracht.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 5.2023
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Inhalte des Beitrags
Jährlich sollen mindestens 10.000 Wohnungen genehmigt werden, davon 2.000 Wohnungen im geförderten Mietwohnungsbau. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die Metropole an der Elbe auf zwei sich ergänzende Strategien: zum einen auf die Verdichtung im Inneren, unter dem Stichwort „Mehr Stadt in der Stadt “, als wesentliche Strategie, um das Wachstum in die bestehenden Quartiere mit guter Infrastruktur zu lenken und ein Mehr an Nutzungsmischung und Vielfalt zu erreichen. Zum anderen auf Hamburgs Erweiterung in seinen äußeren Stadtgebieten hin zu mehr Urbanität unter dem Stichwort: „Mehr Stadt an neuen Orten“.
Der neue Stadtteil Oberbillwerder ist eines der drei großen Erweiterungsgebiete, das gemäß der wohnungspolitischen Zielsetzung des Hamburgischen Senats „Stadt an neuen Orten “entwickelt wird. Das Gebiet liegt an der S-Bahnlinie, die die Hamburger Innenstadt mit dem Bezirk Bergedorf verbindet. Aufgrund der vorausschauenden Konzeption des ehemaligen Oberbaudirektors Fritz Schumacher (von 1909 – 1933 im Amt) wurden entlang der Bahnlinie Hamburg – Bergedorf systematisch die landwirtschaftlichen Flächen aufgekauft. Mit dem sog. Achsenkonzept skizzierte Schumacher eine organische Entwicklung des Ballungsraumes Hamburg. Dieses Modell wurde im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt, und seit den 1970er- Jahren entstanden nach und nach die angrenzenden Quartiere Bergedorf- West, Neuallermöhe-Ost und Neuallermöhe-West. Ein weiteres noch verbliebenes Potenzial auf dieser Achse ist nördlich davon der Raum Oberbillwerder. 1973 wurde mit der Neuaufstellung des Flächennutzungsplans, der für diesen Entwicklungsraum Wohn- und Gewerbeflächen vorsieht, die Grundlagen für die zukünftige Entwicklung geschaffen.
Im September 2016 beauftragte der Hamburger Senat die städtische Projektentwicklungsgesellschaft IBA Hamburg GmbH mit der Erstellung eines Masterplan-Entwurfs einschließlich eines Kosten- und Finanzierungsplans für die Entwicklung von Oberbillwerder. Als Planungsverfahren wurde ein wettbewerblicher Dialog gewählt, der in allen Leistungsphasen eine enge Kooperation zwischen Planenden, Verwaltung, Politik und Bürgern gewährleistet. Der 2019 verabschiedete Masterplan für Oberbillwerder mit den Preisträgern des dänisch-niederländischen Planungsteams ADEPT mit Karres + Brands folgt dem Grundgedanken eines in die Umgebung integrierten Stadtteils mit lebendigen Nachbarschaften und vielseitigen Angeboten für Bildung, Kultur, Freizeit, Sport und Erholung. Auf 118 ha entstehen rund 6.500 Wohnungen in unterschiedlichen Gebäudetypologien sowie 4.000 bis 5.000 Arbeitsplätze. Der übergeordnete Leitgedanke der integrierten Planung für Oberbillwerder heißt „Connected City “, und zwar bezogen auf die Nutzungsmischung, die kleinräumige Erschließung innerhalb des Quartiers und die Anbindung an die angrenzenden Nachbarschaftsquartiere.
Mit diesem Leitbild bildet der Masterplan das Grundgerüst für einen Stadtteil, in dem man alles bequem zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen kann. Für Ziele außerhalb Oberbillwerders stehen Bus und S-Bahn direkt vor der Haustür zur Verfügung. Eine Veloroute verbindet den Stadtteil mit der Hamburger Innenstadt und Bergedorf. Die alternativen Angebote zum Auto sind somit vielfältig vorhanden, bequem zu erreichen und komfortabel in der Nutzung. Der Stellplatzschlüssel liegt bei 0,6 und bedeutet, dass rund 5.000 Stellplätze für den ruhenden Verkehr bereitgestellt werden können. Darin enthalten sind Stellplätze fürs Wohnen, Arbeiten und für Besuchende. Durch das gute Mobilitätsangebot und das aktive Vorantreiben der Mobilitätswende ist zukünftig eine Reduzierung des Stellplatzbedarfs zu erwarten. Der Zielwert für die reduzierte Stellplatzquote liegt bei 0,3 und damit verbunden ein Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) bei rund 25%.
Oberbillwerder ist somit kein autofreier, sondern ein autoarmer Stadtteil, mit der Besonderheit, dass der ruhende Verkehr bis auf wenige Ausnahmen nicht im öffentlichen Straßenraum oder auf den privaten Grundstücken untergebracht wird.
