Projektbegleitung: Bauen mit Baugemeinschaften

Projektbegleitung: Bauen mit Baugemeinschaften

Städtebau & Quartiersentwicklung

Projektbegleitung: Bauen mit Baugemeinschaften

Text: Thomas Gauggel & Matthias Gütschow | Foto (Header): © SimpLine – stock.adobe.com

In den letzten Jahren hat das Bauen in und mit Baugemeinschaften zunehmend an Beliebtheit gewonnen. Die Städte finden in den Baugemeinschaften attraktive Partner für eine soziale und ökologische Quartiersentwicklung. Doch welche Aufgaben und Anforderungen werden an die projektbegleitenden Architekten und Projektsteuerer gestellt?

Auszug aus:

Ein lauer Sommerabend in der „Alten Weberei“ in Tübingen: Der zentrale Quartiersplatz und die Wohnwege sind belebt, es wird gekickt und Tischtennis gespielt, kleine Kinder brausen mit Laufrädern hin und her. Eine Gruppe hat sich die Quartiers-Stühle auf dem Egeriaplatz genommen und in die Abendsonne gesetzt. Überall herrscht gute Laune. Es ist spürbar, die Menschen nutzen die öffentlichen Freiräume, sie nehmen sie im besten Sinne des Wortes in Beschlag. Auch die Gartenflächen innerhalb der sieben Wohnhöfe sind dicht bevölkert. Und überall ist die große Identifizierung der Menschen mit ihrem Umfeld – dem Quartier – spürbar.

Offene Konzeptvergabe

Wie auch andere Quartiere in Tübingen wurde die „Alte Weberei“ im Rahmen einer offenen Konzeptvergabe entwickelt (siehe hierzu Artikel „Offene Konzeptvergabe in der Stadtentwicklung“, Ausgabe QUARTIER 3.2019). Das Verfahren war niederschwellig angelegt, sodass sich zivilgesellschaftliche Akteure beteiligen konnten. Das haben Baugemeinschaften dankbar angenommen und sich im Vergabeverfahren rege um die Grundstücke beworben. Im Ergebnis sind 24 Geschosswohnungsbauten entstanden, davon wurden 21 von Baugemeinschaften gebaut. Und auch alle Innenhöfe sowie drei der fünf Tiefgaragen wurden durch Baugemeinschaften realisiert. In diesen Fällen als übergeordnete Baugemeinschaft, bestehend aus den sie umgebenden Projekten. Die jetzigen Bewohner hatten zum großen Teil schon ganz zu Anfang, als die „Alte Weberei“ nur als städtebaulicher Entwurf existierte, auf unterschiedlichen Ebenen das Heft in der Hand: Sie haben sich als Gemeinschaften zusammengefunden, sich überlegt, wie sie wohnen und leben möchten, und konnten ihre Häuser und ihr Umfeld maßgeblich selbst gestalten.

Begriff Baugemeinschaft

Eine Baugemeinschaft ist ein Zusammenschluss von privaten Bauherren mit dem Ziel, gemeinsam ein Mehrfamilienhaus zu planen und zu erstellen. In der Regel handelt es sich hierbei um die Schaffung von individuellem Eigentum. Es gibt aber auch genossenschaftlich organisierte Baugemeinschaften, in deren Rahmen gemeinschaftliches Eigentum geschaffen wird. Baugemeinschaften bilden sich häufig um eine Idee herum, sie verfolgen ein gemeinsames Ziel. Dies können bauliche Aspekte sein, wie z. B. ein bestimmtes gestalterisches Konzept oder eine spezielle Bauweise. Aber auch soziale Ausrichtungen, wie der Wunsch nach Integration von benachteiligten Menschen oder einer stärker ausgeprägten Hausgemeinschaft, die dafür die gemeinschaftliche Nutzung von Räumen – Gemeinschaftsräume, Werkstätten, Saunen, Gästezimmern – und von Gärten plant. Da Baugemeinschaften auf eigenes Risiko agieren, entfallen die üblichen Bauträgerzuschläge für Vorfinanzierung, Wagnis und Gewinn. Zudem fallen Notarkosten und in der Regel die Grunderwerbssteuer nur auf die Grundstückskosten an, was in Summe eine Kostenersparnis von 20 bis 35 % gegenüber vergleichbaren Bauträgerprojekten ausmacht – je nach lokalem Immobilienmarkt. Ein weiterer großer Vorteil beim Bauen in Gemeinschaft ist die Schwarmintelligenz der Gruppe, ganz nach dem Motto: „Gemeinsam sind wir stärker und klüger.“

Aber natürlich sind Partner notwendig, die die Gruppe begleiten, für sie planen, sie beraten und moderieren sowie gelegentlich auch bei der Bewältigung von Konflikten unterstützen.

