Energie, Technik & Baustoffe
Lüftungskonzepte und Auslegung von Lüftungssystemen: Lüftung in Wohngebäuden
Text: Thomas Hartmann | Foto (Header): © Ronstik – stock.adobe.com
Die Entwicklung der letzten Jahre führt im Neubau und nach Modernisierungen zu einer immer luftdichteren Gebäudehülle. Vor diesem Hintergrund fordert DIN 1946-6 Lüftungskonzepte für Wohngebäude. Dabei sind verschiedene Aspekte zu beachten.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 4.2020
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Inhalte des Beitrags
DIN 1946-6 fordert für neu zu errichtende oder lüftungstechnisch relevant zu modernisierende – z. B. durch Austausch von mehr als einem Drittel der Fenster – Wohngebäude bzw. Gebäude mit wohnähnlicher Nutzung, dass mit einem Lüftungskonzept festgestellt wird, ob für die betroffenen Wohnungen eine lüftungstechnische Maßnahme (LtM) erforderlich ist. Für das Lüftungskonzept sind bauphysikalische, lüftungs- und gebäudetechnische sowie hygienische/gesundheitliche Gesichtspunkte zu beachten. Als LtM werden Einrichtungen zur freien oder ventilatorgestützten Lüftung bezeichnet, die zur Sicherstellung eines nutzerunabhängigen Luftaustauschs dienen.
LtM sind zur Vermeidung von Schimmelpilzbefall und Feuchteschäden dann erforderlich, wenn ein definierter minimaler Volumenstrom zum Feuchteschutzdurch den im Mittel in der Heizperiode gegebenen Volumenstrom durch Infiltration nicht mehr sichergestellt werden kann. Lüftungstechnische Maßnahmen sind notwendig, wenn der Volumenstrom durch Infiltration qv, Inf, Konzept kleiner ist als der Volumenstrom zum Feuchteschutz qv, ges, NE, FL. Bei der Festlegung, ob LtM erforderlich sind, werden nach DIN 1946-6 berücksichtigt:
- Gebäudeart (mehrgeschossige oder eingeschossige Wohnungen)
- Gebäudelage (windschwach/windstark, Zuordnung nach DIN 1946-6)
- Luftdichtheit (nach Möglichkeit durch Messung der Luftdichtheit, sonst mit n50-Vorgabewerten nach DIN 1946-6 in Abhängigkeit vom Bauzustand bzw. vom Umfang der Modernisierungsmaßnahmen)
- Wärmeschutz (niedrig: schlechter als Wärmeschutzverordnung 1995; hoch: Wärmeschutzverordnung 1995 oder besser)
- Personenbelegung (gering: ≥ 40 m²/Pers. üblich z. B. im EFH; hoch: < 40 m²/Pers.)
Auswahl des Lüftungssystems und Lüftungsstufen
Sind lüftungstechnische Maßnahmen notwendig oder ist aus hygienischen – etwa bei Allergikern – bzw. aus energetischen Gründen (z. B. Effizienzhaus-Anforderungen) ein Lüftungskonzept erforderlich, ist im nächsten Schritt ein geeignetes Lüftungssystem auszuwählen. Die Lüftungssysteme können nach dem Wirkprinzip systematisiert werden.
Bei den freien Lüftungssystemen wird zwischen Quer- und Schachtlüftung unterschieden. Dabei kann nach DIN 1946-6 die Querlüftung nach der Lüftungsstufe „Feuchteschutzlüftung“ oder nach der Lüftungsstufe „reduzierte Lüftung“ ausgelegt werden. Bei den ventilatorgestützten Lüftungssystemen wird zwischen Abluft‑, Zuluft- sowie Zu-/Abluftsystemen unterschieden.
Der durch Undichtheiten der Gebäudehülle verursachte Luftvolumenstrom durch Infiltration wird nach DIN 1946-6 nicht als eigenständiges Lüftungskonzept betrachtet, wird aber bei der Auslegung der Außenbauteil-Luftdurchlässe (ALD) berücksichtigt.
Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass in der Baupraxis häufig mehrere Systeme in einer Wohnung zum Einsatz kommen, sind in der Neufassung der DIN 1946-6 von 2019 kombinierte Systeme aufgenommen worden. Diese lassen sich nach dem Zusammenwirken der Lüftungssysteme unterscheiden:
- getrennt (keine Wechselwirkungen)
- überlagernd (Wechselwirkungen z. B. durch Luftaustausch zwischen den unterschiedlich gelüfteten Bereichen einer Wohnung)
- hybrid (mehrere Lüftungssysteme in einem Bereich, die je nach Zeitpunkt parallel oder alternativ betrieben werden)
Sind in undichten Gebäuden, wie etwa im unsanierten Gebäudebestand, nach DIN 1946-6 keine LtM erforderlich, kann der Nutzer durch die Kombination von Infiltrationslüftung mit Fensterlüftung (regelmäßiges Fensteröffnen) die Wohnungslüftung bewerkstelligen. Auch wenn ein Lüftungssystem vorhanden ist, kann die Lüftung jederzeit durch Fensterlüftung, etwa zur Intensivlüftung bei Lastspitzen, unterstützt werden. Die Fensterlüftung ist aber kein Lüftungssystem nach DIN 1946‑6 und wird bei der Auslegung der Lüftungssysteme zur Sicherstellung des erforderlichen Außenluftvolumenstroms nicht berücksichtigt.
Für die im Planungsprozess folgende Auslegung des Lüftungssystems ist das Verständnis der Lüftungsstufen nach DIN 1946-6 erforderlich. Es werden in DIN 1946-6 vier Lüftungsstufen definiert.
1. Lüftung zum Feuchteschutz
- notwendige Lüftung zur Sicherstellung des Bautenschutzes (Feuchte) bei zeitweiliger Abwesenheit der Nutzer und kein Wäschetrocknen
- entscheidend für Notwendigkeit von LtM (Lüftungskonzept) und möglich für Auslegung Querlüftung
2. Reduzierte Lüftung
- notwendige Lüftung zur Sicherstellung der gesundheitlichen Mindestanforderungen sowie des Bautenschutzes (Feuchte) bei reduzierter Anwesenheit der Nutzer oder geringerer Raumluftqualität
- Auslegung für Systeme der freien Lüftung
3. Nennlüftung
- notwendige Lüftung zur Sicherstellung der gesundheitlichen Anforderungen sowie des Bautenschutzes bei Anwesenheit aller Nutzer (Normalbetrieb)
- Auslegung für Systeme der ventilatorgestützten Lüftung
4. Intensivlüftung
- zeitweilig Lüftung mit erhöhtem Luftvolumenstrom zum Abbau von Lastspitzen (Lastbetrieb)
- Auslegung für Systeme der ventilatorgestützten Lüftung im Maximalbetrieb
Um den notwendigen Gesamt-Außenluftvolumenstrom für eine Nutzungseinheit in den einzelnen Lüftungsstufen bestimmen zu können, sind Anforderungen an die Nutzungseinheiten, an einzelne Räume (Außenluftvolumenströme beispielhaft für Abräume bei ventilatorgestützter Lüftung abhängig von der Raumnutzung) und an den pro Person zu realisierenden Luftvolumenstrom¹ (nach DIN 1946-6 im Regelfall 30 m³/(h · Pers.), mindestens aber 20 m³/(h · Pers.), zu beachten. Dabei wird der notwendige Gesamt-Außenluftvolumenstrom im Regelfall als Maximalwert aus dem Vergleich des für die Nutzungseinheit erforderlichen Luftvolumenstroms mit der Summe der für die Ablufträume erforderlichen Luftvolumenströme und (falls die Personenzahl bekannt) mit der Summe der personenbezogenen Luftvolumenströme bestimmt.
