Städtebau & Quartiersentwicklung
„Wohnen am Campus“ in Berlin Adlershof: Variantenreich in Serie
Text: Martin Püschel | Foto (Header): © HOWOGE/Benjamin Pritzkuleit
Die landeseigene HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH hat in Berlin-Adlershof 612 Mietwohnungen, integriertes Gewerbe und eine Kindertagesstätte errichtet. Dazu gehören auch 107 Apartments für Studierende und Auszubildende in unmittelbarer Nähe zum Uni-Campus der „Wissenschaftsstadt Adlershof“ und den vorrangig naturwissenschaftlichen Fakultäten der Humboldt Universität zu Berlin. Realisiert wurde das Quartier, das in modularer, standardisierter Bauweise geplant und errichtet wurde, gemeinsam mit dem Architekturbüro blocher partners sowie dem Bauunternehmen DIRINGER & SCHEIDEL.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 2.2025
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Das autofreie Quartier „Wohnen am Campus“ wurde für mehr als 1.000 Menschen auf einer Fläche von rund 2,7 ha am Rand des Wissenschafts- und Technologieparks Berlin-Adlershof entwickelt. Im Fokus stand die Schaffung ökologisch und sozial nachhaltigen, bezahlbaren Wohnraums, der über die Grenzen des Neubauprojekts hinaus zur Stadt der kurzen Wege beiträgt.
Bindeglied einer fragmentierten Stadtlandschaft
Das Gelände südöstlich der Hermann-Dorner-Allee war ursprünglich für Gewerbeflächen vorgesehen, doch der steigende Bedarf für Wohnraum in Berlin führte 2015 zur Umwidmung: Heute ist Adlershof geprägt von einer höchst heterogenen Stadtlandschaft, auch im direkten Umfeld des Quartiers „Wohnen am Campus“, das an der Schnittstelle zwischen dem Lehr- und Forschungscampus der Humboldt-Universität, dem Landschaftspark Johannisthal sowie Wohn- und größeren Gewerbearealen liegt. Für die Nahversorgung entstanden im Nordwesten Gewerbeflächen, welche sich je nach Anforderung zu unterschiedlich großen Einheiten zusammenlegen oder trennen lassen. Eine 500 m² große Kita mit großzügigem Garten ist für bis zu 90 Kinder ausgelegt.
Entlang der Verkehrsachsen wurden geschlossene Zeilen- bzw. Blockstrukturen geschaffen. An der Karl-Ziegler-Straße bildet die Wohnbebauung eine klare städtebauliche Kante zu den angrenzenden Gewerbeflächen. Diese Gebäudezeile beherbergt vornehmlich das Studierenden-Wohnen mit zielgruppengerechter Infrastruktur sowie zeitgemäß eingerichteten und vollausgestatteten Einzelapartments und Räume für Wohngemeinschaften. Der vorgesetzte, halboffene Laubengang im Industrial Look schützt vor dem Lärm der gegenüberliegenden Gewerbeflächen und eignet sich dank seiner Großzügigkeit als Treffpunkt für die Hausgemeinschaft.
Im Inneren des Quartiers entstand hingegen ein aufgelockert wirkendes Ensemble: Elf einzelne Baukörper rahmen großzügige, offene Grünräume und öffentliche Durchwegungen. Dazu gehört der Alexander-von-Humboldt-Weg. Diese von Bäumen gesäumte Rad- und Fußwegverbindung quer durch den Grundstücksbereich bestand bereits vor Baubeginn und wurde in den Quartierszuschnitt einbezogen. Die Promenade bildet eine Sichtachse zum historischen „Trudelturm“ im Bereich des Forschungscampus. Der Einsatz von sichtbarem Holz für Fassaden, Einhausungen, Stadt- und Spielmobiliar vermittelt zum urbanen Grünraum des Landschaftsparks auf dem ehemaligen Flugplatz Johannisthal.
Für eine effiziente und kostengünstige Umsetzung wurde das Quartier in modularer, standardisierter Bauweise geplant und errichtet. Eingesetzt wurden wenige, vorab definierte Module und eine begrenzte Materialwahl. Jedem Gebäude liegt trotz der Serialität ein eigenes Gestaltungskonzept zugrunde – von farbigem Putz bis zu vorgehängten Fassaden aus heimischem Holz. Für die Wohnungen kam nur ein Typ Balkon als Fertigteil zum Einsatz, optische Diversität wurde hier mittels zweier unterschiedlicher Geländervarianten erreicht.
Beim Innenausbau der Wohnungen konnten signifikante Zeit- und damit Kostenersparnisse erzielt werden. In den Gebäuden des Quartiers entstanden insgesamt nur 17 typisierte Grundrisse, Fensterformen wurden auf fünf Typen beschränkt. Diese nachhaltige Bauweise trägt nicht nur zur Reduzierung des CO₂-Fußabdrucks bei. Die Wiederholung und Vorfertigung erleichtern die Planung, sichern den Qualitätsstandard und sorgen gleichzeitig dafür, dass die Gewerke zügig vorankommen.
