Energie, Technik & Baustoffe
Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünungen: Grünflächen in der nachverdichteten Stadt
Text: Gunter Mann | Foto (Header): © BUGG
Noch mehr und noch dichter bauen heißt nach Lösungen zu schauen, die dennoch ausreichend Grünflächen für Mensch und Tier schaffen. Hierfür bieten sich aufgrund der beschränkten Platzverhältnisse in der Stadt vorrangig Dach‑, Fassaden- und auch Innenraumbegrünungen an.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 1.2019
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Täglich wird in Deutschland die Fläche von etwa 70 Hektar Natur versiegelt. Die Hälfte dieser Flächen verschwindet langfristig aus dem natürlichen Wasserkreislauf. Neben dem Flächenverbrauch durch Städtewachstum zwingen uns Klimawandel – in Form von Urban Heat Island Effect und Extrem-Regenereignissen – Artenschwund und auch die Bevölkerungsentwicklung hin zu einer immer älter werdenden Bevölkerung zum Umdenken und Handeln. Immer mehr Menschen drängen (zurück) in die Städte, die Forderungen nach mehr und bezahlbarem Wohnraum werden lauter, doch woher nehmen? Weitere Naturflächen überbauen? Nachverdichten? Doch wo bleiben die lebenswichtigen Grünflächen? Die urbanen Hitzeeffekte werden durch die Sonne, dunkle Gebäude und Straßen, versiegelte Oberflächen und das schnell abfließende Regenwasser verursacht. Ohne Pflanzen fehlen Evapotranspiration und damit verbunden die Verdunstungskühlung (Anm. d. Red.: Evapotranspiration bezeichnet die Verdunstung von Wasser aus der Tier- und Pflanzenwelt sowie von Boden- und Wasseroberflächen). Die Temperatur in Städten ist 1 bis 3 °C höher als im Umland. Die Menschen brauchen schnell erreichbare Grünflächen in ihrer unmittelbaren Umgebung zum Leben, zur Regeneration, zur Erholung, zu Sport und Spiel. Zudem machen Grünflächen Wohnquartiere lebenswerter und attraktiver.
Begrünbar sind Flach- und Schrägdächer. Es wird unterschieden zwischen Extensiv- und Intensivbegrünungen. Die extensiven Gründächer zeichnen sich durch eine geringe Aufbauhöhe (ca. 8 – 15 cm), geringes Gewicht (ca. 80 – 70 kg/m²) und eine trockenheitsverträgliche und pflegeleichte Bepflanzung aus. Extensivbegrünungen werden nur zur Pflege ein- bis zweimal im Jahr begangen. Dagegen sind Intensivbegrünungen erweiterte Wohnräume Dachgärten), auf denen ähnliche Pflanzen wachsen wie im ebenerdigen Garten. Dementsprechend ist der Gründachaufbau höher (ab ca. 25 cm) und schwerer (ab ca. 300 kg/m²).
Die Pflege gestaltet sich wie sonst im Garten je nach Pflanzenauswahl mehr oder weniger aufwendig. Intensiv begrünte Dächer gibt es in der Regel nur auf Flachdächern, dagegen können Extensivbegrünungen auf Flach- und Schrägdächern bis zu einer Dachneigung von etwa 40 Grad gebaut werden. Jedoch sind ab 15 Grad Dachneigung besondere Maßnahmen zur Sicherung notwendig, damit das Gründach bei Starkregen nicht ins Rutschen kommt. Extensivbegrünungen gibt es je nach Schichtaufbau und Flächengröße schon ab etwa 25 – 30 Euro/m², begehbare Dachgärten liegen je nach Aufbauhöhe und Ausstattung bei ab etwa 60 – 150 Euro/m².
vereinfacht in die zwei Hauptkategorien der boden- und wandgebundenen Begrünungen einteilen. Die traditionellen bodengebundenen Begrünungen erfolgen an einer fertigen Außenwand je nach Klettermodus mit oder ohne Kletterhilfe. Sie sind im Wesentlichen dadurch charakterisiert, dass die verwendeten Pflanzen „Kletterpflanzen“ sind und eine direkte Verbindung zum gewachsenen Boden haben. Die „Kletterpflanzen“ sind Selbstklimmer oder benötigen geeignete dauerhafte Kletterhilfen. Die Wasser- und Nährstoffversorgung findet in der Regel über natürliche Einträge statt. Eine regelmäßige fachgerechte Pflege ist notwendig, jedoch in geringerem Maße als bei wandgebundenen Begrünungen.
