Kosten & Finanzierung
Finanzierung von Quartiersarbeit: Die Möglichkeiten und Herausforderungen
Text: Uwe Fachinger, Nicola Seitz | Foto (Header): © SOMMART – stock.adobe.com
Zur Erfüllung der gesetzlichen Auflagen sind Kommunen auf Quartiersarbeit angewiesen. Ohne Quartiersarbeit in ihrer vielfältigen Form könnte eine Kommune ihrer Verpflichtung zu Daseinsvorsorge – zu der die Bereitstellung der örtlichen Infrastruktur sowie Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung gehören – nicht adäquat nachkommen. Angesichts der angespannten Haushaltslage von Kommunen ist daher von Interesse, wie Quartiersarbeit nachhaltig finanziert werden kann. Dabei wird neben den Standardverfahren nach alternativen bzw. zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten gesucht.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 5.2023
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Es gibt keine allgemeingültige Lösung für die Finanzierung von Quartiersarbeit. Je nachdem, ob es sich um kurzfristige, mittelfristige oder langfristige Projekte handelt, können unterschiedliche Finanzierungsmodelle infrage kommen. Dies bedeutet, dass mit Beginn der Initiierung und Planung der Quartiersarbeit die verschiedenen zur Verfügung stehenden Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten sind. Als Ausgangspunkt bietet es sich an, verschiedene Finanzierungsmodelle, welche unterschiedliche Finanzierungsinstrumente umfassen können, zu identifizieren und deren Eignung für die Finanzierung der jeweiligen Quartiersarbeit zu prüfen.
Zur Identifizierung der Finanzierungsmodelle können die verschiedenen Akteure, die an der Quartiersarbeit direkt oder indirekt beteiligt sind, berücksichtigt werden. Prinzipiell wird zwischen drei Gruppen unterschieden:
— diejenigen, für die die Quartiersarbeit erfolgt (Nachfrager)
— diejenigen, die die Quartiersarbeit ausführen (Anbieter) und
— die Kommune (als Nachfrager und Anbieter)
Bestimmte Gruppen von Personen können dabei sowohl als Nachfrager als auch als Anbieter auftreten. So können beispielsweise die Bewohner eines Quartiers eine bestimmte Leistung, wie einen Nachbarschaftstreff, nachfragen. Andererseits können Quartiersbewohner auch als Anbieter auftreten, indem sie die Räumlichkeiten für einen Nachbarschaftstreff zur Verfügung stellen oder in diesem ehrenamtlich tätig werden. Auch eine finanzielle Beteiligung an der Quartiersarbeit ist möglich. Die (un-)mittelbare Einbindung von Personen bietet sich umso eher an, je mehr die Personen von dem mit der Quartiersarbeit erzielten Resultat selbst profitieren. So kann ein Finanzierungsmix aus finanziellen, realen sowie sozialen Ressourcen generiert werden. Zu den realen Ressourcen zählen beispielsweise die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten oder die Bereitstellung von Material. Zu den sozialen Ressourcen zählen die unentgeltliche Mitarbeit oder auch eine Beratung. Grundlage stellen dabei u. a. die Eigeninitiative der Quartiersakteure und deren Kapazitäten und Kompetenzen vor Ort dar.
Nachfrager der Quartiersarbeit können mehrere Akteure sein. Für die Seniorenpolitik und die Integration älterer Bewohner sind neben der Kommune, einzelnen Personen und Gruppen, u. a. die freie Wohlfahrtspflege, lokale Unternehmen, insbesondere die Wohnungswirtschaft, aber auch soziale Dienstleistungsunternehmen sowie Pfarrgemeinden bzw. Kirchen und bürgerschaftliche Initiativen, Organisationen, Vereine oder Genossenschaften, zu nennen. Anbieter können ebenfalls mehrere Quartiersakteure, aber auch Akteure außerhalb des Quartiers sein. Daher kann neben einer internen Finanzierung auch eine externe Finanzierung erfolgen, d. h. durch nicht an der Quartiersarbeit direkt oder indirekt beteiligte Akteure.
