Retentionsentwässerung bei Flachdächern: Wohin mit dem Regenwasser?

Retentionsentwässerung bei Flachdächern: Wohin mit dem Regenwasser?

Energie, Technik & Baustoffe

Retentionsentwässerung bei Flachdächern: Wohin mit dem Regenwasser?

Text: Bernd Ishorst | Foto (Header): © ZINCO GMBH

Bei der Retentionsentwässerung wird das anfallende Niederschlagswasser nicht direkt vom Dach abgeleitet, sondern durch eine gedrosselte Entwässerung zurückgehalten. Hierbei erfolgt die planmäßige Regenwasserrückhaltung direkt auf dem Flachdach. Doch welche Anforderungen gelten für die Planung und Ausführung von Retentionsentwässerungen bei Flachdächern?

Auszug aus:

Die fortschreitende Flächenversiegelung durch Bebauung führt vielerorts zur Überlastung der öffentlichen Kanalsysteme bei Starkregenereignissen. Der kostenintensive Neubau oder die Erweiterung der öffentlichen Kanäle wären die Folgen. Oft kann dies von Kommunen und Gebietskörperschaften jedoch nicht geleistet werden. Vielerorts gelten mittlerweile Einleitungsbeschränkungen beim Ableiten von Regenwasser in den öffentlichen Kanal. Zur Lösung des Problems können auf Grundstücken verschiedene Maßnahmen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung eingesetzt werden – wie z. B. Versickerungsanlagen, Stauraumkanäle, Regenrückhaltebecken oder die Regenwasserrückhaltung auf Flachdächern.

Sponge-City

In einigen Städten und Kommunen wird bereits das Konzept der Schwammstadt (Sponge-City) umgesetzt. Hierbei handelt es sich um ein Konzept der Stadtplanung, bei dem anfallendes Regenwasser möglichst nicht über die Kanalisation abgeleitet, sondern durch verschiedene Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung lokal aufgenommen, zwischengespeichert und dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt wird. Zusätzlich soll durch Begrünungsmaßnahmen, wie z. B. Dach- und Fassadenbegrünung bei Gebäuden sowie Grünflächen auf Grundstücken und im öffentlichen Bereich, in den Sommermonaten eine Verbesserung des Stadtklimas durch Verdunstungskühlung erreicht werden.

1 | Retentionsablauf für Flachdächer
Foto: ZINCO GMBH

2 | Neben der Einsparung von Energiekosten und Abwassergebühren
bieten Dachbegrünungen weitere Vorteile, wie einen erhöhten Schallschutz oder das Binden von Staub und Schadstoffen.

Foto: ZINCO GMBH

Prinzip der Retentionsentwässerung bei Flachdächern

Die Vorschriften zur Dachentwässerung verfolgen eigentlich die Zielsetzung, das anfallende Regenwasser zügig vom Dach abzuleiten. Bei der Retentionsentwässerung wird das anfallende Niederschlagswasser allerdings nicht direkt vom Dach abgeleitet, sondern durch eine gedrosselte Entwässerung zurückgehalten. Zur Retentionsentwässerung werden größtenteils Dachabläufe mit speziellem Funktionsteil zur exakten Justierung der reduzierten Ablaufleistung eingesetzt.

Die Dachabläufe müssen DIN EN 1253-2 „Abläufe für Gebäude – Dachabläufe und Bodenabläufe ohne Geruchverschluss“ entsprechen. Der Dachablauf-Hersteller muss durch Eigenprüfung die reduzierten Ablaufleistungen in Abhängigkeit von den Anstauhöhen ermitteln und den Anwendern zur Verfügung stellen. Eine optimale Lösung bei der Regenwasserrückhaltung (Retention) auf Flachdächern ist die Kombination mit einer Dachbegrünung.