Wandgebundene Begrünungssysteme bilden in der Regel die Fassade der Außenwand und ersetzen hier andere Materialien wie Glas, Faserzement oder Metalle. Sie benötigen keinen Bodenanschluss und eignen sich daher besonders für innerstädtische Bereiche. Sie zeichnen sich durch sofortige Wirksamkeit, große Gestaltungsspielräume („vertikale Gärten“) sowie ein großes Spektrum verwendbarer Pflanzen aus. Die Versorgung mit Wasser und Nährstoffen erfolgt über eine automatische Anlage. Der Aufwand für Pflege und Wartung ist
von der Art der Gestaltung und dem verwendeten System abhängig, insgesamt aber höher als bei bodengebundenen Begrünungen.
Bodengebundene Fassadenbegrünungen mit Kletterhilfen gibt es für etwa 150 – 300 Euro/m², die wandgebundenen Begrünungen liegen je nach Flächengröße bei etwa 500 – 1.000 Euro/m².
„Innenraumbegrünung“ ist ein weit gefasster Begriff – von der Topfpflanze auf der Fensterbank bis zu Bäumen in großen Pflanzbeeten. Grundsätzlich können drei Bereiche zur Umsetzung von Innenraumbegrünungen unterschieden werden:
- Pflanzgefäße für gezieltes punktuelles Grün, bei Bedarf auch mobil und verschiebbar
- Wandbegrünungen für sichtbares, auffälliges Grün an kleinen und größeren Flächen an tragenden Wänden oder selbsttragenden Raumteilern
- Pflanzbeete für großflächige Raumbegrünungen mit Stauden und Gehölzen, um erlebbare, grüne Räume zu schaffen
Als Grundlage dauerhaft funktionierender Innenraumbegrünungen sind die Lichtverhältnisse und in den meisten Fällen eine passende Zusatzbeleuchtung, Raumtemperatur, Raumdurchlüftung, Strom- und Wasseranschlüsse, Be- und Entwässerung und eine ausreichende Statik (Boden/Decke bzw. Wand) zu beachten. Neben der vorausschauenden Fachplanung kommt der fachgerechten Pflege von Innenraumbegrünungen eine besondere Bedeutung zu, u. a., um Schädlingsbefall vorzubeugen.
Dachbegrünungen können aufgrund ihrer vielen Möglichkeiten grundsätzlich überall eingesetzt werden. Sie verbinden Dach- als auch bodenständige Stadtbiotope. Wichtig ist die flächendeckende Begrünung möglichst vieler Dächer, die auch Tiefgaragen mit einschließen. Mit einfachen, kostengünstigen Mitteln lassen sich ökologisch hochwertige extensive Dachbegrünungen herstellen:
- Abweichend vom Basis-Gründachaufbau mit 10 cm Gesamthöhe kann das Dachsubstrat in Teilbereichen um 5 – 25 cm erhöht werden. Dort können höhere Stauden und trockenheitsverträgliche Gehölze Bodentierarten
als Rückzugsort dienen. - Pflanzenverwendung, beispielsweise nach Blütenfarbe und Blühzeitraum, um Angebot und Blühzeitraum zu verlängern
- Kies‑, Splitt- und Sandbereiche in verschiedenen Formen und Korngrößen
- Wasserflächen als Blickfang und Insektentränke
Die Kanalisation ist in fast allen Städten veraltet und unterdimensioniert. Investitionen und Erweiterungen im bestehenden System sind sehr kostenintensiv. Die kostengünstigere Lösung ist, dass die anfallende Wassermenge auf dem eigenen Grundstück zurückgehalten werden soll. Aufgrund der engen Bebauungen stehen aber oftmals eine Flächen für Versickerungsmulden bzw. Regenüberlaufbecken zur Verfügung, sodass sich Dachflächen ideal als Retentionsflächen nutzen lassen. Aus vorgenannten Gründen tut sich was in Sachen Regelwerke. Dabei sind in erster Linie das DWA-Regelwerk Arbeitsblatt DWA-A 102/BWK-A 3 „Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer“ zu nennen. Darin geht es um das Ziel, den bebauten Zustand dem vorherigen, unbebauten gleichzusetzen und den natürlichen Wasserhaushalt in den Vordergrund zu stellen. Die Stellschrauben dazu sind Abflussverhalten, Grundwasserneubildung und Verdunstung.
Dass schon dünnschichtige extensive Dachbegrünungen die Hälfte des Jahresniederschlags auf dem Dach zurückhalten, ist bekannt, die FLL-Dachbegrünungsrichtlinien nehmen in ihrer neuen Fassung erstmals das „Retentionsdach“ auf. Darunter sind in der Regel begrünte Dächer zu verstehen mit dem folgenden Wirkungsprinzip: Auf dem Dach wird ein temporärer bzw. dauerhafter Wasserspeicher geschaffen, über dem zusätzlich entweder eine Dachbegrünung oder eine Verkehrsfläche eingebaut wird. Das bedeutet also Retentionsraum (von bis zu 140 l/m²) plus zusätzliche Dachnutzung mit Begrünungs- bzw. Verkehrsfläche. Das zwischengespeicherte Niederschlagswasser kann den Pflanzen auf dem Dach oder an der Fassade zur Verfügung gestellt und darüber wieder verdunstet werden – mit den verbundenen positiven Wirkungen, primär Kühlung und Stadtklimaverbesserung. Mit dem Retentionsdach lässt sich die maximale Abflussspende über ein Anstauelement einstellen und bis auf 1 – 10 l/s × ha gedrosselt über mehrere Stunden und Tage ableiten. Das lässt sich mit Computersimulationsprogrammen exakt berechnen.
