Titelthema
Wohnbau in vorelementierter Holzbauweise: Modellprojekt für bezahlbares Wohnen
Text: Marc Wilhelm Lennartz | Foto (Header): © DERIX-GRUPPE
In Hamburg zeigt ein Massivholzbau, der aus einer von der Internationalen Bauausstellung initiierten Quartiersentwicklung resultiert, wie Ökonomie und Ökologie zueinander gefunden haben. Dabei wurden vermeintlich gesetzte Standards hinterfragt und neu definiert.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 2.2023
Jetzt abonnieren
Diese Ausgabe als Einzelheft bestellen
Mit der ersten Internationalen Bauausstellung (IBA), die im Jahr 1901 auf der Mathildenhöhe in Darmstadt stattgefunden hat, wurde ein permanenter städtebaulicher Diskussions- und Erneuerungsdiskurs initiiert. Diese Wanderausstellung fand von 2007 bis 2013 in Hamburg statt, wobei dort der Holzbau erstmals die führende Rolle bei einer IBA einnahm. Die Entwicklung hin zum mehrgeschossigen Holzbau im (sub-)urbanen Raum erhielt hier einen gewaltigen Schub. Im Rahmen einer Bauausstellung waren Fallstudien für klimafreundliches, bezahlbares und zukunftsfähiges Bauen ausgeschrieben worden, was in logischer Konsequenz verstärkt zu diversen Holzbaukonzepten führte. Als ein prägendes Beispiel kristallisierte sich auf der IBA in Hamburg u. a. der Woodcube heraus: der erste massivhölzerne Fünfgeschosser im urbanen Raum mit innen wie außen sichtoffenen Holzoberflächen, errichtet aus vorproduzierten, monolithischen Wand-, Boden- und Deckenelementen. Der damals eingeschlagene Weg hat nun im äußersten Südwesten der Hansestadt, an der Grenze zu Niedersachsen, eine Fortsetzung gefunden.
Neues Vermarktungssegment im Mietwohnungsbau
Aus einer von der IBA seit 2014 initiierten Quartierentwicklung der Hansestadt Hamburg resultierte im Stadtteil Vogelkamp Neugraben-Fischbek das Modellvorhaben „8-Euro-Wohnungsbau“. Im Fokus steht das heikle Thema des bezahlbaren Wohnraums, das die städtebaulichen Diskussionen insbesondere in den Agglomerationen seit Jahren bestimmt. Die geplanten 1.500 Wohneinheiten in Vogelkamp Neugraben sollen als eines von drei Neubaugebieten im Bezirk Harburg zudem das naturnahe Bauen und Wohnen in den Vordergrund rücken. Städtebaulich erhofft man sich das lange als Problemviertel geltende Neugraben u. a. mittels modernem Holzbau so aufzuwerten, dass sich besonders junge Familien mit Kindern aufgrund des vergleichsweise kostengünstigen Wohnraums und einer umfänglichen Bildungsinfrastruktur dort ansiedeln. Bis 2025 rechnet die Stadt mit einem Zuwachs von rund 10.000 Einwohnern im neuen Kiez, der über die S-Bahnstation Fischbek an den ÖPNV angeschlossen wurde. Auch beabsichtigt der Hamburger Senat, mit diesem Pilotprojekt das Angebot bezahlbarer Wohnungen für durchschnittliche und mittlere Einkommen als neues Segment einzuführen. Dieses soll sich zwischen dem öffentlich geförderten und frei finanzierten Mietwohnungsbau etablieren. In diesem Kontext wurden zwei viergeschossige Mehrfamilienhäuser mit 44 Wohneinheiten für 4- bis 6-Personenhaushalte mit einer Durchschnittsgröße von rund 105 m² und einer garantierten 8-Euro-Netto-Kaltmiete je m² Wohnfläche in Massivholzbauweise errichtet. Dabei beherbergt das Erdgeschoss u. a. eine eigene Kindertagesstätte sowie sechs barrierefrei und rollstuhlgerecht ausgeführte Wohnungen. Ferner sollen hier kleinere Gewerbeflächen lokale Beschäftigungen und Versorgungsmöglichkeiten schaffen.
