Realisierte Objekte
Kreislaufgerechte und versetzbare Holzkonstruktionen: Garagenaufstockung in Karlsruhe
Text: Dr.-Ing. Falk Schneemann | Foto (Header): © LISA HÄBERLE + VALERIO CALAVETTA
Im Karlsruher Stadtteil Rintheim ergänzen drei Garagenaufstockungen die bestehende Bebauung aus den 1950er- und 1970er-Jahren. Mit diesem Projekt ist es Falk Schneemann Architekten gelungen, verschiedene zukunftsweisende Maß-nahmen umzusetzen: die Nachverdichtung in einer bestehenden Siedlung, das Nutzen von bestehender Infrastruktur ohne zusätzliche Flächenversiegelung durch Aufstocken und das Bauen mit kreislaufgerechten und demontierbaren Konstruktionen.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 2.2023
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Mit dem Konzept der Garagenaufstockungen hat Falk Schneemann 2017 einen Ideenwettbewerb der Stadt Karlsruhe zur Schaffung von Wohnraum durch Nachverdichtung gewonnen. Daraus gingen mehrere Machbarkeitsstudien im Auftrag der Karlsruher Volkswohnung GmbH hervor sowie das realisierte Projekt in Karlsruhe Rintheim. Der Standort befindet sich im sog. Rintheimer Feld, einer räumlich und funktional einheitlichen Großsiedlung mit ca. 1,3 km² Fläche und ca. 2.500 Einwohnern. Die Siedlung ist im Wesentlichen von locker stehenden vier- und fünfgeschossigen Zeilenbebauungen der 1950er-Jahre und von Hochhäusern der 1970er-Jahre geprägt. Die Aufstockungen waren im gültigen Bebauungsplan realisierbar, da die Garagen hier als Gebäude ohne Nutzungsangaben eingetragen sind. Die Baumaßnahme wird vom Land Baden-Württemberg als innovatives und beispielgebendes Projekt gefördert. Gegenstand dieser Förderung ist die kreislaufgerechte Bauweise und die Versetzbarkeit der Aufstockungen. Beides macht das Projekt auch zu einem Forschungsprojekt bzw. Reallabor. Die Fertigstellung soll im Sommer 2023 erfolgen.
Kreislaufgerechtes und sortenreines Bauen bedeutet, dass Materialien, Baustoffe und Bauteile so verwendet und eingebaut werden, dass sie ohne eine Vermischung oder Anhaftung anderer Fraktionen nach Ende des Lebenszyklus auf der ursprünglichen Qualitätsstufe wiederverwendet oder -verwertet werden können. Dies resultiert aus einem weitestgehenden Verzicht auf Verkleben, Verschäumen, Nassabdichten oder den Einsatz von Materialmixturen (Komposite) verschiedener Materialfraktionen. Beispiele dafür sind z. B. der Verzicht auf nicht monomateriale Folien, verklebte Schichtaufbauten, chemische Imprägnierungen und Kompositholzstoffe wie Leimholz oder verklebte Holzwerkstoffplatten. Dies schließt auch Urban Mining, die sog. „Stadtschürfung“ ein, bei der Holzböden und -türen aus Abrissgebäuden, die im Besitz der Auftraggeberschaft sind, aufgearbeitet und in die Garagenaufstockungen eingebaut werden. Ebenfalls in den Bereich des ressourcenschonenden Bauens fällt die Tatsache, dass die Aufstockungen hinsichtlich Heizung, Elektroinstallationen und Telekommunikation als Satelliten der Bestandgebäude funktionieren und an deren Technikzentralen angeschlossen sind. Das Projekt wird hinsichtlich des kreislaufgerechten und sortenreinen Bauens von Prof. Dirk Hebel (KIT, nachhaltiges Bauen) beraten.
Die Aufstockungen können nach einer Zeit des Gebrauchs demontiert und an anderer Stelle wiederaufgebaut werden. Der Mehrwert, der hieraus entsteht, ist, dass bei einer weitergehenden Verdichtung des Quartiers auf Grundlage eines neuen Bebauungsplanes die Aufstockungen nicht abgerissen und entsorgt werden müssen, sondern an anderer Stelle weiter bewohnt werden können. Obwohl das Versetzen einen gewissen Aufwand mit sich bringt, ist es ein enormer ökonomischer und ökologischer Vorteil gegenüber einem Abriss. Die Versetzbarkeit wurde intensiv beplant, wobei Wert auf eine gute Balance zwischen einem nicht zu sehr erhöhten Aufwand bei Planung und Errichtung und einem möglichst geringen Aufwand bei der Versetzung gelegt wurde.
