Initiative Wohnen.2050: Umsetzung von Klimastrategien

Initiative Wohnen.2050: Umsetzung von Klimastrategien

Städtebau & Quartiersentwicklung

Initiative Wohnen.2050: Umsetzung von Klimastrategien

Text: Heike D. Schmitt | Foto (Header): © NHW

Der Praxisbericht 2023 der Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) präsentiert umfassend die Erfahrungen ihrer derzeit 211 Partnerunternehmen und 12 angeschlossenen Verbände und Institutionen auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Auszug aus:

Zwölf positive Beispiele aus der wohnungswirtschaftlichen Praxis, sieben fertig gestellte Klimastrategien, 15 Spannungsfelder, aber auch realisierbare Lösungsansätze und Forderungen werden im Praxisbericht 2023 auf 150 Seiten eindrucksvoll dargelegt. Erneut erlaubt der Bericht einen Blick hinter die Kulissen der Wohnungsunternehmen, die allesamt trotz multipler Krisen und zunehmender Regulatorik die Klimaneutralität ansteuern. Ernüchterndes Resümee der Publikation: Die Zahl der Hemmnisse ist weiterhin hoch, die Zeitläufe werden zunehmend unrealistischer. Der Bericht fordert daher von der Politik endlich ein striktes Umdenken und praxisorientiertes Handeln – besonders in Bezug auf die Fördersystematik.

Unter dem Titel „Umdenken. Umplanen. Umsetzen.“ gewährt der 3. Praxisbericht Einblicke in Ist-Situationen rund um das Erlangen der Klimaneutralität der Partnerunternehmen und -verbände. Basis des Berichts ist eine umfassende Online-Erhebung aus den Monaten März bis Mai 2023 sowie punktuelle An- und Abfragen, an denen rund ein Drittel der Partner teilnahmen. Der Bericht wird auch in diesem Jahr an Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegeben.

Fakten aus der Praxis geben realistische Einblicke

Die IW.2050-Partner geben der eigenen Branche, Politik und Gesellschaft einen Einblick in ihre tägliche Praxis in puncto Klimapfad. Auch aktuelle Zahlen werden veröffentlicht: So lag der THG-Ausstoß (Stand 03/2023) bei 72 der IW.2050-Partnerunternehmen im Mittel bei ca. 28 kg CO₂/m²a. Angestrebt sind – bis zum jeweiligen individuellen Zieljahr – 12 kg CO₂/m²a (Mittelwert). Das entspricht einer Reduktion von rund 57%. Die Anstrengungen, die nötig sind, um diese Senkung zu erreichen, sind enorm – vor allem in finanzieller Hinsicht und im Hinblick auf die aktuellen Verknappungs- und Verteuerungssituationen. Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und Vorstand der IW.2050, konstatiert im Vorwort: „Auch, wenn die durchschnittlichen 12 kg CO₂/m²a noch nicht dem Klimaziel der Bundesregierung für 2045 entsprechen, stellen sie ein Zwischenziel dar. Aus Sicht der Unternehmen definiert es das mit den heutigen Rahmensetzungen maximal Erreichbare. Der soziale Kernauftrag und die wirtschaftliche Existenz der Wohnungsunternehmen sind bereits bei diesen Werten nur mit verbesserten finanziellen Rahmensetzungen vereinbar: Eigenkapital-Zuschüssen, verbesserter Förderung oder höherer Mieteinnahmen. Auch von der finalen Ausprägung der Regulatorik in der aktuellen EPBD-Novelle wird stark abhängen, inwieweit die technischen Zielpfade der Wohnungsunternehmen angepasst und wirtschaftlich umgesetzt werden können.“

Die Stolpersteine

Der Praxisbericht 2023 zeigt die Komplexität der nationalen und der EU-Gesetzgebung auf und geht auf die für die Branche resultierenden Aufgaben ein. Weiterer Schwerpunkt: die nochmals verschärfte Problematik rund um die Reduzierung der CO₂-Emissionen durch Ukraine-Krieg, Energiekrise, Zinswende, dahinschmelzendes Eigenkapital, Lieferengpässe, Personal- und Handwerker-Mangel sowie oftmals fehlendes technisches Knowhow bei Letzteren. Auf dieser Basis werden Forderungen der Branche aufgeführt, deren Realisierung unabdingbare Grundvoraussetzung ist, um die gesetzten Klimaziele auch nur annähernd zu erreichen. Dazu Felix Lüter, geschäftsführender Vorstand der IW.2050 und Leiter des Kompetenzcenters Nachhaltigkeitsmanagement der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt (NHW): „Entscheidend ist vor allem die Frage der Finanzierbarkeit in Kombination mit der Kürze des Zeitraums. Denn: In aller Regel übersteigt der Investitionsbedarf für das Erreichen der Klimaneutralität die finanziellen Möglichkeiten der meisten Wohnungsunternehmen um ein Vielfaches. Das liegt vor allem am sozialen Auftrag: Unsere Partnerunternehmen müssen in ihren Regionen das Grundbedürfnis nach Wohnen für diejenigen erfüllen, die sich am freien Markt nicht versorgen können. Die zunehmende Formalisierung der Klimaziele durch das Ordnungsrecht schränkt finanzielle Handlungsspielräume mehr und mehr ein, bereits bestehende Klimastrategien müssen neu aufgesetzt und an die Vorgaben von GEG- und EPBD-Novelle angepasst werden.“

