Energie, Technik & Baustoffe
Wärmepumpen in Quartiersprojekten: Ein Hebel für die Energiewende
Text: Herbert Grab | Foto (Header): © AIT-DEUTSCHLAND
Als Konsequenz des Wohnungsmangels in unseren Städten planen Kommunen neue Stadtteile und Quartiere mit einer möglichst effizienten Energieversorgung. Der mit Abstand größte Hebel dabei ist die Wärmeversorgung. Immer mehr Quartierswohnungen werden deshalb über Nahwärmenetze und Wärmepumpen versorgt.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2020
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Die Wärmewende kann als wesentliches Element der Energiewende angesehen werden. Daran besteht kein Zweifel. Immerhin verbrauchen die privaten Haushalte in Deutschland laut Umweltbundesamt mehr als zwei Drittel ihrer Energie, um Räume zu heizen und Warmwasser zu bereiten [1]. Das summiert sich auf rund 35 % des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland. Und weil die meisten Heizsysteme noch immer mit fossilen Energieträgern arbeiten, entstehen dabei etwa 40 % aller CO²-Emissionen. Damit ist klar: Das größte Potenzial, um im Privatbereich sowohl Energie als auch Kosten zu sparen und zugleich die Umwelt zu schonen, schlummert in den Heizungskellern der Republik. Heizungsanlagen, so die Konsequenz, müssen effizienter mit Energie umgehen und klimafreundlicher werden.
Wärmepumpe als Heizsystem der Zukunft
Vor diesem Hintergrund wird die Wärmepumpe vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg als das Heizsystem der Zukunft bezeichnet. Dessen Einschätzung nach gibt es derzeit keine Heiztechnologie, die so viele Vorteile in sich vereint: für den Weg der Gesellschaft hin zu einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Energieversorgung, aber auch für den einzelnen Nutzer. Zumal die Wärme aus unserer Umwelt praktisch unerschöpflich ist. „Diese Energie werden wir zunehmend nutzen müssen“, ist der Freiburger Institutsleiter Professor Hans-Martin Henning überzeugt. Die Wärmepumpe sei dafür das ideale Instrument. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Eine moderne Wärmepumpe braucht lediglich zwischen 20 und 25 % Strom, um daraus 100 % Wärme zu generieren. Mit Energie, die sie ohne jegliche Belastung des Klimas aus der Umwelt gewinnt.
Für Vladimir Tsintsiper, Key-Account-Manager bei alpha innotec, einem Hersteller für Wärmepumpen, ist die Sache damit klar: „Im Jahr 2050 soll unser Bedarf an Endenergie für Gebäude um 80 % unter dem Wert von 2008 liegen. So jedenfalls der offizielle Energiewende-Fahrplan. Das ist nur mit dem intelligenten, großflächigen Einsatz von Wärmepumpen zu schaffen.“ Tsintsiper weiß, wovon er spricht, u. a. ist er als Projektierer für Quartierslösungen zuständig. „Jede Kommune, die heute eine Siedlung oder ein neues Quartier plant, sucht nach den besten Möglichkeiten, die künftigen Wohnungen kostengünstig und umweltfreundlich mit Wärmeenergie zu versorgen.“ Und das aus zwei Gründen: Zum einen muss bei der Entwicklung neuer Quartiere auf die künftigen Betriebskosten geachtet werden, der Verbrauch an Wärmeenergie spielt dabei eine Schlüsselrolle. Zum anderen sind gerade kommunale Betreiber angehalten, die Vorgaben der Politik umzusetzen. Außerdem: Wer heute ein neues Wohngebäude erstellt, muss ohnehin hohe Auflagen in Sachen Energieeffizienz und -verbrauch erfüllen. Und auch in diesem Punkt erweist sich die Wärmepumpe als ausgesprochen hilfreich.
Signifikante Vorteile für Quartiere
Quartierslösungen haben gegenüber kleineren Projekten oft klare Vorteile. So können ihre Betreiber mitunter auf Rahmenbedingungen zugreifen, die einem einzelnen Verbraucher für sein Eigenheim nicht zur Verfügung stehen. Hinzu kommt: Mit größer angelegten Systemen lassen sich in aller Regel Synergieeffekte erreichen, die das Effizienzniveau zusätzlich heben. In der Regel sorgt der Betreiber des Projekts, z. B. die kommunalen Stadtwerke, für die Erschließung der Wärmequelle und verantwortet Errichtung und Betrieb der Infrastruktur. Auch die in der jeweiligen Wohnung installierten Wärmepumpen sind oft in seinem Eigentum. Quartierskonzepte basieren meist auf einer Versorgungsinfrastruktur, die mit einem Fernwärmenetz vergleichbar ist. Aufgrund der niedrigeren Temperaturen und der kürzeren Wege allerdings mit deutlich weniger Energieverlusten.