Die Kommune kann in ihrer Funktion sowohl Nachfrager als auch Anbieter sein. Sie hat zudem die konstitutive Aufgabe, im Rahmen der Daseinsvorsorge Quartiersarbeit zu betreiben, und sie kann spezielle Finanzmittel für diesen Zweck von der Allgemeinheit erheben. Im Gegensatz zu den anderen Akteuren besitzen Kommunen keine Insolvenzfähigkeit. Mögliche Akteure bei der Finanzierung von Quartiersarbeit sind:
— einzelne Quartiersbewohner, Angehörige
— eine Bewohnergruppe, eine Initiative, ein loser Zusammenschluss, Netzwerke
— institutionelle Einrichtung, NGOs
— Religionsgemeinschaften als öffentlich-rechtliche Körperschaften
— kommunale Vereinigungen für einen bestimmten Zweck, wie Bürgerverein, Selbsthilfeverein, Förder- oder Trägerverein
— Zusammenschluss zum gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Zweck, Kooperation, Wohnungsbau-, Senioren-, Pflege- oder Sozialgenossenschaft
— Verwaltungseinheit, kommunale Unternehmen
— Wohnungsunternehmen sowie soziale Dienstleistungsunternehmen wie Pflegedienste oder Lieferdienste für Essen
Klassische Finanzierungsmodelle
Zu den Standardinstrumenten zur Finanzierung der Quartiersarbeit werden öffentliche Finanzmittel, Förderprogramme sowie Leistungen von Sozialversicherungsträgern gezählt. Über Steuern, Gebühren oder Beiträge erzielte Einnahmen können von der Kommune zur Finanzierung von Quartiersarbeit eingesetzt werden. Ein Vorteil ist, dass öffentliche Finanzmittel in der Regel zweckgebunden sind und somit zumindest kurzfristig eine Finanzsicherheit besteht. Als problematisch kann es sich aber langfristig erweisen, dass die Quartiersarbeit von der zukünftigen kommunalen Haushaltssituation abhängig wird. Neben der Erhebung von Abgaben besteht als eine weitere Finanzierungsmöglichkeit die Kreditaufnahme durch eine Kommune. Diese beeinträchtigt allerdings die zukünftige finanzielle Leistungsfähigkeit einer Kommune, da Zinsund Tilgungszahlungen anfallen und diese Mittel daher gebunden sind.
Zur Finanzierung von Quartiersarbeit können auch Mittel aus Förderprogrammen verwendet werden, die von der Europäischer Union, dem Bund oder den Bundesländern zur Verfügung gestellt werden. Auch Mittel von Bundes- und Landesförderbanken, Public-Private-Partnerships oder von Unternehmen können genutzt werden. Die Mittel aus diesen Programmen dienen in der Regel als kurz- bis mittelfristige Anschubfinanzierung, da sie prinzipiell zeitlich befristet sind. Als nachteilig gelten zudem das zeitlich und sachlich aufwendige Antragsverfahren sowie das Erfüllen bestimmter, mit der Förderung verbundener Voraussetzungen bzw. Auflagen für die Quartiersarbeit.
Prinzipiell können auch Sozialversicherungsleistungen zur Finanzierung der Quartiersarbeit herangezogen werden, insbesondere im Zusammenhang mit sozialen Komponenten und der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung. Da über diese Mittel allerdings nicht frei verfügt werden kann, können sie nicht als grundständiges Instrument betrachtet werden.
Alternative Finanzierungsmodelle
Alternative Finanzierungsmodelle werden in jüngeren Jahren im öffentlichen Bereich aufgrund der angespannten Lage vieler kommunaler Haushalte diskutiert und orientieren sich am Prinzip der Freiwilligkeit und breiten Partizipationsmöglichkeiten, wobei der Netzwerk- und Kooperationsgedanke eine wesentliche Rolle spielt. Aufgaben werden dann von einzelnen oder gruppenbezogenen Akteuren und nicht von der Kommune übernommen. Vorteile dieser partizipativen Finanzierungsmodelle sind eine breitere Diversifizierung der Fremdkapitalgeber, eine größere Unabhängigkeit von institutionellen Partnern und eine stärkere Identifizierung der Akteure mit der geplanten Quartiersarbeit.
Nebenstehende Tabelle zeigt wesentliche Finanzierungsmodelle mit beispielhaften Finanzierungsinstrumenten.
Bei der Wahl eines Finanzierungsmodells ist zu beachten, dass Finanzmittel, beispielsweise aus öffentlichen Haushalten, nur einmal verwendet werden können und somit z. B. zwischen verschiedenen Alternativen der Verwendung von Mitteln aus öffentlichen Haushalten zu entscheiden ist. Für eine Bewertung ist es hilfreich, die für die jeweiligen Finanzierungsmodelle mit der Finanzierung einhergehenden Kosten der Quartiersarbeit und die durch die Quartiersarbeit entstehenden Nutzen bzw. der erzeugte Mehrwert miteinander zu vergleichen. Dies entspricht dem Konzept der Alternativ- bzw. Opportunitätskosten.
Zur Bewertung der Finanzierungsinstrumente sind insbesondere das Finanzvolumen, die Dauer sowie die Art und die Anzahl der Finanzierungsmöglichkeiten relevant. Daneben spielen zur Einschätzung der Instrumente der Aufbau und die Struktur der Quartiersarbeit eine Rolle. So können zur Säuberung eines Parks oder Kinderspielplatzes im Rahmen der Quartiersarbeit andere Finanzierungsinstrumente verwendet werden als zur Einrichtung eines Gemeindetreffpunkts oder zur Ausgestaltung einer Jugendfreizeiteinrichtung. Während für den ersten Fall durch ehrenamtliche Tätigkeiten über einen kurzen Zeitraum im Prinzip keine zusätzlichen finanziellen Mittel erforderlich sind, kann für die Einrichtung und den Unterhalt eines Gemeindetreffpunkts eine Mischfinanzierung, bestehend aus Sachspenden für das Mobiliar, ehrenamtlicher Tätigkeit sowie Geldspenden mit ergänzender Kreditfinanzierung, adäquat sein.