Bei den Garagenaufstockungen handelt es sich um drei L-förmige und nahezu baugleiche Anlagen. Jede der Anlagen besteht aus drei Einzimmerwohnungen und einer Zwei- bzw. Dreizimmerwohnung. Damit entstehen insgesamt 12 Wohneinheiten mit ca. 540 m² Wohnfläche. Die Garagen, die wohl aus den 1970er-Jahren stammen, bleiben als solche in Betrieb. Lediglich während der Bauphase mussten sie von den Mietern geräumt werden. Neue Stellplätze mussten nicht nachgewiesen werden, da die LBO Baden-Württemberg dies für Aufstockungen von Gebäuden, die älter als fünf Jahre sind, nicht fordert. Damit sie die Aufstockungen tragen können, mussten die Garagen nur lokal aufgrund von relativ kleinen Fundamenten ertüchtigt werden. Diese lokale Ertüchtigung besteht aus Stahlstützen auf Punktfundamen ten. Die Notwendigkeit dieser Maßnahmen zeigte sich erst im Rahmen von Probegrabungen an den Fundamenten des Bestands. Die vier Wohnungen einer Anlage werden über jeweils eine außen liegende Treppe und einen Laubengang erschlossen. Diese Bereiche dienen auch als Orte der nachbarschaftlichen Begegnung und schaffen so innerhalb der Großsiedlung eine soziale Substruktur und Identität. Die halböffentlichen Räume bekommen dadurch, dass sie teilweise in das bauliche Volumen mit seiner Dachlandschaft eingezogen sind, und durch den Richtungswechsel der Dächer einen besonderen räumlichen Reiz. Außerdem ergeben sich auch hier Blicke in die Grünanlagen und über die Garagenhöfe, die die Qualitäten und Eigenarten der Nachkriegssiedlung erlebbar machen. Die Dachlandschaft der Aufstockungen ergibt sich aus den Funktionsbereichen der Wohnungen: niedrig im Bereich von Küchen und Bädern und hoch in den Wohnbereichen. Trotz der geringen Größe von knapp 30 m² bieten so auch die Einzimmerwohnungen durch die Lage im Obergeschoss und Blicke in die Baumwipfel ein großzügiges Wohngefühl mit angemessener Privatsphäre. Zielgruppen für die Vermietung der Wohnungen sind vor allem Studierende, sodass nicht von einer langen Mietdauer ausgegangen wird.
Außer zur Schaffung von Wohnraum dienen die Aufstockungen als gezielte Aufwertung und zur sozialen Durchmischung der Großsiedlung. Durch ihre zeitgenössische und selbstbewusste Architektursprachegeben sie einen neuen gestalterischen Impuls. Die Dachlandschaften sind eine Referenz an die bestehenden Zeilenbauten und deren Satteldächer, sie spielen aber auch mit dem prototypischen Bild des einfachen Wohnens. Beides wird neu interpretiert und skaliert, wobei die winkelförmige Anordnung und das teilweise in das Bauvolumen eingeschnittene Erschließungssystem für eine besondere Spannung sorgen. Weiter ist das Prinzip des Aufstockens lesbar und der Bestand als solcher erkennbar. Dies wird zum einen durch eine Fuge zwischen Aufstockung und Bestand erreicht, aber auch dadurch, dass der verputzte Bestand nur lokal ausgebessert wird und damit seine Patina und seine Gebrauchsspuren erhalten bleiben. Interessante Interferenzen zwischen Aufstockung und Bestand ergeben sich auch im unterschiedlichen Rhythmus der Strukturen und damit zwischen Toren und Fenstern der Garagen einerseits und den Lochfassaden der Aufstockungen andererseits.
Essenziell für das Integrieren des Projekts in die Großsiedlung ist der Wiederholungsfaktor bzw. die Tatsache, dass es sich bei den Aufstockungen um drei auf den ersten Blick baugleiche Bauwerke handelt. So können die Aufstockungen mehr sein als ein punktueller Eingriff oder auch ein abgestellter Versuchsbau, sondern sie verweben sich mit dem Rhythmus der bestehenden Siedlung und werden ein Teil von ihr. Dies gilt besonders für den Blick entlang der Heilbronner Straße, aber auch bei der Wahrnehmung aus den parkartigen Grünanlagen heraus.
Außer den Aufstockungen mit den 12 Wohnungen selbst werden Müllräume, Fahrradstellplätze und ein Waschsalon geschaffen, die auch der Nutzung durch die Bewohner des Bestands dienen. So soll ein Mehrwert geschaffen werden, der die Akzeptanz durch die Nachbarschaft fördert. Die Maßnahmen sind aber auch schlicht notwendig, um weiterhin das Funktionieren der Siedlung gewährleisten zu können. Die Müllsammelstelle war schon bisher im Bereich der Garagen untergebracht. Die Schaffung der Müllräume und kleiner Technikräume erfolgt im Erdgeschoss jeder Anlage im bisher freien Eck zwischen den rechtwinklig zueinanderstehenden Garagenblöcken in Massivbauweise. Dieser Bereich wird in seiner Materialität und Konstruktionsweise klar dem Bestand zugeordnet, ist aber als neu lesbar.
