Titelthema
Fahrradparkhäuser aus Holz: Symbiose von Materialität und Funktion
Text: Marc Wilhelm Lennartz | Foto (Header): © Michael O´ Ryan
Als Alternative zum Autoverkehr und klimabewusstes Fortbewegungsmittel nimmt das Fahrrad für den Arbeitsweg oder die Freizeitgestaltung einen immer höheren Stellenwert ein. Zwei hölzerne Fahrradparkhäuser in den Städten Eberswalde und Bad Kreuznach dokumentieren den baulichen wie auch den verkehrlichen Wandel unserer Zeit.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2022
Jetzt abonnieren
Diese Ausgabe als Einzelheft bestellen
Die Stadt Eberswalde, ca. 60 km nordöstlich von Berlin in Brandenburg gelegen, profitiert als Kreisstadt des Landkreises Barnim heute vom Zuzug junger Menschen und Familien, die dem Mietpreiswucher und der Dichte der Metropole entgehen wollen. Dazu trägt eine funktionierende Schieneninfrastruktur bei, denn mit der Bahn ist Berlin von Eberswalde aus gut erreichbar. Im Zuge dieser Entwicklung ist die Einwohnerzahl der Mittelstadt mit ihren inzwischen über 40.000 Menschen in den letzten Jahren stetig gewachsen, woraus eine Veränderung im Mobilitätsverhalten resultierte: Die Pendlerströme sind nicht nur signifikant angestiegen, sondern haben sich auch verschoben. Um den Hauptbahnhof herum wurden neben Autos immer mehr Fahrräder abgestellt, gleichwohl in Teilen wild. Daraus leiteten die städtischen Fachplaner einen dauerhaften Bedarf an Zweirad-Parkraum ab, der in dem Bau des Fahrradparkhauses unmittelbar am Bahnhof mündete. Der Wechsel vom Pkw zum Fahrrad bzw. auf die Schiene trägt dem von der Stadt Eberswalde begrüßten Wandel des innerstädtischen Verkehrsverhaltens Rechnung, sodass die Etablierung einer neuen Mobilitätsdrehscheibe am Bahnhof inklusiver der Bike-and-Ride-Parkplätze perfekt ins Konzept passte. Des Weiteren wird Eberswalde, da von der Forstwirtschaft geprägt, auch gerne als „Waldstadt“ bezeichnet. Damit war der nachwachsende Baustoff Holz so gut wie gesetzt.
Tragwerk mit formaler Gestaltungskraft
Der markante Objektbau zeigt mit dem innen wie außen sichtbaren Tragwerk die formale Gestaltungskraft der unmittelbaren Materialität des Holzes. In der Verbindung von Konstruktion und Fassadengestaltung ist es den Leitplan-Architekten gelungen, das Bauwerk mit hohen städtebaulichen Qualitäten in das urbane Bestandsgefüge zu integrieren. Das zweistöckige Fahrradparkhaus verfügt über 604 Stellplätze, die in Teilen mit abschließbaren Fahrradboxen sowie mit Stromanschlüssen für E-Bikes, Lastenräder und solchen mit Anhängern ausgestattet sind. Die Ladeenergie wird an Ort und Stelle mit eigenen Photovoltaikmodulen auf dem großdimensionalen Flachdach erzeugt und direkt genutzt. Das stilbildende, rautenförmige Tragwerk besteht aus witterungsresistentem, unbehandeltem sibirischem Lärchenholz, das an Ort und Stelle natürlich vergrauen darf und keine kostenträchtigen Schutzanstriche benötigt.
