Energie, Technik & Baustoffe
Planungstool für automatisierte BIM-Machbarkeitsstudien: Digitales und nachhaltiges Planen
Text: Caroline Sturm | Foto (Header): © WRIGHTSTUDIO – stock.adobe.com
Die Entwicklung eines Bauprojekts und seine weitere architektonische Erarbeitung verlassen sich noch größtenteils auf die Erfahrungen und Fähigkeiten des Menschen. Durch CAD- und BIM-Systeme kann jedoch in den fortgeschrittenen Entwicklungsphasen bereits ein Vorsprung zum händischen Trial-and-Error-Verfahren erlangt werden – wie z. B. durch das Programm SOCRATES, ein innovatives und multifunktionales Planungstool zur Entwicklung von mehrgeschossigem Wohnraum.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 2.2023
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Die Architektur- und Baubranche steht mehr denn je auf dem Prüfstand. Trotz der Komplexität in der Branche und dem vorherrschenden Argument „das haben wir schon immer so gemacht“, stellen sich sog. PropTechs (Property Technology) als digitale Start-ups entschieden den Herausforderungen. Das Umdenken in der Branche wird durch sie ins Rollen gebracht, eine lange und beschwerliche Reise steht uns trotzdem noch bevor. Deshalb zählen für PropTechs einmal mehr der Glaube an die Innovation, die Aufgeschlossenheit und daran, den berühmten langen Atem zu bewahren – um Visionen in die Realität umzusetzen. Die gute Nachricht ist, dass es sie gibt, diese geförderten Projekte, die es tatsächlich nach mehreren Jahren Beharrlichkeit schaffen, Innovation an den Markt zu bringen.
Eines dieser Projekte ist das Programm SOCRATES (Sophisticated Creation Of Architectural Templates) der REHUB FORGE. Im Rahmen von „Zukunft Bau“ wurde es 2018 vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert. Zu den damaligen Partnern gehörten „DIPLAN – Gesellschaft für Digitales Planen und Bauen“ unter der Leitung von Caroline Sturm sowie „Decoding Spaces GbR” unter der Leitung von Prof. Dr. Reinhard König.
Intuitives Entwerfen und Analysieren
SOCRATES ist ein intuitives Programm, das mit wenigen Klicks verschiedene 3D-Modelle von mehrgeschossigen Wohngebäuden für ein Grundstück erzeugen kann. Dabei entsteht nicht nur ein 3D-Modell, sondern es werden gleich mehrere Designvorschläge gleichzeitig generiert. Im Gegensatz zu früheren Planspielen – manche kennen noch SIMS – ist es mit echten Grundstücksdaten und deutschen Bauordnungen angereichert, welche in die Berechnung der 3D-Modelle mit einfließen. Davon ausgenommen sind Angaben aus individuellen Bebauungsplänen. Gedacht ist das Programm für Projektentwickler und Architekten, die ihre Arbeit in der frühen Planungsphase extrem verkürzen können. Neben verschiedenen Designvorschlägen, die automatisiert ausgegeben werden, kann der Nutzer auch manuell Anpassungen vornehmen und in weitere Detailtiefen gehen. Zum Beispiel werden Erschließungswege, Wohnungsgrundrisse und auch Werte zu potenziellen Energiebedarfen berücksichtigt. Im Prinzip alles, was heutzutage in eine Machbarkeitsstudie gehört. Die Ergebnisse lassen sich in BIM-fähigen CAD-Formaten sowie als Excel und PDF exportieren. Auf einen Schlag sind dementsprechend auch die Unterlagen für alle weiteren Projektbeteiligten, wie beispielsweise die Finanzierungsabteilung, das Marketing oder die weiterführende Planung, erstellt. Der zeitliche Aufwand für Machbarkeitsstudien in dieser Detailtiefe beträgt plötzlich nur noch einen Zeitraum zwischen Minuten und Stunden. Das Programm