Retentionsentwässerung bei Gründächern

Im Gegensatz zu nicht begrünten Retentionsdächern bieten begrünte Retentionsdächer die besten Möglichkeiten, das anfallende Regenwasser durch Wasseraufnahme (Zwischenspeicherung im Substrat und der Drainageschicht) sowie durch große Verdunstungseffekte (Verbesserung des Stadtklimas) zu nutzen. Zusätzlich bieten Dachbegrünungen folgende Vorteile:

  • Einsparung von Energiekosten
  • Einsparung von Abwassergebühren
  • erhöhter Schallschutz
  • Verlängerung der Dachlebensdauer
  • Bindung von Staub und Schadstoffen
  • erweiterter Lebensraum
  • mehr nutzbare Freifläche

Für Dachbegrünungen gelten grundsätzlich die Vorgaben der FLL-Dachbegrünungsrichtlinien „Richtlinien für die Planung, Bau und Instandhaltung von Dachbegrünungen“. Die Dachbegrünungsrichtlinien gelten für Intensivbegrünungen, einfache Intensivbegrünungen und Extensivbegrünungen auf Dächern und Decken, z. B. Hallendächern, Dachterrassen, Tiefgaragen und anderen Bauwerksdecken mit einer Überdeckungshöhe bis 2,0 m.

Intensivbegrünungen sind nur durch eine intensive Pflege mit regelmäßiger Wasser- und Nährstoffversorgung dauerhaft zu erhalten. Die verwendeten Pflanzen stellen sehr hohe Ansprüche an den Schichtaufbau der Dachbegrünung. Intensivbegrünungen können beispielsweise aus Stauden, Gräsern, Gehölzen, im Einzelfall auch Bäumen sowie Rasenflächen bestehen.

Einfache Intensivbegrünungen sind in der Regel mit Gräsern, Stauden und Gehölzen ausgebildet. Die verwendeten Pflanzen stellen geringere Ansprüche an den Schichtaufbau. Der Herstellungsaufwand und die Pflegemaßnahmen sind grundsätzlich geringer als bei der Intensivbegrünung.

Extensivbegrünungen sind naturnah angelegte Vegetationsformen, die sich weitgehend selbst erhalten und weiterentwickeln. Deshalb werden Pflanzen mit besonderer Anpassung an die mitunter extremen Standortbedingungen und hoher Regenerationsfähigkeit verwendet. Extensivbegrünungen sind mit relativ niedrigem Aufwand herstellbar. Im Normalfall ist der Pflegeaufwand sehr gering.

Dächer mit extensiver Begrünung können im Jahresmittel etwa 60 bis 90 % des Gesamtniederschlags zurückhalten; intensiv begrünte Dächer erreichen einen Wert von fast 99 %.

Das Wasserspeichervermögen kann je nach Dachbegrünungssystem bei extensiv begrünten Dächern etwa zwischen 20 und 50 l/m2 variieren; bei intensiv begrünten Dächern etwa zwischen 40 und 320 l/m2. Mit zunehmendem Wasserspeichervermögen erhöht sich die statische Belastung des Daches durch die Dachbegrünung. Örtliche Bedingungen wie die Niederschlagsmenge, Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit sowie die Vorsättigung des Substrats und die Häufigkeit der Niederschlagsereignisse haben einen Einfluss auf die Regenrückhaltefähigkeit des Daches.

Planungs- und Bemessungsgrundsätze

Da bei Retentionsdächern mit höheren Lasten zu rechnen ist, sollte die Ausführung der Tragkonstruktion in Massivbauweise erfolgen. Hierbei muss die statische Last, die sich aus dem errechneten Regenrückhaltevolumen plus der Anstauhöhe für die Notentwässerung ergibt, sicher aufgenommen werden können. Zur Durchführung des Standsicherheitsnachweises müssen dem Statiker die errechneten Wasserstände und Gewichte mitgeteilt werden.

Retentionsdächer mit gedrosseltem Abflussvermögen sollten mit einem Gefälle von nahezu 0 % ausgeführt werden, damit sich das Regenwasser über die ganze Fläche gleichmäßig verteilen kann. Gefällelose Dächer stellen in Deutschland keine Sonderlösung dar, sondern können in begründeten Fällen gemäß Flachdachrichtlinie und DIN 18531-1 „Abdichtung von Dächern sowie von Balkonen, Loggien und Laubengängen – Nicht genutzte und genutzte Dächer – Anforderungen, Planungs- und Ausführungsgrundsätze“ geplant und ausgeführt werden.