Über eine Rampe können die Radfahrer direkt von der Straße in das Parkhaus hineinfahren, die sich in der Längsachse des Gebäudes befindet und selbiges erschließt. Nach dem Abstellen ihrer Räder erreichen die Pendler den nahe gelegenen Bahnhof über eine Treppe an der Westseite. Das durchlaufende Raster der Rautenstützen wird einzig bei den Öffnungen der Ein- und Ausfahrten über hölzerne Sprengwerke aufgelöst. Den Abschluss markieren ringsum gespannte Taubenschutz-Edelstahlnetze. Die Stadt Eberswalde hat mit dem Fahrradparkhaus einen konsequenten Schritt, sowohl städtebaulich als auch verkehrspolitisch, vollzogen. Dort, wo einst die Altindustrie das Leben prägte, prangt jetzt mitten im Zentrum das Holz als Symbol einer neuen Zeit, die auch die Mobilität inkludiert. Die verantwortliche Architektin Nora Zimmermann fasst zusammen: „Wer ernsthaft einen Beitrag zum Klimaschutz leisten will, sollte Fahrrad fahren. Wer auf das Fahrrad umsteigt, sollte eine gute attraktive Unterstellmöglichkeit haben. Dies haben wir am Bahnhofsvorplatz in Eberswalde mit dem Fahrradparkhaus versucht anzubieten. Um die Mobilitätswende voranzutreiben, und die Ziele des Klimaschutzes umzusetzen, sind auch wir als Planer gefragt – deshalb eine nachhaltige Bauweise mit möglichst wenig Beton, viel Holz und Solardach.“
Mobilitätsstation in Bad Kreuznach
In Rheinland-Pfalz wurde ein verkehrsmittelübergreifender Mobilitäts- und Infopunkt errichtet. Die rund 50.000 Einwohner zählende Mittelstadt Bad Kreuznach ist zugleich Dienstsitz der Kreisverwaltung des gleichnamigen Landkreises und wirtschaftliches Zentrum der umliegenden Region mit 150.000 Menschen. Die alltäglichen Pendlerströme verursachen in der Kurstadt an den Ein- und Ausfallstraßen morgens und abends regelmäßig Staus. Um diesem Zustand eine Alternative durch Wandel gegenüberzustellen, ist am Bahnhof eine sogenannte „Mobilitätsstation“, die als Schnittstelle für den intermodalen Verkehr dient, gebaut worden. Dort wird die Nutzung von verschiedenen Verkehrsmitteln koordiniert, um die Fahrt zum Arbeitsplatz wie auch Freizeitverkehre möglichst lückenlos auf die verschiedenen Verkehrsträger zu verteilen, allen voran auf das Fahrrad. Dazu passte die Teilnahme am Bundeswettbewerb Klimaschutz im Radverkehr“, die über die Förderzusage letztlich auch die ressourcenschonende Holzbauweise begünstigte. Mit der Mobilitätsstation erhofft sich die Kommune nicht nur eine Entlastung des innerstädtischen Straßennetzes vom Pkw-Verkehr, sondern zugleich auch eine verbesserte Wohnumfeldqualität für die Bürger sowie eine Steigerung der Attraktivität des lokalen Einzelhandels.
Fahrräder parken, laden, reparieren, kaufen
Das neue Fahrradparkhaus wartet im Erdgeschoss mit einem Dienstleistungscenter für den (Rad-)Tourismus, E-Mobilität (E-Bikes, E-Lastenräder, E-Rikschas, E-Car) sowie einer ÖPNV-Infostelle inkl. WC und Aufenthaltsraum auf. Hier können sich die Pendler und Reisenden z. B. ein (Elektro-)Fahrrad mieten, ihre Räder sicher parken und bei Bedarf reparieren lassen, oder gar ein neues Pedelec kaufen. Der eigentliche Parkraum befindet sich im Obergeschoss, das auf ca. 780 m² Fläche bis zu 600 Radabstellplätze entgeltlich (einfacher Stellplatz: 0,50 Euro/Tag, Box: 1 Euro/Tag) bereithalten kann. Die E-Bikes können während des Parkvorgangs über den im Gebäude selbst erzeugten Strom aufgeladen werden. Den Weg nach oben nehmen die Radler ohne abzusteigen über eine Rampe, die das Gebäude erschließt. Der gesamtverantwortliche Architekt Sven Schneider erläutert: „Die Idee zur organischen Gebäudeform entstand ursächlich aus dem Zusammenhang der fließenden Bewegungen des Radverkehrs mit der kreisrunden Form des Rades heraus. Zudem sollte sich das Gebäude behutsam an die Platzkante anschmiegen. Dem innovativen Ansatz als Mobilitätsstation folgt die Holzbauweise in logischer Konsequenz. Beide, sowohl das Radfahren per se als auch das Baumaterial Holz, stehen für Nachhaltigkeit und Umweltschutz.“
Fassadenintegrierte Photovoltaik-Module
Der Weg der Biker in die gut 59 m lange, 18 m breite und 7,80 m hohe Mobilitätsstation erfolgt über eine Rampe zu den im Obergeschoss befindlichen Parkzonen. Das innere Herzstück wird von einer tragenden Mittelwand in Holzbauweise gebildet, die zum einen statische Aufgaben erfüllt und zum anderen das Kundencenter von den Nebenräumen und der Fahrradwerkstatt trennt.