Einbaufertige Massivholzwände und -decken in Sichtqualität
Aufgrund der Netto-Kaltmieten-Vorgabe stand die Kernfrage im Zentrum der Überlegungen, wo und wie man die Baukosten senken könnte. Daraus resultierte die kritische Überprüfung sog. Standards, die jedoch je nach Maßgabe nicht unbedingt zwingend erforderlich sind. So erfolgte die Gründung der beiden Viergeschosser mit einem rechteckigen Grundriss von 16 × 50 m mit drei Vollgeschossen und einem einseitig zurückgesetzten Staffelgeschoss ohne kostspielige Unterkellerung auf einer 18 cm dicken Stahlbeton-Bodenplatte.
Auf ein gemauertes Erdgeschoss mit Klinkerschalung und einer 20 cm dicken Stahlbetondecke platzierten die Zimmerer den massiven Holzbau aus millimetergenau vorgefertigten Brettsperrholz-Elementen (BSP) in den Maximalmaßen (L) 16 × (H) 0,2 × (B) 2,5 m. Um den Innenausbau zu beschleunigen und abermals die Baukosten zu senken, sind rund 8.300 m² der BSP-Elemente an Wänden und Decken in Sichtqualität montiert worden, sodass diese Raumoberflächen mit Einbau fertiggestellt waren. Im Unterschied zu den meisten mehrgeschossigen Holzbauprojekten hat man die hier mit Kalksandstein aufgemauerten Erschließungskerne weitestgehend von statischen Aufgaben die Gebäudeaussteifung des Holzbaus betreffend freigehalten. Die Treppenhäuser, deren Betonstufen unbekleidet geblieben sind, wurden zudem auch bauakustisch über ein die Schwingung dämpfendes Schalldämmband aus Polyurethan von der Massivholzkonstruktion getrennt.
Rohbau in neun Monaten gerichtet
Die Massivholzelemente waren von der Derix-Gruppe bereits mit den Bohrungen für Steckdosen, haustechnische Anlagen – wie z. B. verdeckte Kabel – sowie sämtlichen Wand- und Deckendurchbrüchen angeliefert worden. Die Zimmerer von Holzbau Gehrmann brachten dann auf die 10 cm dicken BSP-Außenwandelemente eine Dampfbremse auf, gefolgt von einem mit Mineralwolle gedämmten KVH-Rahmen von 6/16 cm. Daran fügt sich eine Unterspannbahn an, auf die die Konterlattung als Hinterlüftungsebene für die abschließende, horizontale Lärchenholz-Keilstülpschalung geschraubt wurde. Letztere hat man bei den kleineren Flächen bereits in der Werkhalle vormontiert, wohingegen die Fassadenbekleidung der größeren Elemente auf der Baustelle erfolgte. Im Bereich der Putzfassaden wurden die BSP-Elemente mit 20 cm dicken Mineralwollbahnen gedämmt, da sie als geschossweise umlaufende, 40 cm hohe Brandriegel fungieren. Die lastabtragenden Innenwände bestehen ebenfalls aus bis zu 15 cm dicken BSP-Elementen, wobei die Wohnungstrennwände zusätzliche eine nicht brennbare Spezialgipsplatte von 12 mm erhalten haben, die als Brandschutzbekleidung dient. Um eine möglichst flexible Raumgestaltung zu ermöglichen, führte man die nicht tragenden Innenwände in leichter Trockenbauweise aus. So konnte der komplette Rohbau in nur neun Wochen fertig montiert werden.
Wiederkehrende Grundrisse und optimierte Wohnungszuschnitte
Die in den Obergeschossen eingesetzten Massivholzdecken setzen sich aus 20 bis 24 cm dicken BSP-Elementen in unterseitiger Sichtqualität zusammen. Sie wurden als statisch wirksame Scheibe ausgeführt, wozu sie an den Stößen zur Unterstützung des Schubflusses mit aufgenagelten OSB-Streifen verbunden wurden. Die ebenso reduzierten wie vereinheitlichen Standards zeigen sich auch in der Anwendung weniger, sich wiederholender Verbindungsmittel. Die massivhölzernen Bauteile wurden überwiegend mit marktüblichen Vollgewindeschrauben zug- und druckfest miteinander verschraubt. Zudem kamen Tellerkopf- und Holzschrauben zum Einsatz, sowie nur zwei Typen von Standard-Winkelverbindern. Beim Brandschutz hat man die geforderte Feuerwiderstandsdauer (BSPWohnungstrennwände + Decken: [R]EI 60) über die Abbrandrate sichergestellt. Zudem verfügen die Treppenhäuser über eine automatische Entrauchung und Rauchableitungsöffnungen im Dach, während im Bereich der Deckendurchdringungen Rauchschotts für Sicherheit sorgen. Die Entwurfsplanung sorgte für weitestgehend gleiche Grundrisse mit übereinanderstehenden Wänden, woraus immer gleiche Details und Anschlusssituationen resultierten. Um die Fassadenflächen zu verringern, wurde die Bautiefe der Gebäude gegenüber den üblichen 11 auf 16 m erhöht, was sich ebenfalls baukostensenkend auswirkte. Dem daraus folgenden Verdunklungseffekt beugte man durch den Einbau vereinheitlichter, bodentiefer Fenster vor. Des Weiteren plante man die Wohnungen mit offenen Grundrissen ohne Flure, wodurch der Zuschnitt der Räume optimiert werden konnte.