Wenn die Regenwassermenge die maximal mögliche Retentionswasserhöhe überschreitet, muss eine Notentwässerung auf schadlos überflutbare Grundstücksflächen erfolgen. Deshalb muss jede Retentionsdachfläche über mindestens eine Notentwässerung verfügen. Aus Sicherheitsgründen sollte die Notentwässerung allein den Jahrhundertregen (r5,100) sicher ableiten können. Nur in Ausnahmefällen kann auf eine Notentwässerung verzichtet werden. Im Kommentar zur DIN 1986-100 heißt es hierzu: „Nur bei planmäßig vorgesehener Regenrückhaltung auf Flachdächern in Massivbauweise, die dafür statisch berechnet sind, kann auf eine Notentwässerung verzichtet werden. Dabei sollte die Dachkonstruktion einen Einstau bis zur Attikahöhe aufnehmen können.“

Bei der Ermittlung der Retentionsflächen werden nur die Flächen berücksichtigt, auf denen sich Regenwasser anstaut. Flächen von Dachbauteilen, wie z. B. Lichtkuppeln, werden nicht als Retentionsflächen angerechnet.

Bei Retentionsdächern mit temporärer Rückhaltung sollte die Ermittlung des Rückhaltevolumens nach DWA Arbeitsblatt 117 „Bemessung von Regenrückhalteräumen“ erfolgen.

Die Planung und Bemessung der Dachentwässerungsanlage sowie der Notentwässerung müssen nach DIN 1986-100 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke“ sowie der DIN EN 12056-3 „Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Dachentwässerung, Planung und Bemessung“ erfolgen.

Zur Bemessung des Rückhaltevolumens sowie der Dach- und Notentwässerung müssen die aktuell gültigen Regenspenden des Deutschen Wetterdienstes KOSTRA-DWD 2020 zugrunde gelegt werden. Zusätzlich sind die Bestimmungen der Flachdachrichtlinie zu beachten.

3 | Funktionsprinzip Retentionsentwässerung
Abbildung: LOROWERK

Ausführung

Bei nicht begrünten Retentionsdächern gelten für die Dachausführung (Dampfsperre, Dämmung und Dachabdichtung etc.) die Vorschriften der „Flachdachrichtlinie“. Bei begrünten Retentionsdächern gelten zusätzlich die Vorgaben der FLL-Dachbegrünungsrichtlinien „Richtlinien für die Planung, Bau und Instandhaltung von Dachbegrünungen“.

Durch das planmäßig angestaute Niederschlagswasser darf es zu keinem Wassereintritt bei Durchdringungen, An- und Abschlüssen, Ein- und Ausgängen oder in das Mauerwerk kommen. Deshalb soll das Dach bis zur Attikaoberkante wasserdicht ausgeführt werden.

Die Dachentwässerung sowie die Notentwässerung müssen nach den Vorschriften der DIN 1986-100 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke“ sowie der DIN EN 12056-3 „Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Dachentwässerung, Planung und Bemessung“ ausgeführt werden.

Bei Retentionsdächern mit Dachbegrünung darf der Zufluss zu den Notüber- bzw. -abläufen durch den Schichtaufbau der Dachbegrünung, Randeinfassungen oder sonstige Hindernisse nicht beeinträchtigt werden. Der Nahbereich der Abläufe ist so zu gestalten, dass das Wasser ungehindert abfließen kann und stets eine Sichtkontrolle möglich ist. Dieser Bereich ist von Bewuchs frei zu halten.

Inspektion und Wartung

Zur Gewährleistung einer dauerhaft einwandfreien Funktion müssen bei Dachabläufen und Notentwässerungen regelmäßige Inspektionen und Wartungen gemäß DIN 1986-3 „Regeln für Betrieb und Wartung“ durchgeführt werden. In der geltenden Norm vom November 2004 sind noch keine gedrosselten Dachabläufe benannt. Im Entwurf der DIN 1986-3 vom Oktober 2023 werden in Tabelle 1 Anforderungen an die Inspektion und Wartung von gedrosselten Dachabläufen gestellt. Auf den Abschluss eines entsprechenden Wartungsvertrags wird hingewiesen.

