Im Gespräch mit Dr. Nicolas Albrecht-Bindseil und Dirk S. Walliser
Zukunftsweisendes Wohnquartier in Mannheim
Text: Julia Ciriacy-Wantrup | Foto (Header): © madamlead – stock.adobe.com
Foto: INNOVATIO
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Bis 2025 entsteht auf dem ehemaligen Benjamin-Franklin-Areal der US-Armee ein neuer Stadtteil für rund 9.000 Menschen. Die Stadt Mannheim möchte hier die Themen „Soziale Durchmischung“, „Inklusion“, „Freiraum & Urbanität“, „Städtebau & Architektur“ sowie „Energie & Mobilität“ beispielhaft gelöst sehen. Für ein zentrales Baufeld im Herzen des Areals gab es eine Konzeptausschreibung, die von der Partnerschaft INNOVATIO/PROFUND/SAUERBRUCH HUTTON Architekten gewonnen wurde. Wir sprechen mit Dr. Nicolas Albrecht-Bindseil (links) und Dirk S. Walliser von der Innovatio Projektentwicklung über das Wohnquartier FRANKLIN VILLAGE, das von den Projektentwicklern gemeinsam mit der PROFUND Gruppe in Holzbauweise realisiert wird.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 1.2021
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Was macht für Innovatio ein lebendiges Wohnquartier aus?
Wir beschäftigen uns seit fast zwei Jahrzehnten mit der Konzeption und der Umsetzung langfristig funktionierender Sozialräume und zukunftsweisender Stadtquartiere, die den Mehrgenerationengedanken in sich tragen. Ein lebendiges Wohnquartier wird für uns charakterisiert durch Beheimatung, Identifikation, Vielfalt, lebendiges Miteinander, sorgende Gemeinschaft, Teilhabe und eine umfassende Nachhaltigkeit. Man könnte auch sagen, es ist ein „Dorf in der Stadt“. „Zu Hause sein“ heißt für uns als Projektentwickler, einen Sozial- und Lebensraum zu entwickeln, der ganz unterschiedlichen Wohnbedürfnissen entspricht und emotionale Identifikation ermöglicht. Neben der architektonischen Qualität braucht es Räume und Strukturen, die Beziehung und Kommunikation ermöglichen. Lebendigkeit entsteht für uns auch durch einen Mix an Bewohnern, der eine lebendige Vielfalt widerspiegelt und alle Generationen umfasst. Darüber hinaus wissen wir aus Erfahrung, dass die langfristige Qualität einer Nachbarschaft ganz besonders durch das Engagement von Bewohnerinnen und Bewohnern geprägt wird. In Zeiten von abnehmenden familialen und sozialen Bezugssystemen braucht es aus unserer Sicht ein katalysierendes Element für Vernetzung und Beziehungsaufbau durch eine langfristig angelegte Quartiersmoderation.
Wie werden diese Elemente im Wohnquartier FRANKLIN VILLAGE umgesetzt?
Für unterschiedliche Wohnbedürfnisse bieten wir eine Vielfalt an Wohnungstypologien und-größen an. Im FRANKLIN VILLAGE wird sich der bunte Mix an Wohnungsgrößen dabei auf alle Geschossebenen verteilen. Große Familienwohnungen wechseln sich mit 2- und 3-Zimmer-Wohneinheiten sowie Clusterwohnungen ab und stehen miteinander in Beziehung. Langfristige Perspektiven im Sinne einer Beheimatung und Identifikation von Menschen entstehen erfahrungsgemäß im Mietwohnungsbau besonders dort, wo sich Bewohner aller Generationen und Lebensstile proaktiv in die Gestaltung ihrer Nachbarschaft einbringen können. Im FRANKLIN VILLAGE wird es in diesem Zusammenhang einen eigenen Quartiersverein geben, der – unterstützt durch ein professionelles Quartiersmanagement – die Qualität des nachbarschaftlichen Zusammenlebens gestalten und befördern wird. Um ein vitales und inklusives Wohnquartier aller Generationen entstehen zu lassen, richten wir unser Augenmerk auch auf flexible und quartiersnahe Betreuungs- und Versorgungslösungen in der eigenen Wohnung, die wir mit lokalen Partnern passgenau konzipieren werden.
Platz für die Gemeinschaft wird beim Projekt FRANKLIN VILLAGE also großgeschrieben. Was bedeutet das in der Praxis?
Schon in der städtebaulichen Anlage des Gesamtensembles um einen großen Innenhof wird deutlich, dass wir der Qualität der nachbarschaftlichen Gemeinschaft einen besonderen Raum und einen herausragenden Stellenwert geben wollen. Daneben haben wir als vitale Drehscheibe und beziehungsstiftenden Kristallisationspunkt des zukünftigen Quartierslebens ein eigenes Gebäude, das Quartiersforum, geplant. Hier stehen auf ca. 180 m² ein barrierefreier Multifunktionsraum mit Küche, eine Lounge mit Kamin, ein Besprechungs- und Seminarraum sowie ein Dachgarten für alle Quartiersbewohner zur Verfügung. Im Quartiersforum können Aktivitäten und Veranstaltungen unterschiedlichster Natur stattfinden: ob gemeinsames Kochen, kreative Aktivitäten, interkulturelle Feste, Geburtstage, Wohnzimmerkonzerte, Mutter-Kind-Gruppen oder Poetry Slams – vieles ist hier denkbar. Daneben werden ein größerer Kinderspielraum, eine Fahrrad- und eine Bastelwerkstatt Orte für Begegnung und vielfältige Aktivitäten bieten. Die Gemeinschaftsräume, die auch zu mieten sind, sollen darüber hinaus das Tor zur erweiterten Quartiers- und Stadtteilnachbarschaft auf FRANKLIN werden.