Auf dem Gelände des „Alten Güterbahnhofs“ in Tübingen sind laut städtebaulichem Vertrag 25 % der Flächen für Baugruppen reserviert.
ABBILDUNG: LPUNDH ARCHITEKTEN

Organisationsschema Baugemeinschaft
ABBILDUNG: GAUGGEL GÜTSCHOW

Planung und Projektsteuerung

Als sich Mitte der 1990er-Jahre im Zuge der Entwicklung von Konversionsflächen in Tübingen und Freiburg zum ersten Mal Baugemeinschaften in nennenswerter Anzahl bildeten, waren sie für Architekten in einer schwierigen Marktsituation eine Chance, größere Projekte zu realisieren. Manche Büros haben sich damit eine Nische erschlossen. Und als die Baugemeinschaftsprojekte größer und auch komplexer wurden, zeigte sich, dass eine Selbstverwaltung durch die Gruppe oftmals an Grenzen kam und die Baugemeinschaft gut beraten war, sich eine externe Organisation in Form einer Projektsteuerung zu suchen.

Baugemeinschaften sind längst keine Exoten mehr und vermehrt auch im ländlichen Raum anzutreffen. Es ist meist so, dass Architekturbüros, die mit Baugemeinschaften zusammenarbeiten möchten oder im Rahmen einer Beteiligung an Konzeptvergabeverfahren Projekte initiieren, auf deutlich weniger Mitbewerber stoßen als in vielen anderen Bereichen. Und obwohl verschiedene Landes-Architektenkammern seit mehreren Jahren Fortbildungen zum Thema „Projektsteuerung für Baugemeinschaften“ anbieten, ist die Zahl derer, die dies fundiert anbieten, nicht gerade üppig. Oft haben sich Kollegen auf diese Tätigkeit spezialisiert und sind auch überregional tätig.

Die Projektsteuerung ist eine klassische Bauherrenaufgabe und nicht Bestandteil der Architekturleistung für Planung und Bauleitung. Das erforderliche Leistungsbild für Baugemeinschaften ist vielfältig und lässt sich im Wesentlichen in vier verschiedene Bereiche unterteilen: der technischen, wirtschaftlichen, organisatorischen und der kommunikativen Projektsteuerung.

Zu den Aufgaben der technischen Projektsteuerung gehört die Sicherstellung, dass die Projektziele auf dem Grundstück bautechnisch und im anvisierten Kostenrahmen umsetzbar sind. Die Projektsteuerung bereitet die Auswahl der an der Planung Beteiligten vor, prüft die entsprechenden Angebote und kümmert sich nach den Entscheidungen durch die Baugemeinschaft um die jeweiligen Beauftragungen. Bei der weiteren Planung übernimmt die Projektsteuerung die delegierbaren Bauherrenaufgaben und ist erster Ansprechpartner für alle Projektbeteiligten. Entscheidungen, die vonseiten der Baugemeinschaft zu treffen sind, bereitet sie vor und bringt sie zur Abstimmung in die Gruppe ein.

Die Projektsteuerung prüft verantwortlich die Rechnungen der Beteiligten, überprüft die von den Bauleitungen freigegebenen Rechnungen der Handwerksfirmen auf Plausibilität und veranlasst die jeweiligen Zahlungen. Außerdem unterstützt sie die Baugemeinschaft bei der Durchsetzung von Vertragspflichten gegenüber allen beauftragten Projektpartnern.

Das Zusammenführen und Überprüfen der Kostenermittlungen der Architekten und Fachplaner in den verschiedenen Stadien sind Aufgaben der wirtschaftlichen Projektsteuerung. Ebenso ist dies die Beratung der Baugemeinschaft in der frühen Phase zu Kostenrahmen, Finanzierungsmöglichkeiten und eventuellen Fördermöglichkeiten sowie die projektbegleitende Kostenverfolgung und – wenn erforderlich – eine aktive Kostensteuerung.

Die Baugemeinschaft ist bei der internen Bewertung der Einheiten zu beraten, die zu einem Verteilerschlüssel der Gesamtkosten des Projekts führt. Es werden Zahlungspläne erstellt, Beiträge bei den Mitgliedern eingefordert und so die Liquidität der Baugemeinschaft sichergestellt. Die Projektsteuerung führt die Projektbuchhaltung, verwaltet die Finanzen der Gemeinschaft und richtet die entsprechenden Bankkonten ein. Sie rechnet die Kosten ab und ordnet sie im Zuge der Projektabrechnung den entsprechenden Einheiten final zu.

