Im Gespräch mit Lukas Wieser
Gut gesammelt
Text: Julia Ciriacy-Wantrup | Foto (Header): © MYFLEXBOX
FOTO: MYFLEXBOX
Das Zustellen von Paketen führt in Städten zu einem enormen Verkehrsaufkommen – intelligente Logistiklösungen werden daher immer wichtiger. Wir sprechen mit Lukas Wieser, Co-CEO & Founder myflexbox, über Alternativen zur Haustürzustellung und den Stellenwert von anbieteroffenen Paketstationen in der Quartiersentwicklung.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2024
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Herr Wieser, wie hat sich das Verhalten von Käufern und ihre Erwartungen bei der Zustellung von Paketen in den letzten Jahren verändert?
Die Erwartungen haben sich stark gewandelt. Der Boom des E‑Commerce, verstärkt durch die Pandemie, hat zu einer steigenden Nachfrage nach einer schnellen und flexiblen Zustellung geführt. Megatrends wie Urbanisierung, Out-of-Home-Delivery und On-Demand verstärken dies noch. Die Folge: Das Paketvolumen hat sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Auch die Retourenmengen steigen. Laut dem European Return-o-Meter (EUROM) der Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg wird fast jedes vierte Paket zurückgeschickt. Ein Trend dabei: Es werden viel mehr Waren bestellt als nötig, der Rest wird einfach wieder retourniert. Kunden erwarten mittlerweile oft Same- bzw. Next-Day-Delivery und maximale Bequemlichkeit. Gleichzeitig wissen viele bereits beim Kauf, dass sie zur Lieferzeit nicht zu Hause sein werden. Einer weiteren Studie zufolge [1] ist jede zweite Haustürzustellung erfolglos. Dies erhöht den Druck auf die Logistik, effizientere Lösungen zu finden. Die Menschen wollen einfach, komfortabel, sicher und rund um die Uhr abholen, versenden und retournieren, im Idealfall ganz in der Nähe.
Zu welchen Herausforderungen führt das auf der Letzten Meile?
Städte und Wohnquartiere stehen vor großen Herausforderungen. Erfolglose Haustürzustellungen verursachen Staus, Verkehrslärm, Parkchaos, Stress und CO₂-Emissionen. Ineffiziente Mehrfachfahrten durch gescheiterte Zustellversuche, Leerfahrten und längere Transportzeiten belasten Umwelt, Infrastruktur und Paketdienste. Das ist zeitraubend und verschwendet Ressourcen. Ohne neue, smarte Logistiklösungen wird sich diese Situation weiter verschärfen. Zudem ist die Mobilitätswende in vollem Gange. Kommunen und Wohnquartiere sind ein Schlüssel, um richtig viel CO₂ einzusparen und Klimaschutzziele zu erreichen. Dazu muss auch das Verkehrssystem umwelt- und ressourcenschonend weiterentwickelt werden. Viele Städte haben sich hier schon ambitionierte Ziele gesetzt, es ist aber noch ein langer Weg, bis diese auch erreicht werden.
Welche Vorteile bieten anbieteroffene Systeme zur Paketzustellung?
Wir nennen das gerne „Win-win-Win für das ganze Viertel“. Die Bündelung von Paketservices gleich mehrerer großer Paketdienste bringt allen Vorteile: Die Bewohner und alle anderen Nutzer erhalten viele sichere und bequeme 24/7-Paketservices. Die Standortpartner erhöhen kostenneutral die Zufriedenheit der Bewohner, werten ihre Infrastruktur auf und verringern das Verkehrs-, Zustell- und Parkchaos. Ein anbieteroffenes Konzept, wie wir es mit myflexbox anbieten, vermeidet einen „Wildwuchs“ an Paketstationen, da man an einem Standort nicht mehrere, sondern nur eine Paketstation braucht. In Österreich z. B. können durch unsere Kooperation mit der Österreichischen Post nahezu alle Pakete von allen Paketdienstleistern an einer Paketstation empfangen, retourniert und versendet werden. Das ist in Europa einzigartig. Integrierte Paketdienste profitieren von effizienten Lieferprozessen und neuen Logistikkonzepten mit hohem Innovationsgrad. Das größte „Win“ geht an die Umwelt: Ein Lieferwagen kann täglich bis zu 13-mal mehr Pakete an eine anbieteroffene Paketstation liefern als bei Haustürzustellungen. Das reduziert Verkehr und CO₂ drastisch. Wohnquartiere unterstützen damit eine nachhaltigere Stadtentwicklung und helfen bei der Transformation zur Smart City.
Welche Vorteile bieten sie speziell für Wohnungsbauunternehmen und Mieter?
Wohnungsbauunternehmen steigern die Attraktivität ihrer Objekte und leisten einen wertvollen Beitrag zur Reduzierung sowohl des Anlieferungs- als auch des Abholverkehrs im urbanen Raum. Das Wichtigste ist, dass wir allen viel Zeit sparen! Der Lieferverkehr wird gebündelt, der Zustellprozess optimiert. Die Folge: weniger Wege und Verkehr, dadurch eine entschärfte Zustell- und Parksituation. Bewohner vermeiden Abholzettel im Briefkasten und Extrafahrten zu oft weiter entfernten Paketshops oder Filialen, die zudem nur an bestimmten Zeiten geöffnet haben. Sie können vollkommen flexibel und autonom ihre Pakete und Waren jederzeit abholen, versenden und retournieren. Die Pakete sind in Wohnnähe sicher verwahrt, „verschwinden“ nicht mehr, liegen nicht mehr vor Türen herum und landen nicht mehr bei Nachbarn. Die Menschen sparen sich so viele unnötige Wege. Sie freuen sich über größtmögliche Flexibilität und eine lebenswertere Stadt. Digitalisiert, klimafreundlich, gesundheitsbewusst.