Ein kaltes Nahwärmenetz z. B. liefert den angeschlossenen dezentralen Wärmepumpen je nach Auslegung und Wärmequelle Primärenergie auf einem Temperaturniveau zwischen 6 und 12 °C. Alternativ dazu setzen manche Betreiber auch auf ein Nahwärmenetz, dessen Niveau üblicherweise zwischen 35 und 40 °C liegt. Um Spitzenlasten abzufedern, ist in beiden Netzvarianten i. d. R. ein thermischer Speicher in Form eines oder mehrerer Warmwasserkessel integriert.
Wärmepumpen als zentrale Technologie
Nahwärmenetze kommen häufig in sog. bivalenten Systemen zum Einsatz. Dort gibt es verschiedene Wärmeerzeuger – neben Wärmepumpen beispielsweise auch Blockheizkraftwerke. Den einzelnen Verbrauchern in den Wohneinheiten ist hierbei eine Technikzentrale vorgeschaltet. Über sie werden die Flächenheizungen der angeschlossenen Wohnungen direkt mit Heizenergie auf Vorlauftemperatur versorgt. Fast immer sind Wärmepumpen auch hier die meist genutzte Technologie, die in diesem Fall allerdings ihre Arbeit in der Technikzentrale verrichten. Kalte Nahwärmenetze werden bevorzugt in monovalenten Systemen eingesetzt – also Systemen, die ihre Heizenergie ausschließlich mit dezentralen Wärmepumpen erzeugen. Kalte Netze eignen sich ideal für die Kombination mit Wärmepumpen: Die relativ geringe Temperaturdifferenz zwischen Wärmequelle und der Vorlauftemperatur moderner Flächenheizsysteme steigert die Effizienz von Wärmepumpensystemen deutlich.
Vorteil: dezentrale Versorgung
Diese Konfiguration hat aber auch noch andere signifikante Vorteile. Beim Einsatz dezentraler Wärmepumpen, die in jeder einzelnen Wohnung Wärme erzeugen, obliegt die Bereitung von Brauchwarmwasser den jeweiligen Bewohnern. Damit muss der Betreiber keinerlei Maßnahmen treffen, um die strengen Vorgaben der Trinkwasserverordnung wegen Verunreinigung oder Legionellengefahr einzuhalten. Denn dezentrale Warmwasserspeicher, wie sie in fast jeder modernen Wärmepumpe integriert sind, gelten mit einem Volumen von 200 l als Kleinanlage. Damit sind sie von der regelmäßigen Kontrollpflicht ausgenommen, wie sie für eine zentrale Trinkwasserversorgung ab drei Wohneinheiten vorgeschrieben ist. Ein weiterer Vorteil, vor allem für Wohnbaugesellschaften oder Quartiersbetreiber: Für die Energiekosten, die für die Wärmeerzeugung anfallen, ist jeder Haushalt selbst verantwortlich. Die Stromversorgung der Wärmepumpe läuft wie bei anderen Haushaltsgeräten einfach über den wohnungseigenen Stromzähler.
„Wohnen westlich des Schlossparks“ heißt ein mustergültiges Projekt, das derzeit in Wiesbaden entsteht. Initiiert und betrieben von den dortigen Stadtwerken, der ESWE Versorgungs AG. Fünf Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 67 Wohneinheiten und 20 Einfamilien- bzw. Reihenhäusern lässt die ESWE dort errichten. Und sie profitiert von Rahmenbedingungen, die dem einzelnen Bürger nicht zur Verfügung stehen: Südlich des Baugebietes verläuft ein Hauptabwasserkanal der Wiesbadener Entsorgungsbetriebe. Ein dort installierter Wärmetauscher macht das Abwasser mit einem Temperaturniveau von 12 bis 15 °C als Wärmequelle für die kalte Nahwärmeversorgung nutzbar. Sie versorgt die Wärmepumpen, die in jedem Einfamilienhaus für Heizung und die Bereitung von Brauchwarmwasser installiert sind. Eine bestechend einfache und höchst wirtschaftliche Lösung.
