Brennstoffzellen-Technologie: Energie doppelt nutzen

Brennstoffzellen-Technologie: Energie doppelt nutzen

Energie, Technik & Baustoffe

Brennstoffzellen-Technologie: Energie doppelt nutzen

Text: Robert Schnmauß | Foto (Header): © XTRAVAGANT – stock.adobe.com

In Kassel haben Viessmann und die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt ein Pilotprojekt aufgesetzt. Ziel ist es, die Brennstoffzellen-Technologie auch im Bereich der Mehrfamilienhäuser zu etablieren. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend, die wasserstoffgetriebene Kraft-Wärme-Kopplung könnte vor allem bei kleineren Gebäudeensembles eine effiziente Alternative zu herkömmlichen Blockheizkraftwerken sein.

Auszug aus:

Neben Klimaschutz und bezahlbarem Wohnraum wird sich die Immobilienbranche zukünftig mit einem weiteren Megatrend auseinandersetzen müssen. Während in den 1970er-Jahren noch ein schlüsselfertiges Domizil mit Heizung völlig ausreichte, wandelt sich das Anforderungsprofil des Marktes an Immobilienplanung und -management. Dr. Constantin Westphal, für die Immobilienbewirtschaftung zuständiger Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW), formuliert es so: „In Zukunft heißt unser Produkt nicht mehr Wohnung, sondern Wohnen. Stromanschlüsse für E-Autos und E-Bikes im Viertel werden demnächst so selbstverständlich sein wie heute Parkplätze. Und wir werden zunehmend Serviceleistungen wie Mieterstrom, Konnektivität, Smart-Living und Mobilität mit anbieten, von haushaltsnahen Dienstleistungen ganz abgesehen.“ Das Ganze natürlich möglichst günstig und klimaneutral. Stellt sich die Frage: Wie soll das funktionieren?

Eine Lösung, um Energie für diese vielen schönen neuen Wohnwelten zu erzeugen, suchen der nordhessische Heizungs- und Klimaspezialist Viessmann und die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) derzeit im Rahmen eines Pilotprojekts im Kasseler Stadtteil Oberzwehren. Die Techniker installierten Prototypen einer speziellen Brennstoffzellen-Anlage in zwei Wohngebäuden mit je zwölf Mietparteien, die für den Bestand des größten hessischen Wohnungsunternehmens typisch sind. Bislang gibt es noch keine einfache Lösung, wie sich derartige Wohnblöcke aus der Zeit des Wirtschaftswunders nachhaltig umgestalten lassen. Eine mögliche Antwort: Das Gebäude produziert mehr Energie als es verbraucht. Genau diesem Ziel versuchen der Heizungsexperte und die NHW in Kassel näher zu kommen. Erste Ergebnisse des Feldversuchs, der seit knapp vier Monaten läuft, zeigen, dass die beiden wasserstoffbasierten Einheiten höchst effizient Wärme und Strom liefern. Dr. Westphal betont: „Wir wollen unsere Quartiere bis 2050 klimaneutral stellen – Kraft-Wärme-Kopplung und neue Technologien werden dabei eine große Rolle spielen.“

Heinrich Pierson Straße 3–5 in Kassel Oberzwehren – die typischen Wohnblöcke aus der Nachkriegszeit sind ideal für das Pilotprojekt.
FOTO: NHW/CARSTEN SOCHER

Hohe Temperaturen im Heizkreis

Die neue Brennstoffzelle (BSZ) wurde von Viessmann insbesondere für größere Bestandsbauten entwickelt. Alexander Dauensteiner, Bereichsleiter für diese Produktlinie, erläutert: „Die Vitovalor SA2 ist im Gegensatz zu den heute in Einfamilienhäusern verbauten Geräten eine Hochtemperatur-Anlage.“ Der Stack des Geräts – also der Block hintereinandergeschalteter Brennstoffzellen-Module – arbeitet bei 800 °C. „Daher können wir jedes geforderte Wärmeniveau bedienen – selbst Systeme älterer Häuser mit hohen Vor- und Rücklauftemperaturen stellen kein Problem dar“, resümiert Dauensteiner. Das führe dazu, „dass diese Brennstoffzellen sehr lange Laufzeiten auch im Gebäudebestand erreichen.“

In Oberzwehren gelang damit eine besonders elegante Lösung: Die zwei Viessmann-Festoxid-BSZ koppelten die Techniker direkt in die vorhandenen Heizkreisläufe ein. Der bisher verbaute Niedertemperaturkessel blieb Teil der thermischen Anlage, liefert jetzt aber nur noch die Spitzenlast: Falls die Mieter sehr viel Wärme anfordern, springt er unterstützend an. NHW-Haustechniker Jürgen Schaumburg sieht hierin einen großen Vorteil: „Heizkörper, Anlagen, Ventile, sogar der Warmwasserspeicher und die alten Kessel bleiben einfach im System.“  Der Aufwand sei sehr gering, das mache den Charme dieser Konfiguration aus. „Wir können Niedertemperaturkessel jederzeit gegen Brennwertkessel austauschen.“

