Energie, Technik & Baustoffe
Coronavirus: Auswirkungen auf die Bauwirtschaft
Text: Sven H. Röbling | Foto (Header): © THODONAL – stock.adobe.com
Die Corona-Pandemie hat Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft. Doch was ist in der aktuellen Lage aus rechtlicher Sicht speziell in der Baubranche zu beachten?
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 2.2020
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Inhalte des Beitrags
Die Verbreitung des Coronavirus kann erhebliche Auswirkungen auf die Bauwirtschaft und speziell jedes einzelne Projekt haben. Auch die Erbringung einzelner Gewerke kann betroffen sein. Zu unterscheiden sind dabei zwei mögliche Varianten:
- Ausbleibende Produktion oder Lieferung von Materialien
- Personelle Auswirkungen durch Erkrankung von Personal oder ausbleibende notwendige Abstimmungen
Bereits heute ist absehbar, dass es bei verschiedenen Produkten zu erheblichen Lieferverzögerungen und Lieferengpässen kommen wird. Viele Produkte werden ganz oder teilweise in China hergestellt, wo derzeit viele Produktionsanlagen stillgelegt sind. Das betrifft beispielsweise Lüftungsoder Kälteanlagen.
Bei Verdachtsfällen können Mitarbeiter in Quarantäne gestellt werden. Damit werden die personellen Kapazitäten eingeschränkt oder komplett behindert. Denkbar ist aber auch, dass Auftraggeber oder Nachunternehmer aufgrund der Hinweise zum Umgang mit dem Coronavirus notwendige Besprechungen absagen und damit erforderliche Abstimmungen oder Festlegungen nicht vorgenommen werden können. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Auftraggeber und Nachunternehmer als Arbeitgeber Fürsorgepflichten gegenüber ihrem Personal haben. Dies kann zu einschränkenden Vorsichtsmaßnahmen führen. Grundsätzlich muss immer der Schutz der Gesundheit der Beteiligten im Vordergrund stehen.
Daneben sind aber auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen zu berücksichtigen. Positiv ist insbesondere die Grundsatzentscheidung des Bundes für eine Fortführung der Baustelle unter Einhaltung der Hygiene- und Schutzvorschriften. Im Erlass des BMI vom 23.03.2020 heißt es ausdrücklich: „Unter diesen Maßgaben sollen die Baustellen des Bundes möglichst weiter betrieben werden. Baumaßnahmen sollen erst eingestellt werden, wenn behördliche Maßnahmen dazu zwingen (z. B. Betretensverbote) oder aufgrund behördlicher Maßnahmen ein sinnvoller Weiterbetrieb nicht möglich ist (z. B. weil überwiegende Teile der Beschäftigten des Auftragnehmers unter Quarantäne gestellt worden sind). Dies ist eine Frage des Einzelfalls.“
Für die korrekte rechtliche Beurteilung hat immer die zwischen den Parteien vereinbarte vertragliche Regelung Vorrang. In den meisten Bauverträgen wird die Geltung der VOB/B vereinbart. Es stellt sich insoweit die Frage, ob das Coronavirus allgemein oder im Einzelfall eine Behinderung in der Bauausführung darstellt. Es kommt also auf die Voraussetzungen aus § 6 VOB/B an.
§ 6 Abs.2 VOB/B regelt drei Fälle der berechtigten Behinderungsanzeige. Nicht einschlägig ist dabei Fall b), Streik oder Aussperrung. Denkbar wäre allenfalls die Konstellation, dass man für eine behördliche Schließung des Betriebes eine Aussperrung analog anwendet.
Diskutabel ist Variante a) nach der die Behinderung aus der Risikosphäre des Auftraggebers stammen muss. Sagt der Auftraggeber notwendige Besprechungen ab oder verweigert er die persönliche Zusammenarbeit kann das ein Grund für eine Behinderungsanzeige sein. Da es insbesondere nicht mehr auf ein Verschulden ankommt, stellt sich diese Frage auch im Ergebnis nicht.