Es ist eine zentrale Aufgabe des organisatorischen Projektmanagements den Projektablauf zu strukturieren, die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig einzuplanen, unter Einbeziehung von Fachleuten vorzubereiten und gemeinschaftliche und individuelle Entscheidungen herbeizuführen. Die Projektsteuerung unterstützt bei der Auswahl der Rechtsform und bei der Gründung der Baugemeinschaft. Sie ist zentraler Ansprechpartner für alle Projektbeteiligten und vertritt die Baugemeinschaft gegenüber externen Partnern sowie beauftragten Planungsbeteiligten und Firmen. Die Projektsteuerung begleitet die Baugemeinschaft beim Grundstückserwerb und bereitet die dafür notwendigen Notartermine vor. Sie bereitet die Gesellschaftsversammlungen vor, lädt ein, leitet und protokolliert sie. Ebenso führt sie den Abschluss der Baugemeinschaft herbei und überführt die Gruppe in die Wohnphase des Projekts, in der Regel durch die Organisation der Findung einer Hausverwaltung.

Die kommunikative Projektsteuerung ist für ein erfolgreiches Baugemeinschaftsprojekt von zentraler Bedeutung. Die Hauptaufgabe der Projektsteuerung in diesem Bereich ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem Partizipation ermöglicht wird. Im Projektverlauf muss dieser Rahmen immer wieder belebt und bei Bedarf verändert werden. In der Rolle des neutralen Partners ist es wichtig, dass die Projektsteuerung sensible Fragen rechtzeitig thematisiert, den Dialog mit allen Beteiligten sucht und dadurch entschärft. In diesen Bereich fällt es auch, den oft komplexen Planungs- und Bauprozess für Laien anschaulich und verständlich zu machen. Hier muss abhängig von der konkreten Situation oder Fragestellung das richtige Maß gefunden werden, um einerseits die notwendige Transparenz zu gewährleisten, aber andererseits nicht zu verunsichern. Darüber hinaus hat die Projektsteuerung die Aufgabe, alle Fragestellungen der Baugemeinschaft entgegenzunehmen. Sie klärt diese mit den entsprechenden Fachleuten ab und entscheidet, wie das Ergebnis weiter kommuniziert wird. Je nach Relevanz muss der angemessene Rahmen der Kommunikation gewählt werden. Dieser kann in einem Fall eine bilaterale Kommunikation sein, in einem anderen Fall wird das Thema in Form eines Rundbriefs an die gesamte Baugemeinschaft kommuniziert oder bei einem Baugemeinschaftstreffen besprochen.

Zusätzlich zu den erläuterten Bereichen gibt es im Projektalltag immer mal wieder unerwartete Themen, für die keiner verantwortlich ist und deren Lösungen dennoch zum Projekterfolg zwingend notwendig sind. Auch derer wird sich die Projektsteuerung annehmen müssen. Ausgenommen hiervon sind rein juristische und steuerrechtliche Fragestellungen. Auch wenn die Projektsteuerung im Rahmen ihrer Tätigkeit und durch die gesammelten Erfahrungen oftmals einen guten Einblick gewonnen hat, ist hier das Hinzuziehen von Fachleuten zu organisieren.

Projektsteuerung für Baugemeinschaften ist eine inhaltlich anspruchsvolle Tätigkeit. Sie trägt als „Wächterin des Projektinteresses“ eine hohe Verantwortung, kann aber auch – vor allem, wenn sie schon zu Beginn in der Phase der Projektentwicklung eingebunden ist – sehr viel gestalten. Auch wenn es nicht um die Erbringung von Planungsleistungen geht, so haben Personen, die eine Projektsteuerung für Baugemeinschaften übernehmen, häufig einen baufachlichen Hintergrund, oftmals als Architekt. Das Verständnis für die baulichen Themen und Zusammenhänge ist auf jeden Fall von Vorteil.

Beide Bereich könnten deshalb prinzipiell auch von einer Person oder einem Büro übernommen werden. Diese Doppelrolle hat aber auch Konfliktpotenzial. In manchen Diskussionen ist die fachliche Beratung und Vertretung der Baugemeinschaft losgelöst von z. B. eigenen Gestaltungsideen wertvoll und wichtig. Und eine gewisse Kontrollfunktion der Planungsbeteiligten, also auch des Architekten, gehört ebenfalls zum Leistungsumfang einer Projektsteuerung. Wird beides dennoch von einem Büro erbracht – und hierfür gibt es auch gute und erfolgreich realisierte Beispiele – ist ein besonders Fingerspitzengefühl notwendig und idealerweise die Bearbeitung von unterschiedlichen Personen im Büro.

Wie die Projektsteuerung, muss sich bei einer Baugemeinschaft auch der planende Architekt darauf einlassen können, nicht einem Auftraggeber gegenüberzusitzen, sondern mit einer Gruppe zu arbeiten, in der es ein Gruppeninteresse gibt, in der aber auch jedes Mitglied andere Vorstellungen bei der Verwirklichung der eigenen Wohnideen hat. Auch wenn vonseiten der Projektsteuerung Themen und Wünsche gebündelt werden und müssen, so sind Baugemeinschaftsprojekte nie Projekte „von der Stange“, worin aber durchaus ein großer Reiz liegt.

