Energie, Technik & Baustoffe
Aufstockung und Sanierung: Eins draufgesetzt in Wiesbaden
Text: Jan Spork & Christoph Grabowski | Foto (Header): © JEAN-LUC VALENTIN
Eine architektonisch eigenständige Aufstockung eines Geschosswohnungsbaus aus den 1950-Jahren lässt in der Innenstadt von Wiesbaden sechs zusätzliche Wohnungen entstehen. Die Ausführung als einfache, vorgefertigte Holzrahmenkonstruktion auf einer Brettstapeldecke ist effizient und nachhaltig.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 1.2022
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Inhalte des Beitrags
Wie in vielen anderen Ballungszentren, herrscht auch in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden ein wachsender Mangel an – vor allem bezahlbarem – Wohnraum. Bestehende Wohngebäude aufzustocken und so vertikal zu verdichten ist eine effiziente und nachhaltige Möglichkeit, in Städten neuen Wohnraum zu schaffen. Im Zuge von Sanierungs- und Nachverdichtungsmaßnahmen der GWW Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaft mbH in verschiedenen Wiesbadener Siedlungsstrukturen der Nachkriegsjahre wurde auch der Geschosswohnungsbau an der Niederwaldstraße 46 bis 48 im Rheingauviertel saniert und um ein eigenständiges Geschoss in Holzbauweise aufgestockt.
Aufgrund der zentralen Lage und der fußläufigen Anbindung an die Wiesbadener Innenstadt sind die Wohnungen in äußeren Innenstadtlagen beliebt. Der urbane Standort bietet außerdem eine sehr gute Anbindung an den ÖPNV. Mehrere Nahversorger, Cafés und Restaurants, Arztpraxen und weitere Dienstleistungen liegen in dem gewachsenen Umfeld. Die beiden Wohnbauten liegen außerdem an einem Szene-Viertel und sind auch wegen der vergleichsweise geringen und stabilen Mieten gefragt. Bestehende Gebäude aufzustocken, um neuen Wohnraum zu schaffen, ist zum einen ökologisch sinnvoll, da keine zusätzlichen Flächen versiegelt werden müssen. Für die Bauherrin GWW war die Entscheidung zur Sanierung und Aufstockung aber auch eine wirtschaftliche, denn die sechs neuen Mietwohnungen auf dem Dach sorgten dafür, dass die Gesamtsanierungsmaßnahme in einem ausgewogenen Kostenrahmen blieb. Die Verwendung von regional nachwachsenden Rohstoffen ebenso wie der Umstand, dass bei der Vergabe lokale Unternehmen gewonnen werden konnten, trugen dazu bei, die regionale Wirtschaftskraft zu stärken und Arbeitsplätze in der Region zu sichern.
Die Wohnhäuser sind Bestandteil einer Wohnanlage aus dem Jahr 1952, die in typischer Zeilenwohnbebauung nach den Prinzipien der aufgelockerten und gegliederten Stadt errichtet wurden. Die Wohnanlage besteht aus insgesamt acht parallel stehenden Geschosswohnungsbauten und entstand auf einer Brachfläche, die den heutigen Übergang vom historisch gewachsenen gründerzeitlichen Kerngebiet Wiesbadens zu den anschließenden Stadterweiterungsgebieten markiert. Die beiden Kopfbauten der Siedlung stehen auf einem dreieckigen Grundstück, dass sich zwischen der Niederwaldstraße und dem Konrad-Adenauer-Ring aufspannt. Die beiden Häuser orientieren sich, weithin sichtbar, zum Karlsplatz, einem viel befahrenen Kreuzungspunkt. Zwischen den Bauten liegt jeweils ein für die Typologie typischer begrünter Zwischenraum mit Rasenfläche und Bewuchs. Auch zum Karlsplatz sind die Häuser mittlerweile von einem hochgewachsenen Baumbestand umgeben, der im Sommer für einen dichten Sichtschutz bis in die oberen Geschosse sorgt.
Die bestehenden räumlichen Strukturen des Bestands blieben bei der Maßnahme bis auf die Treppenhäuser weitestgehend unverändert. Die nachträgliche Integration der Aufzugsanlage war jedoch eine wesentliche Voraussetzung, die beiden Gebäude unter Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen aufzustocken. Dafür wurden die bestehenden Treppenhäuser abgebrochen und durch eine neue Treppenanlage mit einläufiger Treppe und neuem Fahrstuhl ersetzt. So werden alle Wohnungen bis ins Dachgeschoss barrierefrei erschlossen. Die ebenfalls neu gestalteten Eingangsbereiche bilden klare Adressen im Stadtraum und bieten dank eines großen Vordachs einen guten Wetterschutz.