hilft auch den Architekten selbst, indem man es für die eigene Automatisierung nutzt. Entweder um verschiedene Varianten auszuprobieren, oder um seine eigenen Entwürfe auf den Prüfstand zu stellen, ob Grundstücke maximal ausgenutzt werden. Letzterer Aspekt ist auch aus Sicht von Bauämter sehr spannend. Da SOCRATES so aufgebaut ist, dass es Grundstücke maximal ausnutzen, also Wohnraumfläche maximieren, will, kann aus Sicht des Bauamtes schnell bewertet werden, ob ein (3D-)Entwurf den gewünschten Vorgaben entspricht und wie er sich im Vergleich zu anderen Designvorschlägen verhält. Auch wenn das Projekt inzwischen in die Hände der REHUB FORGE GmbH gegeben wurde und schon lange nicht mehr gefördert wird, so war es essenziell, diese frühe Förderung zu bekommen. Nach dem damaligen technologischen Stand der Technik wurde der Weg für die digitalen Methoden des automatisierten und parametrisierten Entwerfens „Made in Germany“ geebnet. Parametrisch bedeutet, dass innerhalb von vorgegebenen Regeln passende Ergebnisse zusammengesetzt werden. Diese können z. B. auf Informationen der Landesbauordnungen, Musterbauordnungen oder weiteren Vorschriften der Baunormen Deutschlands basieren. Dass es einige Jahre dauern würde, um die Daten aufzubereiten und in einem Algorithmus zu vereinen, war abzusehen. Zudem sollten die Entwürfe nicht nur Regelkonformität beweisen, sondern auch ein ansprechendes Design haben, welches sich bestmöglich in die Umgebung einfügt.
Das Programm bildet Komplexität auf verschiedenen Ebenen ab und reduziert diese so weit, dass sie sich einfach bedienen lässt. Was bedeutet das konkret? Wohngebäude bestehen aus zahlreichen Elementen, welche in komplexen Abhängigkeiten zueinander stehen. Die Änderung eines Elements kann sich gleich auf viele andere Elemente auswirken. Digitale, generative Modelle können in diesem Kontext Architekten unterstützen, effizient Entwurfsvarianten zu erstellen und zu analysieren.
Ein Beispiel: Die Grundlage für das vorgestellte Generierungssystem bilden gängige Wohnungsbautypologien (z. B. Blockrand, Solitär, Spänner, Laubengang) und typische Planungsschritte (z. B. das Erzeugen von Rücksprüngen, das Unterteilen von Baukörpern oder das Einfügen zusätzlicher Gebäuderiegel im Innenhof). Diese der Praxis entlehnte Methodik folgt einem hierarchischen Ansatz, bei dem zuerst die Gebäudevolumen basierend auf der zulässigen GFZ und GRZ erzeugt werden (Abbildung 1).
Anschließend werden für ausgewählte Varianten Erschließungssysteme mit zugehörigen Wohnungsverteilungen erzeugt. Dafür werden die Geschosse der erzeugten Kubaturen in Segmente unterteilt und mit vertikalen Erschließungen versehen. Die Aufteilung erfolgt basierend auf den im Wohnungsbau typischen Erschließungstypologien: Spänner, Flur und Laubengang. Ein zentraler Parameter ist dabei der Wohnungsmix, sprich: wie viele Wohnungen in welchen Größen gefordert sind. Abbildung 2 zeigt exemplarisch Varianten für die Spänner-Typologie einer Gebäudeform.
Im letzten Schritt werden für jede Wohnung entsprechende Grundrisse generiert. Unter Verwendung eines Optimierungsverfahren werden die Zimmer so angeordnet, dass sie den Anforderungen an Raumgrößen, -beziehungen und natürlicher Belichtung entsprechen. Auf Basis einer Grundrissbibliothek wurden mittels einer auf maschinellem Lernen basierenden Methode neue Grundrisse erstellt, welche den bereits bekannten Lösungskandidaten aus der Grundrissbibliothek ähneln (Abbildung 3).
