Energie, Technik & Baustoffe
Vorgehängte hinterlüftete Fassaden: Schallschutz im Wohnungsbau
Text: Ronald Winterfeld | Foto (Header): © PREFA I CROCE & WIR
Das stetige Wachstum urbaner Lebensräume sorgt für immer mehr Verdichtung von Wohnraum. Diese Entwicklung ist mit einer zunehmenden Lärmbelastung für weite Teile der Bevölkerung verbunden. Daher wird der Schallschutz von Gebäuden und deren Außenwänden immer wichtiger. Vorgehängte hinterlüftete Fassaden (VHF) tragen maßgeblich zur Verbesserung des Schallschutzes bei.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 4.2022
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Inhalte des Beitrags
- Wie ist die VHF aufgebaut?
- Optimaler Schallschutz
- Schalldämmverbesserung
- Planung, Ausführung und Abnahme der VHF
- VHF in der Praxis
- Schützende und lärmsenkende Gebäudehülle
- Keramikhülle für ein Wiener Wohn- und Geschäftshaus
- Fassadengestaltung mit Profil
- Ein neues Wahrzeichen für Lindholmshamnen, Göteborg
- Nachhaltige Fassade: Rauten aus recyceltem Aluminium
Der vom Straßenverkehr erzeugte Lärmpegel in Ballungsräumen liegt schon jetzt deutlich über dem von der WHO empfohlenen Maximum. Das ist ein massives gesellschaftliches Problem, denn eine hohe Lärmbelastung kann die Gesundheit beeinträchtigen und zu einer erhöhten Unfallgefahr führen. Ein guter Schallschutz bietet daher unmittelbar Schutz und eine verbesserte Lebensqualität der Bevölkerung.
Die vorgehängte hinterlüftete Fassade (VHF) trägt durch ihre spezielle Bauart und ihre besonderen Eigenschaften maßgeblich zum Lärmschutz bei – mit einem Schalldämmverbesserungsmaß von bis zu 18 dB. Zudem überzeugt die VHF mit einem guten Witterungs- und Wärmeschutz und vielen positiven Wirkungen auf die Energieeffizienz von Wohngebäuden und damit auf den Klimaschutz und vor allem die Behaglichkeit in der Wohnung. Sowohl bei Neubauten als auch bei der energetischen Modernisierung kommen daher immer häufiger VHF zum Einsatz. Neben dem hervorragenden Schallschutz punkten VHF Konstruktionen aufgrund ihrer Robustheit mit einer langen Lebensdauer und großen Wiederverwendungspotenzialen. Das macht die VHF zu einer nachhaltigen Investition mit vergleichsweise niedrigen Folgekosten. Darüber hinaus überzeugt die VHF vor allem ästhetisch: Sie ermöglicht eine freie Fassadengestaltung durch die Variation von Oberflächen, Farben, Formaten und Fugenanordnungen – ganz nach Wunsch des Bauherrn.
Die vorgehängte hinterlüftete Fassade zeichnet sich durch die trennende Luftschicht (Hinterlüftungsraum) zwischen gedämmter oder ungedämmter Außenwand und Bekleidung (Witterungsschutz) aus. Der zweischalige Aufbau reduziert den Schall durch ein vorteilhaftes Masse-Feder-Masse Prinzip, welches sich durch das Zusammenwirken der Bekleidung mit Hinterlüftungsraum, Unterkonstruktion und mineralischer Wärmedämmung bildet.
Durch die Kombination von zwei Schalen mit sehr unterschiedlichen Massen und einem großen Schalenabstand verschiebt sich die Resonanzfrequenz zu tieferen Frequenzen außerhalb des bauakustisch relevanten Bereichs.
Um die Bevölkerung in Wohn- und Arbeitsräumen vor „unzumutbaren Belästigungen“ durch Schallübertragung zu schützen, müssen Gebäude einen ihrer Nutzung entsprechenden Schallschutz aufweisen. Die Anforderungen an den Schallschutz gibt die DIN 4109 „Schallschutz im Hochbau“ vor, ergänzt durch die neue FVHF-Leitlinie „VHF Schall“.