Die Viessmann-Technik ist so konstruiert, dass die Brennstoffzelle problemlos eingebunden werden kann. Über einen Pufferspeicher speist sie warmes Wasser in den Massenspeicher des Hauses ein. „Solche Lösungen sind eine komfortable Art, die Klimabilanz eines Gebäudes signifikant zu verbessern“, freut sich Schaumburg. Das Kraftwerk liefert modulierend bis zu 1,9 Kilowatt (kW) Wärmeleistung und 1,5 kW Strom. Den nutzt die NHW vordringlich für den Allgemeinstrom, Überschüsse fließen ins allgemeine Netz.

Strom für alle Haushalte

Die ersten Ergebnisse der neuen Kraft-Wärme-Kopplungsanlage stellten die Akteure im Frühjahr 2020 der Öffentlichkeit vor. Wie beabsichtigt, liefen die beiden Brennstoffzellen im Volllastbetrieb praktisch rund um die Uhr. In den ersten zehn Wochen produzierten die Anlagen etwa 3.000 Kilowattstunden (kWh) Wärme und 2.000 kWh Strom. Allein der Strom würde rechnerisch ausreichen, um den Bedarf eines Großteils der Mietparteien zu decken.

„Wir hatten bislang keinerlei Probleme, die größere Anlage und das technische Prinzip in der Nachrüstlösung funktionieren bestens“, bewertet Dauensteiner den bisherigen Verlauf des Pilotprojekts. Das Energiemanagement der Vitovalor SA2 ist speziell darauf ausgelegt, höhere Wärmelieferungen bereitzustellen. „Unsere Hochtemperatur-Brennstoffzelle verfügt über verschiedene Betriebsarten“, erklärt der Produktlinien-Manager. In Kassel sei die Anlage „wärmegeführt, aber stromoptimiert“ gefahren worden. Im Klartext: Das Gerät läuft unter der Vorgabe, möglichst viel Strom zu produzieren, hält aber gleichzeitig den geforderten Wärmekomfort aufrecht. Interessant bei diesem Feldversuch sei auch, wie der Algorithmus, der die BSZ steuere, mit den Wärmeanforderungen in einem Mehrparteienhaus zurechtkomme. „Wir konnten naturgemäß das Mieterverhalten anfangs nicht so gut einschätzen“, erläutert Dauensteiner. An einem Sonntag beispielsweise, an dem mehr Menschen zu Hause sind, steigt der Wärmebedarf. Die Technik der Anlage habe sich auf solche Schwankungen bislang gut eingestellt – sie lernt und läuft dadurch effizienter. Mit dem Feldversuch will Viessmann auch Informationen darüber erhalten, ob „der wichtige Markt der Mehrfamilienhäuser diese Innovation annimmt.“ Zudem soll der Test Daten liefern, welche Anlagengrößen künftig gefordert sind.

Erstes Resümee des Feldversuchs (v. l.): Matthias Otto, Leiter Servicecenter Kassel NHW, Jürgen Bluhm, Regionalcenterleiter, Alexander Dauensteiner, Bereichsleiter bei Viessmann, und Haustechniker Jürgen Schaumburg ziehen eine positive Bilanz.
FOTO: NHW/CARSTEN SOCHER

Steuerung der Anlage: Das System ist so eingestellt, dass die Brennstoffzelle eine möglichst hohe Betriebsstundenzahl erreicht.
FOTO: NHW/CARSTEN SOCHER

Brennstoffzellen anstelle von Blockheizkraftwerken

Die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt will mit dem Feldversuch weitere Optionen ausloten, nachhaltige Gebäudetechnik im Bestand einzubauen. Die Installation einer Kraft-Wärme-Kopplung habe dabei spezifische Vorteile. NHW-Geschäftsführer Westphal: „Nach unserer Erfahrung erreichen wir die besten Effekte für Umwelt und Klimaschutz, wenn wir nicht mehr einzelne Wohnhäuser, sondern mehrere Gebäude oder das gesamte Quartier betrachten.“ Vernetzte Brennstoffzellen seien hier eine gute Option – ähnlich wie Nahwärme-Lösungen. Westphal: „Die gesamte Branche braucht solche Feldversuche, um Technologien in der täglichen Praxis zu evaluieren.“ Die Erfahrungen aus dem Kasseler Piloten fließen selbstverständlich auch in die Kooperation Initiative Wohnen.2050 ein. In diesem Zusammenschluss organisiert sich die Wohnungswirtschaft, um die Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen.

