Städtebau & Quartiersentwicklung
Altersgerechte Quartiere: Sie bleiben – wir helfen
Text: Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt | Foto (Header): © KARSTEN SOCHER
Die zunehmende Überalterung der Gesellschaft hat massive Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt – das Schlagwort von der „grauen Wohnungsnot“ macht die Runde. Die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt hat bereits 2007 ein einfaches, aber wirkungsvolles Instrument etabliert: das Wohn-Service-Team (WST). Mithilfe subventionierter haushaltsnaher Dienstleistungen können betagte Menschen länger in ihren günstigen und lieb gewonnenen vier Wänden bleiben. Ein Bericht aus der demografischen Realität in Deutschland und über ein nachahmenswertes Modell.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2019
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Der Sozialverband VdK schlägt Alarm. Eine „graue Wohnungsnot“ werde die nächsten Jahre lawinenartig über das Land rollen. Die aktuell vom Bundesverband des Deutschen Baustoff-Fachhandels in Auftrag gegebene Studie „Wohnen in der Altersgruppe 65+“ des Pestel-Instituts kommt zu dem Schluss, dass es in der Dekade bis 2030 für Rentner immer schwieriger werden wird, passenden Wohnraum zu finden – und vor allem, diesen dann auch noch zu finanzieren. Studien-Projektleiter Matthias Günther fasst zusammen: „Eine ganze Generation mit deutlich niedrigeren Renten trifft auf steigende Wohnungskosten.“
Bis 2040, so die Studie, werde die Zahl der Senioren von derzeit 18 auf 24 Millionen steigen. Gleichzeitig aber werde das Niveau der Rentenzahlungen sinken. Folge: Der Anteil der Rentner, die zu ihren Altersbezügen zusätzlich auf die Grundsicherung angewiesen sind, wird von 3 auf 25 % wachsen. VdK-Präsidentin Verena Bentele findet dies sehr besorgniserregend, denn bereits heute sei es „für viele Rentner schwierig, die stetig steigenden Mieten zu bezahlen“. Deutschland laufe „sehenden Auges“ auf eine neue Altersarmut zu – und das zeige sich am Wohnungsmarkt besonders deutlich.
Diese nüchternen Zahlen verbergen, dass es sich hier um Menschen handelt. Hinter jedem Einzelnen der vielen Millionen verbirgt sich ein individuelles Schicksal.
Die Kronenackerstraße im Kasseler Stadtteil Oberzwehren ist eine typische Blocksiedlung aus den 1950er-Jahren, wie es sie zu Hunderten in Deutschland gibt. Zwischen den Gebäuden ist mit der Zeit das Grün üppig gewachsen, im Sommer begraben große Kirschbäume Autos unter ihrem Blütenmeer. Erika S. wohnt hier, seit sie vor fünf Jahren ihr Haus an ihre Söhne übergab, weil es ihr zu groß geworden war. Sie leidet an einer chronischen Lungenerkrankung. „Ich kann den Fußboden nicht mehr selbst schrubben, weil ich gesundheitlich eingeschränkt bin“, sagt sie entschuldigend.
Dass Erika S. noch hier wohnt und nicht schon lange in ein Heim ziehen musste, verdankt sie einer guten Fee, die einmal in der Woche zu ihr kommt und die Wohnung auf Vordermann bringt. Sie heißt Geraldine-Marie Hajek und ist Mitarbeiterin im WST – dem Wohn-Service-Team: Wäsche waschen, Böden bohnern, Fenster putzen gehen ihr schnell von der Hand – und das für nur 10 Euro pro Stunde.