Die Aufstockungen sind auf einem Rost aus Stahlträgern montiert, der auf kleinen Stahlfüßen auf den Pultdächern der Garagen steht. Jeder Stahlfuß ist nach einem 3D-Aufmaß in exakt der richtigen Länge gefertigt, um die Toleranzen und Verformungen des Bestands auszugleichen. Der Hohlraum, der sich zwischen den Pultdächern der Garagen und den Aufstockungen ergibt, wird dazu genutzt, die Haustechnik horizontal zu verziehen. Er ist umlaufend mit einem eingezogenen Blech verschlossen, sodass eine Schattenfuge die Garagen von den Aufstockungen trennt.
Die Aufstockungen sind in Holzständerbauweise konstruiert. Boden-, Wand- und Dachelemente sind als 2D-Elemente in hohem Grad vorgefertigt, was Fenster, Sonnenschutz und Elektroinstallationen einschließt. Neben ökologischen Aspekten sind weitere Vorteile der Holzbauweise das geringe Gewicht und die kurze Bauzeit vor Ort, die eine Minimierung der Belastung für die Nachbarschaft ergibt. Der Standardwandaufbau ist mit Hanfdämmung und ohne Folien ausgeführt. Die Bäder sind ebenfalls vorgefertigt und werden vor dem Montieren der Dachelemente direkt vom Lkw eingehoben. Aus Brandschutzgründen sind die Fassaden vollständig mit Titanzink verkleidet, was dem Holzbau eine dem urbanen Kontext angemessene Erscheinung und Robustheit gibt. Grüne Türen und Fensterrahmen sowie heller, textiler Sonnenschutz stehen im Kontrast zum vorpatinierten Titanzink und setzen freundliche Akzente. Das Projekt zeigt immer wieder die Abwägung zwischen Kreislaufgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Haltbarkeit. So wurde eine farbig lackierte Metallfassade aus Gründen der Kreislaufgerechtigkeit ausgeschlossen. Die Holzfenster resultieren ebenfalls aus Gedanken der Kreislaufgerechtigkeit, sie wurden aber gestrichen um eine lange Lebensdauer zu gewährleisten. Eine Entscheidung, die dann genutzt wurde, um einen Farbakzent zu setzen. Beim Urban Mining wurden Holzböden und Holztüren aus Abrissgebäuden der Volkswohnung GmbH ausgebaut, aufgearbeitet und in den Aufstockungen eingebaut. Zentrale Herausforderung war hier zum einen die Logistik – wann kann das Material demontiert werden, wo wird es zwischengelagert, wie viel davon steht zur Verfügung etc. – und zum anderen der handwerkliche Aspekt der Aufarbeitung. Die Kosten für die durch Urban Mining gewonnenen Bauteile lagen letzten Endes ähnlich wie die für neue Bauteile. Dass das Material kostenlos zur Verfügung stand, kompensierte den zusätzlichen Aufwand an Arbeit und Logistik.
Die Garagenaufstockungen stehen für die Potenziale, die sich aus einem kreativen Umgang mit baulichem Bestand, Baurecht und der Praxis des Nachverdichtens ergeben. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Schaffens von Wohnraum als auch hinsichtlich typologischer und gestalterischer Aspekte. Die Garagenaufstockungen sind darüber hinaus ein Versuchs- und Forschungsprojekt zum kreislaufgerechten und mobilen Bauen. Nach der Fertigstellung im Sommer 2023 wird das Projekt entsprechend evaluiert und dokumentiert.
Projektdetails
Auftraggeber Volkswohnung GmbH, Karlsruhe |
Holzbau Zimmerei Sieveke GmbH, Lohne |
Architektur FSA, Falk Schneemann Architektur, Karlsruhe Mitarbeit: Katharina Blümke, Jona Thiele |
Klempner Maurer & Kaupp, Schramberg |
Tragwerk wh-p Ingenieure, Stuttgart |
Fertigbäder Estec Modulbad, Steinach |
HLS Planung gent+gent, Karlsruhe |
Landschaftsbau und Erschließung Goertz Galabau, Großröhrsdorf |
Elektroplanung Ossowski Engineering, Durmersheim |
HLS LTA Lufttechnische Anlagen, Mannheim |
Bauphysik Müller Ingenieure, Waldbronn |
Elektroinstallationen Gebrüder Betz und H. G. Schuster, Karlsruhe |
Kreislaufgerechtigkeit Prof. Dirk Hebel |
Schlosserarbeiten Hanka Stahl- und Metallbau, Karlsruhe |
Brandschutz Christian Uhlig, Willich |
Böden Selinger Fußbodenbau, Karlsruhe |
Holzbauberatung Gerd Prause, Lindlar |
Ausbau Schreinerei Potaczek, Karlsruhe |
Visualisierungen Lisa Häberle + Valerio Calavetta, Daniel Uhrig |
Maler Drollinger Malerbetrieb, Birkenfeld |
Der Autor
Architekt Dr.-Ing. Falk Schneemann
Falk Schneemann leitet Falk Schneemann Architektur und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Baukonstruktion des Karlsruher Instituts für Technologie.
www.falk-schneemann.de