Die innere, gegenüberliegende Seite hat wie die gesamte Fassade der unteren Ebene eine vertikale Holzbekleidung aus Douglasienholz erhalten. Auf den Außenwänden des Obergeschosses produzieren dem Sonnenverlauf folgend fassadenintegrierte Photovoltaik-Module auf einer Fläche von 220 m² den Ladestrom für die E-Bikes. Neben der Ostseite wartet vor allem die rund ausgeformte Südwestseite mit einem Gros an Solarmodulen auf, die zugleich auch als gestalterisches Mittel für die Einheit von Architektur und dezentraler Energieerzeugung steht. Ein hauseigener Stromspeicher erhöht die Energieeffizienz, aus dem überschüssiger Solarstrom vom Tag für die Ladevorgänge nach Sonnenuntergang zur Verfügung gestellt wird.
Einladung, neue Wege zu beschreiten
Den bauökologischen Abschluss bildet ein extensives Gründach mit einer Bepflanzung aus Sedum- und Gräserkulturen. Der Mobilitäts- und Infopunkt in Bad Kreuznach stellt einen Fixpunkt der Veränderung dar. Mit hohen architektonischen und städtebaulichen Qualitäten, inspirierenden Formen, alternativen Materialien und Oberflächen lädt er die Menschen ein, neue Wege zu beschreiten. Die unmittelbare Nähe zum Bahnhof und zur Innenstadt trägt ihren Teil zur Attraktivität bei.
Projektdetails Eberswalde
Bauherr Stadt Eberswalde, Eberswalde www.eberswalde.de |
Bruttogrundfläche (BGF) 1.290 m² |
Architektur, Entwurfsplanung Leitplan GmbH, Berlin www.leitplan-gmbh.com |
Fahrradstellplätze 604 |
Holzbau Abbund, Montage Zimmerei Thielke GmbH & Co. KG, Luckau www.zimmerei-thielke.de |
Baukosten (KG 300 und 400) 2,2 Mio. Euro brutto |
Statik, Tragwerksplanung ifb frohloff staffa kühl ecker Beratende Ingenieure PartG mbB, Berlin, www.ifb-berlin.de |
Projektdetails Bad Kreuznach
Bauherr Stadt Bad Kreuznach, Bad Kreuznach www.bad-kreuznach.de |
Bruttogrundfläche (BGF) 1.000 m² |
Architektur, Gesamtkonzept Slb Architekten und Ingenieure StadtLandBahn Hachenberg & Roll GbR, Boppard www.stadtlandbahn.de |
Fahrrad-Stellplätze 224 (auf 400 – 600 erweiterbar) |
Holzbau Werkplanung, Abbund, Vorfertigung Zimmerei – Fertigbau Schuth GmbH, Ochtendung www.holzbau-schuth.de |
Baukosten (KG 300 und 400) 2,1 Mio. Euro netto |
Statik, Tragwerksplanung Pirmin Jung Deutschland GmbH, Remagen www.pirminjung.de |
Der Autor
Marc Wilhelm Lennartz
Der Fachjournalist & Autor Marc Wilhelm Lennartz, Diplom-Geograph mit Schwerpunkt Städtebau & Siedlungswesen, lebt in der Eifel und publiziert seit über zwei Dekaden u. a. in den Fachbereichen Architektur, Holzbau, Gebäudetechnik, Wohnungswirtschaft, Baubiologie und Denkmalpflege.
www.mwl-sapere-aude.com