Spielplatzgestaltung: Ninja Warrior in Berlin-Schöneberg

Spielplatzgestaltung: Ninja Warrior in Berlin-Schöneberg

Titelthema

Spielplatzgestaltung: Ninja Warrior in Berlin-Schöneberg

Text: Christian Loderer | Foto (Header): © Christo Libuda, LICHTSCHWÄRMER BERLIN

Im Berliner Bezirk Schöneberg, in unmittelbarer Nähe zur Kurfürstenstraße, wurde im Dezember 2019 der Spielplatz „Else“ nach einer grundlegenden Umgestaltung feierlich eingeweiht. Er ist ein wichtiger Baustein im rasanten Wandel von Berlins berüchtigtem Rotlichtbezirk hin zum begehrten Wohnviertel und den damit einhergehenden Interessenskonflikten. Kindern und Jugendlichen soll er zukünftig einen festen und sicheren Platz im Quartier geben. Ein sensibles Vorgehen im Projektverlauf und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit war in diesem Spannungsfeld besonders wichtig. Er sollte durch seine Gestaltung und die Spielangebote die Vielfältigkeit und Buntheit des Ortes unterstreichen.

Auszug aus:

Durch die Neugestaltung sollte kein klassischer Spielplatz entstehen, sondern ein Ort, der Menschen aus unterschiedlichen Generationen und Nationen zum Spielen, Treffen und Kommunizieren einlädt. Er verbindet dazu einen künstlerischen Ansatz mit einem sportlichen Trend: Rote elliptische Formen bilden als durchgängiges Motiv einen eigeständigen und markanten Ort, der sich selbstbewusst in einer Baulücke behauptet. Die Spielellipsen schaffen vielfältige Aktionsangebote, die eine besondere sportliche Herausforderung darstellen. Vorbild waren die aus dem Fernsehen bekannten und beliebten Parcours-Shows wie Ninja Warrior. Dort treten Kandidaten mit Kraft, Ausdauer, körperlicher und mentaler Stärke im sportlichen Wettkampf gegeneinander an.

Bezirk im Wandel

Die Kurfürstenstraße erstreckt sich vom Park am Gleisdreieck bis zum Zoologischen Garten quer durch die westliche City. Straßenprostitution, sanierungsbedürftige Altbauten und Bausünden aus der Nachkriegszeit in einem eigentlich nur kurzen Abschnitt zwischen Potsdamer Straße und Zwölf-Apostel-Kirche prägten lange Zeit den schlechten Ruf der Straße.

Doch der „Kurfürstenkiez“ wurde als Wohngegend zunehmend beliebter. Heute steht er für Vielfalt und Toleranz. Durch vielfältige Beratungsangebote, Befragungen, Anwohnersprechstunden oder den „Runden Tisch Sexarbeit“ bemüht sich der Bezirk um das harmonische Nebeneinander von Straßenstrich, nahe gelegenem Homo-Kiez und bürgerlichem Wohnviertel. Das Quartier entwickelte sich zunehmend zum Trendviertel und zog damit vermehrt Investoren an. In dem ehemals berüchtigten Straßenabschnitt entstanden in den letzten Jahren gleich drei große Wohnungsprojekte. Im Projekt „CoHousing Berlin“ entstehen nach Plänen der Architekten Johanna Meyer-Grohbrügge und Sam Chermayeff 20 Miet-Wohneinheiten. Das Projekt „SCHOENEGARTEN“ entwickelt nach Plänen des Architekten Sergei Tchoban  in ganzes Karree aus 14 Häusern, die sich um einen parkähnlichen Innenhof gruppieren. Zusammen mit dem „Carré Voltaire“ entstand rund um die Apostel-Paulus-Kirche ein völlig neues städtisches Gefüge.

Entwurfsplan
Plan: PLANCONTEXT GMBH

Durch die angrenzenden Neubauprojekte bot sich die Chance, den Spielplatz dauerhaft im Bestand zu sichern und neu zu gestalten.
Foto: Christo Libuda, LICHTSCHWÄRMER BERLIN

Ausgangslage

Der Bezirk Schöneberg unternimmt erhebliche Anstrengungen, um einerseits eine Aufwertung des Quartiers zu erreichen, andererseits aber Interessenskonflikte und eine Verdrängung der alteingesessenen Anwohner zu vermeiden.

