Nachhaltige Quartiersentwicklung mit verschiedenen Akteuren: Gemeinsam für’s Klima

Nachhaltige Quartiersentwicklung mit verschiedenen Akteuren: Gemeinsam für’s Klima

Städtebau & Quartiersentwicklung

Nachhaltige Quartiersentwicklung mit verschiedenen Akteuren: Gemeinsam für’s Klima

Text: Prof. Dr. Maximilian Schwalm | Foto (Header): © DORNIEDEN GRUPPE

Wie sehen die Quartiere der Zukunft aus? Und welche Anforderungen stehen heute der Planung lebenswerter und nachhaltiger Stadträume gegenüber? Das „Solarquartier+“ gibt Antworten auf diese Fragen. Dort arbeiten alle Akteure auf kommunaler Ebene mit der Wohnungswirtschaft zusammen, um in engem Dialog tragfähige und bezahlbare Lösungen für mehr Nachhaltigkeit zu entwickeln.

Auszug aus:

Die klimaneutrale Transformation von Quartieren bedeutet u. a., zukunftsorientierte Lösungen für die Energieversorgung, die Mobilität, Bewässerung und Begrünung zu schaffen, die langfristig funktionieren und tragfähig sind. Als Projektentwickler beschäftigt sich die DORNIEDEN Gruppe mit diesen Konzepten, um zukunftsfähigen und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Im „Solarquartier+“, westlich von Köln, entwickelt sie momentan ein modernes Wohnquartier in enger Kooperation mit kommunalen Entscheidern und Akteuren. Ein echtes Vorzeigeprojekt, wenn es darum geht, für Natur und Mensch die – auf den Standort bezogen – beste Lösung zu entwickeln. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf einer gemeinsamen Auslotung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der vielen möglichen Maßnahmen zur CO₂-Reduktion. Denn nicht alles, was technisch machbar ist, ist klimabilanziell sinnvoll.

Am Beispiel des „Solarquartiers+“ zeigen wir auf, wie durch diesen gemeinsamen Abwägungsprozess zwischen Projektentwickler und kommunalen Akteuren in der Quartiersentwicklung der bestmögliche Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden kann. Hier wollen wir die drei zentralen Themen der Energie- und Mobilitätskonzepte sowie eines intelligenten Wassermanagements im Quartier näher beleuchten.

Mehr Energie erzeugen als verbrauchen

Namensgebend für das „Solarquartier+“ ist ein großer Photovoltaikpark, der Strom für die zentralen Wärmepumpen liefert. Möglich wird das durch die spezifischen Gegebenheiten vor Ort: Zwischen dem Neubaugebiet und der angrenzenden Autobahn befindet sich eine Abstandsfläche, die für die Realisierung des Photovoltaikparks genutzt werden kann. Diese Anlage wird durch eine direkte Zuleitung die zentralen Wärmepumpen des Quartiers mit Strom beliefern. Von dort aus gelangt die Energie über eigene Quartierswärmenetze in die ca. 240 Haushalte. Rein kapazitiv ist der Photovoltaikpark in der Lage, das Quartier selbst und darüber hinaus noch einen Teil der Umgebung mit Wärme und Strom zu versorgen.

Da bei vielen, gerade auch urbanen, Projekten lokale Gegebenheiten und insbesondere die Verfügbarkeit von geeigneten Flächen die Errichtung eines großen Photovoltaikparks nicht zulassen, müssen die verschiedenen Möglichkeiten für eine lokale Wärmeerzeugung jeweils geprüft werden. So können z. B. auch andere Energiequellen wie Biomethan oder – in selteneren Fällen – Wind- und Wasserkraft, infrage kommen. Klar ist bereits heute, dass unabhängig von der Primärenergiequelle die zukünftig wirkungsvollste Lösung in einer dezentralen Energieerzeugung mit lokalen Netzen liegen muss, und nicht in Großkraftwerken.

1 | Viel Grün: Sammelstraße im „Solarquartier+“
ABBILDUNG: DORNIEDEN GRUPPE

2 | „People First”-Policy in den Wohnstraßen des „Solarquartiers+“
ABBILDUNG: DORNIEDEN GRUPPE

Mobilitätskonzepte neu gedacht

Klassisch gestaltete Quartiere, in denen sich die Verkehrsinfrastruktur nur an der Kfz-Nutzung ausrichtet, sind oft gekennzeichnet durch eine einseitige Nutzung der Verkehrsflächen, einen hohen Versiegelungsgrad, die strikte Trennung von privaten und öffentlichen Bereichen sowie wenig Begrünung mit ökologischem Wert.

