Die Evolution des Gebäudetyps E: Einfach bauen

Die Evolution des Gebäudetyps E: Einfach bauen

Kosten & Finanzierung

Die Evolution des Gebäudetyps E: Einfach bauen

Text: Prof. Lydia Haack | Foto (Header): © BAYERISCHE ARCHITEKTENKAMMER

Heutzutage stehen wir vor einem Paradoxon: Es ist kompliziert geworden, einfach zu planen. Das liegt zu einem wesentlichen Teil an der deutlich gestiegenen Zahl von inzwischen mehr als 3.900 vorgegebenen Baunormen und technischen Regeln. Ihr kaum noch beherrschbarer Umfang reglementiert das Bauen erheblich. Die resultierenden Gebäude sind technisch oft derart komplex, dass die Menschen, die darin wohnen, mit dem Betrieb überfordert sind. Hier setzt die Initiative zum Gebäudetyp E an.

Auszug aus:

Manchmal sind privatrechtliche Normen und Richtlinien auch schlichtweg absurd, wie ein Blick ins EU-Ausland zeigt. Während eine Geschossdecke in Paris eine Betonstärke von 20 cm aufweist, müssen Sie hierzulande mit 10 cm mehr planen, weitere Auflageschichten nicht mitgerechnet. Eine kleine Anekdote zur Illustration der Problematik: Das Planungsbüro eines Kollegen musste nach der Verschärfung der Schallschutznorm DIN 4109 im Jahre 2018 die Deckenstärke im Wohnungsbau anpassen. Im Nachgang stellte sich heraus, dass der gestiegene Lärmschutzstandard der Fenster der eigentliche Ausgangspunkt für die Angleichung der Norm war. Weil weniger Außenlärm in das Gebäude drang, wurden die Geräusche aus den Nachbarwohnungen intensiver wahrgenommen. Das Beispiel zeigt treffend: Wer mit den Normen übertreibt, findet irgendwann keinen Endpunkt mehr.

Wie sollen mit dieser Rechtslage die so dringend benötigten neuen Wohnungen entstehen, wie die Bauwende umsetzbar werden? Zudem: Wie können wir einen immer weiter steigenden Materialverbrauch in Zeiten der Klimakrise verantworten, während der Bausektor noch immer ein erheblicher CO₂-Emittent ist?

Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen treiben vorrangig den Verkauf von Produkten der Baustoffindustrie in die Höhe, während individuelle Vorteile der Planung eines Gebäudes nicht mehr durchschlagen. Um es klar zu sagen: Durch die Setzung von Standards wurde viel Gutes erreicht, es ist aber an der Zeit, die Negativauswirkungen einzudämmen. Die selbstredend nicht verhandelbaren technischen Baunormen machen etwa 10 % der heutigen Vorschriften aus. Alles, was an sog. „anerkannten Regeln der Technik“ hinzukommt, jedoch gute 90 %. Auf dieser Einsicht basiert eine Initiative, die ihren Ausgangspunkt in der Bayerischen Architektenkammer nahm. Sie gibt Antworten, wie es besser gehen kann: mit dem Gebäudetyp E.

Was ist der Gebäudetyp E?

Der Gebäudetyp E bezeichnet keine eigene Gebäudeklasse, sondern einen am Gedanken der Suffizienz orientierten Planungsansatz. Er soll verschiedene Ideen bündeln, die jenseits der gängigen Bauweise kostengünstige und schneller zu errichtende, aber dennoch nachhaltige Gebäude ermöglichen. Die Schutzziele, wie sie in Artikel 3 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) formuliert sind, bleiben mit diesem „einfachen“ Bauen selbstredend verpflichtend. Das betrifft beispielhaft den Brandschutz, die Standsicherheit oder die Barrierefreiheit. Der Gebäudetyp E will diese Errungenschaften nicht infrage stellen, alle darüber hinausgehenden Komfortstandards jedoch bewusst außer Kraft setzen.

