Titelthema
Mobilitätskonzept in München-Freiham: Baustein für Nachhaltigkeit
Text: Dominik Nouri | Foto (Header): © BAYERISCHE HAUSBAU
Die Nachhaltigkeit von Immobilien spielt sowohl in der Branche als auch bei den Menschen, die die Immobilie nutzen, eine immer größere Rolle. Im Münchner Stadtbezirk Schwabing-Freimann entwickelt die Bayerische Hausbau momentan ein Quartier mit 621 Wohnungen, in dem der Nachhaltigkeitsaspekt eine wesentliche Rolle spielen wird. Ein Baustein ist ein fundiertes Mobilitätskonzept.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2022
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Mobilität steht im Zentrum des Wandels von Raum und Gesellschaft. Kein Wunder: Die Digitalisierung und ein geschärftes Bewusstsein für Nachhaltigkeit verändern unser Mobilitätsverhalten. Hinzu kommt, dass bereits heute ein großes Angebot an neuen Mobilitätsdiensten existiert. Jetzt ist es an der Bau- und Immobilienbranche, dieses Angebot in ihre Planungen zu integrieren und den neuen Anforderungen an die Mobilität gerecht zu werden. Das Mobilitätskonzept für das 120.000 m² große Wohnquartier der Bayerische Hausbau an der Freisinger Landstraße 40 – 60 im Norden Münchens zeigt, wie das aussehen kann.
Momentan ist die Fläche in Schwabing-Freimann, auf dem das Quartier entstehen wird, größtenteils ungenutzt. Die Fläche liegt unweit des Englischen Gartens in einem städtebaulich heterogenen Viertel, das vielfach von Einfamilienhäusern geprägt ist. Die Landeshauptstadt München und die Bayerische Hausbau möchten sich trotz der dezentralen Lage des Grundstücks auf eine Reduktion der Stellplätze von 20 % gegenüber dem Standard und damit einem Mobilitätsfaktor von 0,8 verständigen – sofern ein entsprechendes Mobilitätskonzept vorliegt.
Damit gehen die Partner mit positivem Beispiel voran. Das Quartier soll später als Referenzprojekt dafür dienen, dass Mobilitätskonzepte nicht nur in dicht besiedelten, zentrumnahen Gebieten funktionieren. Doch das Mobilitätskonzept hat nicht ausschließlich das Ziel der Stellplatzreduktion. Es geht auch um die Einsparung von Bausubstanz, die Steigerung der Wohnqualität, die Förderung eines nachhaltigeren Mobilitätsverhaltens sowie die Nachhaltigkeitszertifizierung der Immobilie.
Kein Mobilitätswandel ohne die nötige Infrastruktur
Die Entwicklung eines Mobilitätskonzepts fängt im Idealfall nicht erst an, wenn die Mobilitätsberater ihre Arbeit aufnehmen. Von Anfang an vorgesehen waren im Rahmen der Erarbeitung des Bebauungsplans die passende Infrastruktur, etwa ein Supermarkt, zwei Kitas sowie eine Gaststätte. Das ist wichtig, denn wer einen Mobilitätswandel schaffen möchte, sollte auch die nötige Infrastruktur vor Ort bereitstellen. Diese Informationen flossen auch in die Standortanalyse des Mobilitätskonzepts für das Quartier ein.
Die datenbasierte Analyse der näheren Umgebung ist eine wichtige Grundlage für die spätere Auswahl der Maßnahmen und Handlungsfelder. Mithilfe eines eigens entwickelten Standortanalysetools werden u. a. folgende Faktoren bewertet:
- Angebot an Bildungs- und Freizeiteinrichtungen
- Nahversorgung
- öffentliche Pkw-Ladeinfrastruktur
- Radinfrastruktur
- ÖPNV-Anbindung
- Shared-Mobility-Angebot
Im Rahmen einer SWOT-Analyse lassen sich für den Standort auf dieser Basis bereits Chancen und Risiken ableiten, die wichtige Erkenntnisse für mögliche Maßnahmen liefern. So ist eine Chance an der Freisinger Landstraße der geplante Ausbau des ÖPNV- und der Radinfrastruktur sowie ein zu erwartender Ausbau von Shared-Mobility-Angeboten.
Ebenso relevant für die Entwicklung von Maßnahmen ist die Nutzergruppenanalyse. Wer bewegt sich im Quartier? Welche Wege legen die Bewohner täglich zurück? Anhand wissenschaftlicher Studien und Erfahrungswerten aus ähnlichen Projekten erstellte VEOMO für das Projekt in Freimann Nutzerprofile nach ökonomischen Kriterien, Nutzungsarten und Lebensphasen.
Maßnahmen für eine bessere Erreichbarkeit
Aus den vorangegangenen Analysen zum Standort und den Nutzergruppen lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten. Dabei ist es wichtig, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen allen rechtlichen und städtebaulichen Vorgaben angepasst sind.