Vor fast drei Jahren wurde Erika S. auf das Angebot in der Mieterzeitung der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) aufmerksam. Sie habe angerufen, dann sei jemand vorbeikommen und habe sich angeschaut, was zu tun sei. „Einmal Durchsaugen und Durchwischen für 10 Euro, das ist supergünstig“, freut sich die Rentnerin. Zwei Söhne hat sie großgezogen, nach der Kinderauszeit 30 Jahre bei einem Steuerberater gearbeitet. Ihr Mann ist schon vor 28 Jahren verstorben – „viel zu früh“. Die Unterstützung im Haushalt alle 14 Tage ermöglicht es Erika S., in ihren eigenen vier Wänden zu bleiben: „Ich möchte hier so lange wie möglich wohnen, ein Seniorenheim wäre nichts für mich.“
Das Wohn-Service-Team (WST) ist ein bislang einzigartiges Modell, das sich die NHW als Marke hat eintragen lassen. Die Gesellschaft, die mit rund 58.000 Einheiten zu den größten deutschen Bestandshaltern gehört, entwickelte das Format 2007 zusammen mit der damaligen Gemeinnützigen Offenbacher Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaft (GOAB). Die Idee umschreibt Dr. Constantin Westphal, für das Immobilienmanagement zuständiger Geschäftsführer der Unternehmensgruppe: „Das Wohn-Service-Team ist ein zentraler Baustein unseres Ansatzes ‚Sie bleiben, wir helfen‘, mit dem wir vor allem ältere Mieter ansprechen. In einigen unserer Quartiere sind mehr als 30 % der Bewohner über 65 Jahre alt, viele davon leben allein. Deshalb müssen wir neben baulichen Anpassungen Angebote entwickeln, die das selbstbestimmte Wohnen im Alter ermöglichen.“ Das Paket umfasst u. a. eine Seniorenberatung in Kooperation mit den Johannitern, barrierearme Modernisierungen und natürlich das Wohn-Service-Team.
Das Konzept des WST ist bestechend einfach: Über eine kostenfreie Rufnummer können die Mieter gratis oder zu sehr günstigen Tarifen haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Ältere und in der Bewegung eingeschränkte Bewohner können etwa den Aufbau von Kleinmöbeln und Regalen, Hilfe beim Umzug, Sperrmüll und Begleitservice kostenfrei abrufen. Für den Preis von 5 Euro je halbe Stunde nutzen die Mieter Einkaufsservice oder -begleitung, Pflanzen- oder Kleintierbetreuung, Briefkastenleerung, Putzen, Wäsche waschen und bügeln, Gardinen aufhängen, Botengänge oder Kleintransporte sowie kleine Reparaturen und handwerkliche Handreichungen oder auch eventuell benötigte Hilfe bei der Gartenarbeit.
„Wir verzeichnen eine kontinuierliche Zunahme an Aufträgen“, konstatiert Jürgen Schomburg, Geschäftsführer der Dienste im Quartier GmbH (DiQ), die den Service heute erbringt. 140 Mitarbeiter, vornehmlich Minijobber und Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft, arbeiten für das WST. Über 80 % der Kunden sind älter als 65 Jahre – das Angebot kommt also dort an, wo es gebraucht wird.
Günstige Dienste für 36.000 Haushalte
Die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt lässt sich diese „Kundenbindung“ einiges kosten. Während die Mieter 10 Euro zahlen, liegen die betriebswirtschaftlichen Kosten bei 19 Euro. Diese Differenz übernimmt die Gesellschaft in Form einer Pauschale pro „betreuter“ Einheit als Zuschuss an die DiQ, die nach der Insolvenz der GOAB das Angebot weiterführt. Die Dienste werden in 36.000 Wohneinheiten des Unternehmens für die Mieter vorgehalten. In Summe ergibt sich so ein Subventionsbetrag von deutlich über einer Viertelmillion Euro pro Jahr. Wie rechnet sich das?
Geschäftsführer Dr. Westphal geht davon aus, dass sich jeder einzelne Euro bezahlt macht. Auch wenn das Unternehmen Kosten und Nutzen betriebswirtschaftlich nicht erfasse, ergebe sich unter dem Strich mindestens eine schwarze Null. Wesentliche Kennzahlen: Mieter bleiben
rund fünf Jahre länger in ihren Wohnungen, wenn sie durch Dienstleistungen wie WST und kleineren Investitionen in Barrierefreiheit in die Lage versetzt werden, weiter ein selbstständiges Leben in ihren eigenen vier Wänden zu führen. Rechnet man dagegen die Modernisierungskosten von rund 30.000 Euro bei Auszug eines Mieters, dann lässt sich daraus auch ein direkter wirtschaftlicher Gewinn ableiten.