Der Bauplatz ist schon bezahlt, und eine „Zweit-Nutzung“ auf dem Dach bietet sich ohne weitere Grundstückskosten an. Wenn in der Planung Statik, Anschlusshöhen, Wasseranschluss und Absturzsicherung berücksichtigt werden, kann auf dem Dach ein nutzbarer Dachgarten entstehen, der alles vorweisen kann, was ebenerdig auch möglich ist: Stauden und Gehölze, Terrassen, Sandkästen, Spieleinrichtungen. Und wenn es „sportlich“ werden soll, sind auch Swimmingpool, Lauf- und Sprintbahnen, Fußball- und Basketballfelder möglich. Wer also etwas für seine Gesundheit tun möchte und Bewegung auch in einer Großstadt sucht, muss nicht weit ins Umland fahren, sondern geht ein paar Stockwerke hoch auf das Dach und „tobt“ sich dort aus. Und die Kosten für eine genutzte Dachbegrünung mit Sport- und Spieleinrichtungen liegen in Ballungszentren meist deutlich niedriger als der Bauplatz, der dafür hätte nebenan erstanden werden müssen – wenn weitere Nutzflächen überhaupt zur Verfügung stehen. Das Dach der Zukunft in der Stadt der Zukunft baut auf Kreativität und multifunktionale Nutzungen. Das begrünte Dach spielt dabei eine verbindende und damit zentrale Rolle. Man könnte die menschlichen „Freizeitbedürfnisse“ vereinfacht und auf die Dachnutzung bezogen in vier Themenbereiche einteilen: Leben, Begegnen, Spielen, Ernten. „Urban farming“ ist derzeit in aller Munde. Ernten können wir natürlich auch auf dem Gründach, wie seit Jahren praktiziert wird – sowohl auf kommerziell betriebenen Dachfarmen als auch bei privaten Dachgärten.
Haben begrünte Dächer ihre Wirkung vor allem bei der Nutzung als Zusatzfläche für den Menschen und als Retentionsräume, so spielen bei Fassadenbegrünungen andere Aspekte eine große Rolle: sichtbares und greifbares lebendiges Grün, Feinstaubbindung und Luft- und Kleinklimaverbesserung. Fassadenbegrünungen sind auf „Augenhöhe“ und haben für alle einen großen Wohlfühlfaktor und werten nicht nur das Gebäude, sondern das komplette Wohnquartier auf. Sie haben einen großen Stellenwert im Wirken gegen die Städteüberhitzung.
Die Rolle begrünter Innenräume
Den größten Teil ihres Lebens verbringen die meisten Menschen in geschlossenen Räumen – sei es im Eigenheim oder bei der Arbeit im Büro. Und wer hat nicht gerne möglichst viele Pflanzen um sich herum?! Innenraumbegrünungen wirken nicht nur als Raumteiler und bieten attraktiven Blickschutz, sie tragen auch nicht unerheblich zur messbaren und gefühlten Verbesserung der Aufenthaltsbedingungen bei. Sie sind gesundheitsfördernd, indem sie den Lärm mindern, die Luftfeuchtigkeit erhöhen und Luftschadstoffe binden. Letztendlich fühlt sich der Mensch in Pflanzenumgebung wohler und kann entspannen, zudem wird die Kreativität gefördert.
Den beiden Forderungen nach mehr Wohnraum und mehr Grün in der Stadt können wir nur nachkommen, wenn die verschiedenen Formen der Gebäudebegrünung konsequent berücksichtigt und umgesetzt werden. Durch die Begrünung von Dächern, Fassaden, Wänden und Innenräumen haben wir noch enormes Potenzial, Grün mit seinen vielen positiven Wirkungen in die Stadt zu bringen – und das ohne zusätzlichen Flächenverbrauch.
Der Autor
Diplom-Biologe Gunter Mann
Diplom-Biologe Dr. Gunter Mann ist Präsident des Bundesverbands GebäudeGrün e. V. (BuGG) und Mitglied der FLL-Regelwerksausschüsse „Dachbegrünung“, „Fassadenbegrünung“ und „Regenwasserbewirtschaftung“.
info@bugg.de
www.gebaeudegruen.info