Im Gespräch mit Dirk Christiansen
Belebtes Zentrum am Wasser
Text: Ines Iwersen | Foto (Header): © EdLantis – stock.adobe.com
Foto: bgmr Landschaftsarchitekten
Mit der Umgestaltung der Holstenbrücke als ehemals stark frequentierte Stadtstraße zu einem urbanen Platz mit hoher Aufenthaltsqualität hat die Stadt Kiel die Innenstadt um einen ansprechenden und vielfältig nutzbaren Stadtraum erweitert. Dirk Christiansen, einer der vier Geschäftsführer von bgmr Landschaftsarchitekten, stellt das Projekt vor, das nicht nur durch seine Gestaltung und Materialverwendung, sondern auch seinen Beitrag zu einer klimaangepassten Stadtentwicklung punktet.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 4.2021
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Herr Christiansen, ist der Holstenfleet ein typisches Projekt für die moderne Städteplanung?
Das ist eine ganz wichtige Frage, denn der Holstenfleet steht für Projekte, die besondere Potenziale der Innenstadt herausausarbeiten. Ein großes Anliegen der Stadt Kiel war es, die Innenstadt für die Kieler, Besucher und den Stadttourismus attraktiver zu machen. Zugleich sind in den letzten Jahren verschiedene Wohnungsbauprojekte in der Innenstadt verwirklicht worden. Die Innenstadt wird also durch den Nutzungsmix zumindest in Teilen wieder belebter.
Das Fleet hat die Rolle eines Katalysators übernommen, der über die Stärkung des öffentlichen Stadtraums ein deutliches Signal für die Innenstadtentwicklung gesetzt hat. Diese Placemaking-Strategie hat weit ins Umfeld der Maßnahme ausgestrahlt und unterschiedliche Privatinvestitionen ausgelöst – vor allem gewerblicher Art. Vor diesem Hintergrund war die Idee, ein Freiraumprojekt als Motor und Anker der Innenstadtentwicklung zu nutzen, erfolgreich. Über das Projekt ist letztlich auch die Diskussion um die Innenstadt neu angestoßen worden. Die Stadt Kiel war dabei sehr mutig und hat ungewöhnliche Lösungen gefördert.
Was sind die wichtigsten Eckpunkte vom Holstenfleet?
Zum einen der deutliche Wandel von der trennenden Straße in der Innenstadt zum verbindenden Stadtplatz. Der Holstenfleet fungiert dabei sozusagen als Scharnier zwischen historischer Vor- und Altstadt. Zum anderen natürlich die besondere Attraktivität des Fleets durch die erlebbare Wasseranlage. Man kommt ganz dicht an und mit etwas Eigensinn sogar ins Wasser, denn wir haben auch Wasserplätze mit flach auslaufenden Uferbereichen geschaffen. Ein ganz wichtiger Eckpunkt ist auch, dass das Fleet ein klimasensitiver Raum ist. Das Zusammenspiel zwischen den Wasser- und Vegetationsflächen wirkt als Kühlungsraum in der Innenstadt, was gerade bei Extremtemperaturen im Sommer als besonders wertvoll anzusehen ist. Eine weitere Besonderheit ist, dass es uns gelungen ist, die nach der Umgestaltung noch zu Verkehrszwecken genutzten Bereiche absolut barrierefrei zu gestalten. Die gesamte Platzanlage ist vollkommen schwellenlos überquerbar, wofür in Deutschland vor allem in Hinblick auf die noch bestehende Nutzung durch den Busverkehr derzeit nur sehr wenig weitere gute Beispiele existieren. Der Holstenfleet sollte auch ein Wohlfühlraum werden. Zumindest war das eine Erwartung, die im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung geweckt wurde, was unter anderem durch den Einsatz besonderer Materialien wie holzgedeckte Terrassen, den Boardwalk und prägnante Vegetationselemente auch erreicht wurde. Das wichtigste Ziel und damit auch der wichtigste Eckpunkt des Projekts ist sicherlich, dass es galt, die „Marke“ der Innenstadt neu zu adressieren. Zeitweise war das zwar eine gewisse Hypothek, aber es scheint so, als ob uns das wirklich gut gelungen ist. Darauffolgende Freiraumprojekte werden es dadurch sicherlich etwas leichter haben. Gerade in tradierten Räumen, die lange nicht mehr „planerisch bewegt“ wurden, ist es wichtig, dass die Nutzer und Nutzerinnen der Innenstadt ein positives Verhältnis zum Wandel entwickeln und mit Optimismus an die Veränderung gehen. Wir haben das Gefühl, dass dieser Optimismus mit dem Projekt gewachsen ist.