Es werden auch Möglichkeiten zur digitalen Vernetzung angeboten. Wie funktionieren sie?
Wir wollen die Etablierung eines tragfähigen Nachbarschaftsnetzwerks im FRANKLIN VILLAGE durch modellhafte technische Lösungen fördern und unterstützen. Die Quartiers-App spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie beinhaltet eine Pinnwand (Newsfunktion), ein Service-Center (Ticketing), eine Dokumentenablage, Info-Artikel sowie Community-Funktionen wie einen Leih- und Marktplatz. So können sich Einzelbewohner und Gruppen vernetzen, und es gibt eine Art digitales Schwarzes Brett. Ob Veranstaltungshinweise, Unterstützungsanfragen oder Vermieterinformationen – verschiedenste Themen werden hier ihren Raum finden. Organisatorische Themen wie die Raumbuchung und -anmietung von Gemeinschaftsräumen und Gästeappartements oder die zentrale Paketbox werden ebenfalls mit der App organisiert. Darüber hinaus lassen sich in der Quartiers-App diverse Aspekte des Facility Managements bündeln, wie z. B. ein Meldesystem für technische Probleme und Mängel oder die Kommunikation mit den Mietern.
Das Projekt wird in Holzbauweise realisiert. Welche Konstruktion ist vorgesehen?
Die vier Wohngebäude mit den frei auskragenden Laubengängen und freistehenden Aufzugseinhausungen, das Gemeinschaftshaus sowie die Aufstockung des Bestandsgebäudes sind in Holztafelbauweise konstruiert. Die Konstruktion aus Holz übernimmt den gesamten Lastabtrag der jeweiligen Gebäude in horizontaler sowie vertikaler Richtung. Die Außenwände und Teile der Innenwände in Holztafelbauweise übernehmen eine tragende und aussteifende Funktion. Als Geschossdecken kommen im FRANKLIN VILLAGE Holz-Betonverbunddecken zum Einsatz. Die Fassadenbekleidungen in unserem Projekt bestehen aus reinen Holzverschalungen, die mit einer Vorvergrauungslasur versehen werden. Die Holzbauelemente werden dabei inklusive Fenstereinbau weitestgehend im Werk unseres Holzbaupartners oa.sys in Vorarlberg vorgefertigt. FRANKLIN VILLAGE ist gegenwärtig eines der größten Holzbauvorhaben in Baden-Württemberg und für das Thema „Holzbauweise im Geschosswohnungsbau“ ein Leuchtturmprojekt. Rund 750 t CO² werden in der verbauten Holzmenge gebunden sein. Im Sinne einer dringend notwendigen „Bauwende“ kann von allen Bauweisen nur der Holzbau einen wirklich relevanten Beitrag zum aktiven Klimaschutz und zur dauerhaften CO²-Reduktion leisten. Wir freuen uns in diesem Kontext, dass unser Projekt FRANKLIN VILLAGE wegen seiner Innovationen im konstruktiven Holzbau gemeinsam durch den europäischen Förderfonds EFRE und das Ministerium für den Ländlichen Raum des Landes Baden-Württemberg gefördert wird.
Sie haben die Aufstockung des Bestandsgebäudes im Wohnquartier angesprochen. Wie ist diese gestaltet?
Der neue Stadtteil FRANKLIN entsteht auf einer Fläche von ca. 88 ha, die bis 2013 eines der größten Wohngebiete der US-Streitkräfte war. In diesem Kontext ist unser Bestandsgebäude ein ehemaliges Wohngebäude mit großzügigen 3- und 4-Zimmer-Wohnungen und guter Substanz. Das dreigeschossige Gebäude wird durch uns in einer „leichten Holzbauweise“ zweigeschossig aufgestockt.Die Wandtafeln und Decken aus Holz werden dazu seriell hergestellt. Durch das vergleichsweise niedrige Gewicht der Konstruktion ist es nicht erforderlich, die Bestandsgründung und das -tragwerk aus Mauerwerk zu verstärken. Gleichzeitig kann die Montage vor Ort in kürzester Zeit erfolgen. Fenster und Dächer sind dabei Teil des seriellen Holzbaus und werden einbaufertig und baudicht an die Baustelle geliefert. Die Aufstockung wird Wohnungen mit Loftcharakter und großzügigen Dachterrassen bieten und einen optisch ansprechenden Hochpunkt im Quartier bilden.
Wie ist der aktuelle Stand beim Projekt und wann werden die ersten Mieter einziehen?
Gegenwärtig (Februar 2021) werden die Rohbaumaßnahmen ausgeführt und parallel werden die Holzbauelemente bei unserem Holzbaupartner oa.sys in der Vorfertigung bearbeitet. Wir planen, dass im Sommer 2022 die ersten Mieter im FRANKLIN VILLAGE wohnen und wir mit allen neuen Bewohnerinnen und Bewohnern ein großes Eröffnungsfest werden feiern können.
Das Gespräch führte Julia Ciriacy-Wantrup.