VHF optimieren die Schalldämmung massiver Außenwände, wobei jede einzelne Komponente der VHF die schalltechnische Wirkung positiv beeinflussen kann – ob Verankerungsgrund, Unterkonstruktion, Dämmung, Hinterlüftungsraum oder Bekleidung. Sogar die Befestigung und der Fugenanteil spielen beim Schallschutz eine Rolle. Daher sollten all diese Bauteile bei der Planung berücksichtigt werden. Die Schalldämmwerte von Fassaden mit VHF liegen höher als die Schalldämmwerte der meisten gängigen Außenwandkonstruktionen ohne VHF. So können mit der VHF Verbesserungen zwischen 12 und 18 dB beim Schalldämm-Maß erzielt werden. Eine Senkung des Schalldruckpegels von 10 dB entspricht bereits einer Halbierung der wahrgenommenen Lautstärke im Innenraum.
Konstruktionen mit VHF sind nachweislich geprüft und können Schalldämmwerte von mindestens 66 dB erreichen. Das verbessert den Komfort in Wohngebäuden spürbar. Alle Messungen der ita Ingenieurgesellschaft für Technische Akustik mbH Beratende Ingenieure VBI haben ergeben, dass sich bei einem Schalenabstand von 240 mm (60 mm Hinterlüftung und 180 mm Wärmedämmung) mit üblichen Bekleidungselementen eine positive Wirkung im bauakustisch relevanten tieffrequenten Messbereich entfaltet.
Neben der Referenzmessung der unbekleideten Außenwand wurde die Schalldämmung der VHF mit verschiedenen Bekleidungen geprüft, darunter Aluminium-Verbundplatten, Aluminium-Vollbleche, Faserzement-Platten, Glas-Verbundplatten, Feinsteinzeug-Platten, Keramik-/Ziegel-Platten und Putzträger-Plattensysteme. Die konkreten Messergebnisse für die verschiedenen Bekleidungsmaterialien und andere für die Schallreduktion relevante Faktoren sind in der FVHF-Leitlinie „VHF Schall“ dokumentiert.
Planung, Ausführung und Abnahme der VHF
Damit die Fassadenkonstruktion mit der VHF ihre positiven technischen Werte erreicht, ist eine korrekte Ausführung wichtig. Neben der Qualität und der sachgemäßen baurechtlichen Verwendung der einzelnen Komponenten der VHF müssen bei der Planung und Ausführung auch wichtige Anforderungen an die Standsicherheit, den Brandschutz und den Schall- oder Blitzschutz beachtet werden. Einen praxisorientierten Handlungsleitfaden, der die Grundsätze und Mindestanforderungen für dauerhafte und standsichere vorgehängte hinterlüftete Außenwandbekleidungen festlegt, bietet die FVHF-Leitlinie „VHF Planung und Ausführung“. Ebenso wichtig ist die praxisorientierte FVHF-Leitlinie „Beurteilungsmethodik und Toleranzen von Vorgehängten Hinterlüfteten Fassaden (VHF)“. Sie beschreibt, wie sich die Qualität einer VHF beurteilen lässt und welche Toleranzen zulässig sind. Auch die Frage, wann das Erscheinungsbild beeinträchtigt ist, wird in dem Handlungsleitfaden erörtert. Er versorgt Bauherren, Planer und Verarbeiter mit wertvollen Hilfestellungen zur Abnahme einer VHF.