Neben den Installations- bzw. Baukosten richtete sich der Blick auch auf die zukünftigen Betriebs- bzw. Wartungskosten. Man verzichtete daher auf automatische Lüftungsanlagen wie auch auf den Einbau von Aufzügen. Und bei der Heizung hat man auf eine einfache und bewährte Lösung gesetzt: Anstelle von teuren Flächenheizungen wurden normale Heizkörper eingebaut.
Gleichwohl verfügen die Zwei- bis Vierzimmerapartments mit Wohnflächen zwischen 50 und 115 m² entweder über Stahlbalkone, die an den Außenwänden in den entsprechenden Gebäudenischen angehängt wurden, oder im Staffelgeschoss über Dachterrassen. In Summe ist es dank der Vereinheitlichung von Konstruktion und Details, einer optimierten Auslegung der Haustechnik, verkürzter Leitungswege und der Streichung vermeintlicher Komfortleistungen gelungen, die sportlichen Vorgaben der Netto-Kaltmiete von 8 €/m² einzuhalten. Wohlbemerkt bei einem Erstbezug, dessen durchschnittliche Kosten in Hamburg sich in diesen Zeiten normalerweise zwischen 12 und 15 Euro Kaltmiete je m² Wohnraum und mehr bewegen. Beim Bau der beiden Viergeschosser wurden rund 1.268 m³ an massivem Holz verarbeitet. Dies entspricht einem Kohlenstoffanteil, aus dem Holz zu 50 % besteht, von umgerechnet ca. 317 t, woraus eine CO2-Speicherung von über 1.162 t resultiert.
Projektdetails
Bauweise Holzmassiv (BSP) |
Grundstücksgröße 3.524 m² |
Bauherrschaft Helvetia Vermögens- und Grundstücksverwaltung, Frankfurt am Main www.helvetia.com |
Gebäudefläche Haus 1 3.193 m² |
Architektur Limbrock Tubbesing Architekten und Stadtplaner, Hamburg www.limbrocktubbesing.de |
Gebäudefläche Haus 2 3.098 m² |
Holzbau Vorfertigung, Montage Holzbau Gehrmann GmbH, Hoisdorf www.holzbaugehrmann.de |
Bruttogeschossfläche (BGF) 6.780 m² |
Holzbau Herstellung BSP-Elemente DERIX-Gruppe, Niederkrüchten + Westerkappeln, www.derix.de |
Jahres-Primärenergiebedarf 24,4 kWh/m² |
Holzbau Werkstattplanung, Tragwerksplanung, Wärmeschutznachweis, Schallschutz Planungswerft Schuchard & Stolte Ingenieurgesellschaft mbH, Husum www.planungswerft.de |
Transmissionswärmeverlust 0,276 W/(m²K) |
Bauleitung Roland Pape, Hamburg www.rolandpape.com |
Energiestandard KfW 55 (gem. EnEV 2016) |
Der Autor
Marc Wilhelm Lennartz
Der Fachjournalist und Autor Marc Wilhelm Lennartz, Diplom-Geograph mit Schwerpunkt Städtebau + Siedlungswesen, lebt in der Eifel und publiziert seit über zwei Dekaden u. a. in den Fachbereichen Architektur, Holzbau, Gebäudetechnik, Wohnungswirtschaft, Baubiologie und Denkmalpflege.
www.mwl-sapere-aude.com