Anbieter von Kapital zielen in der Regel auf eine bestimmte Rendite ab, wobei prinzipiell die Maximierung der Gesamtrendite im Fokus der Kapitalgeber steht. Je nach Ausgestaltung können dabei verschiedene Renditeformen betrachtet werden. Neben der monetären Rendite können dies auch soziale Renditen sein. Soziale Renditen, wie beispielsweise Qualitätsverbesserungen von Dienstleistungen, Reduzierung der Umweltbelastung, die Erhöhung der Mobilität oder Verbesserung der Lebensqualität, sind allerdings nicht in monetären Größen messbar. Entscheidend für die Wahl eines Finanzierungsmodells sind somit die mit der Quartiersarbeit verbundenen monetären, realen sowie sozialen Auswirkungen für die Nachfrager und Anbieter, d. h. der durch die Quartiersarbeit entstandene Nutzen. Damit ergibt sich die Herausforderung, den Nutzen von Quartiersarbeit bzw. den durch Quartiersarbeit erzielten Mehrwert für eine Bewertung bzw. Beurteilung des Finanzierungsmodells zu quantifizieren. Durch die Ermittlung der Sozialrendite, d. h. dem Versuch, die durch die Quartiersarbeit verursachten sozialen Wirkungen mit monetären Größen zu bewerten, kann jedoch zumindest ein Richtwert für den Nutzen angegeben werden. Um darüber hinaus die Wirkungen der Quartiersarbeit auf den Kommunalhaushalt zu erfassen, können zudem die Leistungen, die durch die Quartiersarbeit erbracht werden und die sonst die Kommune aus dem Haushalt finanziert hätte, ermittelt werden. Ergänzend können präventive Wirkungen quantifiziert werden, indem die Kosten ermittelt werden, die ohne die Maßnahme entstanden wären.
Eine Entscheidung für ein bestimmtes Finanzierungsinstrument oder -modell ist aus ökonomischen Gründen dann als optimal zu bezeichnen, wenn für ein spezifisches Projekt im Rahmen der Quartiersarbeit die Opportunitäts- bzw. Alternativkosten am niedrigsten sind. Dies bedeutet auch, dass eine ausschließlich betriebswirtschaftliche Sichtweise auf die Finanzierung von Quartiersarbeit zu eng ist. Auch die indirekten Kosten sowie der direkte bzw. indirekte Nutzen bzw. der durch die Quartiersarbeit erzielte Mehrwert für die im Quartier Lebenden sind zu berücksichtigen. Wichtig ist dabei, immer zu berücksichtigen, dass eine Kommune kein Wirtschaftsunternehmen ist. Es geht nicht um eine Gewinnmaximierung oder Ausgabenreduzierung aus rein monetärer Sicht, sondern um die Gewinnung von Mehrwert und die nachhaltige Maximierung der Nutzen der im Quartier lebenden Menschen.
Finanzierungsmodell | Beispiele für Finanzierungsinstrumente |
Finanzierung durch Nachfrage | Umsatzerlöse Entgelte Mitgliedsbeiträge |
Selbstfinanzierung | Abschreibungen Vermögensumschichtungen Rückstellungen |
Kreditfinanzierung | Bankkredite Lieferantenkredite Mikrokredite Bürgerdarlehen Genussrechte |
Leasing | Nutzung von Geräten oder Immobilien gegen Zahlung Möglichkeit des Erwerbs oder der Rückgabe am Ende der Vertragslaufzeit |
Beteiligungsfinanzierung | Einlagen Aktien Crowdfunding Bürgeranleihen Genossenschaftsanteile |
Stiftungen | Ausschüttungen |
Spenden | Geldzuwendungen Sachzuwendungen Dienstleistungen Sponsoring |
Fonds | Venture Capital Fonds Socially Responsible Investments Bürgerfonds |
Bürgerwährungen | finanzielle Beteiligung Bürgervermögen Regionalwährung |
Bürgerschaftliches Engagement | handwerkliche Tätigkeit Beratung Betreuung |
Die Autoren
Uwe Fachinger
Uwe Fachinger war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 3 „Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik “der Universitäten Frankfurt und Mannheim, am Institut für Finanzen, Steuern und Sozialpolitik der Freien Universität Berlin und am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Seit 2007 hat er die Universitätsprofessur für Ökonomie und Demographischer Wandel am Institut für Gerontologie der Universität Vechta inne und leitet das gleichnamige Fachgebiet.
www.uni-vechta.de
Nicola Seitz
Nicola Seitz, Diplom-Volkswirtin, hat sowohl an der TU Kaiserslautern im Bereich „Nachhaltige Soziale Sicherung “als auch an der Universität Vechta zum Thema „Nachhaltige Finanzierung von Quartieren “geforscht. 2013 wechselte sie ins Hochschul- und Wissenschaftsmanagement der Universität Vechta und ist seit 2022 am Center für Lebenslanges Lernen (C3L) der Universität Oldenburg tätig. Nebenberuflich ist sie seit 2006 Dozentin an mehreren Hochschulen, wie der Jade Hochschule Wilhelmshaven und dem Distance and Independent Studies Center (DISC).
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