Ein umsetzungsnahes Mobilitätskonzept enthält zudem immer auch Empfehlungen zur Dimensionierung, dem zu berücksichtigenden Flächenverbrauch, Informationen zum Betrieb sowie eine Auswahl möglicher Anbieter. Im Fall des Quartiers an der Freisinger Landstraße ergaben sich folgende Maßnahmen:
1. Aufbau einer E-Ladeinfrastruktur
Studien zeigen, dass der Anteil an Autos mit E-Antrieb von Jahr zu Jahr steigt. Eine Erkenntnis aus der Standortanalyse war allerdings eine unzureichende Ladeinfrastruktur vor Ort, denn momentan gibt es lediglich zwei Ladestationen im Umkreis des Quartiers. Netz- und Leitungskapazitäten für den Ausbau der Ladeinfrastruktur müssen deshalb in der Planung berücksichtigt werden. Dabei gilt es, die Vorgaben des Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetzes (GEIG) einzuhalten.
2. Fahrradabstellanlagen
Die Nachfrage nach Fahrrädern ist ungebremst, und bereits heute ist klar, dass der Marktanteil von E-Bikes mittelfristig 50 % erreichen wird. Die Stadt München hat es sich zum Ziel gesetzt, 2035 klimaneutral zu sein. Damit geht auch eine Umverteilung des Straßenraums zugunsten des Radverkehrs einher. Leicht zugängliche und sichere Fahrradabstellanlagen sollten deshalb ein fester Bestandteil des neuen Quartiers sein. Geplant sind ca. 1.650 Fahrrad-Stellplätze, ca. 85 % davon gebäudeintegriert. Der platzsparende Einsatz von Doppelstock-Parksystemen ist in Prüfung.
3. Die Extra-Meile
Neben den Fahrradabstellanlagen ist eine Fahrrad-Servicestation im Quartier geplant. Hier finden sich alle üblichen Werkzeuge für die Fahrradreparatur. Fahrrad-Servicestationen tragen zu einem nachhaltigen Radverkehr bei.
4. Stationsbasiertes E-Lastenrad-Sharing
Über das Quartier verteilt empfiehlt das Mobilitätskonzept Sharing-Stationen für E-Lastenrädern, die via App oder Webanwendung ausgeliehen werden können.
5. Förderung eines nachhaltigen Mobilitätsverhaltens
Die Bayerische Hausbau wird die Bewohner des Quartiers zukünftig proaktiv über die Mobilitätsangebote vor Ort informiert halten. So gibt es auch das Formblatt zum Mobilitätskonzept der Stadt München vor. Dabei ist freigestellt, ob die Informationen per Aushang, Flyer, digital oder in direkter Kommunikation erfolgen sollen.
Die Bayerische Hausbau hat ein Interesse daran, das Quartier zertifizieren zu lassen. So kann die Fortschrittlichkeit des Projekts belegt und nach außen kommuniziert werden. Konkret strebt das Unternehmen eine Zertifizierung des Quartiers durch die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) an. Bei den Empfehlungen zur Dimensionierung und Ausstattung hat VEOMO deshalb besonders auf die Vorgaben des DGNB geachtet. Denn es gibt immer kleine Details, die gesondert betrachtet werden müssen, wenn eine Immobilie oder ein Quartier eine Zertifizierung anstrebt. In diesem Fall handelte es sich dabei beispielsweise um die Berücksichtigung einer Überdachung und einer adäquaten Beleuchtung der Fahrrad-Servicestation. Im Grunde sollte aber jedes professionelle Mobilitätskonzept zur Zertifizierung von Immobilien beitragen.
Die Zukunft der Stadtgestaltung
Die Wärmeenergie wird vor Ort klimaneutral erzeugt und speist sich aus regenerativen Quellen: Ein Wasserkraftwerk treibt hocheffiziente Wärmepumpen an, die die natürliche Wärme des Grundwassers nutzen. Eigene Photovoltaikanlagen auf den Dächern ergänzen den grünen Strom aus der Wasserkraftanlage. Mobilität wird hier also nicht als isolierter Baustein, sondern als Teil eines größeren Nachhaltigkeitskonzepts betrachtet. Für uns sieht genau so die Zukunft der Stadtgestaltung aus.
Der Autor
Dominik Nouri
Gründer und Geschäftsführer der VEOMO Mobility GmbH
VEOMO entwickelt datenbasierte Mobilitätskonzepte und Softwarelösungen für jede Lebensphase einer Immobilie, mit dem Ziel, das Angebot von nachhaltigen Mobilitätslösungen in Gebäuden zu etablieren und den Bau von Stellplätzen langfristig zu optimieren. Bereits heute setzen einige der größten Immobilienunternehmen Europas auf VEOMO als zentralen Ansprechpartner für Mobilität.