Ein weiteres Beispiel: Helga K., die sechs Kinder großgezogen hat. Neun Enkel, zehn Urenkel und zwei Ururenkel zählen ebenfalls zur Familie der rüstigen alten Dame. Stolz zeigt sie ein Familienfoto, auf dem alle versammelt sind. Aber Helga K. musste auch Schicksalsschläge hinnehmen. Im Jahr 2007 starb ihr Mann. Aufgrund seiner Demenz konnte er am Ende niemanden mehr erkennen – „das war schon eine schwere Zeit“. Ihre eigene Knieoperation lief nicht so gut, vor eineinhalb Jahren begann auch die Hüfte wehzutun. Ihr Haus hat sie früh den Kindern überschrieben. Heute lebt sie in einer kleinen Wohnung in der Mühlenbergstraße im Baunataler Stadtteil Rengershausen. Auch ihr hilft Geraldine-Marie Hajek im Haushalt. „Ich bin so froh, dass sie da ist, dadurch kann ich selbstständig bleiben“, sagt Helga K. Nach dem wöchentlichen Reinemachen gibt es immer noch einen Kaffee und ein süßes Stückchen. „Wir sind schon lange per du und mittlerweile Freundinnen geworden“, sagt Hajek.
5 Euro sind für manche viel Geld
Anja Klamann, gelernte Industriekauffrau und jahrelang als Personalverantwortliche tätig, managt am WST-Standort Kassel das Angebot für 6.000 Wohneinheiten der Unternehmensgruppe. Seit rund drei Jahren gibt es dort den Service, die Aufträge „steigen langsam, aber stetig“. 170 Stammkunden halten das insgesamt elfköpfige Team vor Ort auf Trab, hinzu kommen noch einmal etwa 40 Treppenhäuser, die wöchentlich gereinigt werden wollen – alles zusammen rund 400 Einsätze im Monat. Neu ist, dass die DiQ die haushaltsnahen Leistungen als sogenannten Entlastungsbetrag bei Kunden mit einer Pflegestufe direkt mit den Pflegekassen abrechnen können – maximal 125 Euro im Monat.
„Wir unterstützen Menschen, die Hilfe brauchen, dabei, möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden bleiben zu können“, stellt Klamann fest. Die Mutter von drei Kindern weiß, wie wichtig in diesem Zusammenhang Vertrauen ist: „Unsere Kunden sind oft sehr allein, ihnen muss man erst die Angst nehmen.“ Das Vertrauen entstehe auch dadurch, dass sich die Mitarbeiter Zeit lassen und die Kunden auch mal ihr „Herz ausschütten“ dürfen. „Dann sitzt man gerne auch mal ein Viertelstündchen zusammen, wenn noch Zeit ist“, erklärt die Standortmanagerin. Das Wichtigste sei, so die Erfahrung der Praktikerin, dass das Angebot für Rentner erschwinglich bleibe. „Wir haben hier ganz viele Menschen, die alle 14 Tage um 5 Euro kämpfen müssen. Dann gilt es, möglichst viel in einer halben Stunde zu schaffen.“
Projektdetails
Gründung 2007 |
Zielgruppe 80 % der Dienstleistungen werden von Mietern über 65 Jahre angefordert. |
Mitarbeiter 140, davon 105 Minijobber |
Subvention Rund 8 Euro pro Stunde und versorgtem Haushalt |
Standorte Vier in Frankfurt, weitere in Offenbach, Wiesbaden und Kassel |
Kosten für Mieter 5 Euro je angefangene halbe Stunde, einige Dienstleistungen kostenfrei |
Versorgte Haushalte 36.000 |
Kontakt Dienste im Quartier Rathenaustraße 32 63067 Offenbach Tel. 069 138172-53 info@wohn-service-team.de www.wohn-service-team.de |
Arbeitsleistung Seit 2013 ca. 40.000 Einsatzstunden für haushaltsnahe Dienstleistungen |
„Wir leben soziale Verantwortung“
Im Gespräch mit Dr. Constantin Westphal, für das Immobilienmanagement zuständiger Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt, über den Nutzen subventionierter haushaltsnaher Dienstleistungen.
Was hat Ihr Unternehmen bewogen, einen Dienst wie das Wohn-Service-Team (WST) ins Leben zu rufen?
Dr. Westphal: In unseren Wohneinheiten macht die Gruppe der über 65-Jährigen mittlerweile über ein Drittel der Mieter aus. Ausschlaggebend waren die Ergebnisse einer Mieterbefragung, die wir turnusmäßig alle zwei Jahre in unserem Bestand durchführen. Dabei kam heraus, dass die meisten älteren Menschen so lange wie möglich selbstbestimmt leben und in ihren Wohnungen bleiben möchten. Und: Sie wünschen sich bestimmte Dienstleistungen, die ihnen den Alltag erleichtern, allerdings dürfen diese – gerade bei einer kleinen Rente – nicht viel kosten. Daraufhin haben wir das Konzept ‚Sie bleiben, wir helfen‘ entwickelt, das neben baulichen Maßnahmen auch eine umfassende Beratung für Senioren und eben ganz konkret das Wohn-Service-Team beinhaltet.
