Städtebau & Quartiersentwicklung
Platensiedlung in Frankfurt am Main: Aufstockung und Transformation
Text: Stefan Forster | Foto (Header): © SKYKAMERA JEAN-LUC VALENTIN
Die Platensiedlung in Frankfurt am Main ist bundesweit eines der größten städtischen Umbauprojekte. „Aus Siedlung wird Stadt“ ist dabei der Leitsatz von Stefan Forster Architekten, die die Bestandsgebäude nicht nur mit modularer Aufstockung versehen, sondern durch die veränderte Bebauungsstruktur und die architektonisch betonten Kopf- und Torbauten klar definierte Stadträume schaffen. So wird eine räumliche Differenzierung in private, gemeinschaftliche und öffentliche Flächen möglich.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 2.2024
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Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum in Großstädten und Ballungsräumen wächst. Zugleich werden Grund und Boden zu immer knapperen Ressourcen. Um den Wohnungsbedarf zu decken und den Flächenverbrauch zu reduzieren, stehen die Kommunen vor der Aufgabe einer doppelten Innenentwicklung. Wie lässt sich der dringend benötigte bezahlbare Wohnraum schaffen und gleichzeitig die begrenzte Fläche besser nutzen? Hier stellen die zahlreichen Großsiedlungen der Nachkriegszeit, die sich in vielen deutschen Städten finden, eine stille Reserve dar. Im Vergleich zu den Stadtvierteln etwa der Gründerzeit ist ihre Bebauungsdichte sehr niedrig. Die Freiflächen in den durch die Zeilenbauweise gebildeten Zwischenräumen sind meist qualitätslos und undifferenziert, ein öffentlicher Raum mit städtischem Charakter fehlt. Der unbelebte Eindruck wird durch die monofunktionale Nutzung zusätzlich verstärkt. So stellte sich auch die Situation in der Frankfurter Platensiedlung dar, die heute zu den bundesweit größten Umbauprojekten zählt.
Die Platensiedlung ist eine offene Zeilensiedlung, die in den 1950er-Jahren als „Housing Area“ für Soldaten und Angehörige der US-Armee errichtet wurde. Nach dem Abzug des Militärs in den 1990er-Jahren wurde die Siedlung zunächst an den Bund und von dort an die kommunale Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding verkauft, in deren Besitz sie sich seither befindet. Die Siedlung liegt im Frankfurter Stadtteil Ginnheim unweit der Zentrale der Deutschen Bundesbank und des Europaturms, etwa drei Kilometer nordwestlich des Stadtzentrums. Durch die in Ost-West-Richtung verlaufende Platenstraße wird sie in einen nördlichen und einen südlichen Abschnitt geteilt. Die Transformation bezieht sich in einer ersten Phase ausschließlich auf den nördlichen Teil, der aus insgesamt 19 jeweils dreigeschossigen Zeilenbauten mit Satteldach besteht. Die Bewohnerstruktur war durch den hohen Anteil von 60 % geförderten Mietwohnungen sehr homogen, aufgrund der Monostruktur fehlten Geschäfte, Arztpraxen, Cafés und Kitas im Quartier.
Die umfangreiche Verdichtung des nördlichen Teils der Siedlung sieht mehrere, präzise gesetzte Eingriffe in den Bestand vor. In einem ersten Schritt wurden die Dächer der bestehenden Zeilenbauten zurückgebaut und mittels einer modular aufgebauten Holzkonstruktion (LiWooD Management AG) von drei auf fünf Geschosse aufgestockt. Derzeit werden die Zeilen um sechsgeschossige Kopfbauten ergänzt – in Form von Endhäusern, Brückenbauten und Torhäusern. Voraussichtlich bis Ende 2024 sollen die Baumaßnahmen abgeschlossen sein. Dem Leitmotiv der Transformation des Siedlungsbaus zur Stadt folgend, entstehen durch die veränderte Bebauungsstruktur und die architektonisch betonten Kopf- und Torbauten klar definierte Stadträume, die sich an der Typologie des städtischen Blocks orientieren. Die Kombination von architektonisch-städtebaulichen Strategien zur Aktivierung von Außenräumen und der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für alle Schichten machen den Umbau der Platensiedlung zu einem Modellprojekt nachhaltiger Stadtentwicklung.