Lediglich für die Querlüftung wird in DIN 1946-6 nach einem anderen Berechnungsalgorithmus vorgegangen, da bei diesem Lüftungssystem die Durchströmungsrichtung der Nutzungseinheiten von der Windrichtung abhängt und damit Ablufträume nicht eindeutig definiert werden können. Die Umrechnung auf die anderen Lüftungsstufen erfolgt im Verhältnis der Außenluftvolumenströme für die Nutzungseinheit nach der Abbildung unten. Aus dem notwendigen Gesamt-Außenluftvolumenstrom resultieren die Anforderungen an die Luftvolumenströme durch LtM für Lüftungssysteme:
qv, LtM = qv, ges − (qv, Inf, wirk + qv, Fe, wirk )
qv, LtM Luftvolumenstrom durch lüftungstechnische Maßnahmen, in m³/h
qv, ges notwendiger Gesamt-Außenluftvolumenstrom, in m³/h
qv, Inf, wirk wirksamer Luftvolumenstrom durch Infiltration, in m³/h
qv, Fe, wirk wirksamer Luftvolumenstrom durch Fensteröffnen, in m³/h
Welche Lüftungsstufe dabei durch die LtM zu realisieren ist, wird nach dem Lüftungssystem unterschieden. DIN 1946-6 fordert mindestens die Einhaltung der Lüftung zum Feuchteschutz bei Querlüftung sowie Nennlüftung bei ventilatorgestützter Lüftung. Die Auslegung für höhere Luftvolumenströme ist ausdrücklich zulässig und teilweise empfohlen.
Bei der Berechnung der Luftvolumenströme durch LtM kann bei der Auslegung von Außenbauteil-Luftdurchlässen (ALD) der wirksame Luftvolumenstrom durch Infiltration berücksichtigt werden. Während bei älteren Gebäuden aufgrund der Undichtheiten der Gebäudehülle die notwendigen Außenluftvolumenströme ganz oder zumindest teilweise durch den Volumenstrom durch Infiltration erbracht werden konnten, ist das bei neuen, dichten Gebäuden nur noch stark eingeschränkt der Fall. Der wirksame Volumenstrom durch Infiltration wird auf der Basis von n50-Werten für das Gebäude sowie von einem System- und Volumenstromkoeffizient ez ermittelt. Dabei ist zu beachten, dass wegen des variierenden Volumenstromkoeffzienten der wirksame Luftvolumenstrom durch Infiltration und im Ergebnis dessen auch der Luftvolumenstrom über ALD in Abhängigkeit vom Lüftungssystem unterschiedliche Werte annehmen.
Auch wenn Lüftungssysteme vorhanden sind, kann die Wohnungslüftung durch Fensteröffnen jederzeit unterstützt werden. Um höhere Lüftungsstufen zu erreichen, kann die Fensterlüftung ggf. sogar erforderlich sein. Dies ist bspw. der Fall, wenn in einer Wohnung mit für Nennlüftung ausgelegtem Lüftungssystem eine Intensivlüftung realisiert werden soll. Für die jeweilige Auslegungs-Lüftungsstufe eines Systems muss allerdings davon ausgegangen werden, dass dieses auch bei geschlossenen Fenstern den erforderlichen Luftvolumenstrom realisiert (qv, Fe, wirk = 0 m³/h).
¹ Die personenbezogenen Luftvolumenströme können nur angesetzt werden, wenn die planmäßige Belegung einer Wohnung bekannt ist.
Notwendige Außenluftvolumenströme für Nutzungseinheiten nach DIN 1946-6 – Vergleich der Fassungen 2009 und 2019
Raumnutzung | Notwendiger Abluftvolumenstrom bei Nennlüftung |
Hausarbeitsraum | 20 m³/h |
Kellerraum (z. B. Hobbyraum) | |
WC | |
Küche, Kochnische | 40 m³/h |
Bad mit/ohne WC | |
Duschraum | |
Sauna- bzw. Fitnessraum |
Tabelle: Thomas Hartmann
Der Autor
Prof. Dr.-Ing. Thomas Hartmann
Studierte und promovierte an der TU Dresden im Bereich Maschinenbau mit Schwerpunkt Technische Gebäudeausrüstung. Seit 2004 ist er Geschäftsführer des ITG – Institut für Technische Gebäudeausrüstung Dresden GmbH. Er ist seit vielen Jahren in der Lehre und Weiterbildung tätig und wirkt seit 2013 als Honorarprofessor an der HTWK Leipzig im Bereich der Kälte- und Klimatechnik.