In Bezug auf Abwicklung und Ergebnis wird das verabschiedete Gebäudeenergiegesetz (GEG) als wenig erfreulich gewertet, ebenso die bisher bekannten Eckpunkte der europäischen Gebäuderichtline (EPBD), die mit ihren Belastungen die Wohnungsunternehmen noch mehr in finanzielle Nöte bringen. Insbesondere kleinere Unternehmen stehen bereits jetzt mit dem Rücken zur Wand und haben Mühe, Instandhaltungsarbeiten zu finanzieren. Viele prüfen deshalb aktiv, inwieweit sie mit der bisherigen Praxis brechen, neben der Defossilisierung im Heizungskeller auch Hüllertüchtigung und Solarstrom-Erzeugung auf den Dächern umzusetzen. Volkswirtschaftlich sowie betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint das nicht: Der VdW Rheinland-Westfalen hat aktuell errechnet, dass eine Genossenschaft mit 1.800 Wohneinheiten, die kein Fernwärme-Anschlusspotenzial hat, selbst mit einer Reduktion auf Heizungskeller und Wärmepumpe für die klimaneutrale Bestandsversorgung 95% ihres Eigenkapitals aufzehren müsste.

1 | Aktuelle und geplante THG-Emissionen der Mitgliedsunternehmen
ABBILDUNG: IW.2050

Forderung: „CO₂-Effizienz vor Energieeffizienz“

Dr. Thomas Hain, Leitender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt (NHW) und Stellvertretender Vorstand der IW.2050, äußert sich ebenfalls zur prekären Gesamtsituation vieler Wohnungsunternehmen: „Regulatorische Rahmensetzungen für das angebrochene postfossile Zeitalter sind begrüßenswert. Was aber nach wie vor fehlt, ist ein schlüssiges, nachvollziehbares und aufeinander abgestimmtes Gesamtkonzept für eine von allen Seiten gewollte Transformation. Ein Konzept, das endlich auch die wirtschaftlichen Zusammenhänge dieser Branche erfasst, respektiert und mit abbildet. Denn: Die geforderten umfangreichen Investitionen an den Gebäudebeständen müssen wohnungswirtschaftlich unter Betrachtung des Gesamtportfolios entschieden werden. Nur so haben Wohnungsunternehmen überhaupt eine Chance, wirtschaftlich auf Kurs zu bleiben und auch zukünftig ihrem gesellschaftlichen Auftrag, bezahlbares Wohnen zu schaffen, nachkommen zu können.“ Hain nennt einige Faktoren, die zur Lösung beitragen könnten: „Aus diesen Gründen muss es möglich sein, zur Erreichung der Klimaziele zunächst mit geringinvestiven Maßnahmen an den Gebäuden zu reagieren und – gemäß MiniMax-Strategie – ein sicher zu erzielendes Resultat zu optimieren. Auch sollte ein tragfähiges Konzept auf einer verpflichtenden Klassifizierung des Bestands nach CO₂-Ausstoß basieren. Eine informative EH-Klassifizierung des Bestands kann ebenfalls Bestandteil sein. Ganz wesentlich jedoch: Die CO₂-Neutralität muss Vorrang haben vor der Energieeffizienz!“ Wie viele seiner Kollegen im Bericht bietet er die Kooperation an: „Die Wohnungswirtschaft steht mit Fakten und Erfahrungswerten aus jahrzehntelanger wohnungswirtschaftlicher Praxis bereit, an realistischen Vorgaben und Zeitläufen mitzuarbeiten. Nur so gelingt der Schulterschluss in Richtung Zukunft.

Versorgung

2 | Aktuelle und geplante Energieversorgung
der Gebäude der Mitgliedsunternehmen

ABBILDUNG: IW.2050

Kommunale Wärmeplanung mit allen Akteuren und Zahlen

Ein Lösungsbaustein, der im Bericht ebenfalls behandelt wird, kann die Kommunale Wärmeplanung sein. Dazu müssen die Wohnungsunternehmen mit ihrer Expertise von Anbeginn eingebunden, realistische Annahmen über die Entwicklung des Energiebedarfs gemacht werden und neben dem Blick auf Wärmenetze auch direkt der Verstärkungsbedarf der kommunalen Stromnetze für Wärmepumpen und E-Mobilität mitgeplant werden. Das ist entscheidend, damit eine Umsetzung der Defossilisierung außerhalb von Wärmenetz-Vorranggebieten kurzfristig erfolgen kann. Für die Unternehmen wiederum ist zeitnahe Transparenz über die Ausbauplanungen von kommunalen Wärmenetzen für die eigene Portfolio-Priorisierung entscheidend.