Vor zehn Jahren wurde mit der Entwicklung des „Quartier am Alsterplatz“ in Braunschweig begonnen, bei dem auch eine gute und zukunftsorientierte Infrastruktur einen hohen Stellenwert einnahm. Mittlerweile ist ein lebendiges Viertel entstanden. Wie sind Sie am Mobilitätskonzept beteiligt?
myflexbox ist im Quartier am Alsterplatz in Braunschweig ein wichtiger Bestandteil des Mobilitätskonzepts. Das Wohnquartier mit 215 Wohnungen vereint soziale Projekte wie eine Wohnpflegegemeinschaft, das Projekt „Gemeinsam Wohnen am Alsterplatz“ oder das inklusive Café Zimtschnecke. Auch myflexbox ist dort zu Hause, trägt somit im Wohnungsbau zu einem lebenswertnachhaltigen Wohnraum bei und ermöglicht Klimaschutz im Alltag. Die smarte innerstädtische Logistikinfrastrukturlösung vernetzt und bündelt mehrere Dienstleister und Services auf wenig Raum. Unsere anbieteroffenen Paketstationen verknüpfen lokale Mobilitätslösungen und bieten eine nachhaltige Alternative zur Haustürzustellung, und zwar nicht nur am Alsterplatz, sondern bisher an insgesamt 20 Standorten in Braunschweig. In ganz Deutschland sind es bereits fast 400, gemeinsam mit den österreichischen Standorten haben wir die Anzahl von 1.000 kürzlich geknackt. Für Deutschland sind bis zu 10.000 Standorte geplant.
Wie funktionieren die Paketstationen technisch und wer hat darauf Zugriff?
Die myflexbox Paketstationen arbeiten vollständig digital und kontaktlos. Sobald ein Paket in einer Station hinterlegt wird, erhalten die Nutzer eine Benachrichtigung per E‑Mail oder SMS mit einem Abholcode. Dieser wird vor Ort eingescannt oder manuell eingegeben, woraufhin sich das entsprechende Fach automatisch öffnet. Die Stationen sind 24/7 zugänglich und bieten zusätzliche Services wie Versand und Retouren. Dank der anbieteroffenen Plattform haben mehrere Paketdienste Zugriff, was die Nutzung für eine Vielzahl von Versendern und Empfängern ermöglicht. Wir bieten „Technology to Deliver“, d. h. eine einfache und schnelle Integration in bestehende Systeme – nicht nur jene von Paketdienstleistern, sondern auch von E‑Commerce-Anbietern oder lokalen Händlern. Mögliche Cases sind z. B. Click & Collect, erweiterte Lieferoptionen und Out-of-Home-Delivery. Unsere selbst entwickelte Software hält uns flexibel und die Anlaufphasen kurz. Die modernen APIs der offenen Plattform verbinden eine Vielzahl von Nutzern und Partnersysteme.
Wie erfolgt die Finanzierung für die Errichtung und den Betrieb der Stationen?
Unsere Standortpartner wie z. B. Wohnungsbaugesellschaften haben keine Investitionsausgaben und keine laufenden Kosten. Im Gegenteil, wir zahlen eine jährliche Miete für den Standort und tragen alle anfallenden Betriebskosten, wie etwa die Stromversorgung. Dadurch entstehen für den Standortpartner keinerlei Kosten, während gleichzeitig die Attraktivität des Standorts gesteigert wird. Zudem kümmern wir uns um Standortanalyse, Planung, Errichtung, Stromzuleitung, Wartung und den laufenden Betrieb. Und unsere Serviceline bietet Kundenservice, wenn es Fragen gibt. Bei all dem hilft uns ein Investment: Der STAR IV Fonds, verwaltet durch STAR Capital Partnership LLP, investiert 75 Mio. Euro in myflexbox und wird die Entwicklung auf die nächste Ebene bringen: Skalierung in neue Märkte, Auf- und Ausbau des Teams, die Positionierung als internationaler Player im Bereich Smart City, für das Bauen effizienter, klimaneutraler Infrastruktur in Europas Städten und Intensivierung der Zusammenarbeit mit der Paket- und Logistikbranche.
Wie geht es weiter? Welche Tendenzen sehen Sie für Zustellungs- und Paketdienstleistungen in Zukunft?
Die Zukunft der Paketzustellung wird zunehmend von Flexibilität, Nachhaltigkeit und Digitalisierung geprägt sein. Wir sehen, dass smarte Paketstationen und andere Logistikhubs eine bereits wichtige Rolle spielen, um den stetig wachsenden Paketverkehr zu bewältigen. Zudem sehen wir einen starken Trend hin zu nachhaltigen Lösungen, bei denen CO₂-Einsparungen und die Entlastung städtischer Räume im Vordergrund stehen. Anbieteroffene Systeme werden zur Norm, da sie Effizienz steigern und Emissionen reduzieren. Das ist in etwa so wie mit den Geldautomaten, da gibt es auch keine, bei denen man Geld von nur einer Bank bekommt.
Das Gespräch führte Julia Ciriacy-Wantrup.
Quelle
[1] Hofer, K./Fluchner, S./Fellendorf, M./Schadler, M. & Hafner, N. (2020): Estimation of Changes in Customer’s Mobility Behaviour by the Use of Parcel Lockers. In: Transportation Research Procedia, 47, 425–432.