Mit der Gestaltung der Erdgeschosse und Zugangsbereiche wurde die Neuinterpretation eines verbindenden Elements der Hauptstadt im Berliner Südosten verortet: Markante Bogen zitieren den Städtebau der Berliner Stadtbahn, in deren Viadukt sich ebenfalls zum Teil Gewerbe befindet. Zur eindeutigen Adressbildung tragen die gut sichtbaren Hauseingänge bei. In großzügiger Geste überspannen halbbogenartige Strukturen die Eingangsbereiche, schützen vor Regen und Sonnenstrahlung und dienen gleichzeitig der Wiedererkennung und als Treffpunkt.
Der sozial orientierte Auftrag der HOWOGE spiegelt sich auch in der Gestaltung des gesamten Außenraums wider. So wurden reelle oder suggerierte Grenzen wie Zäune oder Hecken nur dort realisiert, wo es die Privatsphäre der Mieterschaft gebietet oder Ordnung und Sicherheit dies unbedingt nötig machen, etwa bei Radstellanlagen oder für die Kita. Sämtliche Grünanlagen, Spielplätze, Erholungsbereiche und Wege wurden so ausgebildet, dass sie wie selbstverständlich zur Nutzung einladen. Sie sind dabei für alle Anwohnenden und Menschen, die das Quartier besuchen oder einfach durchqueren wollen, barrierefrei zugänglich.
Multicodiert mit Schwamm drunter
Alle Dach-, Spiel- und Erholungsflächen sind Teil eines ökologisch orientierten Konzepts für das Regenwassermanagement. Dazu wurden die Gebäude mit Retentionsdächern versehen und überdachte Flächen wie Radstellplätze extensiv begrünt. Die aus dem Bebauungsplan erforderliche Tiefgarage kragt im Inneren des Quartiers teils aus dem Boden. Dank Kiesaufbau und extensiver Begrünung auf deren Dach sowie einer intensiv begrünten Böschung fügt sie sich ins Landschaftsbild ein. Sämtliche Oberflächen des Quartiers entwässern vor Ort in Versickerungsmulden, welche bewusst als Teil der Gartengestaltung ausgebildet sind. Die Mulden sind zum Teil bepflanzt, um mithilfe der tiefer liegenden Standorte das Wurzelwerk der Bäume besser mit Feuchtigkeit zu versorgen und somit resilienter für Trockenperioden zu machen. Grundsätzlich erfolgte die Bepflanzung mit heimischen Gewächsen, die klimaangepasste Laubbäume und verstreut angelegte, bestäuberfreundliche Staudenbeete beinhaltet. Im größten der Freiräume vermitteln stattliche Eichen zwischen Alt und Neu.
Wo immer es möglich war, wurde einerseits auf Versiegelung verzichtet, andererseits kam versickerungsfähiges Pflaster zum Einsatz. Gepflasterte Oberflächen sind zudem multicodiert: Wege und baurechtlich notwendige, aber selten genutzte Zufahrten und Stellflächen sind so gestaltet, dass sie gleichzeitig als Spiel- und Tobeflächen dienen und sehr einfach als solche temporär „zweckfremdet“ werden können.
Ziel dieser Maßnahmen war von vornherein ein aktiver Beitrag für die „Schwammstadt Berlin“. Das Regenwassermanagement des Quartiers trägt dazu bei, die Grundwasserressourcen positiv zu beeinflussen, gleichzeitig wird durch den Verdunstungseffekt das Mikroklima für Mensch und die Natur vor Ort verbessert.
Unsichtbares Kraftwerk bei gleichzeitiger Energieeffizienz
Im Quartier „Wohnen am Campus“ werden bis zu 450 kW Energie produziert, dafür sorgt die Photovoltaik-Anlage mit rund 3.600 m² Kollektorfläche. Installiert auf fast allen Gebäudedächern, versorgt sie das Quartier mit CO₂-freiem Mieterstrom. Gleichzeitig wurde in den Wohnungen modernste Haustechnik verbaut, so z. B. dezentrale Wohnungsstationen, die für die Beheizung sowie die Warmwasserbereitung eingesetzt werden. Die Energieeinsparung ergibt sich hier vor allem durch niedrige Systemtemperaturen, da das Wasser nicht wie üblich zentral auf 60 °C, sondern erst bei Bedarf in der Wohnung auf 45 °C erwärmt wird. Das führt zu einer Energieeinsparung von bis zu 30 %. Ein weiterer Vorteil ist die Einsparung beim Raumbedarf, da weniger Rohrleitungen benötigt werden. Insgesamt wurden dadurch ca. 120 m² Nutzfläche gewonnen, die den Mietern nun in Form von Wohnfläche und Stellfläche für Kinderwagen, Rollatoren oder Fahrräder zur Verfügung steht. Neben dem ökologischen Mehrwert tragen diese Maßnahmen zur Erhöhung des Wohnkomforts sowie zu stabilen Nebenkosten und damit einer bezahlbaren Gesamtmiete bei.
Der Autor
Martin Püschel
Martin Püschel, Referent für Kooperation und Koordination im Konzernbereich Neubau der HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft, verfügt über eine breite Expertise im kommunalen Wohnungsneubau und speziell in der Sanierung von Plattenbauten als identifikationsstiftender Teil des Städtebaus. Sein Faible gehört der Kunst am Bau, Holzbauweisen und Schwammstadt-Konzepten. Der Kommunikationsökonom und Autor lebt angetan vom Experimentellen der Vorfertigung zwischen den Betonelementen eines PH12G in Berlin und dem Raster mittelalterlicher Dachbalken in Genua.