Energie, Technik & Baustoffe
Integrale Planung mit BIM: IN-Tower in Ingolstadt
Foto (Header): © ATP/BECKER
Mit einem neuen Wohnturm haben ATP architekten ingenieure eine markante Landmarke in der Nähe des Ingolstädter Bahnhofs geschaffen. Die Integrale Planung mit BIM ermöglichte eine sehr effiziente Planung, die kontinuierlich optimiert wurde.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 2.2020
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Mit dem Entwurf für den 50 m hohen IN-Tower gewann ATP München 2014 den Realisierungswettbewerb als eines von fünf geladenen Büros. Als vierthöchstes Gebäude der Stadt prägt der Wohnturm mit seiner extravaganten schwarzweißen Fassade die Skyline von Ingolstadt. Der Komplex besteht aus einem schlanken Hochhaus und einer breiten, viergeschossigen Sockelzone mit Lobby und Shops. In einem integralen Planungsprozess mit Building Information Modeling konnte ATP München das stringente Entwurfskonzept mit der Vorgabe einer maximalen Flächennutzung bei hoher Wirtschaftlichkeit des Projekts zu marktüblichen Herstellungskosten erfolgreich realisieren.
Der markante Komplex akzentuiert die Eingangssituation zum Areal des neuen Nordbahnhofs und bildet den baulichen Abschluss des Quartiers südlich davon. Städtebaulich fungiert der Turm zusammen mit dem Bahnhofsgebäude und einem Busbetriebshof als Klammer vom Bahnhofsgelände zur Ringstraße und zum Glacis, einem Grüngürtel um die historische Altstadt. Das Gebäude nimmt entlang der Straße die Fluchtlinie eines bestehenden Nachbarhauses auf und führt sie mit dem winkelförmigen Sockelbaukörper parallel zur östlichen Ringstraße weiter.
Der 50 m hohe, über die Dächer der Stadt emporragende Turm dient Bahnreisenden als klar erkennbares Zeichen ihrer Ankunft in Ingolstadt, während der Sockelbau mit seinen erdgeschossigen Handelsflächen die fußläufige Eingangssituation zum Bahnhofsareal akzentuiert und belebt.
Im Wettbewerb ausgelobt war die Planung eines Wohnhochhauses auf Basis eines bestehenden vorhabenbezogenen Bebauungsplans mit strikt einzuhaltenden, sehr engen Vorgaben, wie etwa fixe Höhe und Außenmaße des Turms sowie eine horizontale Gliederung der Fassade. Neben einer gewerblichen Nutzung im Erdgeschoss des Sockelgebäudes waren sowohl für Sockel als auch Turm Wohnungen im gehobenen Segment mit hochwertiger Ausstattung vorgesehen. Darüber hinaus wurden eine angemessene Innenhofgestaltung und materialgerechte Entwicklung der Fassade gefordert.
ATP entschied sich unter der Leitung von Florian Beck, Head of Design bei ATP München, für eine skulpturale Fassadengestaltung, die sowohl den funktionalen Anforderungen als auch der städtebaulichen Idee folgt. Darüber hinaus beschloss das Team, auch weitere wesentliche Aspekte zur Grundrissoptimierung und Wohnraumverbesserung anzugehen.
Die wichtigste Veränderung war, dass – trotz des vorgegebenen schlanken Querschnitts des Turms von 16 × 16 m – der Erschließungskern nach innen gelegt wurde. Dadurch erhielten alle Wohnungen maximale Fensterflächen. Die Bäder wurden nach außen verlagert, um über die Fenster Tageslicht und Frischluft zu erhalten. Nach diesem Konzept ist der Blick ins Freie bzw. in die Ferne bereits vom Zugangsbereich der Wohnungen aus möglich – und damit der Vorteil eines Hochhauses optimal genutzt.
Bei der Umsetzung lag großes Augenmerk auf einer modernen, zeitlosen Gestaltung im städtebaulichen Kontext. Oberste Priorität hatte der Erfolg des neuen eingeschlagenen Wohnraumkonzepts der Stadt. „Knapper Wohnraum fordert vertikale Lösungen und flexible Grundrisse“, erklärt der Designchef und selbst Stadtplaner. „Deshalb lud uns der Bauherr ein, ihn intensiv bei der Optimierung der Wohnflächen zu beraten. Mit unserem prämierten Wettbewerbskonzept gelang es uns, ein Maximum an qualitativ wertvollem Wohnraum vorzusehen.“
Die Ästhetik des IN-Towers basiert auf seiner schlanken städtebaulich wirksamen Silhouette und seinen weißen Balkonen und Brüstungen, die sich wie bewegte horizontale Bänder auf fast 2 km Länge um den Turm und den Sockel schlingen und das Gebäude damit scheinbar in ein dynamisches Kleid hüllen. Das Konzept der „variierenden Balkone” ist eine Metapher für die Flexibilität der Wohnungsgrundrisse und hat zudem den Zweck, Licht und Schatten gleichmäßig in alle Wohnungen zu verteilen. Die Balkone bestehen aus glatten, weißen Betonfertigteilen. Sie stehen damit in Kontrast zu der rauen, dunkelgrauen Besenstrich-Putzfassade. Im Spiel von Licht und Schatten, hervorgerufen durch die unterschiedlich tiefen Auskragungen der Fassade, entwickelt der Turm einen bewegten, skulpturalen Charakter.