Ein ehemaliges Eisenbahnerhaus in der Nähe des Pforzheimer Hauptbahnhofs musste dringend grundsaniert werden – nicht zuletzt wegen des hohen Energieverbrauchs. Zudem kommt es wegen der Lage an den Bahngleisen zu einer erhöhten Lärmbelastung, die reduziert werden sollte. Das Ludwigsburger Architekturbüro Freivogel Architekten hat die Sanierung des Gebäudes von 1970 übernommen und ein innovatives Energiekonzept umgesetzt. Entstanden ist ein harmonisches Gebäude mit einer vorgelagerten Loggia-Zone, deren anthrazitfarbene Faserzementtafeln die helle Fassade reizvoll kontrastieren.
Das gelungene Projekt zählt zu den drei Finalisten des DGNB Preises „Nachhaltiges Bauen“, und die Jury des Deutschen Architekturpreises 2015 verlieh dem Projekt eine Auszeichnung. Im bundesweit ausgelobten Programm der Deutschen Energie-Agentur (dena) „zukunft haus“ erhielt der Entwurf Fördergelder. Dadurch konnte das Gebäude zum Nullenergiehaus umgestaltet werden.
Schützende und lärmsenkende Gebäudehülle
Die Sanierung der Gebäudehülle trägt entscheidend zur Senkung des hohen Energieverbrauchs bei: Der Wohnturm wurde mit einer 28 cm starken Dämmschicht aus Mineralwolle und einer Fertigteilfassade aus hellen Beton-Elementen ummantelt. Für kräftige Akzente sorgt die anthrazitfarbene Fassadentafel, die als vorgehängte hinterlüftete Fassade mit farblich abgestimmten Nieten auf eine Unterkonstruktion aus Metall montiert wurden. Die bis zu 3.100 × 1.500 mm messenden Tafeln sorgen für ein ruhiges Erscheinungsbild mit wenigen Fugen. Zusammen mit den dunklen Fensterrahmen im gleichen Farbton und den nach hinten versetzten Glasbrüstungen betonen die Faserzementtafeln die Tiefe der Lochfassade.
Großzügige Loggien aus Betonfertigteilen wurden wie ein Regal vor das bestehende Gebäude gestellt und ersetzen die kleinen Einzelbalkone. Dank der VHF wird die Lärmbelastung im sanierten Hochhaus erheblich gesenkt, was die Aufenthaltsqualität selbst in den Loggien merklich erhöht. Die Aufstockung um ein Geschoss verbessert die Proportionen des Gebäudes und bildet einen eleganten Abschluss. Das Sanierungsprojekt in Pforzheim zeigt, wie eine gelungene Verbindung von alter Bausubstanz mit neuen ästhetischen und energetischen Ansprüchen aussehen kann.
Keramikhülle für ein Wiener Wohn- und Geschäftshaus
Im Wiener Bezirk Leopoldstadt hat der Architekt Martin Kohlbauer in der Nähe des Praters und der denkmalgeschützten Trabrennbahn Krieau das Stadtentwicklungsprojekt Viertel Zwei in Wien um das neue Wohn- und Geschäftshaus Korso ergänzt. Bei der Planung kam es darauf an, den Gebäudekomplex harmonisch mit der historischen Umgebung zu verbinden, denn der Bau umfasst zwei denkmalgeschützte Kopfbauten eines Stalls und eines Werkstattgebäudes des Trabrennvereins.
Mit Korso ist Kohlbauer ein Bauwerk gelungen, das durch seine feine Gliederung, die asymmetrische Grundfläche und die Höhenstaffelung trotz seines großen Volumens nicht massiv wirkt. Das transparent gestaltete Erdgeschoss bietet eine 4.500 m² große Gewerbefläche für das neue urbane Quartier. 179 Wohnungen gruppieren sich um zwei zentrale Erschließungskerne. Balkone und Loggien, die sich entlang der unterschiedlich ausgebildeten Geschosse staffeln, bilden eine abwechslungsreiche Fassade.