Dadurch, dass die Stellplätze für den öffentlichen Besucherverkehr überwiegend aus dem Straßenraum verschwinden, entsteht auf den Nebenflächen mehr Platz, z. B. für die Anpflanzung von Bäumen. Auch die Grünbereiche in den übergeordneten Ring- und Sammelstraßen sind mit durchschnittlich 2,9 m breiter als übliche Grünstreifen. Durch die Summe der Maßnahmen, d. h. Wegfall der Stellplätze und breitere Grünstreifen, entsteht eine rund vier Mal größere Grünfläche im öffentlichen Straßenraum, die sich positiv auf das Stadtklima und auf die Aufenthaltsqualität auswirkt. Durch den Wegfall der versiegelten Parkstände reduziert sich auch der CO₂-Ausstoß.
Der ruhende Verkehr wird konsequent in sog. Mobility Hubs untergebracht. Anders als Quartiersgaragen verfügen Mobility Hubs über ergänzende Nutzungen im Erdgeschoss. Sie dienen damit nicht nur dem Parken, sondern sind zentrale Anlaufpunkte im Quartier, wo alltägliche Begegnung und Versorgung stattfindet. Die 11 bis 13 Mobility Hubs sind nicht am Quartiersrand angeordnet, sondern liegen entweder an Quartiersplätzen oder entlang der südlich entlangführenden Bahnlinie. In diesen Mobility Hubs sind im Erdgeschoss logistische oder gewerbliche Nutzungen vorgesehen. Durch eine gleichmäßige Abdeckung des Stadtteils mit den Mobility Hubs, die eine maximale Entfernung von 250 m zu den Wohnstandorten haben, werden somit annähernd gleiche Zugangsbedingungen für ÖPNV und dem motorisierten Individualverkehr (MIV) geschaffen.
Alle Anwohner, Gewerbetreibende und Besucher parken ihre Kraftfahrzeuge in den Mobility Hubs. Dort können sie bei Bedarf auf alternative Verkehrsmittel wie Fahrräder, Leih- und Lastenfahrräder oder in Zukunft auch auf kleine autonome Shuttlebusse für den Weg bis zur Haustür umsteigen. Durch die Konzentration von quartiersbezogenen Nutzungen wie Mobilitätsangebote, Einzelhandelsnutzungen, Serviceeinrichtungen, Nachbarschaftsräume oder gewerbliche Einrichtungen schaffen die Mobility Hubs einen alltäglichen Anlaufpunkt für die Bewohner in Oberbillwerder. Darüber hinaus bieten die Dächer Platz für zusätzliche Nutzungen z. B. für Spiel-, Sport- und Freizeitflächen und Photovoltaikanlagen. Die Regenrückhaltung erfolgt über die Anlage von Retentionsdächern. Im Vergleich zu anderen großen Neubauquartieren liegt das Besondere an dem Konzept in der Stringenz der Umsetzung, und zwar flächendeckend für den ganzen Stadtteil. Geparkt wird ausschließlich in Mobility Hubs. Die Möglichkeiten für den Bau von Tiefgaragen oder oberirdischen Parkpaletten werden über den Bebauungsplan ausgeschlossen. Die Akzeptanz in der Nutzung ist daher essenziell für das Gelingen der Schaffung eines lebendigen Stadtteils.
Um die Nutzung von Anfang an sicherzustellen, wird parallel ein Parkraummanagementkonzept, bestehend aus Parkleitsystem (vor Ort und digital), Maßnahmen im Umfeld von Oberbillwerder sowie insbesondere einer ständigen und flächendeckenden Kontrolle umgesetzt. Zentrale Herausforderung wird insbesondere in der Realisierungsphase des Stadtteils sein, dass ggf. einsetzende illegale Beparken des öffentlichen Raums zu verhindern, und zwar vor allem durch ordnungsrechtliche Kontrollen.
Unmittelbar nach Beschluss des Masterplans 2019 haben sich die IBA Hamburg und der Bezirk Hamburg Bergedorf mit dem Projekt „Mobility Hubs für eine nachhaltige Quartiersentwicklung “im Bundesförderprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus “beworben. Der Zuschlag erfolgte noch im gleichen Jahr, und zwar mit einer Laufzeit von Frühjahr 2020 bis Ende 2023. Dabei stellt das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) rund zwei Drittel der insgesamt 1,25 Mio. Euro für die konzeptionelle Entwicklung von insgesamt elf Mobility Hubs in Oberbillwerder bereit. Fördergeldempfänger ist der Bezirk Bergedorf, die fachliche Bearbeitung des Projekts steuert die IBA Hamburg GmbH. Neben einer wissenschaftlichen Konzeptstudie und einer internationalen Fachtagung rund um die Thematik Mobilität war auch ein hochbaulich-architektonischer Wettbewerb für zwei erste Mobility Hubs Bestandteil der Förderung. Mit dem Wettbewerb sollen die architektonische Identität der Mobility Hubs im Stadtteil untersucht werden. Wie wirken sie mit ihrer Gestaltung auf die umliegende Bebauung? Sind sie jeweils individuelle Stadtbausteine oder bilden sie eine Gestaltfamilie, sind sie auffällig und bunt oder fügen sie sich in die umgebende Bebauung ein?