Intensive Arbeit an Klimastrategien und Projekten

Die im Praxisbericht dargelegten sieben Klimastrategien, zwölf Projekte, 15 neue – und nach wie vor bestehende – Spannungsfelder sowie rund 20 Lösungsansätze sind Belege für die intensiven Bemühungen, Klimaschutz in den Unternehmen voranzutreiben und in einem knappen Zeitfenster eine möglichst große THG-Ersparnis zu erreichen. Wie sehr im Partnerkreis der IW.2050 an den individuellen Klimastrategien gearbeitet wird, zeigen ermittelte Zahlen: 14% sind bereits in der Umsetzung ihrer Klimastrategie, 14% haben diese gerade fertiggestellt, 13% befinden sich in der Endphase, 57% sind mittendrin in den Arbeiten. Lediglich 2% haben noch nicht begonnen. Das Realisieren von Klimaschutz in Kombination mit dem Aufrechterhalten des sozialen Auftrags der Wohnungsunternehmen ist unabdingbar. Dies minimiert die Klimaschäden und sichert den sozialen Frieden. Alle staatlichen Ebenen müssen daher endlich gemeinsam und koordiniert agieren, um bezahlbares und zugleich klimaschonendes Wohnen für die Menschen in Deutschland zu ermöglichen. So, wie der Kernauftrag der Bereitstellung preisgünstigen Wohnens eine Dienstleistung für die gesamte Gesellschaft ist, braucht es auch eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um das soziale mit dem ökologischen Nachhaltigkeitsziel zu vereinen. Dabei dürfen die Unternehmen nicht in wirtschaftlich existenzielle Bedrängnis geraten.

Der Bericht listet daher Faktoren, die noch zu ändern oder einzuleiten sind, um die Energiewende in der Wohnungswirtschaft voranzutreiben – u. a.:

— realistische regulatorische Rahmenbedingungen mit angemessenen Zeitläufen in einem Gesamtkonzept mit koordinierten und harmonisierten Abläufen
— langfristig ausgelegte systematische Förderungen und Direktzuschüsse
— durch verlässliche Rahmenbedingungen gesicherte Finanzierungen
— adäquate kostendeckende Mieterhöhungen im Bestand
— eine endlich umzusetzende Deregulierung sowie
— der Ausbau der Digitalisierung inklusive Nutzung anonymisierter Daten

Zielverschärfung und fehlende Finanzmittel

Insbesondere vor dem Hintergrund der ständig wachsenden Zahl an sozialen Aufgaben, die die deutsche Wohnungswirtschaft für ihre derzeit rund 13 Mio. Mieter übernimmt, ist die Lage zunehmend kritisch. Ein Fazit des Berichts fasst Felix Lüter zusammen: „Die Wohnungswirtschaft steht seit mehr als 100 Jahren für Verlässlichkeit. Aber vor dem Hintergrund von Investitionsbedarfen, die zum Teil vorhandene wirtschaftliche Mittel um das Fünffache überschreiten, stellt sich erstmals in unserer Geschichte die Frage, ob wir kommendes Ordnungsrecht einhalten können. Die Realwirtschaft zu überfordern, führt nicht zum Ziel. Mit verbesserten Rahmenbedingungen, die ermöglichen, statt zu zwingen, kann es eventuell gelingen – und mit einem Gesamtbild statt gesetzlichem Puzzle. Es gilt, zu handeln, so viel und so schnell es geht, gemeinsam und über Sektorgrenzen hinweg. Hinsichtlich der Kosten müssen wir uns endlich ehrlich machen: Wir brauchen die Dimensionen von Pandemie- und Energiekrisen-Doppelwumms für die Defossilisierung in allen Branchen und Sektoren – und zwar jährlich bis 2045. Nur dann haben wir annähernd eine Chance, in Zielnähe zu gelangen.“

Identifizierte Spannungsfelder im 3. Praxisbericht der IW.2050:
Spannungsfeld 1: GEG-Novelle
Spannungsfeld 2: BEG-Förderungen
Spannungsfeld 3: Kommunale Wärmeplanung/Wärmeplanungsgesetz (WPG)
Spannungsfeld 4: EPBD-Novelle
Spannungsfeld 5: Klimaschutzgesetz (KSG)
Spannungsfeld 6: Gesetz zur Steigerung des Ausbaus photovoltaischer Energieerzeugung/Solarpaket I
Spannungsfeld 7: CO₂-Bepreisung
Spannungsfeld 8: Finanzmarkt-Situation
Spannungsfeld 9: Bestandsinvestitionen/ Sanierungsquote
Spannungsfeld 10: Neubau
Spannungsfeld 11: Wohnkosten
Spannungsfeld 12: Fachkräftemangel in der Wohnungswirtschaft
Spannungsfeld 13: Handwerker-Mangel
Spannungsfeld 14: Materialmangel/ Baustoffpreise
Spannungsfeld 15: Nutzerverhalten

Die Autorin


Heike D. Schmitt
Heike D. Schmitt gehört seit 2021 zum Kommunikationsteam der Initiative Wohnen.2050. Mit ihrem Unternehmen, der hd…s aAgentur für presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Wiesbaden, ist sie seit über drei Jahrzehnten für Kunden aus der Bau-, Immobilien- und Wohnungswirtschaft tätig.
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