Sie geben für das WST eine Viertelmillion Euro im Jahr aus. Für eine Immobiliengesellschaft ist dies eine ungewöhnliche Investition. Was ist Ihre Intention?
Wir sind generell ein sozial sehr engagiertes Unternehmen. Unsere Mieter sollen sich nicht nur in ihren Wohnungen, sondern auch in ihrem Umfeld wohlfühlen. Daher bieten wir neben dem WST auch spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche in unseren Quartieren an. Insgesamt 1,2 Mio. Euro haben wir 2018 in soziale Projekte investiert. Dieses Engagement ist auch historisch bedingt. Der 1922 erteilte Gründungsauftrag, breite Schichten der Bevölkerung mit preiswertem Wohnraum zu versorgen, gilt auch heute noch. Unsere Anteilseigner – das Land Hessen und verschiedene Kommunen – haben in den Gesellschaftsvertrag eine Klausel aufgenommen, die uns zu nachhaltigem und vor allem sozialem Handeln verpflichtet. In unserem Leitbild haben wir dies noch einmal präzisiert. Unsere Maxime lautet nach wie vor: Bezahlbares Wohnen für alle.
Was heißt das auf die tägliche Praxis bezogen?
Rein bauliche Veränderungen sind notwendig, aber in vielen unserer Liegenschaften nur eingeschränkt möglich. Wir können z. B. nicht überall Aufzüge installieren. Zudem wollen wir – im Zuge unserer sozialverträglichen Mietenstrategie – drastische Mieterhöhungen vermeiden. Ergo: Wir bauen um, wo es möglich und notwendig ist, und bieten gleichzeitig das Wohn-Service-Team an, um insbesondere älteren Menschen die individuelle Unterstützung zu geben, die sie benötigen.
Worin besteht konkret der Nutzen für Ihre Gesellschaft?
Unsere Aktivitäten führen dazu, dass unsere Mieter länger bei uns wohnen. Das bedeutet für uns: weniger Modernisierungskosten, weniger Fluktuation, mehr Stabilität in der Mieterzusammensetzung, funktionierende Nachbarschaften. Die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt will Senioren als Mietergruppe halten, nicht zuletzt, weil wir auf eine gute Durchmischung in unseren Quartieren Wert legen. Speziell die älteren Mieter stärken erfahrungsgemäß die Siedlungen. Sie gehen auf Nachbarn zu, sind kommunikativ, geben uns Rückmeldung über den Zustand des Viertels. Kurz: Sie kümmern sich.
Welche Voraussetzungen müssen hierfür gegeben sein?
Zunächst einmal muss das Wohnungsunternehmen seine soziale Verantwortung ernst nehmen, jenseits von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Nach unserem Selbstverständnis kann man das Gut Wohnen nicht rein unter Renditegesichtspunkten betrachten. Unser WST-Konzept beruht darauf, dass die Mehrzahl der Servicemitarbeiter – als sozialversicherte Minijobber oder Teilzeitkräfte – aus dem Quartier selbst kommen. Das erhöht das Vertrauen, schafft Präsenz im Viertel und hält darüber hinaus noch die Kaufkraft im Stadtteil.
Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt
Die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt mit Sitz in Frankfurt am Main und Kassel bietet seit 95 Jahren umfassende Dienstleistungen in den Bereichen Wohnen, Bauen und Entwickeln. Sie beschäftigt rund 730 Mitarbeiter. Mit rund 58.000 Mietwohnungen in 128 Städten und Gemeinden gehört sie zu den zehn führenden deutschen Wohnungsunternehmen. Unter der Marke „ProjektStadt“ werden Kompetenzfelder gebündelt, um nachhaltige Stadtentwicklungsaufgaben durchzuführen. Bis 2023 sind Investitionen von rund 1,9 Milliarden Euro in den Neubau von Wohnungen und in den Bestand geplant. 4.900 zusätzliche Wohnungen sollen so in den nächsten fünf Jahren entstehen.
www.naheimst.de