In Sammelstraßen, die der Erschließung anderer Gebiete dienen und insofern für Pkw gut passierbar sein müssen, ist das nach einer herkömmlichen Planung schlüssig. Doch auch hier ist es grundsätzlich möglich, dass diese Flächen (bei einer entsprechenden Planung und Gestaltung) zukünftig neben der verkehrlichen Erschließung auch weitere Funktionen im Quartier übernehmen, wie etwa als ökologische Nischen und Grünräume. So leisten z. B. klug gesetzte Baumscheiben, die die Verschattung und Hitzeregulation im Sommer unterstützen, dezentrale Wasserretentionsvolumina und versickerungsfähige Oberflächen einen Beitrag zu einer naturnahen Regenwasserbilanz.

In reinen Wohnstraßen lohnt es sich erst recht, über alternative Gestaltungen nachzudenken. Im „Solarquartier+“ soll eine „People First“-Policy Radfahrer und Fußgänger sowie den Klimaschutz in den Mittelpunkt stellen: Die Verkehrsflächen werden nicht nur als Bewegungsraum für Pkw gesehen, sondern als aktive Flächen, die einen positiven Beitrag zur Anpassung an Klimafolgen, Biodiversität und sozialen Teilhabe leisten können. Denn gleichzeitig verbessert sich durch diese Gestaltung die Aufenthaltsqualität für die Bewohner erheblich. Der Straßenraum kann zu einem Ort des Austausches und der Begegnung werden.

Um Straßenräume neu zu denken und eine „People First“-Policy umsetzen zu können, benötigt es Platz und eine hohe Flexibilität bei Verwaltung, Politik und Kommunalversorgern. Im „Solarquartier+“ sollen öffentliche Parkplätze am Straßenrand für den Besucherverkehr in Mobility Hubs oder auf Sammelstellplätzen zusammengefasst werden. Auf diese Weise kann der ruhende Verkehr so organisiert werden, dass Freiraum in den Straßen z. B. für Begrünungskonzepte und Begegnungsorte geschaffen werden kann. Für die Realisierung solcher Maßnahmen ist ein frühzeitiger Austausch mit Verwaltung, Politik und den stadteigenen Betrieben notwendig.

3 | Wassermanagement im Quartier
ABBILDUNG: DORNIEDEN GRUPPE

Klimaregulierung durch Wasser- und Niederschlagsmanagement

Ein weiterer Fokus im „Solarquartier+“ liegt auf dem Wassermanagement im Quartier. Das Auffangen von Niederschlagswasser und dessen Nutzung im Rahmen von Bewässerung und Wasseraufbereitung sind zentrale Elemente der Klimafolgeanpassung im Quartier. Retentions- und Versickerungsflächen sowie Quartierszisternen entlasten bei Starkregenereignissen die städtische Kanalisation und bieten gleichzeitig einen weiteren Nutzen.

Außerdem lässt sich das Regenwasser im Sinne der nachhaltigen Quartiersentwicklung sinnvoll nutzen. So kann es z. B. für den Betrieb von kleinen Brunnen oder Bächen in öffentlichen Grünanlagen eingesetzt werden. Eine smarte Lösung ist es, ein Wasserreservoir als thermischen Speicher zu verwenden – im Sommer für Kälte, im Winter für Wärme.

Kosten-Nutzen-Verhältnis

Insgesamt zeigt das Beispiel des „Solarquartiers+“, dass nachhaltige und klimaneutrale Quartiere möglich sind. Um die aktuellen Herausforderungen meistern zu können, bedarf es einer engen Abstimmung aller Beteiligten und somit einer völlig neuen Art der vorwettbewerblichen Zusammenarbeit zwischen Projektentwicklern, Politik, Verwaltung sowie Kommunalbetreibern. Nur so kann zukünftig die Balance zwischen Klimaschutz und Bezahlbarkeit gewahrt werden. Die gute Nachricht lautet: Wir haben heute bereits alle technischen Lösungen, um ein klimaneutrales Quartier zu planen und umzusetzen. Das gilt sowohl für die Energie als auch für Mobilität, Wassermanagement und die Begrünung von Quartieren.