Es wurde schon eine Vielzahl von Baugemeinschaftsprojekten realisiert, bei denen der Impuls nicht von einer Projektinitiative, sondern von planenden Architekten ausging, oftmals auch in Zusammenarbeit mit der späteren Projektsteuerung. Architekten können so eigene Gebäude- oder Konzeptideen entwickeln und sich damit auf die Suche nach Interessenten machen. In der Regel geschieht dies im Rahmen von Konzeptverfahren für Grundstücke. In ihrem Rahmen treffen bei einer sog. „Stadthausbörse“ oder einem „Marktplatz der Möglichkeiten“ diejenigen, die Ideen haben, auf Projektsuchende: Ein idealer Nährboden für Architekten und oftmals die Geburtsstunde für wegweisende Baugemeinschaftsprojekte.

Ein zentraler Vorteil für ein Mitglied in einer Baugemeinschaft ist es, dass eine individuelle Wohnung gebaut werden kann und keine nur ungefähr passende auf dem Bauträgermarkt gesucht werden muss. Dies kann sich auf die Größe beziehen, die Grundrissorganisation wie beispielsweise eine spätere Teilbarkeit, aber auch auf die Ausstattung und verwendeten Materialien. Wie mit individuellen Planungen umgegangen wird, muss zum Projektbeginn zwischen der Projektinitiative, der Projektsteuerung und dem Architekturbüro ausbalanciert werden. Sollen möglichst große Freiheiten gelassen werden, wird dies Auswirkungen auf die Struktur von Tragwerk und Installationen sowie auf die Gestaltung der Fassaden haben. Steht dagegen eher ein kostengünstiges Projekt im Fokus, wird es die Planungsaufgabe sein, eine wirtschaftliche Struktur zu entwickeln, in der sich dann die Individualität nur in einem engen gesetzten Rahmen abbilden kann.

Bei einem gut aufgesetzten und klar strukturierten Projekt mit einer umfassend beauftragten Projektsteuerung unterscheiden sich die generellen Planungsleistungen nur im Bereich der individuellen Wohnungsplanung von einem vergleichbaren Wohnungsbauprojekt z. B. für einen Bauträger. Der generelle Unterschied liegt darin, dass die späteren Eigentümer und Bewohner nicht anonym bleiben, sondern von Beginn an beteiligt sind. Dies kann eine Herausforderung oder sehr befruchtend für die Planung sein. Oftmals ist es beides.

Baustellenbesichtigung einer Baugemeinschaft in Tübingen
FOTO: THOMAS GAUGGEL

Theater im Innenhof der „Alten Weberei“
FOTO: THOMAS GAUGGEL

Resümee

Doch zurück nach Tübingen in die „Alte Weberei“: Hier kann man erleben, dass Baugemeinschaften neben ihren Häusern auch noch übergeordnete Aufgaben gut und qualitätsvoll bewältigen können. Alle Freiräume der insgesamt sieben Wohnhöfe sind mit unterschiedlichen Nutzungs- und Gestaltungideen in diesem Realisierungsmodell entstanden. Sie wurden in einem partizipativen Prozess mit den Bewohnern der sie umgebenden Gebäude geplant, und alle werden intensiv als grünes Wohnzimmer genutzt. Und auch hier waren die Partner der Baugemeinschaften essenziell am Gelingen beteiligt: Landschaftsarchitekten und Projektsteuerungen, die offen und kommunikativ sind und die sich mit Freude auf einen gemeinsamen Planungsprozess eingelassen haben. Baugemeinschaften: ein spannendes und erfüllendes Aufgabenfeld!

Die Autoren


Thomas Gauggel und Matthias Gütschow
Thomas Gauggel und Matthias Gütschow sind freie Architekten und Projektsteuerer mit eigenständigen Büros in Tübingen. Sie realisieren seit über 20 Jahren Baugemeinschaftsprojekte in Süddeutschland, seit 2010 beraten sie Kommunen zu den Themen „Bauen in Gemeinschaft“ und „Konzeptvergabe“. Matthias Gütschow führt zu diesen Themen Seminare für verschiedene Fortbildungsträger durch. Beide wohnen in Tübingen in durch Konzeptvergaben entwickelten Quartieren: Thomas Gauggel in einem schmalen Stadthaus in der „Alten Weberei“ und Matthias Gütschow in einem Baugemeinschaftsprojekt im „Französischen Viertel“.

kontakt@gauggel.eu
mail@matthiasguetschow.de

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