Höherer Wirkungsgrad

Der Vorteil von herkömmlichen Blockheizkraftwerken (BHKW) und Brennstoffzellen (BSZ) gegenüber normalen Heizanlagen besteht darin, dass sie die einmal verbrauchte Prozessenergie in zwei Sekundärenergien umwandeln und damit viel effizienter nutzen. Dabei weist eine BSZ einen höheren Wirkungsgrad auf und produziert deutlich mehr Strom als etwa ein BHKW – die Emissionen reduzieren sich gleichzeitig zwischen 30 und 50 % gegenüber einem Verbrennungsmotor oder einem Brennwertheizkessel.

Eine BSZ spaltet üblicherweise mithilfe eines Reformers aus Erdgas, das hauptsächlich aus Methan (CH4) besteht, den Wasserstoff ab. Im Stack – also im Zellenpaket selbst – reagiert der Wasserstoff mit Sauerstoff in einer Art umgekehrter Elektrolyse, ähnlich wie in einer Batterie. Bei dieser sogenannten kalten Verbrennung entsteht Strom, Abwärme und als Abfallprodukt Wasser und eine geringe Menge CO². Mittlerweile erreichen BSZ Laufzeiten von 80.000 Betriebsstunden und mehr mit einem Stack – also mehr als zehn Jahre. 2018 wurden im Einfamilienhaus-Bereich rund 3.500 Anlagen installiert. Ein solches Kleinkraftwerk schneidet bei der Lebenskostenberechnung besonders gut ab. Das liege vor allem daran, so Dauensteiner, dass sie aus „billigem Gas wertvollen Strom“ mache – und dabei gleichzeitig Wärme zur Verfügung stelle. Das gelingt auch in Kassel. Vorläufiges Fazit des Feldversuchs: Die Brennstoffzelle wird sicher in naher Zukunft im Bestand ein wichtiger Baustein bei der Modernisierung veralteter Technik sein.

Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt
Heimstätte | Wohnstadt (NHW) mit Sitz in Frankfurt am Main und Kassel bietet seit 95 Jahren umfassende Dienstleistungen in den Bereichen Wohnen, Bauen und Entwickeln. Sie beschäftigt rund 730 Mitarbeiter. Mit rund 58.000 Mietwohnungen in 128 Städten und Gemeinden gehört sie zu den zehn führenden deutschen Wohnungsunternehmen. Unter der Marke „ProjektStadt“ werden Kompetenzfelder gebündelt, um nachhaltige Stadtentwicklungsaufgaben durchzuführen. Bis 2023 sind Investitionen von rund 1,9 Milliarden Euro in den Neubau von Wohnungen und in den Bestand geplant. 4.900 zusätzliche Wohnungen sollen so in den nächsten fünf Jahren entstehen.

Viessmann Werke GmbH & Co. KG
Viessmann wandelt sich kontinuierlich vom Heiztechnikhersteller zum Lösungsanbieter für den kompletten Lebensraum. Dafür entwickelt das Unternehmen nahtlose Klimalösungen, die die Umgebung des Menschen mit der optimalen Raumtemperatur, mit Warmwasser, Strom und guter Luftqualität gleichermaßen versorgen. In seinem Integrierten Lösungsangebot verbindet Viessmann auf Basis der richtigen Energiequellen Produkte und Systeme über Plattformen und digitale Services nahtlos miteinander. Dazu kommt eine Vielzahl zusätzlicher Dienstleistungen. Dabei steht die richtige Balance aus erneuerbaren Energiequellen und maximaler Energieeffizienz bei fossilen Energieträgern im Vordergrund. Seit der Gründung 1917 handelt das Familienunternehmen werteorientiert und langfristig. Das zeigt sich in dem über allem stehenden Unternehmensleitbild „We create living spaces for generations to come.“ Lebensräume für die Generationen von morgen zu gestalten, das ist die Verantwortung der weltweit 12.000 Mitglieder starken Viessmann-Familie.

Der Autor


Robert Schnmauß
Journalist und freier Mitarbeiter bei hd…s agentur für presse- und öffentlichkeitsarbeit, Wiesbaden, 0611 992910, info@hds-pr.com, www.hds-pr.com

Mehr aus dieser Ausgabe

Alle Inhalte 3 Monate probelesen!

Mit Q+ erhalten Sie sofort Zugriff auf:

✔ alle Beiträge vergangenen Ausgaben
✔ alle Beiträge zukünftiger Ausgaben

Jetzt 3 Monate testen!

nur 3 /Monat
(zzgl. MwSt.)

Jetzt testen

Sie haben bereits einen Zugang?

Icon