Biodiversitätsfördernde Außenräume: DGNB Zertifizierung

Biodiversitätsfördernde Außenräume: DGNB Zertifizierung

Energie, Technik & Baustoffe

Biodiversitätsfördernde Außenräume: DGNB Zertifizierung

Text: Dr. Christine Lemaitre | Foto (Header): © Sven Schulz, Bodensee-Stiftung

Der Erhalt der Biodiversität ist neben ambitioniertem Klimaschutz das zentrale Thema unserer Zeit, wenn es darum geht, eine lebenswerte Zukunft auf der Erde zu sichern. Die Baubranche steht klar in der Pflicht, ihren Teil dazu beizutragen. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) bietet mit ihrem Zertifizierungssystem für nahezu alle Gebäudetypen Wege, das nachhaltige Bauen mess- und bewertbar zu machen. Um dem derzeit vorherrschenden Verlust der Biodiversität entgegenzuwirken und den Fokus auf dieses elementar wichtige Thema zu verstärken, hat die Non-Profit-Organisation ein Zertifizierungssystem für biodiversitätsfördernde Außenräume entwickelt.

Auszug aus:

Weltweit wird ein starker Rückgang der biologischen Vielfalt vermeldet. Experten warnen davor, dass im Gegensatz zum Klimawandel, durch den sich unsere Lebensumstände negativ verändern, durch den Verlust der Biodiversität langfristig kein Leben auf der Erde mehr möglich ist. Gefährdet sind sowohl die Pflanzen- und Tierwelt als auch die Stabilität der Ökosysteme und damit beispielsweise die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln. Als Hauptursachen für den Verlust der Biodiversität werden die Veränderung der Landnutzung, der Klimawandel, die Ausbeutung von Ressourcen, Umweltverschmutzung und die Ausbreitung invasiver Arten genannt.

In der Bau- und Immobilienwirtschaft werden Schutz und Förderung der Biodiversität bislang stark vernachlässigt. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, auf Grundstücken und an Gebäuden naturnahe Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten zu schaffen und auch in der Lieferkette entsprechend Verantwortung zu übernehmen, um die biologische Vielfalt lokal, regional, aber auch global zu fördern. Vor diesem Hintergrund hat die DGNB jüngst das Zertifizierungssystem für biodiversitätsfördernde Außenräume in enger Zusammenarbeit mit der Bodensee- Stiftung und weiteren Expertinnen und Experten aus den Bereichen Planung, Ausführung, Pflege und Naturschutz entwickelt.

Als Planungs- und Optimierungstool unterstützt das DGNB Zertifizierungssystem dabei, das nachhaltige Bauen planbar, messbar und vergleichbar zu machen. Entscheidungsträger und alle an der Umsetzung Beteiligten erhalten über die Kriterienkataloge praxistaugliche Anweisungen und Hilfestellungen, um im Rahmen eines gemeinsamen Verständnisses aktiv mitzuwirken. Grundsätzlich ist die Biodiversität bei der DGNB längst fester Bestandteil in den Kriterien zu den einzelnen Systemvarianten für Neubau, Sanierung, Quartiere, Gebäude im Betrieb, Rückbau und Baustelle. Mit dem eigenen Zertifizierungssystem zum Thema gehen die Beteiligten nun noch einen Schritt weiter, um die Bau- und Immobilienwirtschaft auch in diesem Bereich möglichst schnell zu sensibilisieren, ein gemeinsames Verständnis für Qualität und Transparenz zu etablieren und damit unsere Ökosysteme langfristig zu sichern.

1 | Systemgrenzen im Rahmen der DGNB Zertifizierung für biodiversitätsfördernde Außenräume
ABBILDUNG: DGNB

2 | Gewichtung der neun Kriterien im DGNB System für biodiversitätsfördernde Außenräume
ABBILDUNG: DGNB

Planungs- und Umsetzungstool für den Außenraum

Das DGNB System für biodiversitätsfördernde Außenräume richtet sich primär an Unternehmen, Kommunen und Quartiersentwickelnde, denen Außenräume am Gebäude oder im Quartier zur Verfügung stehen. Angesprochen sind auch Akteurinnen und Akteure, die diese Flächen planen, gestalten und pflegen. Die Zertifizierung hilft dabei, geeignete Flächen auf bebauten Grundstücken, an Fassaden und auf Dächern zu identifizieren und so zu gestalten und zu pflegen, dass die Bewahrung der Arten- und Ökosystemvielfalt optimal unterstützt wird. Dabei ist die Anwendung sowohl für bereits bestehende als auch für neu anzulegende Außenanlagen möglich.