Ohne Nachhaltigkeit keine Zukunft
Es gibt mehrere Gründe, warum Bauträger und Architekten energieeffiziente Gebäude planen müssen. Der Wichtigste ist, dass energieeffiziente Gebäude dazu beitragen, den Energieverbrauch zu senken, Kosten zu sparen und Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Der brisanteste ist, dass es inzwischen ein Thema der Finanzierung geworden ist, Nachhaltigkeit unter Beweis zu stellen. Nur wie wird dieser Beweis erbracht? Bei der Umsetzung hat sich noch kein Goldstandard etabliert. Sehr häufig werden Bauprojekte reaktiv bewertet, d. h., eine Planung ist bereits vorhanden, und es werden Energiebedarfsanalysen gerechnet. Wir haben uns das Ziel gesetzt, bereits vor der finalen Planung dazu beizutragen, informierte Entscheidungen treffen zu können, und liefern proaktiv Energiedaten, die sich aus den generierten Entwürfen ergeben. Somit lassen sich verschiedene Designs auch hinsichtlich zukünftigem Energieverbrauch sowie im Potenzial erneuerbarer Energien qualitativ vergleichen, bevor die Entscheidung auf eine bestimmte Variante gefallen ist. Die Nutzung natürlicher Ressourcen wie Solarenergie kann dadurch maximiert und die Energieverschwendung minimiert werden.
Doch hier ist noch lange nicht Schluss. Stück für Stück integrieren wir Funktionen, die uns erlauben, entlang der Wertschöpfungskette einer Immobilie relevante Informationen zu bekommen: Welchen CO2-Fußabdruck hat das Gebäude, wenn ein bestimmtes Material verwendet wird? Wenn das Gebäude betrieben wird? Wie sieht der Materialpass meines Gebäudes aus und wie ist die Recyclierbarkeit?
Ziel des ehemaligen Forschungsprojekts war es, Planung zu automatisieren. Das haben wir geschafft. Die SOCRATES-Vision geht weit darüber hinaus. Eine automatisierte Planung bedeutet, Fachkräftemangel entgegenzuwirken, Zeit einzusparen, diverse Optionen vergleichen zu können und fundierte Entscheidungen zu treffen. Dank der Integration von Energieanalysen minimieren wir die Kosten in diesem Bereich und bieten einen zusätzlichen Mehrwert, da Nachhaltigkeit zum Selbstverständnis der Baubranche werden muss.
Es reicht aber nicht aus, Prozesse zu digitalisieren, sie müssen auch gut nutzbar und für alle Nutzer erreichbar gemacht werden. Deshalb arbeiten wir an einer „Do-It-Yourself“-Lösung, die im Browser und auch in der Microsoft Teams-Umgebung nahtlos integrierbar ist. Eine App in MS Teams hat viele Vorteile. Sie lässt sich beispielsweise zentral im Unternehmen ausrollen, es wird kein Online-Portal mit Login-Prozess benötigt, und Ergebnisse können direkt mit den Kollegen ausgetauscht werden. Die 3D-Modelle sind BIM-ready und lassen sich nahtlos von digitalen Architekten weiterverarbeiten. Somit brechen wir Informations- und Know-how-Silos auf und erleichtern die digitale Transformation der deutschen Planungs- und Bauwirtschaft.
Die Autorin
Caroline Sturm
Die REHUB FORGE GmbH wurde im April 2022 gegründet und befasst sich mit der Entwicklung von parametrischen Softwarewerkzeugen und Analysen für die digitale Planung. Caroline Sturm, MA Economics & Communication, ist Co-Geschäftsführerin der REHUB FORGE GmbH und verantwortet das Projekt SOCRATES seit 2017. Um die Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Baubranche voranzutreiben, ist sie zudem seit Gründung des PropTech Powerhouse e. V. 2021 ehrenamtlich im Vorstand engagiert.
www.rehub-forge.team