Wir müssen uns der Frage stellen: Brauchen wir wirklich jeglichen Komfort, wenn gleichzeitig Wohnungsknappheit besteht? Ist es wirklich sinnvoll, sich von sämtlichen Umgebungsgeräuschen abzuschotten? Deshalb will der Gebäudetyp E einer professionellen Bauherrschaft ein Instrument zur Verfügung stellen, um gemeinsam mit einer versierten Architektenschaft neue Handlungsspielräume in der Planung zu erschließen. Zusammen können sie kompetent entscheiden, wie ein Gebäude auszusehen hat und welchen Standard es erfüllen soll.

Selbst wenn manche Komfortansprüche eingeschränkt werden, fallen sie mitunter gar nicht ins Gewicht. Die Anforderungen spezifischer Nutzungsgruppen können gezielter adressiert werden. Eine Low-Tech-Konstruktion vereinfacht zudem die Wartung des Gebäudes, was insbesondere den Um- und Weiterbau von Bestandsgebäuden betrifft, die dem technischen Standard ihrer Bauzeit folgen. Sich in solchen Fällen am konkreten Bedarf orientieren zu können, würde Bauvorhaben vergünstigen und zudem Materialeinsparungen bewirken. Das Bauen im Bestand ist eine zentrale Aufgabe unserer Zeit, wollen wir die gesteckten Klimaziele erreichen. Werden bedarfsgerechte Bauteile vor Ort von mittelständischen Handwerksfirmen hergestellt, ist zudem ein Anstieg des Wettbewerbs zu erwarten.

Der Gebäudetyp-e – hier in der klein geschriebenen Version – soll verschiedene Ideen bündeln, die jenseits der gängigen Bauweise kostengünstige, schneller zu errichtende und dabei nachhaltige Gebäude ermöglichen.
ABBILDUNGEN: BAYERISCHE ARCHITEKTENKAMMER

Wie kam es zum Gebäudetyp E?

Die Etablierung des Gebäudetyps E geht auf einen Impuls innerhalb der Bayerischen Architektenkammer zurück. Deren Stabsgruppe „Gesellschaftliche Fragen“ schlug im Herbst 2020 vor, in Analogie zum „Neuen Europäischen Bauhaus“ der Europäischen Kommission eine „Initiative für eine Gebäudeklasse ,E´“ aufzulegen.

Das „E“ verkörperte ein experimentelles Bauen und den Gedanken der Einfachheit. Entgegen dem identifizierten Problem der starren Richtlinien als einem bedeutenden Faktor für immer noch steigende Baukosten entwickelte man den Ansatz, sich freiwillig auf für wesentlich erachtete Bauregeln beschränken zu wollen. Im Januar 2021 eröffnete die Stabsgruppe im Regionalteil Bayern des Deutschen Architektenblatts einen Meinungsaustausch mit der Fachöffentlichkeit. Mit der Bitte um die Einsendung von zehn unerlässlichen Grundregeln der Architektur traf sie spürbar einen Nerv unter den Mitgliedern der Bayerischen Architektenkammer.

Um konkrete Erfolge erzielen zu können, galt es aber darüber hinaus auch Akteure aus der Planungs- und Bauwirtschaft sowie Juristen und Politiker zu involvieren. Hieraus entstand ein Netzwerk, das sich unter dem Namen Gebäudetyp-e versammelte. Anschließend begann die Phase der handfesten politischen Implementierung. Ende Juni 2022 lud der Ausschuss für Wohnen, Bau und Verkehr des Bayerischen Landtags Experten zu einem Fachgespräch ein, um sich über den Gebäudetyp-e auszutauschen, wobei eine parteiübergreifende Zustimmung feststellbar war. Anfang 2023 votierte der Landtagsausschuss einstimmig dafür, einerseits die Staatsregierung zu einer bundesweiten Initiative für den Gebäudetyp-e aufzufordern und andererseits in Bayern entsprechende Modellprojekte zu veranlassen. Kurz darauf folgte der Beschluss durch das Plenum. Mitte Dezember des Jahres 2023 ließ das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr 19 Pilotprojekte für den Gebäudetyp-e anlaufen, die sich in fast allen Regierungsbezirken des Freistaats befinden. Um das Projekt auch auf Bundesebene voranzubringen, involvierten wir die Bundesarchitektenkammer. Im Herbst 2022 votierte dann nicht nur die Bundeskammerversammlung der Länderarchitektenkammern, sondern auch die der Ingenieurkammer jeweils einstimmig für eine Unterstützung des bayerischen Impulses.