Seinen Charakter erhält das Gebäude v. a. durch die besondere Materialität und Farbe der Fassade. Natürliche Keramikplatten in warmen Ockertönen bekleiden die Wandflächen und entwickeln durch ihre dreidimensionale Struktur eine eigene Tiefenwirkung. Feine Rillen in der Oberfläche der Platten führen zu einer stärkeren Schattenwirkung und einer matten Optik, was die Oberfläche besonders lebendig erscheinen lässt. Dieser Effekt wird durch verschiedene Nuancen innerhalb des warmen Farbspektrums verstärkt. Neben ihrer spannenden optischen Wirkung sorgt die profilierte Keramikfassade auch für einen hervorragenden Schallschutz im Gebäude.
Die Fassadenbekleidung wurde nach den Plänen von Martin Kohlbauer mit einer speziellen Oberfläche und einer individuellen Farbgebung produziert: den warmen und natürlich wirkenden Farbtönen Champagner und Bernstein. Das Projekt Korso in Wien ist durch eine enge Kooperation zwischen Kreativplanung und Bauindustrie entstanden, die gemeinsam den besonderen Stil des prestigeträchtigen Gebäudes geprägt haben.
Ein neues Wahrzeichen für Lindholmshamnen, Göteborg
Mit vier beeindruckenden Monolithen in Erdfarben haben die Architektin Åsa Askergren und das Architekturbüro White einen weithin sichtbaren Akzent für Lindholmshamnen geschaffen. Das urbane Stadtentwicklungsgebiet in Göteborg, dessen Fokus auf nachhaltigen Lösungen liegt, war ursprünglich Teil des Industriehafens. Moderne Architektur trifft hier auf das Industrial Design und die Ziegelbauten des alten Werftgeländes.
Bei den Gebäuden mit drei bis 16 Stockwerken wurden klassische Formen mit innovativen Materialien kombiniert. Die Neubauten beherbergen 133 Wohneinheiten und einen Kindergarten und fallen durch ihre besondere Farbgebung in Ziegelrot, Grün und Hellgrau sofort ins Auge. Zum Konzept gehört auch das variable Erscheinungsbild der Fassade, das sich je nach Sonneneinstrahlung ändert, wobei die Farben mit der Umgebung harmonieren.
Nachhaltige Fassade: Rauten aus recyceltem Aluminium
Eine besondere Rolle spielte bei dem Bauprojekt die Wahl des passenden Materials, das sowohl den architektonischen Anforderungen entsprechen als auch hohe Umweltund Nachhaltigkeitsstandards erfüllen musste. Die VHF reduziert auch bei diesen Neubauten in verdichteter Citylage den Schallpegel merklich. Als Fassadenbekleidung wählten die Planer Rauten aus recyceltem Aluminium. Sie passen perfekt zum architektonischen Konzept und erfüllen zudem die Nachhaltigkeitskriterien des Nordic Swan Ecolabels. Der Nachhaltigkeitsgedanke setzt sich bei der Energieversorgung der Gebäude und der Gartenbewässerung fort: Auf dem Dach wurden Solarpaneele angebracht, und ein Bewässerungssystem mit Regenwasser versorgt den Garten. Neben der zukunftsweisenden ressourcenschonenden Umsetzung überzeugt das Projekt in Lindholmshamnen v. a. mit seiner Einfachheit. Architektin Askergren bringt die Ästhetik auf den Punkt: Exaktheit, Schärfe und das Monochrome machen für sie Urbanität aus.
Planungshilfen
Die drei vom FVHF e. V. herausgegebenen Leitlinien „VHF Schall“, „VHF Planung und Ausführung“ und „VHF Beurteilungsmethodik und Toleranzen“ können als PDF im Fachportal www.fvhf.de bestellt werden.
Der Autor
Ronald Winterfeld
MBM, Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH)
Ronald Winterfeld ist seit über zehn Jahren Geschäftsführer des FVHF Fachverbands vorgehängte hinterlüftete Fassaden e. V. Er ist Fürsprecher der VHF in wichtigen Gremien der Baupolitik, der Normung, der Bauwirtschaft und der Architektur.
www.fvhf.de