Die atemberaubende Aussicht auf die historische Altstadt bildet ein Alleinstellungsmerkmal des IN-Towers am Immobilienmarkt. Die Eigentumswohnungen wurden in verschiedenen Größen realisiert – vom 48-m²-Appartement bis zur weitläufigeren 170-m²-Etagenwohnung. „Bei einem Hochhaus ist es besonders wichtig, eine wirtschaftliche Erschließung und ein funktionales Grundrisslayout zu entwickeln“, erläuterte Beck das Konzept. „Die Mehrzahl der Wohnungen haben etwa 60 m² Wohnfläche mit flexiblen offenen Grundrissen und Bädern mit Tageslicht.“
Insgesamt teilt sich das 16-geschossige Gebäude in vier verschiedene Zonen: Der Sockel mit Tiefgarage und Kellerabteilen im Untergeschoss schafft ebenerdig mit zwei gut frequentierten Geschäftsflächen eine kommerzielle Verknüpfung zum Bahnhofsgebäude. In den ersten drei Obergeschossen der breiten Sockelzone befinden sich 46 Eigentumswohnungen. Ab dem 4. Obergeschoss des Sockels, wo drei Penthäuser mit Dachterrasse erbaut wurden, erhebt sich der Wohnturm mit weiteren 36 flexibel gestaltbaren Eigentumswohnungen, vorwiegend mit 2 bis 3 Zimmern.
Der Effekt der wechselweise tiefen Balkone vergrößert den Wohnraum der Appartements im Außenbereich mit hoher Qualität und sensationellem Blick über die Stadt und auf die Alpen. Diese Balkone schwingen bei jedem Apartment ca. 3 m heraus, sodass jede Wohnung zusätzlich ausreichend Stellfläche für einen Tisch und zwei Liegestühle erhielt. „Die skulpturale Form des IN-Towers mit seinen geschwungenen Balkonen hatte tatsächlich mehr einen baurechtlichen und funktionalen Hintergrund als einen formalen“, so Florian Beck. „Umso interessanter ist es, dass daraus eine so charakteristische Gestaltung mit hohem Wiedererkennungswert entstanden ist. Der städtebaulichen Idee und der Funktion der Nutzung folgend, ist dies auch unser Verständnis einer modernen und zeitlosen Architektur.“
Aufgrund der kleinen Grundfläche des Turms mussten Grundrisse und Erschließung besonders funktional angelegt werden. Durch die Verschiebung des Kerns in das Turminnere entstanden jedoch gut geschnittene Wohnungen mit offenen und flexibel gestaltbaren Räumen. Ein flexibles Grundrisskonzept ermöglicht unterschiedliche Wohnungsgrößen, vom Appartement bis zur 4-Zimmer-Wohnung, ein vertikales Schachtkonzept, den flexiblen Ausbau von Nassräumen und Küchen in verschiedenen Varianten.
Der Zugang zum Gebäude erfolgt über einen Vorplatz an der Ecke der östlichen Ringstraße. Dieser bietet eine repräsentative und zugleich geschützte Eingangssituation in das Wohnhaus. Den Wohnturm erschließt eine gemeinsame Lobby im Sockelgebäude. Von dort aus gelangt man über Aufzüge oder den Treppenraum in die Wohnungen oder über einen überdachten Bereich in die gartenseitigen Treppenhäuser 2 und 3.
Die seit 2012 bei ATP standardmäßig angewandte Integrale Planung mit BIM erwies sich für die Konzeption des Hochhausturms unter Berücksichtigung der stringenten Vorgaben als sehr hilfreich.
„Ein Hochhaus ist immer eine besondere planerische Herausforderung. Nicht nur statisch, sondern auch funktional, haustechnisch und wirtschaftlich. Bereits in der frühen Konzeptphase werden die Grundsteine für dessen Erfolg gelegt. Daher ist es bei einem solchen Projekt wichtig, von Anfang an auch integral zu planen, wie es die Planungskultur von ATP vorsieht“, erklärte Gesamtprojektleiter Andre Lyashenko von ATP München.