Durch die Aufstockung und die ergänzenden Neubauten entstehen 681 neue, bezahlbare Wohnungen auf einer bereits erschlossenen Fläche. Die Hälfte der neuen Wohnungen entsteht im geförderten Wohnungsbau, 177 weitere Wohneinheiten sind für Studierende reserviert. Die Wohnraumförderung verteilt sich wiederum auf den ersten und zweiten Förderweg. Die Mischung von frei finanzierten und geförderten Mietwohnungen sowie Studierenden-Appartements ermöglicht eine vielfältige Nachbarschaft. Durch die kommunale Trägerschaft der ABG Frankfurt Holding kann zudem garantiert werden, dass der neu geschaffene Wohnraum dauerhaft bezahlbar bleibt. Innovative Verfahren, wie die serielle Vorfertigung der Holzmodule zur Dachaufstockung, ermöglichen einen effizienten Bauablauf. Während der gesamten Umbaumaßnahmen verbleiben die ursprünglichen Bewohner der Bestandsgebäude in ihren Wohnungen. Hiermit leistet das Baumanagement einen Beitrag zum Erhalt einer intakten Nachbarschaft.
Auch nach der Erweiterung wird die Platensiedlung einen hohen Anteil an Grün- und Freiflächen und eine gute Durchlüftung aufweisen. Durch die Schließung der ehemals offenen Zeilenbebauung wird das Abstandsgrün im Inneren aktiviert und als Gemeinschaftsfläche mit Privatgärten nutzbar. Die Schließung der bisher offenen Zeilenenden schafft nach außen, entlang der Platenstraße, eine klare städtische Bauflucht mit öffentlichen Nutzungen wie Läden und Cafés. Nach innen entsteht ein klar definierter gemeinschaftlicher Raum. Die Ergänzungsbauten dienen demnach nicht nur der Verdichtung, sondern auch der räumlichen Differenzierung – in privat, gemeinschaftlich und öffentlich – und orientieren sich an klassischen Stadträumen. Durch die Aktivierung einer bereits erschlossenen Siedlungsstruktur werden Ressourcen geschont, und der Flächenverbrauch wird auf ein Minimum reduziert.
Entsprechend der Maxime „Aus Siedlung wird Stadt“ entsteht entlang der Platenstraße eine Ladenzeile mit 9 Läden und Gewerbeeinheiten, die der Nahversorgung des Quartiers dienen. Darüber hinaus entstehen 2 Kindertagesstätten und ein Mietertreff, der als Begegnungsstätte für die Bewohner des Quartiers fungiert. Stellplätze für Autos sind in Tiefgaragen unter den Freiräumen zwischen den ehemaligen Zeilenbauten angeordnet. Diese Maßnahme wird mit einer Anhebung der Freiflächen auf das Niveau des Hochparterres verbunden, wodurch die Bewohner der Erdgeschoss-Wohnungen einen ebenerdigen Zugang erhalten.
Kurzinterview mit Stefan Forster, Geschäftsführer der Stefan Forster GmbH
Herr Forster, welche Leitgedanken standen für Sie bei der Transformation und städtebaulichen Entwicklung der Platensiedlung im Vordergrund?
Der Bestand, eine Offizierssiedlung für die Amerikaner, war mit seinen 3 Geschossen vergleichsweise untergenutzt. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Siedlung lediglich 15 Fahrradminuten vom Zentrum Frankfurts entfernt liegt. Die beim Ankauf vor 20 Jahren von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verhängte Umbausperre war abgelaufen und somit der Weg frei für die Neubetrachtung und das Ausschöpfen der Potenziale des Gebiets.
Wie fügt sich das Areal in die städtebauliche Struktur ein? Durch welche Qualitäten wertet die Anlage nun das Wohnumfeld auf?
Das Areal bestand aus einer reinen Zeilenstruktur im Stile der 1920er Jahre-Siedlungen. Diese Strukturen sind vorstädtisch. Unser Anliegen war es, diese Baustruktur in einen urbanen Raum mit klar definierten Höfen zu transformieren. Aus der Erhöhung der Wohnungsanzahl folgerte die Möglichkeit Gewerbeeinheiten entlang der Platenstraße zu etablieren.