In dem Wettbewerb wurde der Mobility Hub 7 konventionell und der Mobility Hub 6 als automatisiertes Parksystem entworfen. Mit der Erarbeitung der unterschiedlichen Parksysteme war auch ein Vergleich der Stellplatzkapazitäten möglich.
Im Februar 2023 wurde der einphasig-offene Wettbewerb gemäß RPW 2015 entschieden. Aus den 55 eingereichten, internationalen Wettbewerbsbeiträgen wurden zwei identitätsstarke und architektonisch herausragende Lösungen prämiert, die auch Antworten zu den Fragen der Umnutzung, Rückbaubarkeit und einer nachhaltigen Bauweise liefern. Für den zentralen Mobility Hub 7 hat die IBA Hamburg einen Planungsauftrag an den Wettbewerbssieger vergeben. Ziel ist es, dass mit Einzug der ersten Bewohner im Jahr 2029 auch der Mobility Hub fertiggestellt ist, um somit von Anfang diese Lösung anbieten zu können.
Mobility Hub 6 ist gut sichtbar und erreichbar und liegt an einem Quartiersplatz im Norden des BahnQuartiers. Im Fokus der Wettbewerbsaufgabe war die Frage, inwieweit automatisiertes Parken einen effizienten Umgang mit Grund und Boden ermöglichen kann, ohne dabei die anderen Ziele des Mobility Hubs zu konterkarieren.
Mobility Hub 7 liegt an einem zentralen Quartiersplatz im BahnQuartier – dem urbanen Herz von Oberbillwerder. Die Erdgeschosszone ist Teil der verkehrsberuhigten Zentralen Achse bzw. des Quartiersplatzes und beherbergt einen Gastronomiebetrieb und ein großzügiges Mobilitätsfoyer. Das Mobilitätsfoyer soll von der Atmosphäre her als „Wohnzimmer “des Quartiers geplant werden. Großzügig und hell mit Sitzgelegenheiten und Spielangeboten für Kinder. Hier sind alle willkommen und können sich über Nachbarschafts- und Mobilitätsangebote informieren, Lastenräder ausleihen, ÖPNV-Tickets kaufen, Fahrrahräder reparieren und mit dem geplanten Quartiersverein in den Austausch treten.
Ausgezeichnet wurden für den Entwurf von Mobility Hub 7 die Büros
— STLH Architekten Thauer Höffgen PartGmbB, Hamburg (1. Preis),
— Spengler Wiescholek Architektur// Stadtplanung PartGmbB, Hamburg (2. Preis)
— KPW Papay Warncke Vagt Architekten PartGmbB, Hamburg (3. Preis).
Die Preisträger für den Entwurf von Mobility Hub 6 sind
— Spengler Wiescholek Architektur// Stadtplanung PartGmbB, Hamburg (1. Preis),
— Benkert Schäfer Architekten Partnerschaft mbB, München (2. Preis)
— ADEPT, Kopenhagen (3. Preis).
Dank des Forschungsprojekts ist eine frühe und intensive Auseinandersetzung zur nachhaltigen Gebäudestruktur mit Fragen zum wirtschaftlichen Betrieb und zur Quartiersmobilität ermöglicht worden. Bei der weiteren Umsetzungsplanung steht nun das Betreiberkonzept im Mittelpunkt. Hierzu läuft bis Ende September 2023 ein Interessenbekundungsverfahren. Teilnehmende werden aufgefordert, Ideen zu Bau Betrieb und Bewirtschaftung einzureichen. Bis Ende des Jahres werden die eingereichten Konzepte geprüft und Aufklärungsgespräche mit den Teilnehmenden geführt.
Der Autor
Sabine de Buhr
Sabine de Buhr, Dipl. Ing. für Städtebau und Stadtplanung, ist seit 2017 in der Funktion als Städtebauliche Leitung und Mitglied der Geschäftsführung bei der IBA Hamburg GmbH beschäftigt. Die IBA Hamburg ist nach Abschluss der Internationalen Bauausstellung 2013 in eine städtische Projektentwicklungsgesellschaft übergeleitet worden. Die IBA Hamburg ist aktuell in 10 Gebieten für eine ganzheitliche Quartiersentwicklung verantwortlich.