Parkplatzüberbauung als innerstädtische Flächenoptimierung: Nachverdichtung auf Stelzen

Parkplatzüberbauung als innerstädtische Flächenoptimierung: Nachverdichtung auf Stelzen

Realisierte Objekte

Parkplatzüberbauung als innerstädtische Flächenoptimierung: Nachverdichtung auf Stelzen

Text: Frank De Gasperi & Martin Nachtwey | Foto (Header): © SusaZoom – stock.adobe.com

An einem Standort wie München, wo es großen Bedarf an bezahlbaren Mietwohnungen und zugleich knappe Flächen gibt, können innovative Lösungen neue Möglichkeiten aufzeigen. Eine solche hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG im Jahr 2016 als Pilotprojekt umgesetzt: die Parkplatzüberbauung „Dante I“ neben dem Dantebad im Stadtteil Nymphenburg. Das in Holzsystembauweise auf einem Betontisch ausgeführte Projekt stieß auf internationales Interesse und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Erfolgreiche Pilotprojekte verlangen idealerweise nach Wiederholung. Daher begann frühzeitig die Standortsuche für das Folgeprojekt Dante II.

Auszug aus:

2019 war es so weit. Am Reinmarplatz, ganz in der Nähe von Dante I, begannen die Planungen für die Überbauung eines weiteren öffentlichen Parkplatzes. Die Projektbeteiligten waren dieselben wie beim Pilotbau: die GEWOFAG als Bauherrin, Florian Nagler als Architekt sowie als Generalunternehmerin eine ARGE aus B & O Bau Bayern und Huber & Sohn. Mit Dante I wurden im Rahmen des Münchner Wohnungsbausofortprogramms 100 geförderte Ein- und ZweiZimmer-Wohnungen erstellt. Die Überbauung des städtischen Parkplatzes, der den gesamten Reinmarplatz ausfüllte, sollte nicht nur mehr, sondern auch größere Wohnungen für Familien schaffen. Das Ergebnis: 144 Wohnungen, davon fast 90 Drei- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen, in einer vierseitigen Karreebebauung mit begrüntem Parkplatz im Innenhof. Diese werden in den geförderten Modellen EOF (Einkommensorientierte Förderung) und MMM (München-Modell Miete) vermietet.

Doppelte Flächennutzung

Die ersten Arbeiten starteten im Frühjahr 2020, Ende 2021 war das (nicht unterkellerte) Gebäude bezugsfertig. Die als Stelzen fungierende Erdgeschossebene enthält Kellerersatzräume, Technik- und Müllräume, zudem die notwendigen Zugänge mit vier Treppenhäusern und zwei Aufzügen. Die Minimierung der Ausbauflächen im Erdgeschoss ermöglicht die Zufahrt zum Innenhof und schafft dort und unter dem Gebäude den Raum für fast 150 Autosowie rund 300 Fahrradstellplätze. Ein Stahlbetontisch schließt die Ebene ab. Darauf sind in Holzsystembauweise vier Geschosse mit den – durch Laubengänge erschlossenen – 144 Wohnungen sowie eine nutzbare Dachterrasse mit Dachgarten und Spielflächen entstanden.
Wie bei Dante I, wandern die durch den Parkplatz im Erdgeschoss fehlenden Freiflächen also einfach nach oben. Ein Konzept, das sich beim Pilotprojekt bereits bewährt hat und von den Mietern sehr gut angenommen wurde. Neben der Dachterrasse gibt es auf den im Innenhof umlaufenden Laubengängen regelmäßig kleine balkonartige Ausbuchtungen. Auch hier können sich die Bewohner treffen und austauschen, Gemeinschaftsräume sind ebenfalls vorhanden. Das rundet die Funktionalität des Gebäudes ebenso ab wie ein umfassendes Mobilitätskonzept für die Mieter. Der Stelzenbau in attraktiver innerstädtischer Lage schafft aufgrund der doppelten Nutzung einer bereits versiegelten Fläche auch einen ökologischen Mehrwert. Dieser wird durch die gewählte Bauweise noch verstärkt.