Wie konnten Sie den Anspruch nach hochwertiger Gestaltung sicherstellen und zugleich bezahlbaren Wohnraum schaffen?
Bei allen unseren Projekten haben wir den Anspruch einer hochwertigen Gestaltung und wollen dabei gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum schaffen. Dazu benötigt man jedoch einen Bauherrn auf seiner Seite, der den gleichen Anspruch vertritt. Leider ist es eigentlich immer so, und so war es auch hier, dass das Budget doch immer sehr begrenzt ist. Wir mussten mit wenig Geld möglichst hohe Qualität erzielen und dabei stößt man immer an Grenzen. Trotz des sehr engen Budgets konnten wir den Bauherrn überzeugen, den Bestandsgebäuden einen Klinkersockel zu geben. Dafür wurde die bestehende ungenutzte Vorgartenzone zugunsten einer Aufschüttung auf Erdgeschossniveau der Wohnungen und einer verklinkerten Stützwand aufgegeben. Dieser neue Gebäudesockel wertet das Gebäude auf und proportioniert es besser.
Aus welchen Gründen haben Sie sich für eine Aufstockung mit vorgefertigten Raummodulen in Holzbauweise entschieden?
Hierfür gibt es zwei Gründe. Zum einen ließ der Bestand eine weitere Auflast in konventioneller Bauweise nicht zu. Zum anderen musste der Umbau im bewohnten Zustand erfolgen. Hier liegt der Vorteil bei der Holzmodulbauweise, da sie sehr schnell und ohne extreme Lärmentwicklung ausgeführt wird.
Ging mit der Aufstockung eine energetische Sanierung der Gebäude einher?
Die Bestandsgebäude hatten bereits in den vergangenen Jahren eine erste energetische Sanierung erfahren. Untersuchungen hatten ergeben, dass die Dämmwirkung nicht nachgelassen hatte. Der Bauherr verzichtete dann, auch aus Kostengründung, auf eine weitere Verbesserung des Dämmstandards.
Lassen sich Ihre Ansätze der Platensiedlung eventuell auf andere Konversionsflächen übertragen?
Die Ansätze und Erfahrungen aus der Platensiedlung lassen sich sehr gut auf andere Konversionsflächen übertragen. Diese Flächen verfügen durch ihre offene, lockere Bebauung über extreme Flächenreserven. In der Platensiedlung haben wir exemplarisch nachgewiesen, wie man diese Reserven hebt, unter gleichzeitiger Aufwertung des bis dato untergenutzten Wohnumfeldes.
Projektdetails
Entwurfsverfasser Stefan Forster Architekten |
Anzahl Wohnungen 1.030 gesamt (davon 688 durch Dachaufstockung und Neubau, 342 Bestandsmodernisierung) |
Mitarbeit Jörg Artmann, María Aparicio Álvarez, Joaó Aires, Frank Baum, Denis Jugovic´, Julian Kusnawijaya, Rubén Robledo Ibáñez, Krisztina Szalai, Fernando Diaz Vallino |
Wohnfläche 38.800 m² |
Bauherr ABG Frankfurt Holding |
Grundfläche (BGF) 59.100 m² |
Bauleitung FAAG Frankfurter Aufbau Gesellschaft |
Stellplätze 423 (Pkw), 2.080 (Fahrrad) |
Tragwerksplanung bauart Konstruktions GmbH |
Energiestandard KfW 55 (Neubauten) |
Haustechnikplanung Ingenieurbüro Klöffel GmbH |
Baubeginn Mai 2017 |
Landschaftsplanung Freiraum X, Frankfurt am Main |
Adresse Sudermannstraße 1–42, Stefan-Zweig-Straße 1–13, 15, 17 |
Über das Büro Stefan Forster
Stefan Forster und sein Team gehören zu den führenden deutschen Büros im Bereich Wohnungsbau. Hierbei entwickeln rund 35 Architektinnen und Architekten die Standards im Wohnungsbau weiter und bearbeiten dabei sämtliche Segmente – vom hochwertigen Appartement bis zur bezahlbaren Mietwohnung, vom Stadthaus bis zum Großblock. Darüber hinaus zählen der Umbau von Büro- und Verwaltungsgebäuden sowie die Transformation von Siedlungsstrukturen zu den Schwerpunkten des Büros.