Welchen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit bei diesem Projekt und wo sind die Unterschiede zu Projekten, wie sie vielleicht noch vor zehn Jahren geplant wurden?
Kurioserweise sind ja vom Wettbewerb bis zur Realisierung insgesamt ca. acht Jahre vergangen. Ich denke, unser Wettbewerbsbeitrag platzierte damals bereits Innovationsthemen, die von der Jury erkannt wurden. Dazu zählen beispielsweise die bereits angesprochene Klimasensitivität durch die Einordnung von Verdunstungsflächen und die Stärkung der Selbstreinigungskräfte der neuen Gewässer durch die Integration von Pflanzenfiltern. Der nachwachsende Rohstoff Holz wurde sehr prominent eingesetzt, was in Innenstadtlagen nicht selbstverständlich ist. Es ließen sich aber leider auch nicht alle Ziele umsetzen. So planten wir zu Beginn des Projekts, Niederschläge von Platz- und Verkehrsflächen in den Wasserkreislauf einzubinden, was zum damaligen Zeitpunkt aber leider an der technischen Umsetzung und anderer prioritärer Innovationsthemen scheiterte, zum Beispiel mit der Gestaltung der Verkehrsflächen als stufenlos in die Platzfläche integrierte Fläche – als sogenannten „shared space“.
Gibt es neue Anforderungen an Landschaftsarchitekten bezüglich Klimawandel, moderne Verkehrsführung, Einbeziehung der Bürger etc.?
Ja, ich denke, dass gerade Projekte, die eine starke Veränderungswirkung im Alltag haben, besonders gut gegenüber der Öffentlichkeit erklärt, moderiert und diskutiert werden müssen. Das hat der Holstenfleet deutlich zum Ausdruck gebracht. Leitprojekte der Stadtentwicklung müssen immer auch von der Stadtgesellschaft, wenn nicht geliebt, so doch gewollt sein. Das Fleet hatte anfangs keinen leichten Stand, ist aber im Laufe des Projekts immer mehr angekommen.
Die Öffentlichkeitsbeteiligung hat hieran sicherlich einen sehr großen Anteil. Grundsätzlich ist es so, dass zentrale Zukunftsthemen wie der Klimawandel von uns eben besondere Lösungen fordern – gerade in öffentlichen Räumen. Diese Herausforderung kann auch ein Katalysator für Innovationen sein und Planern, Politik und Verwaltung Rückenwind für mutige Lösungen geben. Für die Übersetzung von Innovationen in Stadträume mit sehr komplexen Anforderungen und Erwartungen können klare Gestaltungsimpulse hilfreiche gemeinsame Orientierungen geben. Der Holstenfleet ist da ein wirklich gutes Beispiel. Andere Projekte entwickeln ihre Gestalt sukzessive aus situativen, sich im Laufe der Nutzungen von selbst herausbildenden Gebrauchsmustern. Beim Fleet haben wir die Spielräume im Bereich der Verkehrsplanung, Gestaltung der Wasseranlagen und Plätze weit ausgelotet. Dennoch erscheint das Projekt aus meiner Sicht gut „geerdet“. Das muss es auch, denn schließlich begründet das Projekt eine langfristige, städtebaulich konstituierende Neuordnung im Herzen einer gewachsenen Stadt. Neben den formalen Setzungen ging es darum, öffentlichen Stadtraum zugänglich und sehr unterschiedlich nutzbar zu machen. Es wurden Angebotsräume geschaffen, von denen die Geschäftstreibenden der Innenstadt profitieren, die aber nicht per se konsumverpflichtend sind. Unter dem Eindruck der derzeitigen Pandemie wird umso mehr deutlich, wie wichtig der öffentliche Freiraum als Kompensationsraum auch im Hinblick auf Fragen der Umweltgerechtigkeit ist. Konkret wird diese Frage zum Beispiel im Verhältnis von konsumgebundenen Sitzplätzen und freien Aufenthaltsangeboten sichtbar. Beim Holstenfleet haben wir diesen Aspekt während des gesamten Projektverlaufs immer offensiv eingebracht und bis zum Ende bewahrt.