Das DGNB System für biodiversitätsfördernde Außenräume beinhaltet neun Kriterien, die es zu bearbeiten gilt. Wie in allen DGNB Systemen werden dabei die ökologische, ökonomische sowie die soziokulturelle und funktionale Qualität im Sinne einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit bewertet. Während die Gewichtung der drei Säulen sonst allerdings gleichwertig bemessen wird, liegt der Fokus durch den starken Außenraumbezug in dieser Version klar bei der ökologischen Qualität. Allgemein gilt es, sowohl im Neubau als auch im Bestand die biologische Vielfalt in gebäude- und quartiersbezogenen Außenräumen zu erhalten, zu erreichen und zu fördern. Dafür notwendige Schritte und Tätigkeiten werden im Rahmen des Zertifizierungsprozesses gemeinsam mit dem beauftragten DGNB Auditor und anhand der beschriebenen Kriterien ermittelt und durchgeführt. Der DGNB Auditor begleitet das Projekt über alle Phasen hinweg, steht beratend zur Seite, überprüft die Maßnahmen und holt notwendige Nachweise ein.

In sechs Kriterien zur ökologischen Qualität wird die Wirkung des Außenraums auf die Vielfalt der naturraumtypischen Lebensräume, auf heimische Pflanzenarten und ihre Vernetzung untereinander, auf den natürlichen lokalen Wasserhaushalt, auf die Beanspruchung des Bodens und seine Funktionen sowie die eingesetzten Materialien beurteilt. Anhand des Kriteriums zur ökonomischen Qualität lassen sich sowohl die langfristige Wirtschaftlichkeit als auch mögliche Risiken durch den Klimawandel am Standort ableiten und ggf. Maßnahmen ergreifen, um Fehlinvestitionen zu verhindern. Die beiden Kriterien zur soziokulturellen und funktionalen Qualität schaffen positive Effekte für den Menschen und zielen auf die Einbindung der Nutzenden hinsichtlich Beteiligung, Naturerfahrung und Bildung ab. Hinzu kommen die Schaffung von Aufenthaltsqualität, die Förderung des Miteinanders von Mensch und Umwelt und barrierefreie Zugänge für alle.

3 | Ablauf der DGNB Zertifizierung für biodiversitätsfördernde Außenanlagen in vier Phasen
ABBILDUNG: DGNB

Rezertifizierung als Grundlage für langfristigen Nutzen

Eingeteilt in vier Phasen, richtet sich der Ablauf der Zertifizierung nach dem Planungs-, Umsetzungs- und Nutzungsprozess eines Außenraums. Dabei ist der Planungsprozess in die beiden Phasen A: Bestandsaufnahme und B: Konzeption gegliedert. Der Umsetzungsprozess ist in Phase C: Umsetzung beschrieben. Phase D: Betrieb und Pflege regelt den Ablauf nach Fertigstellung. Das DGNB Zertifikat wird nach Abschluss der Umsetzungsphase C gemäß der erreichten Stufe in Platin, Gold, Silber oder Bronze (nur Bestand) vergeben und muss regelmäßig bestätigt werden.

Da Biodiversität keine einmalige Planungsaufgabe ist und die Ergebnisse erst nach einiger Zeit wirklich bewertbar sind, ist die Rezertifizierung der ausgezeichneten Flächen verpflichtend. Die erste Bestätigung des Zertifikats erfolgt bereits ein Jahr nach der Fertigstellung und muss dann alle drei Jahre wiederholt werden. Dabei kann das bestehende Ergebnis bestätigt oder verbessert werden, unter Umständen kann das Zertifikat aber auch entzogen werden.

Kurzinterview mit Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e. V.


Dr. Lemaitre, die DGNB bietet ihr Zertifizierungssystem für unterschiedliche Gebäude- und Quartierstypen an, in denen das Thema Biodiver sität bereits verankert ist. Welches übergeordnete Ziel steckt hinter der Entwicklung eines eigenständigen DGNB Zertifikats für biodiversitätsfördernde Außenräume?

Das Thema Biodiversität liegt uns seit Langem am Herzen. In der Gebäudezertifizierung werden bereits seit 2018 sinnvolle Maßnahmen für mehr Biodiversität am Standort belohnt. 2022 haben wir als erste Organisation aus dem Baubereich in Deutschland im Rahmen der damaligen Weltbiodiversitätskonferenz eine Biodiversitäts-Selbstverpflichtung abgegeben, um uns hier auch aktiv für den Erhalt und den Schutz der biologischen Vielfalt einzusetzen. Mit dem eigenen System für biodiversitätsfördernde Außenräume wollen wir noch mal mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein für das Thema Biodiversitätsverlust und den daraus resultierenden, dramatischen Folgen erzeugen. Wie in all unseren Systemen bieten wir praxisnahe Bewertungsmethoden an, die zusammen mit unabhängigen Expertinnen und Experten entwickelt wurden. Diese tragen effektiv dazu bei, dass in diesem Fall mehr Außenräume im ganzheitlichen Sinne nachhaltig und biodiversitätsfördernd entwickelt und – ganz wichtig – auch langfristig instand gehalten werden.