Durch die Neubauprojekte entstand überhaupt erst die Chance, den Spielplatz für Kinder und Jugendliche dauerhaft im Bestand zu sichern und neu zu gestalten. Der Spielplatz befand sich auf einem privaten Grundstück der ehemaligen polnischen Botschaft und war vom Bezirk nur angemietet. Durch das Neubauvorhaben „Carré Voltaire“ unmittelbar neben dem Platz konnte 2016 der bislang dem Grundstück zugehörige Spielplatz in Bezirkseigentum übergehen. Dazu wurde mit dem Investor eine entsprechende Vereinbarung getroffen.

Dem Bezirk gelang es anschließend, für das Bauvorhaben Fördermittel aus dem Investitionspakt „Soziale Integration im Quartier“ des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zu erhalten. Insgesamt belaufen sich die Projektkosten auf 691.045,21 Euro brutto, davon wurden 591.891,86 Euro über das Investitionspaket bereitgestellt. Für den Rest wurden andere Förderungen in Anspruch genommen. Auftraggeber war das Straßen- und Grünflächenamt Tempelhof-Schöneberg, das sich zukünftig auch um den Unterhalt und die Pflege der Anlage kümmern wird.

Gestalterischer Ansatz: Else Lasker-Schüler

Der Spielplatz wurde ursprünglich 1985 angelegt und war inzwischen in Bezug auf Ausstattung und Gestaltung stark sanierungsbedürftig. In den vorangegangenen Jahren hatte er durch Presseberichte eine traurige Berühmtheit erlangt, da er sich als Rückzugsort für die Ausübung der Straßenprostitution und des Drogenkonsums etabliert hatte. Von einem „Sex-Spielplatz“ war die Rede.

Der Spielplatz liegt an der Else-Lasker-Schüler-Straße, die die Kurfürstenstraße mit dem Nollendorfplatz verbindet. Sie ist nach der avantgardistischen, deutsch-jüdischen Dichterin und Zeichnerin (1869 – 1945) benannt, die einige Jahre unweit des Geländes wohnte. Diese wurde für ihren Ideenreichtum und ihre Andersartigkeit verehrt, aber auch verspottet und schließlich in der Nazizeit vertrieben. Damit ist Else Lasker-Schüler eine ideale Repräsentantin und gleichzeitig Mahnerin für den Erhalt der Weltoffenheit und Toleranz des Kiezes.

Ihre Erzählungen spielen meist in Traumwelten. Inspiriert von ihren Gedichten ist eine moderne, aber weitgehend abstrakte Fantasiewelt entstanden. Sie soll die Kreativität des Einzelnen herausfordern. Am ellipsenförmigen roten Eingangstor empfängt die Besucher das Zitat: „Ich habe zu Hause ein blaues Klavier – und kenne doch keine Note“, welches aus einem ihrer bekanntesten Gedichte „Mein Blaues Klavier“ stammt. Das „Klavier“ finden die Besucher im hinteren Bereich des Spielplatzes wieder – als surrealistisch wirkende Sitzskulptur aus Beton. Eine kleine Tafel am Eingang mit einem kurzen Abriss ihres Lebens soll das Andenken an Else Lasker-Schüler wachhalten.

Das ellipsenförmige rote Eingangstor empfängt die Besucher mit einem Zitat von Else Lasker-Schüler.
Foto: Christo Libuda, LICHTSCHWÄRMER BERLIN

Das Hauptspielgerät setzte sich aus zwei Plattformen zusammen, die durch eine Tampenbrücke miteinander verbunden sind.
Foto: Christo Libuda, LICHTSCHWÄRMER BERLIN

Spielerischer Ansatz: Ninja Warrior

Der Planungsauftrag zur Neugestaltung wurde über ein Interessenbekundungsverfahren vergeben. Zu Beginn des Verfahrens hat sich das Bezirksamt dazu entschlossen, einen schon existierenden, aber nie realisierten Vorentwurf eines „klassischen“ Spielplatzes nicht weiterzuverfolgen, sondern hatte den Mut, an diesem besonderen Standort einen innovativen, unkonventionellen Ansatz zuzulassen.

Bei der Umgestaltung wurde die Öffentlichkeit intensiv einbezogen. Eine Informationsveranstaltung im nahe gelegenen Gemeindezentrum bot allen Anwohnern erste Einblicke in die Planung. Die überwiegend älteren Veranstaltungsbesucher konnten der Neugestaltung viel Positives abgewinnen, befürchteten aber, dass sich der Straßenstrich trotz Neugestaltung des Spielplatzes dort wieder etablieren würde. Ihnen wurde zugesichert, dass ein rund 2,5 m hoher Zaun zur Straße und ein Schließdienst auch zukünftig erhalten bleibe. Durch den unmittelbar angrenzenden Neubau entstehe zudem eine stärkere soziale Kontrolle als auf der bisherigen Brache.