Zu den bundesweit größten Projekten seiner Art zählt auch ein Baugebiet in der Nähe von Hannover. Im ersten von drei geplanten Bauabschnitten sollen hier zwölf Mehrfamilienhäuser und 48 Einfamilienhäuser entstehen. Auch hier setzt der Betreiber auf ein kaltes Nahwärmenetz, das die dezentralen Sole/Wasser-Wärmepumpen in den Wohnungen über Erdkollektoren mit Primärenergie beliefert. Entscheidender Vorteil hier: Während in einem heutigen Neubaugebiet aufgrund der Grundstücksgrößen Erdkollektoren praktisch nicht realisierbar sind, lässt sich in diesem Fall das komplette Quartier auf diese Weise versorgen.
In der Nähe von Frankfurt ist ein neues Quartier geplant: 93 Wohneinheiten in neun Mehrfamilienhäusern und 88 Doppel- bzw. Reihenhäusern. Die Machbarkeitsstudie dazu läuft derzeit. Auch hier soll eine Energiequelle angezapft werden, die sich nur für ein größeres Projekt wirtschaftlich erschließen lässt: Die neuen Wohneinheiten sollen in der Nähe eines großen Rechenzentrums entstehen. Dessen Abwärme, rund eine Megawattstunde, wollen die Betreiber zentral puffern und den dezentralen Wärmepumpen der Siedlung über ein kaltes Nahwärmenetz zuführen.
Die Betreiber eines Projekts bei Grevenbroich, das derzeit auf seine Machbarkeit hin geprüft wird, setzen auf eine Mischung der Systeme: Ein Teil der geplanten 400 Wohneinheiten wird dezentral mit Wärmepumpen ausgestattet, die über ein kaltes Netz mit Sole versorgt werden. Der andere Teil bekommt seine Heizenergie direkt aus der Wärmezentrale. Auch die Entnahme der Primärenergie aus dem Erdreich ist als Mischform geplant – mit Erdkollektoren oder mit Sonden über Tiefenbohrungen.
Wie vielfältig die Möglichkeiten sind, kostengünstige Energie aus der Umwelt zu gewinnen, zeigt sich am niederländischen Quartier „Mijnwater“ in Heerlen. Dessen Betreiber nutzen Grubenwasser aus einem Bergwerk als Wärmequelle. Das ehrgeizige Projekt versorgt schon jetzt mehr als 200.000 m² beheizte/gekühlte Fläche, bis 2025 sollen es eine Million Quadratmeter werden. Inzwischen gibt es erste Quartiere, in denen Verbraucher auch als Versorger auftreten und ihren selbst erzeugten Solarstrom einspeisen können. Die meisten Quartiersbetreiber bieten ihren Verbrauchern an, ihre Wärmepumpe optional mit Kühlfunktion zu betreiben. Auch die Kombination von Wärmepumpen mit Photovoltaikanlagen gewinnt zunehmend an Bedeutung. In diesem Fall kommt der Strom für die Wärmeerzeugung zum größten Teil vom eigenen Dach.
„Es gibt keine wirtschaftlicheren Lösungen. Und solche Lösungen bringen die Energiewende im Sinne des Gesetzgebers und der ganzen Gesellschaft voran“, so Tsintsiper. Der Wärmepumpenhersteller alpha innotec habe deshalb ein Experten-Netzwerk geschaffen, das Projekte zur Quartiersentwicklung mit Wärmepumpen komplett realisieren könne – „von der Machbarkeitsstudie und Projektierung über die Erschließung der Wärmequelle, den Bau des Versorgungsnetzes und die Installation der Wärmepumpen bis hin zum Monitoring. Und natürlich übernehmen wir auf Wunsch auch die Wartung und Betreuung der Anlage im laufenden Betrieb.“ Die neuen Stadtquartiere der Zukunft, davon ist Tsintsiper überzeugt, werden praktisch ohne Ausnahme auf der Basis solcher oder ähnlicher Versorgungskonzepte entstehen.
Quellen
[1] www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/wohnen/energieverbrauch-privaterhaushalte (Umweltbundesamt, 06.11.2020)
Der Autor
Herbert Grab
Herbert Grab ist Journalist und Autor. Schwerpunkte seiner Arbeit sind erneuerbare Energien und die dazugehörige Technologie. Er schreibt vorwiegend für Fachmagazine und als Ghostwriter für namhafte Experten.
www.digitmedia-online.de