Beim Projekt „Dante II“ wandern die durch den Parkplatz im Erdgeschoss fehlenden Freiflächen einfach nach oben.
FOTO: DRONEXT/MAXIMILIAN GALLER

Blick auf den Reinmarplatz von Nordosten im August 2020
FOTO: GEWOFAG/FRANK DE GASPERI

Holzsystembau mit hohem Vorfertigungsgrad

Die vier ebenerdigen Erschließungskerne und die Stützen mit dem über dem Erdgeschoss abschließenden Tisch sind in Stahlbeton ausgeführt. Für die vier darüberliegenden Wohngeschosse wurde eine Schottenbauweise mit lastabtragenden Massivholzelementen gewählt. Hierbei werden die tragenden Innenwände – bestehend aus vertikalen Kantholzriegeln mit Schwelle und Rähm – mit Gipsfaserplatten beplankt. Die Schallanforderungen für die Wohnungstrennwände wurden über eine schallentkoppelte Trockenbauvorsatzschale gewährleistet und durch Nachmessung auf der Baustelle überprüft und bestätigt.

Als straßenseitige Fassaden dienen klassische, nicht tragend ausgeführte Holzrahmenbauwände. Sie basieren auf einem 6/20cm Holzständerwerk, das mit 200mm Mineralfaserdämmung ausgefacht und auf der Rauminnenseite mit zwei Lagen 12,5 mm Gipsfaserplatten auf einer Dampfbremsfolie beplankt ist. Auf der Raumaußenseite ist das Holzständerwerk ebenfalls mit Gipsfaserplatten beplankt, gefolgt von einer diffusionsoffenen Fassadenbahn, Vertikallattung, Horizontallattung und einer in Grüntönen gestrichenen, vertikalen strukturierten Holzschalung. Zum Innenhof hin übernehmen die hier tragend ausgeführten und zudem verputzten Fassaden die Lastabtragung der Laubengänge. Die Brandschutzbeplankung wurde hier auf jeweils 2 × 18 mm Gipsfaserplatten nach K260 Kapselkriterium angepasst. Die tragenden Außenwände der Rundungen wurden wiederum als Holzmassivwände in Kombination mit Brandschutzbeplankung und Heißbemessung ausgeführt.

Die Brettsperrholzdecken in Sichtoptik erhielten aus Schallschutzgründen eine gebundene Schüttung, eine Trittschalldämmung mit geringer Steifigkeit und einen darüber liegenden, schwimmenden Estrich. Weil der Bau in die Gebäudeklasse4 fällt, mussten sämtliche tragenden Wände und Decken aus Holz in F60 und die Treppenhauswände in F60-M, also unter zusätzlicher mechanischer Beanspruchung, hochfeuerhemmend ausgeführt werden. Nicht tragende Außenwände aus Holz wurden in F30 raumabschließend ausgeführt. Die Brandschutzanforderungen wurden dabei über eine Beplankung mit Gipsfaserplatten, über Abbrand (Heißbemessung) und teilweise auch in Kombination sichergestellt. Alle Fassadenelemente inklusive der Fenster und Wohnungseingangstüren wurden im Werk der mit den Holzbau- und Fassadenarbeiten betrauten Firma Huber & Sohn vorgefertigt – inklusive Schalung, Putzträger und Beplankungen. Im Anschluss wurde die Konstruktion elementweise mit dem Lkw zur Baustelle transportiert und dort montiert.

Die bis zu 15 m hohen Aufzugschächte wurden ebenfalls im Werk aus Holz vorgefertigt. Sie erhielten zu ihrem Grundgerüst aus Brettsperrholz die Brandschutzbeplankungen und eine außen liegende Hohlraumdämmung. Weiterhin konnten Aufhängungen und Einbauteile für die spätere Aufzugmontage bereits werkseitig eingebaut werden. Mit einem Autokran wurden die Schächte als letzte Elemente von oben in die Konstruktion eingehoben. Lediglich die Treppenläufe und die Laubengänge wurden in den vier Wohngeschossen in Stahlbeton als Fertigteile hergestellt.

Blick auf den Reinmarplatz von Westen im August 2021 – im Hintergrund Dantestadion und -bad sowie Olympiapark
FOTO: GEWOFAG/FRANK DE GASPERI

Ansicht von Westen
GRAFIK: FLORIAN NAGLER ARCHITEKTEN

Vorgefertigte Sanitärräume

Auch die Nasszellen wurden komplett vorkonfektioniert angeliefert, inklusive Sanitärgegenständen und Innentüren. Vor Ort wurden sie mit dem Kran in die Wohnungen vor der nächsten Deckenmontage eingehoben. Im Anschluss mussten die Wände der Fertigbäder nur noch außen mit Gipskartonplatten beplankt und die Haustechnik  miteinander gekoppelt werden. So positioniert, trennen diese Module die Wohnräume der jeweiligen Einheiten von der Küche, die als separater Raum in allen Wohnungen zum Laubengang orientiert ist.