Bei einem weiteren Termin mit Vertretern des Kinder- und Jugendparlaments wurden die konkreten Spielinhalte in Varianten zur Diskussion gestellt. Nur zwei Jugendliche nahmen teil, mit ihnen wurden aber inhaltliche Planungsalternativen und Ausstattungen sehr konstruktiv diskutiert. Ihre Ortskenntnisse und Einschätzungen zu Defiziten in der Umgebung waren wertvolle Hinweise bei der Gestaltung. Die Idee eines Bewegungsparcours nach dem Vorbild von „Ninja Warrior“ traf sofort auf Begeisterung. Gewünscht wurden unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und die Möglichkeit zum „Ganzkörpereinsatz“. Wichtig waren auch größere sportliche Herausforderungen – das Angebot auf den meisten Spielplätzen würde gerade Jugendliche oft unterfordern.

Der ruhigere Bereich für Kleinkinder befindet sich in der Nähe der an den Spielplatz angrenzenden Kindertagesstätte.
Foto: Christo Libuda, LICHTSCHWÄRMER BERLIN

Gestaltung

Das Gelände ist rund 1.640 m² groß und bietet Spiel- und Aufenthaltsangebote für alle Altersgruppen. Die Fläche ist nun von der Straße gut einsehbar, weil Sträucher und die Berankungen am neuen Bolzplatz entfernt wurden. Unnötige Einzäunungen und Aufkantungen der Pflanzflächen wurden entfernt, um eine großzügige Wirkung der Anlage zu erzielen.

Der Großteil der Ausstattung wurde speziell entwickelt. Blickfang ist das große „futuristische“ Hauptspielgerät, welches sich aus zwei elliptischen Plattformen zusammensetzt. Eine fordert in Form einer schiefen Ebene den Gleichgewichtssinn heraus. Eine weitere Ellipse bildet eine Spielebene aus gekreuzt montierten Holzbohlen, auf denen in luftiger Höhe balanciert werden kann. Unterhalb der Ellipsen sind unterschiedliche Elemente wie Seile, Tampen, Netze, Kletterstangen, Hangelringe und Sprossenleitern befestigt, die einen spannenden Hindernisparcours ergeben und den Wechsel zwischen der oberen und unteren Spielebene ermöglichen. Die schiefe Ebene und Seilellipse sind durch eine sehr hohe Tampenbrücke miteinander verbunden, welche eine besondere Herausforderung darstellt und den Wechsel zwischen beiden Plattformen zulässt.

Beide Geräte bieten sportliche Angebote für Calisthenics bzw. Freestyle. Hangeln, Klettern, Erklimmen, Kräftemessen, Rutschen, Baumeln und andere Spielabläufe werden hier kombiniert. Entsprechend viele Kinder und Jugendliche können das Gerät gleichzeitig nutzen – für sich alleine oder im Miteinander. Verschiedene weitere Auf- und Abstiegsmöglichkeiten wie Rutschen und Kletterstangen bieten unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, sodass jedes Kind das Gerät nach seinen individuellen Fähigkeiten nutzen kann.

Nördlich angrenzend an das Gelände des Spielplatzes befindet sich eine Kindertagesstätte mit direktem Zugang zum Platz. Der Spielbereich für Kleinkinder wurde deshalb in diesem hinteren und ruhigeren Bereich der Fläche angelegt. Eine wellige, elliptische Einfassung bildet eine Sitzkante und lädt zum Balancieren ein. Sie schafft einen geschützten Sandspielbereich für die Kleinsten. Ein Spielhaus mit Rutschenpodest erweitert dieses Angebot. Die Spielangebote werden durch eine Nestschaukel, Federwipper, Tischtennisplatten sowie große aufrecht stehende Ellipsen mit verschiedenen Funktionen ergänzt.

Und wer sich zwischendurch ausruhen möchte, für den gibt es Sitzgelegenheiten am umlaufenden Weg. Sitzpodeste um Bestandsbäume und eine „Sitzellipse“ schaffen Treffpunkte für alle.

Der Autor


Christian Loderer
Christian Loderer gründete zusammen mit Uwe Brzezek im Jahr 2000 das Büro plancontext gmbh landschaftsarchitektur in Berlin.

Das Büro ist bundesweit tätig und hat sich auf die Gestaltung anspruchsvoller öffentlicher Freianlagen, Spielplätze und Planungen im Zusammenhang mit Gartenschauen spezialisiert.

www.plancontext.de

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