Energie, Technik & Baustoffe
Rauchableitung in Treppenräumen: Flucht und Rettung im Brandfall
Text: Ulrich Koch | Foto (Header): © DENBOMA – STOCK.ADOBE.COM
Neben der Brandvermeidung und dem Verhindern der Feuer- und Rauchausbreitung sind die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten im Brandfall die wichtigsten Schutzzielvorgaben in der Musterbauordnung (MBO) sowie in den rechtlich verbindlichen Umsetzungen in den Bundesländern. Doch welche Fluchtwegeregelungen und Entrauchungsmöglichkeiten gelten für Treppenräume?
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 5.2022
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Inhalte des Beitrags
Die Zahlen sind erschreckend: Im zurückliegenden Jahrzehnt sind in Deutschland durchschnittlich mehr als 370 Menschen pro Jahr durch Feuer und Rauch ums Leben gekommen. Hauptursache war und ist nicht das Feuer selbst, sondern sind die giftigen Rauchgase. Diese können bereits nach wenigen Atemzügen zu einem lebensbedrohlichen Sauerstoffmangel führen. Die Vorgaben zur Entrauchung sind somit genauso wichtig wie das Löschen und Retten selbst.
Um eine schnelle und sichere Flucht bzw. Rettung der Bewohner zu ermöglichen, müssen grundsätzlich zwei unabhängige Rettungswege vorhanden sein. Liegen die Aufenthaltsräume nicht zu ebener Erde, müssen zwei Treppen vorhanden sein. In Ausnahmefällen ist es – unter Beachtung bestimmter Bedingungen – ebenfalls zulässig, dass die Funktion der zweiten Treppe durch geeignete Rettungsgeräte der Feuerwehr übernommen wird.
Je nach Anzahl der Bewohner und der Erreichbarkeit, ist dieser Rettungsweg in der Regel nicht so leistungsfähig wie ein Treppenraum und bindet Personal und Technik der Feuerwehr. Daher gibt es beispielsweise in der Niedersächsischen Bauordnung die Vorgabe, dass bei einer Nutzungseinheit für mehr als zehn Personen zu prüfen ist, ob der zweite Rettungsweg über die Rettungsmittel der Feuerwehr überhaupt geeignet ist.
Ist keine zweite Treppe möglich und kann der zweite Rettungsweg nicht über die Rettungsgeräte der Feuerwehr abgedeckt werden, muss der nun einzige Rettungsweg als Sicherheitstreppenraum ausgeführt werden. Das bedeutet laut Bauordnung, dass in diesen Treppenraum kein Brandrauch aus den einzelnen Wohnungen oder Nutzungseinheiten eindringen darf. Hierzu werden die Treppenräume im Brandfall durch eine mechanische Druckbelüftungsanlage (RDA) unter einen definierten Überdruck gesetzt. Somit wird sichergestellt, dass die Türen aus den Nutzungseinheiten noch sicher geöffnet werden können, aber der Rauch aus diesen nicht in den Treppenraum eindringen kann.
Eine grundsätzliche Mindestanforderung in der MBO bzw. der jeweiligen Fassung in den Bundesländern ist, dass in jedem notwendigen
Treppenraum neben der Möglichkeit zur Lüftung auch die Möglichkeit einer Entrauchung sicherzustellen ist. Auch wenn die Treppenräume als Flucht- und Rettungswege zu betrachten sind, dient diese Entrauchung (Normalbauten nach der MBO) in erster Linie dazu, die Feuerwehr bei ihren Löscharbeiten zu unterstützen.
Die Entrauchung kann entweder durch sich öffnende Fenster mit einem freien Querschnitt von 0,5 m² in jeder Etage oder durch eine Öffnung zur Rauchableitung an der obersten Stelle des Treppenraums sichergestellt werden. Diese Öffnung zur Rauchableitung muss mindestens eine freie Öffnungsfläche von 1,0 m² haben. Da diese Öffnungen aus energetischen Gründen in der Regel mit einer Abdeckung versehen sind, muss eine Einrichtung zum Öffnen vorhanden sein. Das Öffnen der Abdeckungen muss vom Erdgeschoss sowie vom obersten Geschoss aus möglich sein.
Grundsätzlich können die Anforderungen der Musterbauordnung an die Öffnungen zur Rauchableitung auch durch natürliche Rauchabzugsgeräte sichergestellt werden. Diese müssen nach der harmonisierten europäischen Norm EN 12101 Teil 2 ihre grundsätzliche Eignung nachweisen und werden in ausgewählten Fällen z. B. auch in Treppenräumen nach der Muster-Verkaufsstättenverordnung 2014 gefordert.
Aber auch bei Standardgebäuden entsprechend der MBO sind in Abhängigkeit zur jeweiligen Gebäudeklasse einige Besonderheiten zu
beachten. Speziell zu den Gebäudeklassen 4 und 5 gibt es ergänzende Anforderungen.
Zu den Gebäuden der Gebäudeklasse 4 gehören Gebäude bis 13 m Höhe (OKFF), die über Nutzungseinheiten mit mehr als 400 m² verfügen. Der Gebäudeklasse 5 sind Gebäude mit einer Höhe von maximal 22 m zugeordnet.
Sind bei der Gebäudeklasse 4 und 5 nur Öffnungen zur Rauchableitung an der obersten Stelle in den Treppenräumen vorgesehen bzw. vorhanden, sind zur Unterstützung des Schutzziels von wirksamen Löscharbeiten „besondere Vorkehrungen zu treffen“ (MBO § 35), ohne diese aber zu konkretisieren.