Mit dem neuen System für biodiversitätsfördernde Außenräume sprechen Sie auch bestehende Außenanlagen an. Warum sollten Unternehmen und Gemeinden, deren Außenanlagen bereits gebaut sind, sich die Mühe machen, diese zu verändern?

Grundsätzlich lohnt es sich immer unter fachlicher Begleitung zu ermitteln, welche Potenziale die eigenen Freiflächen bieten, um biodiversitätsfördernd wirksam zu werden. Vielleicht kommt dabei sogar heraus, dass schon vieles gut ist. Oft reichen kleinere Maßnahmen, um zumindest in die richtige Richtung zu gehen und Verantwortung zu übernehmen. Neben dem wichtigen Beitrag zum Klimaschutz können im Falle von notwendigen Umgestaltungen langfristig Kosten gespart und Investitionsrisiken minimiert werden. Nicht zu vergessen, die gesteigerte Aufenthaltsqualität für Mitarbeitende, Kunden und Lieferanten. Naturerlebnisse haben nachgewiesenermaßen immer eine positive Wirkung auf die körperliche und psychische Gesundheit von Menschen. Im Rahmen der DGNB Zertifizierung haben wir schon viel positives Feedback erhalten. Denn während Maßnahmen wie Energieeffizienz und ein verringerter CO₂-Ausstoß weder gesehen noch direkt gespürt werden, sind Maßnahmen zur Biodiversität direkt wahrnehmbar und aktiv zu nutzen.

Worauf kommt es ganz allgemein bei der biodiversitätsfördernden Gebäudebegrünung und der Planung der umliegenden Außenräume an?

Zunächst natürlich auf den Willen, die zur Verfügung stehenden Außenflächen und Gebäudehüllen maximal biodiversitätsfördernd zu gestalten. Im Zuge der Standortanalyse prüft und empfiehlt der Fachplanende sinnvolle Maßnahmen für eine ganzheitliche Optimierung der Außenräume. Hier geht es uns darum, dass Maßnahmen mit dem größten Effekt für die Biodiversität identifiziert werden, die auch wirtschaftlich von der Investition über die Nutzung sinnvoll sind. Mindestens so wichtig wie eine gute Planung und die fachgerechte Umsetzung sind Konzepte zur Instandhaltung und Pflege der Außenanlagen. Eine noch so gute Ausführung ist sonst leider hinfällig oder kann dann eher als Marketingmaßnahme verbucht werden. Um den ökologischen Wert langfristig sicherzustellen, ist im Rahmen der Zertifizierung die Rezertifizierung verpflichtend. Praktische Hilfestellung zu Pflanzenwahl, Lebensraumgestaltung, Bewässerung und Materialwahl gibt es im Kriterienkatalog. Hier sind Ziele, Nutzen und Maßnahmen für jedes Kriterium anschaulich erläutert. Und wie bei allen Baumaßnahmen sollten in den Prozess alle Beteiligten einbezogen werden, um von Anfang an für Akzeptanz zu sorgen. Eine biodiversitätsfördernde Gestaltung wirkt mitunter wild und ungeordnet, das gefällt nicht allen auf Anhieb.

Die Autorin


Dr. Christine Lemaitre
Dr. Christine Lemaitre studierte Bauingenieurwesen an der Universität Stuttgart und arbeitete anschließend als Tragwerksplanerin in den USA. Ab 2003 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart, ab 2007 Projektleiterin bei der Bilfinger Berger AG. Ihre Promotion erfolgte 2008. Lemaitre leitete bei der DGNB die Abteilung „System“ und ist seit Februar 2010 Geschäftsführender Vorstand. Sie gehörte dem Vorstand des World Green Building Council an und ist aktuell Vorsitzende der Clima Positive Europe Alliance sowie der Wissensstiftung. Außerdem ist sie Mitglied im Beirat für Baukultur des Landes Baden-Württemberg, im Nachhaltigkeitsrat des Zentralen Immobilienausschusses e. V. und Vorsitzende des Board of Directors des Cradle to Cradle Product Innovation Institute.
www.dgnb.de

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