Die neue thermische Hülle des Bestands spart Energiekosten und senkt so den CO²-Fußabdruck. Alle Mietwohnungen wurden auf einen technisch zeitgemäßen Stand gebracht. Eine dezentrale mechanische Belüftung mit Wärmerückgewinnung sorgt nun für geregelten Luftmassenaustauch und erhöhten Schallschutz zur viel befahrenen Straße. Als Schallschutzmaßnahmen wurden die vorhandenen Balkone mit vollverglasten Faltschiebeelementen versehen. Außerdem wurden die Bäder und die konventionelle Haustechnik komplett erneuert.
Die Aufstockungen setzen sich durch die Verkleidung mit farbig beschichteten Metallschindeln deutlich vom Bestand ab. Zusammen mit den diagonal angeschnittenen Seiten- und Dachflächen wirken sie wie aufgesetzte Guckkästen. Die Dachwohnungen sind großzügig und offen geschnitten. Jeweils drei Wohngrundrisse entwickeln sich um die mittig eingeschnittenen Erschließungen. Jede Wohnung verfügt über eine Dachterrasse.
Holz als Konstruktionswerkstoff
Für die Aufstockung wurde der flach geneigte Dachstuhl abgetragen und das Haus um ein Vollgeschoss in Holz-Rahmenbauweise ergänzt. Durch die Verwendung von Holz als leichtem Baustoff musste die Statik des Hauses nicht zusätzlich ertüchtigt werden. Das Volumen der Aufstockungen wurde mit einer Brettstapeldecke auf die Dachgeschossdecke aufgesetzt. Die Zwischenräume wurden mit Mineralwolle ausgedämmt und die Deckenkonstruktion oberseitig mit einer OSB-Plattenlage ausgesteift und abgeschlossen. Über einer 8 cm starken ungebundenen Schüttung bilden 10 mm Trittschalldämmung aus Mineralwolle und zwei Lagen Gipsfaserplatte (Trockenestrich) den Abschluss des Fußbodenaufbaus. Die hinterlüfteten Außenwände sind als Holz-Rahmenbaukonstruktion vorgefertigt. Die Außenflächen sind entweder verputzt oder mit beschichteten Zinkblechschindeln als Außenhaut versehen. Auf den Längsseiten kragen die Balkone über den Bestand aus. So wird die Eigenständigkeit der Aufstockungen betont und zusätzlich Fläche geschaffen. Die Seitenwände und die Dachuntersicht sind diagonal angeschnitten und laufen zu den Enden schmal aus. Dadurch wird die Terrasse dreiseitig eingefasst, und die Aufstockungen wirken wie aufgesetzte Guckkästen, die sich deutlich vom Bestand abheben und den Häusern eine außergewöhnliche Ansicht verleihen.
Projektdetails
BGF Aufstockung 521 m² |
Primärenergiebedarf 51,9 kWh/m² |
BGF Bestand 3.087 m² |
Spez. Transmissionswärmeverlust 0,27 W/(m² K) |
Anzahl der Wohnungen 42 |
Endenergiebedarf 45,4 kWh/(m² a) |
Wohnfläche insgesamt 2.563 m² |
Energieversorgung Erdgas |
Baukosten brutto (KG 300 + KG 400) 5.360.000 € |
Fertigstellung 2019 |
Nettokaltmiete/m² Durchschnitt 9,36 € |
Bauherr GWW Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaft mbH |
Bauweise Bestand: Massiv (neue Treppe/Aufzug) Aufstockung: Holz-Rahmenbauweise |
Fotos Jean-Luc Valentin |
Die Autoren
Jan Spork & Christoph Grabowski
grabowski.spork architektur wurde 2005 von den Architekten Christoph Grabowski und Jan Spork (links im Bild) gegründet. Mit einem 20-köpfigen Team bearbeitet das Büro größere Projekte aus den Bereichen Büro, Wohnen und Bildung sowie Sonderaufgaben im Hochbau. Außerdem nimmt das Büro erfolgreich an Wettbewerben teil. Seit jeher setzen sich die Architekten intensiv mit dem Thema der Nachverdichtung im Geschosswohnungsbau auseinander. Aus der intensiven Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Wohnungsbauträgern wurde bereits eine Vielzahl von Sanierungs- und Aufstockungsmaßnahmen als urbane Nachverdichtungen und viele Neubauten im Rhein-Main-Gebiet realisiert.
www.gs-architektur.de