BIM liefert von Beginn an tragfähige Entscheidungsgrundlagen für den Bauherrn, verbessert die Qualität von Planung und Bau und liefert Sicherheit bei Kosten und Terminen. „Die Integrale Planung mit BIM ist zum Vorteil aller – Planer, Sonderfachleute, Baufirmen und vor allem für den Bauherrn“, betonte Lyashenko.
Technische Gebäudeausrüstung, Tragwerksplanung
Die durchdachte Raumplanung mit einer klug platzierten Haustechnik sowie ein tragwerksplanerisches Konzept mit Flachdecken und tragenden Innen- und Außenwänden aus Stahlbeton bieten den Bewohnern die Möglichkeit, Wohnungen auf einem Stockwerk zu großzügigen Etagenwohnungen zusammenzulegen. Die Vorteile der Integralen Planung mit Unterstützung von BIM kamen auch bei der Optimierung der Wohnflächen vollumfänglich zum Einsatz. Raumsparende und methodisch angeordnete Schächte sorgten für eine optimale Verlegung der haustechnischen Installationen, wodurch bis kurz vor Fertigstellung individuelle Wünsche der Wohnungsgestaltung berücksichtigt werden konnten.
Die Wärmeversorgung erfolgt zeitgemäß aus dem städtischen Fernwärmenetz. Aufgrund der Gebäudehöhe realisierte man die Trink- und Heizwasserversorgung über jeweils zwei Druckstufen. Im Brandfall gewährleistet die über das Notstromaggregat gespeiste Druckbelüftung des Sicherheitstreppenhauses den Einsatzkräften Rauchfreiheit.
Weitere Informationen unter: www.atp.ag
Projektdetails
Auftraggeber 6B47 Germany GmbH |
BGF 12.140 m² oberirdisch: 9.300 m² Wohnfläche inkl. Balkone: 6.164 m² Gewerbefläche im EG: 1.100 m² |
Integrale Planung ATP architekten ingenieure, München |
BRI 40.870 m³ |
Ort Ingolstadt, Deutschland |
Höhe Turm 50 m |
Wettbewerb 2014, 1. Preis |
Grundfläche Turm 16 × 16 m |
Baubeginn September 2016 |
Wohnungen 80, davon ¹⁄³ barrierefrei nach LBO |
Fertigstellung Juli 2018 |
Parken Innenhof: ca. 20 Stellplätze Tiefgarage: 83 Stellplätze |
Gesamtprojektleitung Andre Lyashenko |
„Im Wohnungsbau ist derzeit das größte Potenzial zu erkennen.“
Im Gespräch mit Florian Beck, Head of Design bei ATP architekten ingenieure (München), über Building Information Modeling (BIM), das bei ATP seit über sieben Jahren standardmäßig eingesetzt wird und die kongeniale Unterstützung der Integralen Planung darstellt.
Herr Beck, was verstehen Sie unter Integraler Planung?
Das Prinzip der interdisziplinären Zusammenarbeit von Architektur und Ingenieurwesen wird bei ATP in der „Corporate Structure“ einer sich ständig entwickelnden, innovativen und lernenden Organisation gelebt. Bereits im Vorfeld der Planung unterstützen die ATP-eigenen Consulting- und Forschungsgesellschaften den Auftraggeber bei der Beurteilung, welche baulichen Maßnahmen erforderlich sind, um das beste Ergebnis für Programm und Funktion sowie Bau und Betrieb zu ermöglichen. Nach der Übersetzung der unternehmerischen Strategie in ein planerisches Projektkonzept wird auf Basis einer parametrischen Machbarkeitsstudie die beste Variante ermittelt und entwickelt. Darauf baut dann die lebenszyklusorientierte, BIM-unterstützte Integrale Planung auf. Es wird also nicht nur der Prozess des Planens und Bauens berücksichtigt, sondern auch eine übergeordnete Funktionsplanung und nachhaltige Nutzungsperiode in den Prozess miteinbezogen.
Wie setzen Sie diese bei ATP architekten ingenieure um?
Bereits seit 2012 erfolgt die Integrale Planung bei ATP informationsunterstützt durch BIM. ATP kann neben der Architektur auch alle Bereiche des Ingenieurwesens gesamtplanerisch im Unternehmen leisten. In der Regel sitzt das Team sogar in einer Projektgruppe im Büro zusammen – eine Annehmlichkeit, die jedoch nicht zwingend erforderlich ist –, auch mehrere Standorte können auf diese Weise zusammenarbeiten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Planungsweisen kann ATP mit dieser langjährig gelebten integralen Planungskultur die Vorteile von BIM zugunsten von Qualität und Nachhaltigkeit im Bauprozess tatsächlich auch voll ausschöpfen. Den eigenen, über mehrere Jahre entwickelten BIM-Standard und die gewonnenen Erfahrungen stellt ATP über die Wissensplattform BIMpedia auch allen Interessenten und Anwendern online zur Verfügung.