In der Diskussion um Klimaneutralität im Bausektor wird jedoch häufig vernachlässigt, dass Projekte nur im Rahmen bestimmter Budgets tragfähig und für die Menschen leistbar umgesetzt werden können. Hier sind alle Akteure gefragt, mit realistischem Blick auf das einzelne Projekt zu schauen und je nach Standortgegebenheiten emissionsreduzierende Maßnahmen immer auch nach deren Kosten-Nutzen-Verhältnis abzuwägen, um gemeinsam die bestmögliche Lösung zu finden.

Es gibt jedoch auch eine Vielzahl an übergeordneter Regulatorik, durch die nicht immer die bestmögliche Klimabilanz im Quartier erreicht werden kann. So wird z. B. – Stand heute – bei einer zentralen Wärmepumpe zur Versorgung mehrerer unabhängiger Haushalte im Quartier zur Errechnung des Primärenergiefaktors für die Wärmeversorgung – auch unabhängig von einem Ökostromtarif – der Primärenergiefaktor des deutschen Strommixes herangezogen. Die theoretisch berechneten Emissionswerte können somit heute bilanziell über denen von weniger nachhaltigen Alternativkonzepten liegen. Und das, obwohl zentrale Wärmepumpen auf Quartiersebene zu den nachhaltigsten und zukunftsfähigsten Lösungen zählen, die technologisch zur Verfügung stehen.

Auch gibt es heute z. B. noch keine sinnvolle regulatorische Lösung für ein übergreifendes Quartiersstrommodell. Dabei wäre es doch gerade in einem Fall wie dem diskutierten „Solarquartier+“ sinnvoll, aus den gemeinsamen PV-Flächen auch direkt die privaten Haushalte zu versorgen. Doch das sog. „Energy Sharing“ gemäß der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie ist Stand heute in Deutschland rechtlich noch nicht oder nur teilweise geregelt. Demnach muss der hier erzeugte Strom zunächst ins Netz eingespeist und wenige Meter weiter wieder aus dem Netz „entnommen“ werden. Dadurch können Vorteile, wie sie bei der direkten Nutzung der jeweils eigenen Dachfläche mit PV entstehen, bei einer Quartierslösung nicht zum Tragen kommen.

Dies sind Beispiele dafür, dass auch auf Bundes- und Landesebene alle Akteure gefragt sind, durch gemeinsamen Austausch die Regularien so zu gestalten, dass die bestmögliche Lösung in Sachen Nachhaltigkeit auf Quartiersebene realisiert werden kann. Diesen Austausch zu fördern, ist Kerngedanke der „Future District Alliance“, einem Innovationsnetzwerk des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) (siehe Infobox).

Fazit

Die technischen Lösungen für klimaschonende und klimaresiliente Quartiere sind vorhanden. Doch wir brauchen vor Ort in den Kommunen die Bereitschaft, Neues auszuprobieren und auch kommunale Unternehmen von neuen Ideen zu überzeugen und mitzunehmen. Es muss zudem klar sein, dass Nachhaltigkeit Geld kostet. Die konkurrierenden Ziele Klimaneutralität und Bezahlbarkeit von Wohnraum sind von allen bestmöglich in Einklang zu bringen. Eine ehrliche Diskussion auf übergeordneter Ebene über die Machbarkeit kann für den jeweiligen Standort zur besten Lösung führen. Wohnen ist nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern ein Grundrecht. Dies darf in der politischen Debatte um die Klimaneutralität des Gebäudesektors nicht aus den Augen verloren werden.

Die „Future District Alliance“ des Fraunhofer-Instituts
An der Weiterentwicklung von innovativen Quartierskonzepten arbeitet die DORNIEDEN Gruppe auch als Mitglied der „Future District Alliance“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Dieses Netzwerk bündelt aktuelles Praxis-Know-how und Erkenntnisse der angewandten Forschung. Was in der Quartiersentwicklung die Standards von morgen sein werden, kann man als Projektentwickler nicht allein herausfinden und definieren. Ein wichtiges Element der „Future District Alliance“ ist deshalb der enge Dialog mit Städten und Gemeinden, Bestandshaltern und anderen Wohnraumschaffenden, um deren Ziele sowie die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner kennenzulernen.
www.futuredistricts.de

Nachhaltige Quartiersentwicklung mit verschiedenen Akteuren: Gemeinsam für’s Klima

Der Autor


Prof. Dr. Maximilian Schwalm
Prof. Dr. Maximilian Schwalm lehrt an der RWTH Aachen. In der DORNIEDEN Gruppe leitet er den Bereich „Entwicklung & Innovation“, der sich der Entwicklung nachhaltiger und zukunftsfähiger Quartiere verschrieben hat.
www.dornieden-gruppe.com

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