Fazit

Die Vorschriften zur Dachentwässerung verfolgen eigentlich die Zielsetzung, dass anfallende Regenwasser zügig vom Dach über eine Regenentwässerungsanlage abzuleiten. Bei der Retentionsentwässerung wird das anfallende Niederschlagswasser allerdings nicht direkt vom Dach abgeleitet, sondern durch eine gedrosselte Entwässerung zurückgehalten.

Eine optimale Lösung bei der Regenwasserrückhaltung auf Flachdächern ist die Kombination mit einer Dachbegrünung.

Bei der Planung, Bemessung und Ausführung von Retentionsentwässerungsanlagen bei Flachdächern ist eine genaue Koordination zwischen Architekten, Sanitärfachleuten, Statikern sowie den beteiligten Bedachungs- und ggf. Begrünungsfachleuten erforderlich.

Die Bemessung von Retentionsdächern muss, bezogen auf die maximale statische Belastung, in Zusammenarbeit mit dem Statiker erfolgen.

Bei fehlender Erfahrung im Bereich der Retentionsentwässerungsanlagen sollten unbedingt die Beratungsfachleute der Hersteller hinzugezogen werden.

Nur durch regelmäßige Inspektion und Wartung von Retentionsentwässerungsanlagen einschließlich der Notentwässerungen lassen sich auf Dauer kostspielige Schäden und Reparaturen vermeiden.

4 | Tabelle 1 des Entwurfs zur DIN 1986-3, Ausgabe Oktober 2023 — Inspektions- und Wartungsmaßnahmen


Abbildung: Bernd Ishorst nach DIN 1986-3

Anlagenteil Maßnahme Durchführung Zeitspanne
A.4 Dachabläufe (gedrosselt und nicht gedrosselt) und Notüberläufe Inspektion Prüfen auf ungehinderten Ein- und
Ablauf auch der Notüberläufe. Reinigung
der Schmutzfänge und Einlaufroste
6 Monate,
insbesondere
im Herbst
Wartung Funktionskontrolle der Beheizung. Bei
Dachabläufen für das Druckentwässerungssystem ist auf korrekten Sitz der Funktionsteile zu achten. Bei gedrosselten Abläufen ist zusätzlich die Funktionsfähigkeit des Drosseleinsatzes zu überprüfen.

Literatur


DIN 1986-100 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Bestimmungen in Verbindung mit DIN EN 752 und DIN EN 12056“, Ausgabe Dezember 2016

Kommentar zur DIN 1986-100 und DIN EN 12056-4, 6.überarbeitete und erweiterte Auflage 2016

DIN EN 752 “Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden – Kanalmanagement“, Ausgabe Juli 2017

DIN EN 12056-3 „Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Dachentwässerung, Planung und Bemessung“, Ausgabe Januar 2001

DIN EN 1253-2 „Abläufe für Gebäude – Dachabläufe und Bodenabläufe ohne Geruchverschluss“, Ausgabe März 2015

Entwurf DIN 1986-3 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Regeln für Betrieb und Wartung“, Ausgabe Oktober 2023

DIN 1986-3 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Regeln für Betrieb und Wartung“, Ausgabe November 2004

DWA-Arbeitsblatt A 117 „Bemessung von Regenrückhalteräumen“, Ausgabe Dezember 2013

DIN 18531-1 „Abdichtung von Dächern sowie von Balkonen, Loggien und Laubengängen – Nicht genutzte und genutzte Dächer – Anforderungen, Planungs- und Ausführungsgrundsätze“, Ausgabe Juli 2017

Regeln für Abdichtungen – mit Flachdachrichtlinie – Stand Dezember 2016 mit Änderungen November 2017, Mai 2019 und März 2020

FLL Dachbegrünungsrichtlinien „Richtlinien für die Planung, Bau und Instandhaltung von Dachbegrünungen“, Ausgabe 2018 der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V., Bonn

Der Autor


Bernd Ishorst
Bernd Ishorst ist Berater, Fachautor und Referent für Entwässerungstechnik sowie langjähriges Mitglied im DIN-Normenausschuss NA 119-05-02 AA „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke“.
bernd.ishorst@gmx.de

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