Anpassungen des rechtlichen Rahmens

Ein Blick in die Novelle der BayBO vom 01.08.2023 zeigt, dass sich die Expertenanhörung im Juni 2022 hier bereits erfolgreich niedergeschlagen hat. In Artikel 63 listet sie vier Bestimmungen auf, wann ein verbindlicher Anspruch auf Abweichungen im Genehmigungsverfahren besteht. Darunter ist als letzter Punkt beispielsweise die „Erprobung neuer Bau- und Wohnformen“ aufgeführt. Die Musterbauordnung auf Bundesebene wurde der Änderung der BayBO angeglichen, gleichermaßen haben weitere Bundesländer wie Sachsen, Thüringen oder Schleswig-Holstein reagiert.

Die Anpassung der Bauordnung allein reicht jedoch nicht aus, auch im Bürgerlichen Gesetzbuch auf Bundesebene muss Rechtssicherheit geschaffen werden, um den freiwilligen Verzicht auf die „anerkannten Regeln der Technik“ zivilrechtlich zu flankieren. Nur so lässt sich in Zukunft der paradoxe Fall ausschließen, dass ein Gebäude zwar den Vorschriften der Landesbauordnung genügt, es unter zivilrechtlichen Bedingungen jedoch als mangelhaft gelten kann. Einen solchen Beschluss fasste die Justizministerkonferenz Ende Mai 2023, ein Ende September des gleichen Jahres folgendes Maßnahmenpaket der Bundesregierung kündigte eine „Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E“ an – jetzt wieder mit groß geschriebenem E –, die seit Juli 2024 auf der Website des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen abrufbar ist. In der ersten Juli-Hälfte 2024 veröffentlichte das Bundesjustizministerium erste Vorschläge für eine Anpassung des Bauvertragsrechts im BGB in den §§ 650a ff. Danach sollen Komfortstandards nicht mehr als „anerkannte Regeln der Technik“ bei Bauverträgen behandelt werden.

Wie geht es weiter?

Der Gebäudetyp E stellt nichts weniger als einen Paradigmenwechsel dar, um passgenaues Planen wieder möglich zu machen. Die bayerischen Pilotprojekte werden schon bald erste Ergebnisse zur praktischen Umsetzbarkeit liefern, anhand derer sich bemessen lässt, an welcher Stelle Nachregulierungen nötig sind. Darum wurden in das Ende 2023 gestartete Projekt sowohl Neu- wie auch Bestandsbauten unterschiedlichster Art aufgenommen, die von Wohnbauprojekten und Schulen bis hin zu einem Verwaltungsbau reichen. Durch eine wissenschaftliche Begleitung sind präzise Ergebnisse zu erwarten, die mit den Erkenntnissen aus dem Projekt „Einfach bauen“, das die TU München in Bad Aibling durchführt, vergleichbar sein dürften.

Der Beschluss des „Gebäudetyp-EGesetzes“ zur Anpassung des Werk-/Bauvertragsrechts steht für Herbst 2024 auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts. Sollte das Gesetz Anfang 2025 in Kraft treten, wäre das eingangs geschilderte Paradoxon ein Stück weit aufgelöst. Es lohnt sich also, komplizierte Wege zu gehen, um Einfaches zu erreichen.

Die Autorin


Prof. Lydia Haack
Lydia Haack ist Architektin und Stadtplanerin und seit 2011 Professorin für Entwerfen und Konstruieren an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz. Seit Ende Juni 2021 ist sie zudem Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer. Mit ihrem Partner John Höpfner führt sie das gemeinsame Architekturbüro Haack + Höpfner Architekten in München.
www.byak.de
www.haackhoepfner.de

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