Welche Rolle spielt der Einsatz von Holz in der modernen Landschaftsarchitektur?
Holz ist als natürlicher Baustoff in Haptik, Textur und Ästhetik atmosphärisch schwer ersetzbar. Es gibt zwar innovative Lösungen, die auf Recyclingmaterialien setzen, unterm Strich sehe ich aber hier eher benachbarte Einsatzbereiche oder besser: gemeinsame Schnittmengen.
Zum Beispiel hatte sich die Stadt Kiel vor dem Hintergrund einer Gegenüberstellung von Unterhaltungskosten vor zehn Jahren zunächst dazu entschlossen, die Verwendung von Holz weitgehend zugunsten von Kunststoffprodukten einzuschränken. Nach längerer Diskussion hat sich die Stadt Kiel dann eine Probefläche von Kebony legen lassen. Für diese Fläche wurde bewusst eine sehr ungünstige Stelle gewählt, die in eine öffentlichen Anlage integriert großer Belastung und starken Niederschlägen ausgesetzt war. Ziel war es, zu beobachten, wie sich das Holz über einen Zeitraum von zwei Jahren unter diesen ungünstigen Bedingungen verändert. Da Kebony mit seinen positiven Eigenschaften, den technischen Parametern und der langen Haltbarkeit absolut überzeugte, entschied sich die Stadt Kiel nach Ablauf der zweijährigen Beobachtungszeit für den Einsatz von Kebony. Insgesamt wird Holz in der Landschaftsarchitektur und im Hochbau auch als Konstruktionsholz immer wichtiger. Das bezieht sich in der Landschaftsarchitektur stark auf Kleinarchitekturen und Ausstattungselemente, geht aber weit in die Architekturentwicklung hinein, z. B. für Dachaufstockungen sowie Wohn- und Geschäftshäuser. Hier stellen sich auch Synergien ein, wo z.B. hochbauliche Typologien landschaftsintegriert gedacht werden.
Nach welchen Kriterien wird Holz für öffentliche Projekte ausgesucht? Welche Rolle spielen Zertifizierungen wie PEFC/FSC und die Tropenholzdiskussion?
Die Zertifizierungen PEFC/FSC sind wichtig. Zurzeit wird aber in zunehmendem Maße das Herkunftsgebiet entscheidend. Aus diesem Grund haben wir die Tropenholzdiskussion beispielsweise für uns abgehakt. Tropenholz verwenden wir nicht und schlagen es unseren Auftraggebern auch nicht vor. In öffentlichen Auftragszusammenhängen ist der Einsatz von tropischen Hölzern absolut indiskutabel.
Kannten Sie Kebony oder haben Sie mit dem Holz sogar schon einmal gearbeitet?
Wir kannten Kebony lediglich aus Publikationen und hatten noch nicht damit gearbeitet. Jetzt wissen wir, welche Qualitäten das Produkt hat und welche technischen Anforderungen in der Planung zu berücksichtigen sind, um ein gutes Ergebnis zu bekommen. Durch die bereits verlegten Testflächen haben wir Vertrauen in Kebony bekommen und sind bisher nicht enttäuscht worden.
Welchen Eindruck haben Sie von Kebony?
Wir sind mit dem Produkt sehr zufrieden, wobei wir natürlich erst einmal die Verarbeitung und den heutigen Zustand beurteilen können. Die nordische Kiefer hat aufgrund ihrer natürlichen Haptik und der Optik mit Ästen und Maserung des Holzes ein robustes Erscheinungsbild, das sich auch witterungsbedingt verändert. Wo diese Ästhetik passt und gewünscht ist, kann das eine sehr gute Option zur Gestaltung natürlicher Flächen sein. Wir haben das Material ja auch für die Verkleidung von Sitzelementen genutzt, um alle holzgedeckten Flächen möglichst in einer Materialeinheit zu gestalten. Hier müssen wir zukünftig prüfen, inwieweit Ausstattungselemente wie Bänke und Tische ebenfalls einzubeziehen sind.
Das Gespräch führte Ines Iwersen.