Auch wenn bei der Gebäudeklasse 5 in jeder Etage ein zu öffnendes Fenster mit der Öffnungsfläche von 0,5 m² vorhanden ist, muss an der obersten Stelle zusätzlich eine Öffnung zur Rauchableitung vorhanden sein.
Die MBO oder auch die Landesbauordnungen der jeweiligen Bundesländer (LBO) machen keine konkreten Vorgaben zu den erforderlichen „besonderen Vorkehrungen“ für die Gebäudeklassen 4 und 5.
Für Hamburg allerdings finden sich im Bauprüfdienst – Brandschutztechnische Auslegungen (BPD 05/2012) der Stadt Hamburg – eindeutige Vorgaben zu den in der MBO geforderten „besonderen Vorkehrungen“. Beispielsweise werden für die Gebäude der Klasse 4 und 5 bis 13 m Höhe anstelle der Öffnung zur Rauchableitung natürliche Rauch- und Wärmeabzugsgeräte (NRWG) mit einer freien Öffnungsfläche von 1 m² und einem Verwendbarkeitsnachweis vorgegeben. Grundlage für diesen Verwendbarkeitsnachweis ist entsprechend der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) die DIN EN 12101 Teil 2:2003 (MVV TB, Anhang 14, Tabelle 2).
Im Eingangsgeschoss muss eine Zuluftöffnung vorhanden sein. Deren Fläche muss mindesten der Öffnungsfläche des NRWG entsprechen. Als Zuluftöffnung kann die Eingangstür verwendet werden, wenn diese eine Feststelleinrichtung aufweist, welche die Tür im Brandfall geöffnet hält.
Auch für die Gebäudeklasse 5 finden sich im Bauprüfdienst – Brandschutztechnische Auslegungen (BPD 05/2012) der Stadt Hamburg – detaillierte Anforderung. Zum Beispiel, dass eine Spülluftanlage mit einem Volumenstrom von 10.000 m³/h zu berücksichtigen ist.
Auch wenn diese Beispiele nur für die Stadt Hamburg verbindlich zu berücksichtigen sind, zeigen sie doch die Bandbreite der möglichen Maßnahmen auf.
Unabhängig von der gewählten Technik müssen die Rauchabzugsgeräte bzw. Öffnungen zur Rauchableitung vom Erdgeschoss und vom obersten Treppenabsatz aus betätigt werden. In der Vergangenheit gab es die ergänzende Vorgabe, dass eine zusätzliche Betätigung nach jedem dritten Stockwerk erforderlich ist. Diese Vorgabe gibt es bauordnungsrechtlich zwar nicht mehr, sie erhöht aber den Nutzen und auch die Akzeptanz der Anwender.
In den meisten Fällen ist bei elektrischen Systemen eine Lüftungsfunktion bis hin zur automatisierten Lüftung integriert bzw. kann diese durch Auswahl entsprechender Module integriert werden. So können diese Systeme durch die Möglichkeit des gesteuerten automatischen Öffnens und Schließens im Bedarfsfall im erheblichen Maße auch zur Energieeffizienz eines Gebäudes beitragen. Um eine eindeutige Zuordnung und Funktionssicherheit zu erreichen, sollten die Betätigungen für die Rauchabzugsfunktion und die erforderlichen Zentralen den Anforderungen der aktualisierten DIN 18232 Teil 9 entsprechen.
Unabhängig davon, ob Fenster, Öffnungen zur Rauchableitung, natürliche Rauchabzugsgeräte oder eine Druckbelüftung zum Einsatz kommen – die Verantwortung für die Funktions- und Betriebssicherheit liegt beim Eigentümer des Gebäudes bzw. beim jeweiligen Betreiber. Daher sollten Planung, Konzipierung und Projektierung durch einen Fachbetrieb erfolgen, um den Bewohnern und Nutzern im Notfall die Flucht durch den – in vielen Fällen einzigen – Rettungsweg sicher zu ermöglichen sowie der Feuerwehr die größtmögliche
Unterstützung bei den Löscharbeiten zu gewährleisten.
Über den FVLR
Der FVLR Fachverband Tageslicht und Rauchschutz e. V. wurde 1982 gegründet. Er repräsentiert die deutschen Hersteller von
Lichtkuppeln, Lichtbändern sowie Rauch- und Wärmeabzugsanlagen. Sie verfügen über ein umfangreiches, langjähriges Knowhow und technisch qualifizierte Mitarbeiter. Sie beraten Planer und Anwender umfassend und leisten aktive Hilfestellung bei der Projektierung, Ausführung und Wartung von Tageslicht-Dachoberlichtern sowie Rauch- und Wärme-Abzugsanlagen. Der FVLR hat es sich zum Ziel gemacht, europaweit produktneutrale, sachliche und fundierte Forschungs- und Informationsarbeit zu leisten, bei Planern, Architekten, Entscheidungsträgern und Anwendern. Aus diesem Grund ist der FVLR auch aktives Mitglied in EUROLUX, der Vereinigung der europäischen Hersteller von Lichtkuppeln, Lichtbändern und RWA. Er wirkt darüber hinaus in den einschlägigen
Gremien zur internationalen und europäischen Normungsarbeit mit.
www.fvlr.de
Der Autor
Ulrich Koch
Ulrich Koch ist seit 2021 Geschäftsführer des Fachverbands Tageslicht und Rauchschutz GmbH, für die er zuvor als Referent für die Bereiche Tageslicht und Rauchschutz tätig war. Seit vielen Jahren arbeitet er aktiv in europäischen sowie nationalen Normausschüssen und Arbeitskreisen für Tageslicht- und Entrauchungsprodukte und deren Anwendung mit.