Einschlägig ist auf jeden Fall c), der entweder höhere Gewalt oder ein anderes unabwendbares Ereignis voraussetzt. Für höhere Gewalt muss objektiv ein schadenverursachendes Ereignis von außen einwirken und subjektiv darf das Ereignis auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch unschädlich gemacht werden können. Die Verbreitung des Coronavirus stellt auf jeden Fall ein von außen schadensverursachendes Ereignis dar, sodass die objektive Voraussetzung erfüllt ist. Die Frage der subjektiven Abwendbarkeit lässt für mich Stand heute keinen Raumfür eine differenzierte Auffassung. Auch wenn jeder Einzelfall betrachtet werden muss, gibt es keinen Impfstoff und bisher keine subjektiven Möglichkeiten sich gegen die Auswirkungen des Coronavirus zu schützen. Deshalb sehe ich auch die subjektive Voraussetzung der Unvermeidbarkeit als gegeben an.
Als ein Unterfall der höheren Gewalt unabwendbares Ereignis wird in der Rechtsprechung meist ausgehend von Urteilen aus dem Straßenverkehr verstanden, dass auch unter Beachtung aller menschenmöglicher Sorgfalt unter keinen Umständen das Ereignis verhindert werden konnte. Auch diese Voraussetzung sehe ich im Grundsatz als erfüllt an. Im Ergebnis können also grundsätzlich Behinderungsanzeigen auf höhere Gewalt oder ein unabwendbares Ereignis gestützt werden. Auch im Zusammenhang mit der SARSEpidemie 2003 wurde oft höhere Gewalt bejaht.
Es bleibt also bei einer Einzelfallbetrachtung UND – auch die weiteren Voraussetzungen des § 6 VOB/B müssen erfüllt sein. So ist eine unverzügliche schriftliche Behinderungsanzeige an den Auftraggeber erforderlich. Hierin sind die konkreten Umstände des Einzelfalls schlüssig darzulegen. Das beinhaltet auch die Darlegung der Kausalität der hindernden Umstände in terminlicher Hinsicht. Eine Offenkundigkeit dürfte in der Regel nicht gegeben sein, da nur die konkreten Umstände und nicht die Epidemie als Solche zur Behinderung berechtigen.
Auch die Anwendung des § 6 Abs. 3 VOB/B bleibt unberührt. So hat der Auftragnehmer grundsätzlich die Pflicht der Ersatzbeschaffung bei Dritten, sofern das möglich und wirtschaftlich vertretbar ist. Gegebenenfalls muss er dem Auftraggeber Alternativen aufzeigen, die möglicherweise auch Mehrkosten verursachen können. Vielleicht ist statt des chinesischen Produktes ein deutsches Produkt lieferbar. Ebenso müssen die Arbeiten unverzüglich nach Wegfall der Behinderung wieder aufgenommen werden.
Bei Anwendung des Bauvertragsrechts ist umstritten, ob das Anordnungsrecht aus § 650b BGB auch die Bauzeit betrifft. Vorbehaltlich noch zu ergehender Rechtsprechung gehe ich davon aus, dass das Anordnungsrecht auch die Bauzeit betrifft, da das Bestreben des Gesetzgebers eine umfassende gestalterische Einflussnahme des Auftraggebers vorsah. Damit kann der Auftraggeber auch hinsichtlich der Bauzeit gestalterisch eingreifen. Er kann die Baustelle für beispielsweise 3 Wochen einstellen oder auch einzelne Besprechungen
absagen. Allerdings hat er auch die damit verbundenen Rechtsfolgen zu tragen.
Danach sind anfallende Mehrkosten grundsätzlich nach § 650c BGB durchsetzbar. Dargestellte terminliche Anordnungen verlängern die Bauzeit und können damit Ansprüche wegen verlängerter Vorhaltung der Baustelleneinrichtung oder gegebenenfalls erhöhte, weil verlängerte, Personalaufwendungen mangels der geplanten Effizienz geltend gemacht und durchgesetzt werden.
Im Ergebnis dürfte in den meisten Fällen höhere Gewalt vorliegen. Für den Auftragnehmer bedeutet dies, dass er im Einzelfall eine schriftliche Behinderungsanzeige mit allen Details und Darlegung der Kausalität an seinen Auftraggeber versenden muss. Für den Auftraggeber bedeutet das, dass er im Einzelfall genau die Kausalität und die hindernden Umstände prüfen muss und bei eigenen Anordnungen im Sinne des Bauvertragsrechtes die Rechtsfolgen zu tragen hat.