Welche Vorteile bietet eine digitale Integrale Planung mit BIM?
Vor allem ist es ein zeitlicher Vorteil. Nicht nur, weil der Planungsprozess schneller umgesetzt werden kann, wenn die Voraussetzungen mit den Bauherren geklärt sind, sondern vor allem, weil alle planerischen Fachdisziplinen parallel und gleichzeitig am Projekt bzw. am digitalen Modell arbeiten können. Dies bedeutet nicht nur eine bessere Abstimmung zwischen den Fachbereichen, sondern auch einen frühzeitigen Einstieg der Tragwerksplanung, der Haustechnik und aller weiteren Fachplaner in das Projekt. Die Abstimmung findet also nicht mehr nur in wöchentlichen Besprechungen anhand von Papierplänen statt, sondern die sogenannte Kollisionsprüfung, also das Erkennen und Lösen von Konflikten der Planungskomponenten passiert bereits in Echtzeit am Modell. Dies beschleunigt das Vorankommen im Planungsprozess ungemein.
In welchen Bereichen konnten Sie speziell beim IN-Tower von BIM profitieren?
Der IN-Tower ist, wenngleich ein kleines, durchaus ein Hochhaus mit allen Charakteristika, die damit einhergehen. Das soll heißen, dass wir einen sehr schlanken Querschnitt und einen Grundriss haben, der sich über die Geschosse sehr oft wiederholt. Dies bedeutet vor allem für die Flächeneffizienz und die Planung der Haustechnik ein hohes Maß an Wirtschaftlichkeit. Gefragt war daher eine möglichst schlanke Anordnung der Technik, ein starkes Konzept für die Tragwerksplanung und dennoch eine große Flexibilität in der Grundrissgestaltung bis zum endgültigen Verkauf der einzelnen Wohnungen. Nur durch die Integrale Planung mit BIM konnte eine sehr effiziente Planung erstellt werden, die im Prozess alle Anforderungen aufnehmen konnte und kontinuierlich optimiert wurde. Die Funktionsflächen sind äußerst dicht ausgenutzt, Reserven gab es zum Schluss keine mehr.
Welche Systeme und Softwarelösungen nutzen Sie für die Umsetzung von BIM?
Wir verwenden AutoDesk REVIT als das grundlegende Modellierungsprogramm für die Planung in allen Fachbereichen. Um alle Vorteile des Modells zu nutzen, gibt es gut abgestimmte Schnittstellen zu den verschiedensten Programmen für die jeweilige Planungsphase. So nutzen wir SOLIBRI für die Kollisionsprüfung des Modells. Mit ENSCAPE können wir bereits in den frühen Leistungsphasen das Gebäude innen und außen mit Material und Licht jederzeit in Echtzeit darstellen. SOLAR nutzen wir für die Berechnungen der Haustechnik und COSTLINE für die Kostenermittlung. In BuildingONE können wir Listen der Bauteile sowie Raumbücher direkt aus dem Modell erstellen, die dann weiter in iTWO für die Ausschreibung verwendet werden. Als letztes Programm ist noch PlanRadar zu nennen, welches wir für die Überwachung der Umsetzung unserer Planung in der Bauleitung verwenden.
Wie wird sich das Arbeiten mit BIM im Wohnungsbau weiterentwickeln?
Im Wohnungsbau ist, neben dem Hotelbau, derzeit das größte Potenzial und eine tatsächlich innovative Entwicklung hin zum seriellen Bauen zu erkennen. Die damit verbundene Vorfertigung von Modulen und Elementen ist selbstverständlich eng verknüpft mit einer weiter vorausschauenden BIM-Planung für den späteren Bau. Vor allem im Holzbau, und dieser ist im Wohnungsbau inzwischen eine wirklich gute Alternative zu gängigen Lösungen, sind die Bauunternehmer bereits in der Lage, die BIM-Daten der Planung und die eingebetteten Informationen auch wirklich für die industrielle Fertigung zu verwenden. Das wird sich weiter fortsetzen und auch für den Massivbau eine künftige Entwicklung sein. So verstehen wir auch die parametrische Planung – alle Grundlagen, Anforderungen, Eigenschaften der Komponenten etc. sind als numerische Werte oder Informationen im Modell hinterlegt und können leicht geändert werden, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. BIM to Build – das Planen und das Bauenwerden in Zukunft stetig integraler werden.