Produktion

Um den engen Zeitrahmen des Projekts einzuhalten, produzierte Huber & Sohn die Holzbauteile im Zweischichtbetrieb. Anfang September 2020 startete die Produktion der Holzbauelemente, und von November 2020 bis Ende März 2021 wurde vor Ort montiert.

Auf diese Weise wurden rund 2.500 m³ Holz verbaut, als Wände, Brettsperrholzdecken oder Fenster. Das gespeicherte CO² entspricht in etwa der Menge, die ein Pkw bei 500 Erdumrundungen ausstoßen würde, also bei ca. 20 Mio. zurückgelegten Kilometern. Das verbaute Holz wächst im Übrigen in 70 Minuten in den bayrischen Wäldern  nach. So sind binnen weniger Monate insgesamt über 8.200 m² Wohnfläche nachhaltig nach oben gewachsen.

Der in Holzbauweise vorgefertigte Aufzugschacht wird eingehoben.
FOTO: HUBER & SOHN

Wohnräume kurz vor der Deckenmontage. Auch die vollausgestattete Nasszelle (Mitte links) ist vorkonfektioniert angeliefert und per Kran eingehoben worden.
FOTO: HUBER & SOHN

Ausblick

Mit den Projekten Dante I und II setzte die GEWOFAG wichtige Akzente in München. Zur Flächenoptimierung durch die doppelte Nutzung kommen wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte durch den Holzbau. Der nachwachsende Rohstoff hat eine hervorragende CO² -Bilanz und sorgt zudem für ein gutes Raumklima. Seine Verwendung im Neubau kann dabei helfen, Münchens ambitionierte Klimaziele zu erreichen. Der hohe Vorfertigungsgrad der Holzkonstruktionen reduziert zudem die Bauzeit vor Ort, mit positiven Auswirkungen auf die Kosten und einer geringeren Beeinträchtigung der Nachbarschaft. Diese Bauweise stellt eine flexible und effektive Lösung in hochvedichteten Ballungsräumen dar, die aufgrund des geringen Gewichts und der hohen Qualität und Passgenauigkeit der vorgefertigten Bauteile insbesondere auch für Aufstockungen im Bestand attraktiv sein kann.

Mit oder ohne die Verwendung von Holz hat in München die durch Dante I so anschauliche Doppelnutzung bereits versiegelter Flächen die Aufmerksamkeit auf weitere derartige Projektmöglichkeiten gelenkt. Die GEWOFAG beschreitet diesen Weg konsequent und entwickelt mittlerweile gemeinsam mit dem Lebensmitteleinzelhändler Lidl ein Grundstück an der Tübinger Straße. Auf der bisher mit einer Lidl-Filiale bebauten Fläche soll ein Gebäude entstehen, das zusätzlich Platz für gut 100 bezahlbare Wohnungen bieten kann.

Projektdetails


Bauherrin
GEWOFAG Holding, München
Anzahl der Wohnungen
144
Architekten
Florian Nagler Architekten, München
Wohnfläche insgesamt
8.229 m²
Generalunternehmer
ARGE Dante II – B & O Bau Bayern, Bad Aibling, und Huber & Sohn, Bachmehring
Vermietungsmodell
Einkommensorientierte Förderung (EOF) und München-Modell Miete (MMM)
Fertigstellung
Ende 2021
Bauweise
Holzsystembauweise

Die Autoren


Frank De Gasperi
Frank De Gasperi ist Konzernsprecher der GEWOFAG, die mit über 38.000 Wohnungen und Gewerbeeinheiten Münchens größte Vermieterin ist. Er bestätigt das stark zunehmende Interesse an Holzbau und effizienter Flächennutzung.
www.gewofag.de

Martin Nachtwey
Martin Nachtwey ist Teamleiter Objektbau bei Huber & Sohn, einem Spezialisten rund um das Bauen mit Holz. Er verantwortet die technische Klärung, Kalkulation und Umsetzung der Objektbauten für die an Huber & Sohn beauftragten Leistungen.
www.huber-sohn.de

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